Israel, um Himmels willen, Israel (eBook)

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2015 | 1. Auflage
416 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30939-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Israel, um Himmels willen, Israel -  Ralph Giordano
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Ralph Giordanos Standardwerk über Israel und den Nahostkonflikt: Sein Bericht verblüfft und erschüttert. Ralph Giordano reiste vier Monate durch Israel, um mit Israelis und Palästinensern zu sprechen. Es entstand ein Buch, das so einzigartig ist wie das Land, das es beschreibt. Ausgestattet mit einer besonderen Beobachtungsgabe für Menschen und Situationen, stellt Giordano die Tragödie des Nahostkonflikts facettenreich dar: die Intifada, die Siedlerbewegung, die schwierige Rolle der israelischen Armee. Es geht um orthodoxe und ultraorthodoxe Juden und ihren Einfluss auf Staat und Regierung, um den Holocaust und seine Wirkung. Fragen, die uns bis heute beschäftigen und mehr denn je eine Antwort benötigen.

Ralph Giordano wurde 1923 in Hamburg geboren. Nach der Befreiung am 4. Mai 1945 durch britische Truppen arbeitete er als Journalist und Publizist, als Fernsehdokumentarist und Schriftsteller. Er ist Autor zahlreicher Bestseller, darunter »Die Bertinis« (1982), »Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein« (1987), »Ostpreußen ade« (1994), »Deutschlandreise« (1998), »Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr« (2002) und »Erinnerungen eines Davon - gekommenen« (2007). Zuletzt erschien sein Buch »Mein Leben ist so sündhaft lang: Ein Tagebuch« (2010). Er starb am 10. Dezember 2014 in Köln.

Ralph Giordano wurde 1923 in Hamburg geboren. Nach der Befreiung am 4. Mai 1945 durch britische Truppen arbeitete er als Journalist und Publizist, als Fernsehdokumentarist und Schriftsteller. Er ist Autor zahlreicher Bestseller, darunter »Die Bertinis« (1982), »Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein« (1987), »Ostpreußen ade« (1994), »Deutschlandreise« (1998), »Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr« (2002) und »Erinnerungen eines Davon – gekommenen« (2007). Zuletzt erschien sein Buch »Mein Leben ist so sündhaft lang: Ein Tagebuch« (2010). Er starb am 10. Dezember 2014 in Köln.

Jeruschalajim


Zwischen Hurva und Damaskustor


Mischkenot Scha’ananim.

Vorgewarnt, dass dies die schönste Wohnstätte Israels sei, betrete ich mein Appartement im lang gestreckten Gästehaus der Stadt, stoße die Tür zur Terrasse auf, nach Osten, und da liegt es vor mir – das alte Jerusalem! Goldene Vormittagssonne auf der ottomanischen Mauer, ein Ausschnitt wie aus einem Gemälde; links, die Straße von Hebron hoch, das Jaffator; rechts davor ragt der Turm der David-Zitadelle empor; vor mir Mount Zion; und südlich davon, mit unbeschränktem Blick hinweg über die Senke des Toten Meeres und Judäas Wüste, dolomitrötlich – die Berge Moabs, Jordanien schon, der Nachbar.

Welch eine Bleibe! Ich hatte Teddy Kollek, Jerusalems Bürgermeister, um Wohnung gebeten, hier, in seiner Stadt, und nicht in Tel Aviv, aus so mancher Erfahrung dort bei meinen fünf Aufenthalten in Israel als Fernsehmann zwischen 1967 und 1976, und Kollek schrieb mir rasch zurück. Wen immer ich in Deutschland über die Adresse informierte, die Folge war höchstes Entzücken: »Mischkenot Scha’ananim!«

Aber jetzt hält es mich nicht mehr, ich muss hier heraus und drüben durch die Tore hinein. Und so mache ich mich, Sir Moses Montefiores Windmühle im Rücken, auf und davon, die Treppen des gediegenen Künstlerviertels Yemin Moshe nebenan hinab, eile weiter durch das Hinnom-, das Teufelstal, vorbei an den Ruinen eines römischen Amphitheaters, und gelange auf die Hativat Jeruschalajim. Auf dieser großen Verkehrsader geht es hoch zum Jaffator.

Tauben fliegen in der Luft, über die Zinnen des Tors hinaus ragt eine Baumkrone, struppig und zerzaust. Ich kann die Mauer anfassen, tue es, drehe mich um. Drüben, im Westen, das neue Jerusalem, mit seinen Pylonen aus Beton, Stahl und Glas, endlos gedehnt, und doch an diesem Standort beherrscht vom nahen Hotel »King David« – sein mächtiges Rechteck erinnert mich unwillkürlich an den Alkazar von Toledo. Am 22. Juli 1946 war sein ganzer rechter Flügel in die Luft gesprengt worden – von Menachem Begin, damals Leiter der jüdischen Untergrundorganisation Irgun Zwai Leumi, später, zusammen mit Muhammad Anwar As Sadat, Friedensnobelpreisträger.

Die Luft des Märzmorgens ist aus Samt und Seide; drüben im Tal steigt ein Drachen hoch, wie ein Zitterrochen, der sich in ein fremdes Element verirrt hat; der Himmel ist blau, von verstreuten Wolkenfächern bedeckt, eine unwirkliche Atmosphäre. Aber gleich zu Beginn spüre ich wieder: In diesem Land hockt neben jeder Poesie – Hiob …

Durch das beleuchtete Tor auf die orientalische Suk-El-Bazaar Road. Arabische Mütter, die Hühner kaufen; Wassermelonen von erschreckender Größe; duftendes Sesambrot zuhauf. Jugendliche, die das abschüssige Terrain auf ihre Weise überlisten: An ihren hochbeladenen Karren haben sie einen Reifen gebunden, auf den sie treten, wenn das Tempo die abgewetzten Steine bergab zu schnell wird. Ein junger Moslem beugt sich über eine Hand und küsst sie – uralte Geste: Hat der Ahn sie überhaupt wahrgenommen? Vor tausend Jahren geboren und doch aufrecht, geht der Patriarch davon, eine einzige Hoheit und Würde.

Weiter in die El Wad Road. Blinde werden geführt oder ertasten sich mit einem Bambusstock selbst den Weg. Dauergeschrei, gellendes Anpreisen der Waren, und über allem der ständige Ruf: »Schekel, Schekel, Schekel!« Ein Schmied hämmert auf glühendes Eisen ein; Töpfe türmen sich; die blutige Demonstration orientalischer Fleischerläden; plötzlich der Ruf des Muezzins, scheppernd aus Lautsprechern. Das gebündelte Parfüm von Feigen, Datteln, Aprikosen und Gewürzpulvern, scharf abgelöst vom stechenden Geruch der Fischstände. Dahinter das grellbunte Potpourri gehäufter Süßigkeiten, bei deren Anblick auch das gesündeste Gebiss schmerzen muss.

In einer Seitenstraße des Muslimviertels finde ich eine Stelle, wo ich mich hinsetzen kann. Etwas erhöht, wird der Blick auf entfernter liegende Häuser frei – ein Wald von Fernsehantennen, und überall auf den Dächern Tanks und Sonnenkollektoren, die das Wasser darin aufheizen.

Endlich am Damaskustor.

Dort greift mich ein Honighändler, erkennt mich an meinem europäischen Habitus, will mir jedoch nichts von seinem goldenen Seim andrehen, sondern mich zum Muslim bekehren. Er ist Vater von zwei Kindern, im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit (weshalb ich stumm zuzuhören habe) und heißt Mohammed. Er ist von Himmel und Hölle überzeugt, wie auch davon, dass jeder, der einen anderen tötet, kein wahrer Muslim sei und das Paradies nicht erleben werde. Mein schüchterner Hinweis auf den Dschihad, den Heiligen Krieg, kann Mohammed nicht wankend machen – inbrünstig wiederholt er das Tötungstabu. Seine Augen glühen, wenn er vom Koran und vom Islam spricht, blicken aber gleichzeitig freundlich. Berührungsängste hat er nicht, dauernd tatscht er mir mit den Händen gegen das Knie und wiederholt immer wieder: »I will tell you something …« Er möchte mir beweisen, dass das Leben in Europa und Amerika schlecht sei und dass man nur als Moslem gut leben könne in der Welt. Die Bibel sei unzählige Male umgeschrieben worden, im Gegensatz zum Koran, der unverändert geblieben sei – darauf kommt er mehrfach zurück.

Zwischendurch treten Leute heran, fragen nach dem Preis des Honigs, öffnen die Deckel, stecken ihre Finger ins Goldgelbe, lecken sie ab, mal nach dieser, mal nach jener Probe, und manche kaufen auch. Mohammed lässt sich nicht ablenken, wirft ein paar arabische Brocken hin, ohne unser Gespräch, besser seinen Monolog, wirklich zu unterbrechen. Bei aller Konzilianz, so kommt zum Vorschein, entbehrt seine missionarische Überzeugungswut nicht eines gewissen Fanatismus. Mein Geständnis, dass ich Jude sei, wenn auch kein religiöser, beeindruckt ihn nicht: So mancher Ungläubige, beharrt Mohammed, sei schon bekehrt worden. Mein Einwand, dass ich an keinen Gott glaube, weder an den der Christen noch an Jahwe, noch an Allah, geht über sein Begriffsvermögen – er lächelt verständnislos. Ich gebe ihm die Hand, entkomme, von Segenswünschen geleitet – und hatte, unerwartet, mein erstes Gespräch mit einem Palästinenser auf dieser Reise.

Auf dem Rückweg zum Jaffator sehe ich einen israelischen Soldaten, den einzigen bisher, mit Sonnenbrille, allein in einer Nische gegen die Mauer gelehnt, die Uzi-Maschinenpistole in der Hand.

In Mischkenot Scha’ananim zurück, nehme ich ein Päckchen aus Deutschland in Empfang. Darauf ein roter Zettel: »Be careful, dear citizen, for your security«. Aber es war keine Briefbombe darin.

In der Nacht grollt über Jerusalem ein ausgiebiges Gewitter. Der Regen platscht und klatscht auf das lang gestreckte Terrassendach des Gästehauses. Aber das Trommeln wird noch übertönt von einem Geräusch, das zwar auch tagsüber unüberhörbar ist, das nun jedoch immer aufdringlicher wird – der Lärm von Motoren! Und der hält bis morgens an.

Zerschlagen erhebe ich mich, stoße die leicht klemmende Tür zur Terrasse auf und schaue auf das unbeschreibliche Panorama da drüben. Mischkenot Scha’ananim, es wird in Israel keinen schöneren Platz geben als dich! Aber wie nur soll ich die Nächte überleben?

 

Ich gehe durch das Ziontor, biege nach rechts ein in die Batei Mahasse Street und bin nach einigen Hundert Metern in einer völlig anderen Welt als der muslimisch-orientalischen – ich bin im Jüdischen Viertel. Es erstreckt sich entlang der südlichen und dann der östlichen Mauer nach Norden hoch, gegen den Tempelberg.

Licht ist das Jewish Quarter, sehr licht, durch den hellen Stein, aus dem hier alles errichtet und der nach dieser Stadt benannt worden ist – Jerusalemstein, rosa, bernsteinfarben, changierend im Wechsel der Tageszeiten und des Sonnenstandes: auf uraltem Boden Neubauten, erst in den letzten Jahrzehnten, seit 1970, entstanden. Bis zum Sechstagekrieg im Juni 1967 war hier jordanisches Hoheitsgebiet gewesen.

Ich setze mich am Eingang der Ha Yehudim, der Jewish Quarter Road, auf die Treppe gegenüber einem Restaurant, neben dem ein Polizeiposten liegt: Uniformen, Waffenträger neben ungerührt eisschleckenden Menschen – an den Gegensatz muss ich mich erst gewöhnen. Links Palmen, ein Minarett und dahinter, von fast unirdischer Schönheit, an seinem Scheitel wohl zwanzig Meter hoch, ein steinerner Bogen – letzte Erinnerung an die Hurva-Synagoge. Ecksteinlegung 1856, Einweihung 1864. Hier hatten Juden, Gründer der Ramban-Synagoge, der ersten Jerusalems nach der Zerstörung des Zweiten Tempels durch die Römer, seit 1250 gelebt, vermehrt dann durch die im 16. Jahrhundert vor der Spanischen Inquisition geflüchteten Sephardim. Zwei Tage nach der Unabhängigkeitserklärung Israels, am 16. Mai 1948, war das Viertel mit seinen 1600 Einwohnern und 200 Kämpfern umzingelt und zwölf Tage später an die Arabische Legion übergeben worden. Einen Tag zuvor hatten die Eroberer die Synagoge, die keine militärische Bedeutung hatte, in die Luft gesprengt. Bis die Altstadt von Jerusalem am 7. Juni 1967 eingenommen worden war, durfte ihre Ruine von Juden nicht betreten werden.

Die Hurva war die erste Synagoge Jerusalems gewesen, die allein im Freien stand, ein kolossales Gebäude, gedrungen, klotzig, wie für die Ewigkeit hingestellt. Und nun nichts als die Ästhetik dieses gleichsam schwerelosen Bogens, dessen Anblick ans Herz greift.

Aus seiner Richtung...

Erscheint lt. Verlag 8.6.2015
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Armee • Holocaust • Israel • Israel /Allgemeines • Juden • Juden /Allgemeines • Kiepenheuer & Witsch • Krisenlage • Nahostkonflikt • Nahost-Konflikt • Palästina • Ralph Giordano • Regierung • Staat • Standardwerk • Tragödie
ISBN-10 3-462-30939-0 / 3462309390
ISBN-13 978-3-462-30939-3 / 9783462309393
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