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Interessengebiet (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
368 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9312-6 (ISBN)
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13,99 inkl. MwSt
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Es ist Liebe auf den ersten Blick, die Golo Thomsen wie ein Blitz trifft, als er Hannah Doll begegnet. Was wie eine oft erzählte Liebesgeschichte beginnt, nimmt einen ungewohnten Verlauf - denn Schauplatz ist Auschwitz, Thomsen ist SS-Offizier, und Hannah ist die Frau des Lagerkommandanten. Thomsen unterwirft sich seiner dreisten Obsession, auch wenn er die Folgen seines Strebens nicht absehen kann. 'Interessengebiet' ist mehr als die Geschichte über eine unmögliche Liebe. Der Roman stellt sich der Frage: Was treibt Menschen zu unmenschlichen Taten an?

Martin Amis, geboren 1949 in Swansea, ist einer der bedeutendsten englischen Gegenwartsautoren. Er ist der Verfasser von vierzehn Romanen, sechs Sachbüchern und zwei Kurzgeschichtensammlungen. Für sein Romandebüt 'Das Rachel-Tagebuch' (1973) erhielt er den Somerset Maugham Award. Zu seinen bekanntesten Werken zählen weiterhin 'Gierig' (1984), 'London Fields' (1989) und 'Pfeil der Zeit' (1991). Martin Amis lebt in New York.

1. Thomsen:

ERSTER BLICK

Der Blitz war mir nicht fremd. Der Donnerschlag war mir nicht fremd. Beneidenswert erfahren in solchen Dingen, war mir der Wolkenbruch nicht fremd – der Wolkenbruch und dann die Sonne und der Regenbogen.

Sie kam gerade mit ihren zwei Töchtern aus der Altstadt zurück, und sie waren schon wieder tief im Interessengebiet. Vor ihnen lag, wartend, eine Allee – fast eine Kolonnade, deren Zweige und gelappte Blätter sich zu einem Gewölbe schlossen. Ein später Nachmittag im Hochsommer, erfüllt von winzigen glitzernden Mücken … Auf einem Baumstumpf lag offen mein Notizbuch, in dem die Brise neugierig blätterte.

Großgewachsen, breit und füllig, dabei aber leichtfüßig, bewegte sie sich zwischen Inseln flauschiger, hellbrauner löwenartiger Wärme. Sie trug ein weißes knöchellanges Gewand mit gezacktem Saum und einen cremefarbenen Strohhut mit schwarzem Band und schwang in der Hand eine Strohtasche (die Mädchen, ebenfalls in Weiß, trugen die gleichen Strohhüte und Strohtaschen). Sie lachte, den Kopf nach hinten geworfen, mit gestraffter Kehle. Ich folgte ihr parallel zur Allee, in maßgeschneidertem Tweedjackett und Drillichhose, Klemmbrett und Füllfederhalter in der Hand.

Jetzt kreuzten die drei die Auffahrt zur Reitschule. Neckend umkreist von ihren Kindern, passierte sie die dekorative Windmühle, den Maibaum, den dreirädrigen Galgen, den lasch an die eiserne Wasserpumpe gebundenen Karrengaul und schritt weiter.

In das Kat Zet – das Kat Zet I.

Etwas war geschehen. Blitz, Donner, Wolkenbruch, Sonnenschein, Regenbogen – die Meteorologie des ersten Blicks.

Ihr Name war Hannah – Frau Hannah Doll.

Im Offiziersklub, auf einem Rosshaarsofa, inmitten von Pferdeskulpturen und Pferdegemälden, sagte ich bei einer Tasse Ersatzkaffee (Kaffee für Pferde) zu meinem lebenslangen Freund Boris Eltz:

»Für einen Augenblick war ich wieder jung. Es war wie Liebe.«

»Liebe?«

»Ich sagte: wie Liebe. Verzieh nicht so das Gesicht. Wie Liebe. Ein Gefühl der Unausweichlichkeit. Du weißt schon. Wie der Beginn einer langen und wunderbaren Romanze. Romantische Liebe.«

»Déjà-vu und das ganze übliche Zeug? Fahr fort, hilf meinem Gedächtnis auf die Sprünge.«

»Also. Schmerzhafte Bewunderung. Schmerzhaft. Und Gefühle der Demut und Unwürdigkeit. Wie bei dir und Esther.«

»Das ist was vollkommen anderes«, sagte er und hob einen waagrechten Finger. »Rein väterlich. Das wirst du begreifen, wenn du sie siehst.«

»Wie auch immer. Dann ging es vorbei, und ich … Und ich begann mich zu fragen, wie sie ohne alle ihre Kleider aussehen würde.«

»Da haben wir’s ja. Ich frage mich nie, wie Esther ohne alle ihre Kleider aussehen würde. Wahrscheinlich wäre ich entsetzt. Ich würde mir die Augen zuhalten.«

»Und vor Hannah Doll, würdest du dir vor ihr die Augen zuhalten, Boris?«

»Hm. Wer hätte gedacht, dass der alte Säufer so was Gutes abbekommen würde.«

»Ja. Unglaublich.«

»Der alte Säufer. Überleg nur mal. Gesoffen hat er bestimmt schon immer. Aber alt war er nicht immer.«

Ich sagte: »Die Mädchen, wie alt sind die? Zwölf, dreizehn? Also ist sie in unserem Alter. Oder etwas jünger.«

»Und als der alte Säufer sie geschwängert hat, war sie – achtzehn?«

»Als er in unserem Alter war.«

»Na schön. Ihn zu heiraten war wohl verzeihlich«, sagte Boris achselzuckend. »Achtzehn. Aber dass sie ihn nicht verlassen hat, das lässt sich nicht so leicht abtun.«

»Ich weiß. Das ist schwer zu …«

»Hm. Sie ist mir zu groß. Und genau genommen ist sie auch für den alten Säufer zu groß.«

Und wieder fragten wir uns: Wie kommt jemand dazu, Frau und Kinder hierher mitzunehmen? Hierher?

Ich sagte: »Diese Umgebung ist eher was für Männer.«

»Ich weiß nicht. Manche Frauen stören sich nicht daran. Manche Frauen sind genau wie die Männer. Denk an deine Tante Gerda. Die würde sich hier wohlfühlen.«

»Tante Gerda dürfte grundsätzlich damit einverstanden sein«, sagte ich. »Aber wohlfühlen würde sie sich hier nicht.«

»Ob Hannah sich hier wohlfühlen wird, was meinst du?«

»Sie sieht nicht so aus, als ob sie sich hier wohlfühlen wird.«

»Allerdings. Aber vergiss nicht, sie ist glücklich mit Paul Doll verheiratet.«

»Hm, dann lebt sie sich bestimmt gut ein«, sagte ich. »Ich hoffe es zumindest. Mein physisches Erscheinungsbild wirkt besser auf Frauen, die sich hier wohlfühlen.«

»… Wir fühlen uns hier nicht wohl.«

»Stimmt. Aber Gott sei Dank haben wir einander. Das ist schon eine Menge.«

»Stimmt, Junge. Du hast mich, und ich hab dich.«

Boris, mein beständiger Vertrauter – rigoros, unerschrocken, attraktiv wie ein kleiner Cäsar. Kindergarten, Kindheit, Pubertät und dann, später, unsere Radtouren durch Frankreich und England und Schottland und Irland, unsere dreimonatige Wanderung von München nach Reggio und weiter nach Sizilien. Erst im Erwachsenenalter geriet unsere Freundschaft in Schwierigkeiten, als die Politik – als die Geschichte – in unser Leben einbrach. Er sagte:

»Weihnachten bist du hier raus. Ich bleibe bis Juni. Warum bin ich nicht im Osten?« Er trank mürrisch und machte sich eine Zigarette an. »Im Übrigen, Bruder, hast du keine Chance. Wo, zum Beispiel? Sie ist viel zu auffällig. Und sieh dich vor. Der alte Säufer mag ein alter Säufer sein, aber er ist auch der Kommandant.«

»Hm. Trotzdem. Es sind schon seltsamere Dinge geschehen.«

»Viel seltsamere Dinge sind geschehen.«

Ja. Denn es war eine Zeit, in der jeder den Betrug spürte, die sarkastische Schamlosigkeit, die atemberaubende Heuchelei aller Verbote. Ich sagte:

»Ich hab eine Art Plan.«

Boris seufzte auf und stierte ins Leere.

»Zunächst muss ich von Onkel Martin hören. Dann mache ich den ersten Zug. Bauer von d2 auf d4.«

Nach einer Weile meinte Boris: »Ich glaub, der Bauer machts nicht lange.«

»Möglich. Aber es kann nicht schaden, sich das mal genau anzusehen.«

Boris Eltz empfahl sich: Er wurde an der Rampe erwartet. Ein Monat Schichtdienst an der Rampe war seine Strafe innerhalb einer Strafe für eine weitere Schlägerei. Die Rampe – das Ausladen, die Selektion, dann die Fahrt durch den Birkenwald zur Kleinen Braunen Laube im Kat Zet II.

»Das Unheimlichste ist die Selektion«, sagte Boris. »Das solltest du dir mal ansehen. Um deinen Horizont zu erweitern.«

Mittag aß ich allein im Offiziersklub (ein halbes Huhn, Pfirsiche und Cremespeise. Kein Wein), danach war ich in meinem Büro in den Buna-Werken. Dort gab es eine zweistündige Besprechung mit Burckl und Seedig, wo es hauptsächlich um die ins Stocken geratene Karbid-Produktion ging; es stellte sich aber auch heraus, dass ich meinen Kampf um die Verlagerung unserer Arbeitskräfte verlieren würde.

Als es dunkel wurde, begab ich mich zu Ilse Greses Stube im Kat Zet I.

Ilse Grese fühlte sich hier wohl.

Ich klopfte an die sacht schwingende Blechtür und trat ein.

Wie der Teenager, der sie noch war (zwanzig im nächsten Monat), hockte Ilse im Schneidersitz auf der Pritsche und las, ohne aufzublicken, in einer Illustrierten. Ihre Uniform hing an dem Nagel im Balken, unter dem ich mich durchduckte, und sie trug einen faserigen dunkelblauen Hausmantel und ausgebeulte graue Socken. Ohne sich umzudrehen, sagte sie:

»Aha. Ich rieche Isländer. Ich rieche Arschloch.«

Ilses üblicher Habitus mir – und vielleicht allen ihren Männerfreunden – gegenüber, war von spöttischer Trägheit geprägt. Mein üblicher Habitus ihr – und jeder Frau, zumindest anfangs – gegenüber, war exzessiv belehrend (was ich mir als Gegengewicht zu meiner physischen Erscheinung angewöhnt hatte, die manche zunächst abstoßend fanden). Auf dem Boden lagen Ilses Pistolenhalfter und auch ihre Peitsche aus Rindsleder, eingerollt wie eine Schlange im Schlaf.

Ich zog die Schuhe aus und setzte mich. Während ich es mir an ihrem Rücken bequem machte, ließ ich ein Amulett importierten Parfüms an einem Goldkettchen über ihre Schulter baumeln.

»Das isländische Arschloch. Was will er?«

»Hm, Ilse, der Zustand deines Zimmers. Wenn du deiner Arbeit nachgehst, machst du immer einen tadellosen Eindruck – das will ich zugeben. Aber im privaten Bereich … Wo du es in puncto Ordnung und Sauberkeit bei anderen so genau nimmst.«

»Was will das Arschloch?«

Ich sagte: »Was gewollt ist?« Und fuhr dann fort, mit nachdenklichen Pausen zwischen den Sätzen: »Gewollt ist, dass du, Ilse, gegen zehn auf mein Zimmer kommst. Dort werde ich dich mit Weinbrand und Schokolade und kostbaren Geschenken traktieren. Ich werde zuhören, wenn du mir von den neuesten Wechselfällen deines Lebens berichtest. Mein großmütiges Mitgefühl wird dein Fingerspitzengefühl bald wiederherstellen. Denn an Fingerspitzengefühl, Ilse, hat es dir in manchen Situationen bekanntlich gemangelt. Jedenfalls höre ich das von Boris.«

»… Boris liebt mich nicht mehr.«

»Erst neulich hat er dich in höchsten Tönen gepriesen. Wenn du möchtest, rede ich mit ihm. Du kommst um zehn, hoffe ich. Nach unserem Gespräch und deinen...

Erscheint lt. Verlag 13.8.2015
Übersetzer Werner Schmitz
Sprache deutsch
Original-Titel The Zone of Interest
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amis • Auschwitz • Banalität • Bormann • Bösen • Bunawerke • Buna-Werke • Christian Friedel • Doll • Drittes Reich • Film The Zone of Interest • Gegenwartsliteratur • Geschichte • Golo • Hannah • Holocaust • IG-Farben • Interessengebiet • Jonathan glazer • Konzentrationslager • KZ • Liebe • Martin Amis • Moral • Nationalsozialismus • Nazis • Opfer • Roman • Sandra Hüller • Sonderkomando • SS • Täter • The Zone of Interest • Thomsen • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-0369-9312-6 / 3036993126
ISBN-13 978-3-0369-9312-6 / 9783036993126
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