Und Gott sprach: Du musst mir helfen! (eBook)
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-22211-3 (ISBN)
Hans Rath, geboren 1965, studierte Philosophie, Germanistik und Psychologie in Bonn. Er lebt mit seiner Familie in Berlin, wo er unter anderem als Drehbuchautor tätig ist. Zwei Bände seiner Romantrilogie um den Mittvierziger Paul Schubert wurden fürs Kino adaptiert. Seine aktuellen Bücher aus der Reihe «Und Gott sprach» sind ebenfalls Bestseller.
Hans Rath, geboren 1965, studierte Philosophie, Germanistik und Psychologie in Bonn. Er lebt mit seiner Familie in Berlin, wo er unter anderem als Drehbuchautor tätig ist. Zwei Bände seiner Romantrilogie um den Mittvierziger Paul Schubert wurden fürs Kino adaptiert. Seine aktuellen Bücher aus der Reihe «Und Gott sprach» sind ebenfalls Bestseller.
1
«Frohe Weihnachten und Geld her!» Vor mir steht ein gutgelaunter Nikolaus mit roter Samtmütze, der gerade seinen falschen Bart zurechtrückt.
«Bitte das Handy nicht vergessen», höre ich eine andere Stimme sagen.
Es ist Knecht Ruprecht, der mir den Fluchtweg versperrt. «Und die Uhr da nehmen wir auch.» Ebenso lässig wie drohend deutet er mit einem Holzknüppel auf mein Handgelenk.
Erst jetzt begreife ich, dass ich auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt in einen adventlichen Hinterhalt geraten bin.
«Die Uhr war aber ein Geschenk», protestiere ich.
«Dann ist sie jetzt eben unser Geschenk», erwidert Nikolaus sonnig.
Knecht Ruprecht wiegt vielsagend den Holzknüppel in seinen Händen.
Widerwillig gebe ich meine Uhr ab. Nikolaus wirft einen kurzen Blick darauf und pfeift anerkennend. «Ist die etwa echt?»
«Keine Ahnung. Wie schon gesagt, ich hab sie geschenkt bekommen», sage ich. «Übrigens dachte ich immer, der Nikolaus würde ebenfalls Geschenke bringen. Seit wann lungert er mit seinem Assistenten in Seitengassen herum, um Leute abzuziehen?»
Schweigen. Nur das Lärmen des nahen Weihnachtsmarktes ist zu hören.
Nikolaus ignoriert meine Frage und betrachtet stattdessen seine Beute.
«Die scheint wirklich echt zu sein», stellt er fest.
Der Wind weht ein wüstes Gemisch aus Weihnachtsmelodien zu uns herüber.
«Ein Bonze wie du weiß natürlich nicht, wie das ist, wenn man keine Kohle hat», behauptet Knecht Ruprecht. «Wir machen das hier jedenfalls nicht zu unserem Vergnügen.»
«Kein Problem», sage ich. «Wenn ihr Tipps braucht, was ihr sonst noch so mit eurer Zeit anfangen könntet, statt Leute zu überfallen, dann bin ich euch gerne behilflich.»
«Deine Ironie kannst du dir sparen», erwidert Ruprecht. «Wer weiß, was du für Dreck am Stecken hast. Die wenigsten Vermögen werden auf ehrliche Weise verdient.»
«Außerdem sind wir nicht zum Diskutieren hier», sagt Nikolaus mit Blick auf seinen Kompagnon.
«Das trifft sich gut», erwidert Knecht Ruprecht. «Mit Kapitalisten will ich nämlich auch gar nicht diskutieren.»
«Ich bin kein Kapitalist», erwidere ich. «Ich bin Psychotherapeut.»
«Das eine schließt das andere ja nicht aus», kontert Ruprecht. «Deine Uhr ist jedenfalls eine Kapitalistenuhr.»
«Deswegen bin ich aber noch lange kein Kapitalist.»
«Können wir jetzt vielleicht mal weitermachen?», mischt Nikolaus sich erneut ein. Genervt stopft er meine Uhr in seinen roten Sack und streckt die Hand aus. «Brieftasche und Handy.»
Ich zögere. «Und wie wäre es, wenn ich euch etwas Geld gebe, und wir vergessen die Sache hier einfach?»
Ruprecht wirkt belustigt. «Was soll das heißen? Willst du dich etwa freikaufen?»
«Aha. Du bist also doch ’n Bonze», stellt Nikolaus fest.
«Sag ich ja die ganze Zeit», pflichtet Knecht Ruprecht ihm bei.
«Nein, ich bin kein Bonze. Ich würde es als ein Weihnachtsgeschenk betrachten. Ich gebe euch ein bisschen Geld, behalte die restlichen Sachen, und alle sind zufrieden.»
«Du willst doch nur deine Kapitalistenuhr behalten», vermutet Ruprecht.
«Das auch. Aber nur weil sie ein Geschenk ist.»
«Oder weil du weißt, dass sie selbst gebraucht mehr wert ist als das, was du an Kohle bei dir hast», spekuliert Nikolaus.
«Ich weiß wirklich nicht, was die Uhr gekostet hat», sage ich. «Und wenn ich ein mieser Kapitalist wäre, würde ich sicher nicht auf die Idee kommen, freiwillig mit euch zu teilen, oder?»
Ruprecht sieht mich an und überlegt. Dann schaut er zu seinem Kompagnon. Der zuckt mit den Schultern.
«Wie genau stellst du dir das mit dem Teilen denn vor?»
Ich wittere eine winzige Chance, aus dieser unangenehmen Situation mit einem blauen Auge herauszukommen. Dazu muss ich den beiden jetzt allerdings ein akzeptables Angebot unterbreiten. Ich überlege. Vermutlich habe ich knapp zweihundert Euro Bargeld bei mir. Gut die Hälfte davon scheint mir als nicht ganz freiwilliges Weihnachtsgeschenk für Nikolaus und Knecht Ruprecht angemessen zu sein.
«Ich gebe euch hundert Euro», sage ich. «Wenn man bedenkt, dass ich der Christoffel Blindenmission gerade mal zwanzig Euro gespendet habe, dann ist das eine stattliche Summe. Mit hundert Euro könnte man immerhin rund fünfzig Leute in Afrika vor der Flussblindheit bewahren.»
Nikolaus und Knecht Ruprecht werfen sich amüsierte Blicke zu.
«Lass mal deine Geldbörse sehen», befiehlt Ruprecht.
Ich gebe sie ihm, und er durchstöbert das Utensil.
«Du hast fast zweihundert Mäuse dabei. Warum gibst du uns nicht alles? Immerhin würdest du die Uhr, das Handy und die Kreditkarten behalten. In ein paar Minuten könntest du neues Geld gezogen haben.»
«Na gut», sage ich schicksalsergeben. «Dann nehmt euch eben alles.»
«Das ist die richtige Einstellung», lobt Nikolaus, schnappt sich meine Geldbörse und wirft sie in seinen roten Sack. «Fehlt nur noch das Handy.»
Ebenso verblüfft wie hilfesuchend schaue ich zu Knecht Ruprecht, doch der hebt nur bedauernd die Schultern. «Tut mir wirklich leid, aber du hattest deine Chance. Offensichtlich haben wir einfach zu unterschiedliche Vorstellungen vom gerechten Teilen.»
Nikolaus nickt bestätigend und hält mir den geöffneten Sack hin. Missmutig ziehe ich mein Handy hervor und werfe auch das noch hinein.
«Kann ich wenigstens meine Papiere zurückhaben?», frage ich. «Das würde mir die Rennerei zu den Ämtern ersparen.»
«Ist deine Adresse im Ausweis aktuell?», will Ruprecht wissen.
Ich nicke.
«Okay, wir schicken dir den Kram per Post. Aber nur weil bald Weihnachten ist.»
«Danke», sage ich. «Und da ist noch was.»
«Übertreib es nicht», warnt Knecht Ruprecht.
«Nein. Will ich ja gar nicht. Aber wäre es trotzdem möglich, dass ich auch die SIM-Karte zurückbekomme? Ich hab blöderweise kein Back-up von den Kontakten gemacht.»
«Oh. Das ist aber ganz schön unvorsichtig», feixt Nikolaus.
«Na gut», sagt Knecht Ruprecht. «Meinetwegen kriegst du auch noch deine SIM-Karte zurück. Und jetzt Gesicht zur Wand, Augen zu und langsam bis fünfzig zählen.»
«Und wenn du schummelst, dann hat sich das mit deiner Post ruck, zuck erledigt», droht Nikolaus.
«Ich schummele ganz bestimmt nicht», erwidere ich, drehe mich zur Wand und tue, was man mir gesagt hat.
Als ich mich wieder umdrehe, sind die beiden verschwunden.
Mich fröstelt. Erst jetzt spüre ich, dass mich die Begegnung mehr mitgenommen hat, als ich mir habe anmerken lassen. Meine Knie sind weich wie reifer Camembert, und ich spüre das Adrenalin in meinem Blut.
Obwohl die Temperaturen um den Gefrierpunkt liegen, lasse ich mich auf den eiskalten Boden eines Hauseingangs sinken, um kurz zu verschnaufen. Der Himmel über dem Weihnachtsmarkt leuchtet rot.
«Gute Show», höre ich eine Stimme sagen.
Ein paar Meter rechts von mir, versteckt hinter Mülltonnen, sitzt ein Kerl, umringt von Einkaufstüten. Sein strähniges Haupthaar schimmert ebenso silbergrau wie der zottelige Bart. Gesicht und Hände sind völlig verdreckt. Schwer zu schätzen, ob es sich bei ihm um einen völlig verwahrlosten Mittfünfziger oder um einen Tattergreis handelt.
«Danke», sage ich matt.
Er grinst breit und zeigt mir seine ockerfarbenen Zähne. «Ich meinte nicht Sie, sondern die Vorstellung von Nikolaus und Knecht Ruprecht.»
Schade, denke ich. Wenn ich schon bestohlen werde, dann hätte ich dabei zumindest gern eine passable Figur gemacht.
«Das klingt, als wären Sie ein echter Fan der beiden», sage ich.
«Nein. Das ist zu viel gesagt. Aber ich mag ihre freundliche Art.»
«So freundlich fand ich die jetzt gar nicht», erwidere ich.
«Oh doch. Wenn man weiß, wie es sonst auf der Straße zugeht, dann sind die beiden sogar richtig zuvorkommend. Man begegnet hier vielen verrückten und auch ein paar gemeingefährlichen Typen. Aber Kalle und Frieder sind wirklich in Ordnung.»
«Sie kennen die beiden?», frage ich erstaunt.
«Kennen ist zu viel gesagt. Sie arbeiten in dieser Gegend, und ich wohne hier. Da bleibt es nicht aus, dass man ab und zu ins Gespräch kommt.»
Er sieht, dass ich überlege, und errät meinen Gedanken. «Sie brauchen mich gar nicht erst zu fragen, ob ich mit Ihnen zur Polizei gehe. Das mache ich nämlich nicht. Ich verpfeife grundsätzlich niemanden.»
Ich zucke mit den Schultern. «Schon okay. Die Hauptsache ist doch, dass es Ihnen gefallen hat, wie ich ausgeraubt worden bin.»
Er muss lachen. Es ist mehr ein Krächzen, das in einen kurzen, heftigen Hustenanfall mündet. Seine Lunge rasselt dabei wie ein alter Wecker.
«Das hört sich aber nicht gut an», sage ich.
Er winkt ab, zieht eine Flasche hervor und nimmt einen ordentlichen Schluck. «Keine Sorge. Das geht schon seit Jahren so. Im Herbst fängt es an, im Winter ist es am schlimmsten. Im Frühling wird der Husten besser, und im Sommer ist er dann weg. Meistens zumindest.»
Er hält mir die Flasche hin. «Auch ’n Schluck?»
«Was ist das?»
«Rum. Der wärmt und desinfiziert.»
Ich muss an seinen Husten denken und schüttele den Kopf. «Danke, lieber nicht. Und was Ihre Erkältung angeht, da sollten Sie sich nicht allein auf dieses Zeug verlassen, sondern lieber mal zum Arzt gehen. Der Sommer ist noch eine Weile hin.»
«Ich hab nicht so gute Erfahrungen mit Krankenhäusern gemacht», antwortet er. «Außerdem habe ich gelesen, dass es da Killerkeime gibt. Also kuriere ich mich lieber mit Rum und warte einfach ab, bis es mir...
Erscheint lt. Verlag | 30.10.2015 |
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Reihe/Serie | Die Jakob-Jakobi-Bücher |
Die Jakob-Jakobi-Bücher | |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Abel Baumann • Humor • Jakob Jacobi • Messias • Weihnachten |
ISBN-10 | 3-644-22211-8 / 3644222118 |
ISBN-13 | 978-3-644-22211-3 / 9783644222113 |
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