Gefangen in der Gesellschaft - Alltagsrassismus in Deutschland (eBook)

Rassismuskritisches Denken und Handeln in der Psychologie
eBook Download: PDF | EPUB
2015 | 1. Auflage
664 Seiten
Tectum-Wissenschaftsverlag
978-3-8288-6316-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gefangen in der Gesellschaft - Alltagsrassismus in Deutschland -  Dileta Fernandes Sequeira
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Dieses Kompendium liefert die erste ausführliche Beschäftigung mit den psychologischen Folgen von Alltagsrassismus in Deutschland. Die Psychologin Dileta Sequeira hat sich mit den traumatisierenden Folgen rassistischer Gewalt beschäftigt und zeigt an zahlreichen Beispielen, was dies für ihr Fachgebiet bedeutet. Denn Rassismus fordert Therapeuten im Kern ihrer Tätigkeit heraus. Menschen, die Rassismus erleben, erfahren diesen durch Personen, auf die sie im Alltag angewiesen sind. Betroffene können sich diesem nicht entziehen - nicht einmal im Rahmen der psychologischen Institutionen, in denen sie nach Hilfe suchen. Eine rassismuskritische therapeutische oder pädagogische Praxis muss deswegen ganz eigene Strategien im Umgang mit diskriminierenden Strukturen und individuellen Rassismuserfahrungen entwickeln. In diesem Zusammenhang entwickelt Sequeira Lösungsansätze, die auf die Ermächtigung der Betroffenen und gesellschaftliche Veränderungen gleichermaßen zielen.

Dileta Sequeira ist seit 1987 als Psychologin und Therapeutin tätig. Sie ist Trainerin für "Rassismuskritisches Denken und Handeln" und bietet Vorträge, Seminare, Beratung und Supervision zu diesem Themenbereich an.

Dileta Sequeira ist seit 1987 als Psychologin und Therapeutin tätig. Sie ist Trainerin für "Rassismuskritisches Denken und Handeln" und bietet Vorträge, Seminare, Beratung und Supervision zu diesem Themenbereich an.

Zehn Stimmen aus dem
deutschen Alltag äußern
sich zum Thema Rassismus.

STIMME EINS

Was würde eine nichtdeutsche Weltbürgerin über ihre Zugehörigkeit sagen?

»Weltbürgerin zu sein, ist nicht einfach. Es braucht eine große Reife, schmerzhafte Erfahrungen, Aufenthalte im Kollektiven, ein Unterwegssein auf allen Ebenen und dennoch die dazu passende Liebe. Das wusste ich mit fünfzehn nicht, eingenistet wie ich in meiner für mich kohäsiven Kleinwelt war. Ich war großzügig und offen und wollte urteilsfrei die ganze Welt in mir aufnehmen: Weltkultur, Weltmusik, Weltmythen und Weltphilosophien. Weltreisen. Das Wort international war für mich beflügelnd. Die Unschuld (zu meinen, dass ich und damit jede auf dieser Welt das Recht hat, in Ordnung zu sein und so behandelt zu werden) zu verlieren, hinterlässt eine seelische Wunde. Heimat ist für mich zu einem Symbol oder Bild geworden. Ohne Ort. Heute bin ich Trainerin in ‚Rassismuskritischem Denken und Handeln‘. Die gesammelten Kenntnisse, Erkenntnisse und Erfahrungen mit anderen Betroffenen, mit anderen Weißen, die offen sind, haben zur Heilung beigetragen.«

STIMME ZWEI

Wie würde sich ein Leser, der einen »weißen deutschen Hintergrund« hat, zum Thema Rassismus äußern?

»Ich bin Deutscher. Ich weiß nicht, warum um Rassismus so ein Theater gemacht wird. Es gibt viele Probleme überall auf der Welt. Wir haben selbst Probleme hier in Deutschland. Ich habe auch meine Probleme. Ich kenne keine Ausländer hier und mache mir keine Gedanken zu Rassismus. Die Ausländer sollten froh sei, dass wir sie hier aufgenommen haben und sie integrieren. Stattdessen machen sie nur Mist hier. Sie sollten Deutsch sprechen, sich unserer Kultur anpassen und sich benehmen.«

STIMME DREI

Wie würde sich ein junges Mädchen, eine Deutsche mit Sinti-Hintergrund, zu ihren Erfahrungen in Deutschland äußern?

»Ich musste in der Schule selbst über die Sinti lernen, wie schlecht sie sind und dass sie klauen. Zusätzlich dazu habe ich sehr viel im Alltag hören müssen. Von den Nachbarn, von den Lehrern und von meinen Mitschülern. Meine Eltern hatten Schwierigkeiten, hier Fuß zu fassen. Sie haben nur Aushilfsjobs bekommen und konnten sich deswegen nur am Rande der Gesellschaft bewegen. Ich musste sehr viel im Fernsehen oder in der Zeitung über die diversen Probleme von Sinti lesen. Über die grobe und subtile rassistische Gewalt habe ich kaum gesprochen. Ich habe sehr früh verstanden, dass es nichts Gutes ist, Sinti zu sein. Ich bin Deutsche. Das scheint aber nicht relevant zu sein.«

STIMME VIER

Was könnte eine Frau, die sich mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen möchte, äußern?

»Ich bin Deutsche. Schon als Kind habe ich mich für Ausländer interessiert. Ich fand sie schön, toll und interessant. Ich wollte auch eine dunkle Hautfarbe haben. Meine Mutter hat dann gesagt, dass es mit der weißen Hautfarbe besser sei, weil Menschen mit dunkler Hautfarbe es nicht so einfach hätten. Ich habe das damals nicht verstanden. Ich bin viel gereist, wurde überall gut aufgenommen und habe viele Freunde von meinen Aufenthalten im Ausland. Für mich sind diese ausländischen Freunde – oft aus ehemaligen kolonisierten Ländern – ganz normal. Ich habe sie nicht als Schwarze betrachtet. Ich bin immer gespannt, wenn ich Ausländer sehe. Ich werde neugierig und will wissen, wo sie herkommen usw. Das hat für mich sofort einen positiven Effekt. Ich gehe höflich und respektvoll mit ihnen um. Dass es uns in Deutschland gut geht auf Kosten von anderen, darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Ich habe diese Verhältnisse nicht geschaffen. Ich genieße es, dass es mir hier gut geht. Zunehmend mache ich mir aber Gedanken: Ist das alles gerecht? Was soll ich tun?«

STIMME FÜNF

Was sagt eine Frau mit einem weißen deutschen Hintergrund, die mit einem MMM/Schwarzen/POC (MMM = Mensch mit Migrationshintergrund, POC = People of Color) zusammen ist?

»Ich bin Deutsche. Mein Partner ist Schwarzer. Er redet nie über Rassismus. Ich dachte, ihm geht es gut. Irgendwann war es Thema. Er hat gemeint, dass er schon rassistische Erfahrungen macht, aber nicht darüber reden möchte. Er hat viel Schlimmes in seinem Leben erlebt, und er möchte dieses Gefühlsfass nicht aufmachen. Ich war sehr naiv. Wie konnte ich denken, dass er von rassistischen Erfahrungen verschont bleibt? Ich möchte aber das Thema nicht erzwingen. Ich mache mir Sorgen um ihn und werde weiter versuchen, mit ihm darüber zu reden. Es ist nicht einfach.«

STIMME SECHS

Was sagt eine MMM/Schwarze/POC, die es trotz Anfangsschwierigkeiten geschafft hat, Deutsch zu lernen und mit ihren mitgebrachten Qualifikationen in ihrem Beruf zu arbeiten?

»In meinem Milieu habe ich ein weißes Leben. Ich genieße auch weiße Privilegien in diesem Milieu, aber nicht alle. Ich verdiene gut und werde in meinem Job und Freundeskreis respektiert. Ich kann überall hinreisen. Die weißen Einheimischen sagen: ‚Du bist für uns wie weiß geworden. Wir akzeptieren dich als Weiße. Hör aber bloß auf, über Rassismus zu sprechen.‘ Sobald ich mein Milieu verlasse, bin ich dann wieder die Schwarze. Bis ich nach Hause komme. Wer bin ich dann dort? In meinem Milieu – ob bei der Arbeit oder im Freundeskreis – mache ich auch Rassismuserfahrungen. Ich bekomme viele Fragen gestellt: Wo ich herkomme oder ob meine Qualifikationen hier anerkannt werden. Ich bekomme Komplimente für meine Deutschkenntnisse, als ob es für Schwarze etwas Besonderes wäre, die deutsche Sprache zu beherrschen. Ich muss sehr viele Klischeefragen über mein Land beantworten. Ich fühle mich dann unwohl. Ich möchte in mein Land zurück. Ich möchte fliehen. Es gibt viele Momente, in denen gar nichts mehr hilft. Ich werde ängstlich, depressiv und aggressiv. Ich fürchte, psychosomatisch krank zu werden. Ich bin nicht nur von Rassismus betroffen, sondern er macht mich psychisch krank. Der Rassismus lebt in mir, wie ein Wurm, der sich bemerkbar macht, auch wenn ich ihn verdränge. Ich bin eine Andere geworden. Rassismus hat mich verändert.«

STIMME SIEBEN

Was sagt eine MMM/Schwarze/POC darüber, dass sie sich von Rassismus betroffen fühlt?

»Meine Wahrnehmung wird mir abgesprochen, wenn jemand sagt: ‚Das empfindest du nur so. Du bist empfindlich. Es kann anders interpretiert werden.‘ Das passiert oft durch die weißen Deutschen, mit denen ich im Alltag zu tun habe. Ich fühle, dass sie mich als krank betrachten. Entweder schaue ich hin und sehe, wie Rassismus mich krank macht. Oder ich verdränge es und werde dadurch krank, weil Verdrängen zu ‚Symptomen‘ führt, die krank machen. Dann werden sie mich pathologisieren, fürchte ich. Als ob ich an Rassismus leide, weil ich psychisch krank bin. Ob wohl jemals erkannt wird, dass der Rassismus mich traumatisiert hat, mich verändert hat, mich krank gemacht hat?«

STIMME ACHT

Was würde eine in Deutschland lebende Ausländerin über ein Buch wie dieses, das sie vielleicht schreiben könnte, äußern?

»Ich bin ein Mensch mit Migrationsvordergrund. Dieses Buch habe ich zuerst für mich als Heilungsversuch zu schreiben begonnen, um mit all dem, was ich hier erlebe, klarzukommen. Ich habe mein Land als wertvolle, selbstbewusste und weltoffene Akademikerin verlassen, um als wertlose Ausländerin in Deutschland anzukommen. Heute weiß ich, was damals mit mir los war. Damals wusste ich es nicht. Ich habe meine Vitalität verloren. Es waren die subtilen Erfahrungen des Ausgrenzens, das ‚Racial Profiling‘, zum Beispiel am Flughafen oder am Bahnhof, und die vielen täglichen Portionen des Rassismus, die mich geschwächt haben. Viele Erfahrungen, viele Gefühle, die niemand verstanden hat, die auf Widerstand gestoßen sind und heute noch auf Widerstand stoßen. Heute schreibe ich das Buch für uns alle, um Rassismus zu verändern.«

STIMME NEUN

Was würde eine Person, die als Erwachsene nach Deutschland ausgewandert ist, zum Thema Heimat sagen?

»Heimat ist ein neues Wort in meinem Vokabular. Bevor ich sie, meine Heimat, verließ, liebte ich sie ganz selbstverständlich im Hintergrund. Die Heimat ist jetzt noch das Land meiner Mutter, da mein Vater nicht mehr lebt. Die Heimat ist das Land meiner Geburt und meiner Kindheit. Es ist das Land, in dem ich großgeworden bin und meine Identität aufgebaut habe. Heute ist sehr viel Sehnsucht und Bedeutung auf sie projiziert. Und Schmerz. Denn meine Heimat ist eine andere geworden, seitdem ich sie verlassen habe. Ich bin auch eine andere geworden, seitdem ich hier in Deutschland lebe. ‚Home is where your heart is‘, dachte ich noch in unschuldigen Zeiten. Wohin gehöre ich jetzt? Gehöre ich jetzt nur mir? Mein Herz hat kein Stück Land für die Heimat mehr. Die Heimat ist ein Ort in meinem Herzen. Wer mag über diese Traurigkeit mit mir sprechen? Wer weiß um diesen Verlust?«

STIMME ZEHN

Was sagt eine erfolgreiche deutsche Akademikerin, die oft im Ausland ist, über Rassismus und ihr weißes Privileg?

»Ich bin weiße Deutsche. Es gibt Menschen, die viel Schlimmeres erleben und dadurch traumatisiert sind. Sie sind aber mutig und haben gelernt, mit ihrer Traumatisierung zurechtzukommen. Wenn jemand sich rassistisch angegriffen fühlt, sollte er sich wehren. Es gibt nichts anderes zu tun. Ich finde, dass wir Deutsche hart gearbeitet haben, und es darf uns gut gehen. Ich reise viel und werde überall gut behandelt. Ich genieße dieses...

Erscheint lt. Verlag 28.10.2015
Verlagsort Baden-Baden
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte Ausgrenzung • Doublebind • Gewalt • Introjekt • Othering • Rassismus • Selbstregulation • Trauma
ISBN-10 3-8288-6316-7 / 3828863167
ISBN-13 978-3-8288-6316-3 / 9783828863163
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