Lila (eBook)
288 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403521-5 (ISBN)
Marilynne Robinson ist eine der großen Stimmen Amerikas. Für ihre Romane hat sie fast jeden Literaturpreis der USA gewonnen für »Gilead«, den Auftakt ihrer berühmten Trilogie, sogar gleichzeitig den Pulitzer Prize und den National Book Critics Circle Award. Es folgten »Zuhause« und »Lila«. Seit Präsident Obama im Wahlkampf durch Iowa kam und ihre Bücher las, stehen sie ständig in Kontakt, und Obama interviewte sie für die »New York Review of Books«. 2016 wurde ihr für ihr Lebenswerk der »Library of Congress Prize for American Fiction« zugesprochen. Robinson ist 1943 geboren und lebt heute in Iowa.
Marilynne Robinson ist eine der großen Stimmen Amerikas. Für ihre Romane hat sie fast jeden Literaturpreis der USA gewonnen für »Gilead«, den Auftakt ihrer berühmten Trilogie, sogar gleichzeitig den Pulitzer Prize und den National Book Critics Circle Award. Es folgten »Zuhause« und »Lila«. Seit Präsident Obama im Wahlkampf durch Iowa kam und ihre Bücher las, stehen sie ständig in Kontakt, und Obama interviewte sie für die »New York Review of Books«. 2016 wurde ihr für ihr Lebenswerk der »Library of Congress Prize for American Fiction« zugesprochen. Robinson ist 1943 geboren und lebt heute in Iowa. Uda Strätling lebt in Hamburg und hat u. a. Emily Dickinson, Henry David Thoreau, Sam Shepard, John Edgar Wideman, Aldous Huxley und Marilynne Robinson übersetzt.
Lila gehört zu den Romanen, die man in einem Zug verschlingen möchte, um am Ende noch einmal von vorne zu beginnen.
ein schönes Buch. Die eigentümliche Perspektive seiner ungebildeten Heldin entfaltet einen stillen Sog
Lilas Lebensstationen hat Marilynne Robinson kunstvoll ineinander geblendet.
Wie rasend, wie zärtlich Marilynne Robinson Lilas Geschichte erzählt: Als hätte sie sich die Sätze ohne Betäubung aus dem eigenen Leib geschnitten.
ein ungewöhnliches, gefühlvolles Buch, ganz ohne Ironie.
Robinson beherrscht ihren Stoff, durch den stets ein Hauch 19. Jahrhundert weht.
mit großer sprachlicher Kraft und aus ungewöhnlicher Perspektive[…]Es handelt sich um die Entdeckung einer gewaltigen Erzählerin.
eine wundersam zarte Geschichte […] mit Happy end – einem kleinen stillen, auch rührenden. Gleichzeitig […] so fern von jedem Kitsch, wie ein Roman nur sein kann.
Lila arbeitete zu gern im Garten vom Reverend. Er setzte kaum je einen Fuß hinein. Früher war ab und an wer aus der Gemeinde gekommen, damit das Unkraut nicht überhandnahm. Anfangs, als sie hinging, um die Rosen zu pflegen und Ordnung zu schaffen, hatte sie in einer Ecke einen kleinen Gemüsegarten angelegt und ein paar Kartoffeln gepflanzt, nur für sich. Ein paar Bohnen. Sie sah keinen Grund, ein so sonniges Plätzchen ungenutzt zu lassen, und es war guter Boden. Das hatte sie lange nicht mehr gehabt. Sie liebte den Geruch der Erde, das Gefühl. Sie musste sich zwingen, sich den Dreck von den Händen zu waschen.
Jetzt, wo sie die Frau vom Reverend war, hatte sie den Gemüsegarten viel größer gemacht. Sie bekam so viel Samen und Saat, wie sie wollte. Sie aß noch immer gern Mohrrüben gleich aus dem Beet, aber sie wusste, dass man sowas nicht tat, also passte sie auf. Sie dachte manchmal daran, den Jungen kosten zu lassen, damit er lernte, wie das schmeckt. (Zwei-, dreimal hatte sie sogar gedacht, sie würde ihn stehlen, ihn in die Wälder davontragen oder die Landstraße hinab, damit sie ihn für sich hätte und ihm das andere Leben zeigen könnte. Aber dann stellte sie sich den alten Mann vor, den Reverend, und wie er ihnen nachrief, »Wo willst du hin mit dem Kind?« Der Kummer in seiner Stimme wäre schrecklich. Er selbst würde darüber staunen. Du würdst nicht meinen, dass der Körper so einen Klang überhaupt in sich hat. Aber ihr wäre er vertraut. Das bildete sie sich nicht bloß ein, sie kannte diesen Kummer von irgendwoher, und ihr war, als würde sie was verstehen, wenn sie ihn noch einmal hören könnte. Das war es, was sie beinahe wollte.)
Nein, das war nur ein Traum, den sie ein paarmal gehabt hatte, zwei-, dreimal, eine Art Tagtraum. Und es war nur der Traum, der in ihrem Kopf sich festsetzte, nicht wirklich der Gedanke daran, das Kind seinem Vater wegzunehmen. Wenn er wüsste, was sie dachte, würde er wahrscheinlich sagen, Du wirst ihn bald genug ganz für dich haben. Manchmal wünschte sie, er würde ihre Gedanken kennen, weil sie glaubte, er könnte sie ihr vergeben. Weil der Herrgott sie nämlich vergeben würde, ziemlich sicher, dachte sie. Wenn die alten Männer was von ihrem Herrgott verstanden. Wenn es einen Herrgott gab. Doll hatte Ihn nie erwähnt.
Lilas Gedanken waren manchmal seltsam. Waren sie immer gewesen. Sie hatte gehofft, sich taufen zu lassen würde dagegen helfen, aber dem war nicht so. Eines Tages würde sie ihn danach fragen. Tja, Doll sagte immer, Tu einfach, was sie dir sagen, und halt still, mehr wird nie wer von dir wollen. Lila hatte gelernt, dass es aber doch um mehr ging. Trotzdem, sie hielt viel still. Wobei er auch nicht viel von ihr verlangte. Gar nichts, eigentlich. In den ersten Wochen konnte sie ihm ansehen, dass er bloß froh war, sie im Haus zu haben, wenn er heimkam, oder in der Küche, wenn er aus seinem Arbeitszimmer herunterkam. Sogar ein bisschen erleichtert. Vielleicht kannte er sie besser, als sie dachte. Aber dann wäre er andererseits kaum so froh, sie dort zu finden. Manchmal wünschte sie, er würde ihr sagen, was sie tun soll, aber er war mit ihr immer so vorsichtig. Also beobachtete sie die anderen Ehefrauen und tat, was die taten, so gut sie es sich zusammenreimen konnte.
Es gab so viel falsch zu machen. Sie war zu der ersten Versammlung in der Kirche gekommen, weil er sie eingeladen hatte, aber als sie den Raum betrat, bis auf ihn lauter Damen, da war er aufgestanden. Sie dachte, er wäre ihr böse und würde sie jetzt auffordern zu gehen, weil sie doch hätte kapieren müssen, dass er sie nur im Scherz dazugebeten hatte. Also hatte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und war wieder gegangen. Daraufhin waren zwei von den Damen ihr bis auf die Straße nachgelaufen, um ihr zu sagen, wie sehr sie sich freuen, dass sie gekommen ist und dass sie hoffen, sie kann doch bleiben. So viel guter Wille hätte sie normal vielleicht wütend genug gemacht, schnurstracks weiterzugehen, wäre da nicht ihre Idee mit der Taufe gewesen. Und als sie alle wieder reinkamen, war er noch mal aufgestanden, weil ein Gentleman wie er das eben tut, wenn Damen einen Raum betreten. Der kann gar nicht anders. Woher sollte denn sie das wissen? Die müssen die Türen aufmachen und aufhalten und warten, bis du vor ihnen durchgehst. Bis heute lupfte der Reverend den Hut, wenn er ihr zufällig auf der Straße begegnete, selbst im Regen. Immer half er ihr mit ihrem Stuhl, und das hieß, dass er den ein bisschen vom Tisch zurückziehen und dann, wenn sie sich gesetzt hatte, wieder vorschieben musste. Wer in aller Welt brauchte schon Hilfe beim Hinsetzen?
Na, jeder nach seiner Art, dachte sie bei sich. Und er war wunderschön, für einen alten Mann. Sie mochte seinen Anblick zu gern. Er sah aus wie einer, der selber seinen Teil Einsamkeit getragen hatte, und das war in Ordnung. Es war was an ihm, was sie verstand. Sie mochte seine Stimme. Sie mochte, wie er neben ihr stand, als hätte er daran seine Freude.
Einmal hatte er ihre Hand genommen, um ihr die Stufen zu Broughtons Haus hinaufzuhelfen, und Broughton sagte mit einem Zwinkern, »Drei sind mir zu wunderbar, und das vierte verstehe ich nicht«, und die beiden lachten ein bisschen. Sie sagte sich, Nicht schimpfen. Aber der Reverend merkte, dass es sie störte, wenn sie so redeten, Witze rissen, die sie nicht verstand. Deshalb holte er, als sie wieder daheim waren, die Bibel vom Bücherbord und zeigte ihr die Verse. Des Adlers Weg am Himmel, der Schlange Weg auf einem Felsen, des Schiffes Weg mitten im Meer und eines Mannes Weg an einer Jungfrau. Das war der Witz. Ein Mann mit einer Jungfrau. Sie lachten, weil er ein alter Prediger war und sie Feldarbeiterin war oder wäre, wenn sie nur zu der Zeit zurückfinden könnte. Außerdem war sie selber alt. Für eine Frau bedeutete alt sein einfach nicht jung sein, und ihr hatte man die Jugend schon vor der Zeit dafür abgeschunden. Also war Lila schon sehr lange alt, aber das half auch nicht weiter. Na, sie wusste ja, dass es ein Witz war. Die Leute wunderten sich noch immer über ihn, dass er sie geheiratet hatte.
Sie sah ihm an, dass es ihn selber wunderte, manchmal. Er hatte ihr erzählt, bei Sturm sei mal ein Vogel ins Haus geflogen. So einen hatte er noch nie gesehen. Der Wind musste ihn von weither gebracht haben. Er riss alle Türen und Fenster auf, aber der Vogel wollte so verzweifelt entkommen, dass er eine Zeitlang keinen Ausweg fand. »Er hat dieses Haus gesegnet«, sagte er. »Schon die Wildheit. Wie er den Wind brachte.« Das war gerade um die Zeit, wo sie zu ahnen begann, dass sie ein Kind erwartete, also erschreckte es sie ein bisschen zu begreifen, dass er wusste, dass sie doch noch gehen könnte, dass er vielleicht sogar darauf zählte. Sie konnte sich im Nachherein bloß erinnern, dass der Mond im letzten Viertel stand, als sie das erste Mal zu ihm ins Bett gekrochen war. Diese Dinge hatte ihr die Schwarzhaarige erklärt, die, die sich Susanna nannte. Die hatte drei oder vier Kinder, alle bei ihrer Schwester oder Mutter in Pflege, wie sie sagte, also wusste sie vielleicht doch nicht so gut Bescheid, wie sie glaubte. Jedenfalls hatte jetzt Lila eine Sorge mehr am Hals. Vielleicht hatte der alte Mann damit ja sagen wollen, sie soll gehen, sie gehört da nicht hin in sein Haus. Vielleicht sagten es Gentlemen ja so. Und wenn er wollte, könnte er auch sagen, Das war deine Idee, du hast gesagt, ich soll dich heiraten. Aber vielleicht durfte ein Gentleman das nicht. Konnte aber ja sein, dass er irgendwann doch böse wurde und seine ganzen Manieren vergaß, und das wäre hart. Doll sagte immer, Einfach stillhalten. Was immer ist, wart einfach, bis es vorbeigeht. Alles hat mal ein Ende. Lila dachte, Wenn du aber schon weißt, dass es irgendwann zu Ende ist, dann willst du es manchmal lieber gleich hinter dich bringen. Aber wenn du ein Kind erwartest, ist ein Dach überm Kopf einfach besser. Alles andre ist dümmer als dumm.
Eines Abends besuchten sie den alten Boughton, und die zwei Männer sprachen über Leute, die sie nicht kannte, und Dinge, die sie nicht verstand. Was denn sonst? Aber es machte ihr nichts, zuzuhören. Und schon bald vergaßen sie, dass sie zuhörte. Sie hatten von Missionaren gelesen, die eben aus China zurück waren, und wie die Hunderte bekehrt hätten, ein Tropfen im Eimer bei den vielen Menschen, die noch keinmal vom Evangelium gehört hatten und wohl nie hören würden. Boughton sagte, das wär doch ein schrecklicher Verlust an Seelen, wenn. Nicht, dass er Gottes Gerechtigkeit anzweifle, aber manchmal wundere er sich schon. Das müsse wohl jeder. Das sei nicht dasselbe wie zweifeln. Und der Reverend sagte, Wenn man an die vielen Menschen denkt, die allein von Adam bis Abraham gelebt haben. Boughton schüttelte den Kopf über das unerforschliche Geheimnis. »Wir sind der Tropfen im Eimer!«, sagte er. »Das vergisst man so leicht!«
Der nächste Tag war ein Sonntag, und sie war früh wach und schlüpfte aus dem Haus und ließ den Ort hinter sich und folgte dem Fluss an eine Stelle, wo das Wasser über Felsen floss und in einen Gumpen mit sandigem Grund fiel. Dort würde sie, wenn die Sonne aufging, die Schatten der Welse sehen können. Am Ufer, klamm und kühl, mit dem Geruch vom kaum hörbaren Fluss in der Nase, hockte sie da versteckt im Dunkeln, nicht, weil sie fürchtete, es könnte wer da sein, nur weil sie immer gern das Gefühl hatte, dass sie niemand sah, selbst wenn sie sich allein wusste. Der alte Mann würde in einem leeren Haus aufwachen, und er würde sich anziehen und rasieren, wie er das immer tat, und sich Kaffee und Toast machen und seinen Papierkram einsammeln und sich allein auf den Weg in die Kirche machen, um zu predigen, wie er das immer tat, um die...
Erscheint lt. Verlag | 20.8.2015 |
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Übersetzer | Uda Strätling |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Amerika • Beziehung • Dürrezeit • Findelkind • Geborgenheit • gerettet • Gilead • Heimat • John Ames • Landstreicherin • Lila • Mittlerer Westen • Pulitzer-Preis • Sicherheit • Trilogie • Überlebenskünstlerin • USA • Waise |
ISBN-10 | 3-10-403521-0 / 3104035210 |
ISBN-13 | 978-3-10-403521-5 / 9783104035215 |
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