Zeitfuge (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
448 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-16815-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zeitfuge -  Michael J. Sullivan
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Allzu menschlich
Für Ellis Rogers kommt die Diagnose wie ein Schock: Er hat nur noch ein paar Monate zu leben. Nachdem er sein Leben lang auf Nummer sicher gegangen ist, setzt Rogers jetzt alles auf eine Karte - denn in seiner Garage hat er eine Zeitmaschine gebaut. Sein Plan: in die Zukunft reisen, um dort nach einem Mittel gegen seine Krankheit zu suchen. Doch als die Maschine tatsächlich funktioniert, katapultiert sie Rogers in eine Zeit, die mit unserer Gegenwart nichts mehr zu tun zu haben scheint ...

Michael J. Sullivan, geboren 1961 in Detroit, begann zunächst eine Laufbahn als Illustrator und Künstler und gründete eine eigene Anzeigenagentur. 2005 beschloss er, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Mit den Fantasy-Epen um die Diebesbande Riyria wurde er weltweit berühmt. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Fairfax in der Nähe von Washington, D. C. Zunächst publizierte Michael J. Sullivan seine sechsteilige »Riyria«-Reihe sehr erfolgreich im Eigenverlag. Nach seinem großen Publikumserfolg wurden US-Verlage auf den Autor aufmerksam. Inzwischen wurde sein Fantasy-Epos in 14 Sprachen übersetzt und hat mehr als 100 Preise gewonnen.

2

Zeit zu gehen

Auf dem Nachhauseweg wurde Ellis wieder bewusst, was er da eigentlich vorhatte. Bis er daheim ankam, war seine letzte Euphorie dahin. Er konnte nicht einfach so verschwinden und Peggy im Stich lassen, als würde er die sprichwörtliche Schachtel Zigaretten holen gehen. Selbst wenn sie sich auseinandergelebt hatten, so blickten sie doch immer noch auf fünfunddreißig gemeinsame Jahre zurück. Seine Frau hatte einen ordentlichen Abschied verdient. Und was, wenn er sich geirrt hatte, wenn mit der Verkabelung oder Hoffmanns Ansatz etwas nicht stimmte und er …

Was, wenn sie noch eine Leiche in der Werkstatt findet? Das darf ich ihr nicht antun! Lieber Gott, was habe ich mir nur dabei gedacht?

Er musste es ihr sagen, ihr alles erklären. Wenn sie wusste, wie wichtig es ihm war, und dass es in der Zukunft vielleicht ein Heilmittel für ihn gab, würde sie ihm vielleicht ihren Segen geben. Er legte sich gerade seine Argumente zurecht, als er bemerkte, dass das Licht in der Küche noch brannte. Aus dem Flur hörte er die alte Standuhr elf schlagen. Er war früher daheim als gewöhnlich, doch die letzten sechs Jahre war seine Frau stets um halb elf ins Bett gegangen.

Wieso ist das Licht noch an?

Und nicht nur in der Küche, auch im Flur und im Wohnzimmer. Das Licht war an, aber der Fernseher war aus.

Seltsam. Fast unheimlich …

»Peggy?«, rief er. Er schaute kurz ins leere Bad. »Peggy?«, rief er noch einmal, lauter diesmal, und rannte die Treppe hoch.

Aus seltsam und unheimlich wurde alarmiert, als sie sich auch nicht im Schlafzimmer befand. Erst beim Anblick der offenen Schmuckschatulle auf dem Bett ergab plötzlich alles Sinn: Sein kleiner Beutezug war aufgeflogen. Kein Wunder – er hatte ja alles stehen und liegen lassen. Und als sie sich zum Schlafen umziehen wollte, hatte sie die geplünderte Schatulle im Schrank bemerkt.

Verdammt! Sie denkt bestimmt, dass jemand eingebrochen ist. Wahrscheinlich hat sie schreckliche Angst und will nicht allein daheim sein. Hoffentlich ist sie nicht zur Polizei gegangen. Erst würde sie doch mich anrufen, oder nicht?

Er warf einen Blick auf sein Handy. Tatsächlich, eine Nachricht von Peggy. Er tippte auf den Schirm und rief sie ab.

»El? Jetzt nimm schon ab, verdammt! Bitte nimm ab.« Ihre Stimme zitterte und war sehr laut – sie schrie nicht, aber man konnte die Angst darin hören. »Ich muss mit dir reden. Ich will wissen, was los ist.« Eine lange Pause. »Es tut mir leid, okay? Ganz ehrlich. Das alles ist Jahre her. Ich weiß nicht mal, wieso ich die Briefe noch aufgehoben habe. Dämlich war das, einfach nur dämlich. Ich hatte sie wirklich ganz einfach vergessen.

Ich weiß, ich hätte es dir sagen sollen. Gott, ich wünschte, du würdest rangehen. Pass auf, bist du noch im Brady’s? Ich komme vorbei. In zwanzig Minuten bin ich da. Dann können wir reden, okay? Bitte sei nicht sauer. Es war nicht Warrens Schuld. Eigentlich war niemand richtig schuld. Es ist einfach passiert, und klar, wir hätten was sagen sollen, aber … na ja … Wenn du das abhörst, bevor ich da bin, geh bitte nicht weg oder mach was Verrücktes, okay?«

Ende der Nachricht.

Mit offenem Mund starrte Ellis sein Handy an.

Ich weiß nicht mal, wieso ich die Briefe noch aufgehoben habe.

Er trat ans Bett vor die offene Schatulle. Die Muttertagskarte, die Fotos, Spielkarten, Gedichte und Briefe … alles weg. Die Schatulle war leer. Einen Moment lang starrte er sie verwirrt an, dann begriff er, dass er ja in der Eile alles eingesteckt hatte.

Dämlich war das, einfach nur dämlich.

Er griff in seine Taschen.

Ich weiß, ich hätte es dir sagen sollen.

Er zog den Stapel hervor. Ließ Gedichte, Fotos und Spielkarten auf den Teppich fallen. Alles, was blieb, waren die Briefe. Die Briefmarken waren von 1995, ein paar Monate nach Isleys Tod; adressiert waren sie an Peggys Postfach, das sie sich für die Arbeit zugelegt hatte. Die Handschrift war die von Warren.

Es war nicht Warrens Schuld.

Eine Weile stand Ellis einfach nur da. Er war wie betäubt. Dann hörte er ein Auto und dachte, Peggy käme vielleicht zurück. Er nahm die Briefe wieder an sich und eilte nach unten zu seiner Werkstatt. Das kleine, frei stehende Gebäude am rückwärtigen Zaun ihres Hofs war sein eigenes Reich. Seit Isleys Tod hatte Peggy es nicht mehr betreten. Ellis brauchte Zeit – und die Werkstatt war seine ganz persönliche Area 51.

Das Innere sah nicht gerade aus wie eine Werkstatt. Mit den ganzen Kabeln erinnerte es eher an eine Skulptur von H.R. Giger. Die Mitte beherrschte der Fahrersitz, den er aus einem alten Aerostar-Minivan hatte. Wie ein Kapitänsstuhl erhob er sich von einem schwarzen Kunststoffpodest, aus dem sich zahllose Schläuche schlängelten. Das Ganze war von mehreren Getränkekisten umgeben, und von dieser Nabe strahlte ein Dutzend dicke Kabel wie ein Spinnennetz in alle Richtungen aus und verband die an Wände und Decke montierten Kupferplatten, Sicherungen und Batterien: einst die Heimat zweier Autos.

Trotz der vielen Gerätschaften war ein Abschnitt der Wand in seinem ursprünglichen Zustand belassen worden. Dort hingen zwei ganz unscheinbare Dinge: Das eine war ein Kalender von 1993 mit Schwarzweißfotos des Yosemite-Nationalparks von Ansel Adams. Isley hatte ihn Ellis zu Weihnachten geschenkt. Fünfzehn Jahre alt war er damals gewesen. Auch wenn der Kalender voller atemberaubender Wasserfälle und Berge war, hatte Ellis ihn zum letzten Mal im September umgeblättert. September war sein Lieblingsbild. September war auch der Monat, in dem Isley gestorben war.

Daneben hing ein Poster der sieben Astronauten des Mercury-Programms, des ersten bemannten Raumfahrtprogramms der Vereinigten Staaten. Zusammen mit ähnlichen Bildern der Apollo-Crews hatte es schon Ellis’ Kinderzimmer geziert. Er hatte es auf dem Dachboden wiedergefunden, als er auf der Suche nach alten Kabeln gewesen war, und der Versuchung nicht widerstehen können. Das vergilbte Bild zeigte die Raumfahrer, wie sie am 9. April 1959 der Weltöffentlichkeit präsentiert worden waren. Damals war Ellis noch nicht einmal mal drei gewesen. Zwei Reihen entschlossener Männer in Aluminiumanzügen und weißen Emaillehelmen: die Mercury Seven. Seine Lieblinge waren immer John Glenn und besonders Alan Shepard gewesen – Letzterer nicht nur, weil er der erste Amerikaner im All gewesen war, sondern weil er diese Leistung auch noch an Ellis’ fünftem Geburtstag vollbracht hatte.

Ellis verschloss die Tür hinter sich. Er hatte Schwierigkeiten, zu atmen. In seiner Brust rasselte es wieder, nur war er sich diesmal nicht sicher, ob die Probleme nur von seiner Lunge kamen. Es fühlte sich an, als wäre da noch etwas anderes zerbrochen.

Hätte man Ellis danach gefragt, ob er seine Frau liebe, dann hätte er Ja gesagt, obgleich er sich manchmal fragte, was das eigentlich hieß. Ähnlich wie die Vorstellung vom Paradies wirkte Liebe leicht kitschig, wenn man zu lange darüber nachdachte. Zu viele Filme und Songtexte ließen sie in einem schmalzigen Licht erscheinen. Sätze wie Wind unter meinen Flügeln oder Was mich erst vollständig macht klangen zwar schön, aber empfand das denn irgendwer wirklich? Ihm jedenfalls ging es mit Peggy nicht so, und er war sich ziemlich sicher, dass umgekehrt dasselbe galt.

Er hatte Peggy auf einer Party von Billy Raymond, einem von Warrens Freunden, kennengelernt. Das war sechs Jahre nach der Highschool gewesen, und Warren hatte ihn zum Mitkommen überredet. Damals hatte Warren schon in dem Montagewerk in Wixom gearbeitet, und Ellis hatte gerade seinen ersten Hochschulabschluss gemacht. Warren hatte nie Probleme damit gehabt, Mädchen zu kriegen – bei Ellis dagegen war die Wahrscheinlichkeit größer, dass er einen Blitz anzog. Von daher hatte es ihn ziemlich überwältigt, als Peggy ihn ansprach, denn sie war sehr attraktiv gewesen. Dabei hatte es schon gutgetan, überhaupt von einer Frau bemerkt zu werden. Ein paar Monate waren sie miteinander ausgegangen, dann hatte Peggy ihm gebeichtet, dass sie schwanger war. Sie hatte Angst gehabt, dass er sie sitzenlassen würde, so wie Warren das mit Marcia gemacht hatte. Nicht aber Ellis. Er hatte das Richtige getan – oder zumindest das, was er dafür hielt.

Er und Peggy hatten nie viel geredet. Ellis entwickelte Solarzellen für General Motors, Peggy ging ganz in ihrer Mutterrolle auf. Isley war ihre Schnittmenge gewesen, ihr gemeinsames Interesse. Nach seinem Tod waren sie kaum mehr als Fremde im selben Haus gewesen. So gesehen war es eine Überraschung, dass ihr Verrat ihn so schmerzte.

Aber selbst wenn Peggy nicht seine Seelenverwandte war, so war sie doch immer für ihn da gewesen. Sie hatten sich aufeinander verlassen können. Mochte auch die Schwerkraft eines Tages aufgehoben, die Lichtgeschwindigkeit gebrochen werden, und Tod und Steuern von der Welt verschwinden – Peggy würde ihn noch stets daran erinnern, dass er rechtzeitig zum Essen kam, weil sie dienstags wieder Lachs gemacht hatte. Warrens Briefe waren wie die Nachricht, dass die Sonne nicht mehr aufging, die Welt sich nicht länger drehte und die Zeit stillstand.

Nur dass sie das nicht tat.

Peggy würde bald zurück sein, um mit ihm zu reden. Er wollte aber nicht mit ihr reden; er wollte mit niemandem reden. Er wollte auch niemanden sehen. Alles, was er wollte,...

Erscheint lt. Verlag 8.9.2015
Übersetzer Oliver Plaschka
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Hollow World
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte eBooks • Michael Sullivan • Zeitreise • Zukunftsthriller
ISBN-10 3-641-16815-5 / 3641168155
ISBN-13 978-3-641-16815-5 / 9783641168155
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