Das Durchdrehen der Schraube (eBook)

Eine Geistergeschichte

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
208 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-42826-2 (ISBN)

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Das Durchdrehen der Schraube -  Henry James
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100. Todestag von Henry James Eine der verstörendsten und raffiniertesten Geschichten für spannende Abende: Eine junge Pfarrerstochter wird auf einem abgeschiedenen englischen Landgut als Gouvernante eingestellt. Als ihr die Geister zweier verstorbener Angestellter erscheinen, verfällt sie in den wahnhaften Eifer, die Kinder beschützen zu müssen. Unheilvolle Dinge geschehen ...

Henry James, geboren am 15. April 1843 in New York City, war der Sohn eines Intellektuellen irischer Abstammung und wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf. In Amerika und Europa zum Weltbürger erzogen, schrieb er seit 1863 Kritiken und Kurzgeschichten für verschiedene Zeitschriften. Bereits 1871 erschien >Watch and Ward< als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift >The Atlantic Monthly<. Jedoch erst den 1875 erschienenen Roman >Roderick Hudson< ließ er als sein Romandebüt gelten. Zahlreiche weitere Werke folgten, darunter >Daisy Miller< (1878), >Washington Square< (1880), >The Portrait of a Lady< (1881) und >The Turn of the Screw< (1898). Henry James lebte ab 1869 überwiegend in Europa. 1877 ließ er sich in London nieder und wurde 1915 britischer Staatsbürger. Mehrfach war er Kandidat für den Literaturnobelpreis, zuletzt im Jahr seines Todes. Er starb am 28. Februar 1916 in seinem Haus im Londoner Stadtteil Chelsea. Bis heute gilt er als Meister des psychologischen Romans.

Henry James, geboren am 15. April 1843 in New York City, war der Sohn eines Intellektuellen irischer Abstammung und wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf. In Amerika und Europa zum Weltbürger erzogen, schrieb er seit 1863 Kritiken und Kurzgeschichten für verschiedene Zeitschriften. Bereits 1871 erschien ›Watch and Ward‹ als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift ›The Atlantic Monthly‹. Jedoch erst den 1875 erschienenen Roman ›Roderick Hudson‹ ließ er als sein Romandebüt gelten. Zahlreiche weitere Werke folgten, darunter ›Daisy Miller‹ (1878), ›Washington Square‹ (1880), ›The Portrait of a Lady‹ (1881) und ›The Turn of the Screw‹ (1898). Henry James lebte ab 1869 überwiegend in Europa. 1877 ließ er sich in London nieder und wurde 1915 britischer Staatsbürger. Mehrfach war er Kandidat für den Literaturnobelpreis, zuletzt im Jahr seines Todes. Er starb am 28. Februar 1916 in seinem Haus im Londoner Stadtteil Chelsea. Bis heute gilt er als Meister des psychologischen Romans.

Die Geschichte hatte unserer Runde am Kaminfeuer wohl hinreichend den Atem verschlagen, doch außer der naheliegenden Bemerkung, daß sie schaurig gewesen wäre, wie das am Weihnachtsabend in einem altertümlichen Haus für eine außergewöhnliche Geschichte unerläßlich sei, erinnere ich mich nichtsdestoweniger keiner Äußerung dazu, bis schließlich jemand beiläufig feststellte, dies sei der einzige ihm bekannte Fall, in dem ein Kind von einer derartigen Heimsuchung betroffen wurde. Bei dem Fall, den ich erwähnen möchte, ging es um eine Geistererscheinung in genau einem solchen alten Haus wie dem, das uns durch den gegebenen Anlaß zusammengeführt hatte – eine grauenhafte Geistererscheinung, die ein kleiner Knabe hatte, der im selben Zimmer wie seine Mutter schlief und sie vor Entsetzen weckte; er weckte sie nicht auf, damit sie ihm sein Grauen vertreibe und ihn beruhige, so daß er wieder einschlafen könne, sondern damit auch sie, noch bevor ihr das geglückt war, mit demselben gräßlichen Anblick konfrontiert würde, der ihm solchen Schrecken eingejagt hatte. Diese Bemerkung entlockte Douglas – nicht unverzüglich, erst später am Abend – eine Erwiderung, für deren bedeutsame Auswirkung ich um Aufmerksamkeit bitte. Jemand anders erzählte noch eine nicht sonderlich beeindruckende Geschichte, auf die Douglas, wie ich sah, nicht achtete. Ich faßte dies als ein Anzeichen dafür auf, daß er selbst etwas zum besten geben wollte und wir lediglich zu warten hätten. Freilich erstreckte sich unser Warten bis zum übernächsten Abend; aber noch am selben Abend, ehe wir auseinandergingen, brachte er vor, was ihm durch den Kopf ging.

»Hinsichtlich Griffins Gespenst oder was es gewesen sein mag, bin ich völlig Ihrer Meinung, daß seine Erscheinung der Sache eine besondere Note verleiht, insofern hier zum ersten Mal ein kleiner Knabe in so zartem Alter davon betroffen wurde. Doch es ist nicht der erste Vorfall von solch faszinierender Art, von dem ich weiß, daß er einem Kind begegnete. Wenn durch das Kind die Wirkung höhergeschraubt wird, was sagen Sie dazu, falls zwei Kinder –?«

»Dann sagen wir natürlich«, rief jemand, »daß zwei Kinder die Wirkung doppelt so hoch schrauben! Und auch, daß wir gern von ihnen hören möchten.«

Ich sehe noch Douglas, der aufgestanden war, dort am Kaminfeuer, dem er den Rücken zuwandte und nun, die Hände in den Taschen, zu seinem Gesprächspartner hinabblickte. »Niemand außer mir hat bis jetzt jemals davon erfahren. Und es ist wahrhaftig allzu grauenhaft.« Natürlich wurde daraufhin mehrfach die Meinung vertreten, dies werte die Sache im höchsten Grade auf, und unser Freund steuerte mit unauffälliger Gewandtheit auf seinen Trumpf zu, indem er seine Augen über uns andere hinwandern ließ und fortfuhr: »Es übersteigt einfach alles. Nichts, was mir bekannt ist, reicht an es heran.«

»An äußerstem Schrecken?« erinnere ich mich, gefragt zu haben.

Allem Anschein nach wollte er sagen, ganz so einfach sei das nicht; tatsächlich hatte er Schwierigkeiten, es genau zu bezeichnen. Er fuhr mit der Hand über die Augen und verzog ein wenig das Gesicht. »An schaurigem – Grauen!«

»Oh, wie apart!« rief eine der Damen.

Er achtete nicht auf sie; er blickte mich an, aber so, als sähe er an meiner Stelle das, wovon er sprach. »An unheimlicher Gräßlichkeit, an Grauen und Qual.«

»Also dann«, sagte ich, »setzen Sie sich doch gleich und beginnen Sie.«

Er kehrte sich zum Kaminfeuer um, stieß mit dem Fuß gegen ein Holzscheit und blickte ihm einen Moment nach. Dann wandte er sich wieder uns zu: »Ich kann nicht beginnen. Ich müßte erst nach der Stadt schicken.« Das erregte einmütiges Murren und eine Menge Vorhaltungen; daraufhin erklärte er, immer noch in Gedanken versunken: »Die Geschichte ist aufgezeichnet. Sie befindet sich in einer verschlossenen Schublade – seit Jahren ist sie nicht herausgekommen. Ich könnte meinem Bedienten schreiben und den Schlüssel beilegen; er könnte das Paket so, wie er es vorfindet, herschicken.« Es schien, als ob er diesen Vorschlag ganz besonders mir gegenüber machte – sich fast um Hilfe gegen sein Zögern an mich wandte. Er hatte eine ganze Eisschicht, gebildet in so manchem Winter, durchbrochen, hatte für ein langes Schweigen seine Gründe gehabt. Die andern waren über die Vertagung verärgert, aber ich fand gerade seine Bedenken reizvoll. Ich bat ihn inständig, bis zum nächsten Postabgang zu schreiben und uns die Geschichte möglichst bald hören zu lassen; dann erkundigte ich mich bei ihm, ob das fragliche Erlebnis sein eigenes gewesen sei. Auf diese Frage erfolgte seine Antwort unverzüglich. »Oh, Gott sei Dank, nein!«

»Und stammt der Bericht von Ihnen? Haben Sie selbst die Sache aufgezeichnet?«

»Lediglich den Eindruck davon. Hier habe ich ihn festgehalten« – und er schlug an sein Herz. »Unvergeßlich.«

»Dann ist Ihr Manuskript –?«

»Mit alter verblaßter Tinte und in der wundervollsten Handschrift geschrieben.« Er stockte aufs neue ein wenig. »Der Schrift einer Frau. Sie ist schon zwanzig Jahre tot. Sie schickte mir diese Blätter zu, ehe sie starb.« Jetzt horchten alle auf, und natürlich mußte jemand witzeln oder eine Schlußfolgerung ziehen. Doch wenn Douglas das ohne ein Lächeln aufnahm, so auch ohne Verärgerung. »Sie war eine äußerst reizvolle Erscheinung, aber zehn Jahre älter als ich. Sie war die Gouvernante meiner Schwester«, sagte er gelassen, »die liebenswürdigste Frau, die ich jemals in dieser Position gekannt habe; jeder andern Stellung wäre sie würdig gewesen. Das war schon vor langer Zeit, und jene Episode lag noch weit davor. Ich war damals im Trinity-College und traf sie bei uns zu Hause an, als ich zum zweiten Mal in den Sommerferien heimkam. Ich war in diesem Jahr häufig dort – es war ein wunderschöner Sommer; und in ihrer Freizeit schlenderten wir so manches Mal durch den Garten, wobei wir in Gespräche kamen – Gespräche, in denen mir auffiel, wie ungemein klug und liebenswert sie war. O ja, lächeln Sie nicht: Ich hatte sie ungeheuer gern, und bis heute bin ich glücklich bei dem Gedanken, daß auch sie mich gern hatte. Andernfalls hätte sie mir diese Geschichte nicht erzählt. Sie hatte sie nie jemandem erzählt. Nicht, daß sie das einfach so sagte, ich wußte vielmehr, daß es zutraf. Da war ich mir ganz sicher; ich konnte es ihr ansehen. Sie werden bestimmt dahinterkommen weshalb, wenn Sie die Geschichte hören.«

»Weil die Sache derart schrecklich war?«

Er hatte immer noch den Blick auf mich gerichtet. »Sie werden bestimmt dahinterkommen«, wiederholte er, »Sie bestimmt.«

Ich heftete meinerseits nun meinen Blick auf ihn. »Ich verstehe. Sie liebte.«

Nun lachte er zum ersten Mal. »Sie sind in der Tat scharfsinnig. Ja, sie liebte. Das heißt, sie hatte geliebt. Es kam heraus – sie konnte ihre Geschichte nicht erzählen, ohne daß es herauskam. Ich merkte es, und sie bemerkte, daß ich es merkte; aber keiner von uns sprach darüber. Zeit und Ort sind mir noch genau in Erinnerung – die Rasenplatzecke, der Schatten der hohen Buchen und der lange, heiße Sommernachmittag. Es war kein Schauplatz zum Erschaudern; aber ach –!« Er verließ seinen Platz am Kaminfeuer und ließ sich wieder in seinen Sessel nieder.

»Sie erhalten das Paket am Donnerstag vormittag?« sagte ich mit Nachdruck.

»Voraussichtlich mit der zweiten Post.«

»Also dann nach dem Dinner – «

»Sie werden alle zur Stelle sein?« Sein Blick wanderte aufs neue über die Runde. »Reist niemand ab?« Er sagte das fast in einem Ton, als hoffe er es.

»Alle bleiben da!«

»Ich bleibe – und ich bleibe auch!« riefen die Damen, deren Abreise schon ausgemachte Sache gewesen war. Mrs. Griffin hingegen äußerte den Wunsch, Näheres zu erfahren. »Wer war es denn, in den sie verliebt war?«

Ich übernahm die Antwort: »Die Geschichte wird es an den Tag bringen.«

»Oh, auf die Geschichte kann ich nicht warten!«

»Die Geschichte wird es nicht an den Tag bringen«, sagte Douglas, »wenigstens nicht in der eigentlichen, üblichen Art.«

»Wie schade! Denn nur in dieser Art kann ich überhaupt etwas verstehen.«

»Wollen Sie es denn nicht enthüllen?« forderte ihn jemand anders auf.

Er sprang erneut auf. »Ja – morgen. Jetzt muß ich zu Bett gehen. Gute Nacht.« Und indem er geschwind einen Leuchter ergriff, ließ er uns etwas verblüfft zurück. Von unserm Ende der ausgedehnten, düsteren Halle vernahmen wir seinen Schritt auf der Treppe; daraufhin ergriff Mrs. Griffin das Wort. »Nun, auch wenn ich nicht weiß, in wen sie verliebt war, so weiß ich doch, in wen er es war.«

»Sie war zehn Jahre älter«, stellte ihr Gemahl fest.

»Raison de plus1 – in diesem Alter! Aber seine lange Zurückhaltung ist doch recht rücksichtsvoll.«

»Vierzig Jahre!« warf Griffin ein.

»Und dann schließlich dieser Ausbruch.«

»Der Ausbruch«, erwiderte ich, »macht den Donnerstagabend zu einem aufregenden Ereignis.« Und alle waren hierin so völlig meiner Meinung, daß wir im Hinblick darauf für nichts anderes mehr Interesse hatten. Die letzte Geschichte des Abends war erzählt worden, wenngleich unvollständig und lediglich wie der Anfang eines Fortsetzungsromans; wir schüttelten uns die Hände und »bestückten uns mit Kerzen«, wie sich jemand ausdrückte, und gingen zu Bett.

Am nächsten Tag brachte ich in Erfahrung, daß ein Brief, der den Schlüssel enthielt, mit der ersten Post nach der Londoner Wohnung von Douglas abgegangen war. Doch trotz – oder vielleicht gerade wegen – der...

Erscheint lt. Verlag 23.10.2015
Übersetzer Karl Ludwig Nicol
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerikanische Literatur • Benjamin Britten • eBook • Geistererzählung • Geistergeschichte • Gespenstergeschichte • Gothic fiction • Gouvernante • Gruselklassiker • Hauslehrerin • Horror-Roman • Klassik • Klassiker • Neuübersetzung • Novelle • Oper • Schauerliteratur • Südengland • Todestag • verfilmte Literatur
ISBN-10 3-423-42826-0 / 3423428260
ISBN-13 978-3-423-42826-2 / 9783423428262
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