Kleopatra (eBook)
544 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560289-8 (ISBN)
Siegfried Obermeier (1936-2011) gehörte zu den erfolgreichsten deutschen Autoren historischer Romane und war Träger der Littera-Medaille. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Siegfried Obermeier (1936–2011) gehörte zu den erfolgreichsten deutschen Autoren historischer Romane und war Träger der Littera-Medaille. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
I. Buch
Prolog
Nicht ganz freiwillig werde ich hier zum Chronisten – ich, Olympos, der ich zeitlebens ein Arzt war. Unser göttlicher Octavius Augustus hat mir diesmal bei dem alljährlichen Symposion für seinen größeren Freundeskreis – zum engeren gehörte ich nie – einige Minuten unter vier Augen gegönnt.
«Olympos, wir sind nicht mehr die Jüngsten und sollten, ehe die Götter uns abrufen, für die Nachwelt festhalten, was wir erlebt, getan und bewirkt haben.» Der Göttliche hob seine Hände, lächelte und sagte: «Ich habe das meine dazu getan – im Schatzhaus des Olympischen Jupiter liegt mein Index rerum gestarum, die Abrechnung über mein Leben, nach meinem Tode zu veröffentlichen. Jetzt bist du an der Reihe, Olympos.»
Ich neigte mein Haupt.
«Göttlicher Augustus, das ist eine wertvolle Anregung, aber was habe ich, der unbedeutende Arzt Olympos, schon getan und bewirkt?»
«Einiges doch, und du warst Kleopatras Arzt, hast sie bis zum Ende auf nahezu allen Wegen begleitet. Ihr Tod liegt fast drei Dezennien zurück, und es wäre an der Zeit, einiges richtigzustellen. Du brauchst dabei auf niemand Rücksicht zu nehmen.»
Nun, das sagte der Göttliche so hin, aber ich dachte dabei an einige Verbannte, die eine ähnliche Aufforderung zu großzügig ausgelegt hatten, und beschloß, auf der Hut zu sein. Wir alle haben dem Erlauchten gegenüber ein schlechtes Gewissen. Wer in Rom eine schöne Villa bewohnt, muß daran denken, wie bescheiden Augustus auf dem Palatin im früheren Haus des Hortensius lebt und dort seit Jahrzehnten nur drei einfache Zimmer bewohnt. Wer seine Gäste mit zehn Gängen verwöhnt, sollte nicht vergessen, daß der Erhabene meist nur drei, höchstens sechs servieren läßt und selber nur Brot, Fisch, Käse und Obst zu sich nimmt und dazu frisches Quellwasser trinkt. Wenn er abends oder im Freundeskreis den von ihm bevorzugten raetischen Wein trinkt, dann nie mehr als einen Sextarius.
Wie streng er von Brauch und Sitte denkt, haben wir im Falle seiner Tochter Julia gesehen, die er wegen ihres anstößigen Lebenswandels auf die unwirtliche Insel Pandataria verbannte – die eigene Tochter und sein einziges leibliches Kind!
Ich selber habe Octavius Augustus viel zu verdanken, das will ich nicht verschweigen. Er hat, seit ich in Rom lebe, immer seine Hand über mich gehalten, doch manches mußte ich gegen meinen Willen dulden, etwa das mit bunten Steinen eingelegte Mosaik vor meinem Haus, und da stand für jedermann in Latein und Griechisch zu lesen:
Olympos, Medicus Cleopatrae
Olympos, Iatros Kleopatres.
Das hat mir viel Geld, aber auch viel Häme und Mißgunst eingetragen. Nun, das ist vorbei, ich praktiziere nicht mehr und lebe ziemlich unbehelligt in meiner schönen Villa in Tibur. So kann ich nur hoffen, daß nach meinem Tod ein Verleger es wagen wird, diese Erinnerungen zu kopieren und wenigstens in einigen Bibliotheken unterzubringen. Sowohl Kleopatra wie der göttliche Augustus werden da in anderer Gestalt erscheinen als in der bisherigen offiziellen Geschichtsschreibung.
Zeitlebens nannte sie mich «Hippo», weil mein tatsächlicher Name ihr nicht zusagte – ja, ihren Unwillen erregte. Als mein Vater mich der jungen Königin – sie befand sich damals auf der Flucht – vorstellte und sagte: «Dies ist mein Sohn Olympos, ein tüchtiger Arzt, trotz seiner Jugend», da runzelte sie unwillig die Stirn, ganz kurz nur, um dann über andere Dinge zu reden. Dann aber, als ich in ihre Dienste trat, legte sie meinen Namen ab und gab mir einen anderen. «Olympos», erklärte sie mir freundlich, «ist ein Name, der nicht zu dir paßt. Du bist kein Olympier, und bestenfalls – abgesehen von den seligen Göttern – dürfen sich Menschen aus königlichem Geschlecht mit dieser Bezeichnung schmücken. Du aber bist ein Jünger des Hippokrates, und ich wünsche, daß du es als Auszeichnung empfindest, wenn ich dich künftig so nenne.»
Sie wünschte es, und wenn sie es wünschte, kam dies einem Befehl gleich. Ich gehorchte diesem Befehl und wurde zu Hippokrates, Leibarzt Ihrer Königlichen Majestät, Herrin Beider Länder, Tochter der Sonne und irdisches Abbild der Isis, Kleopatra, der siebten ihres Namens.
Auf welche Weise ich an ihren Hof kam und was ich in ihrem Dienst erlebte, will ich hier erzählen und mich dabei nicht schonen, denn – dieses Geständnis will ich gleich an den Anfang setzen – ich habe für sie zweimal den Eid des Hippokrates gebrochen, wofür ich mich schäme, was ich tief bedauere, aber nicht bereuen kann. Zweimal habe ich in ihrem Auftrag getötet – beide Male bat sie mich darum. Wer mich einen Verräter am Arztberuf nennt oder gar einen Eidbrüchigen, der um Fürstengunst das höchste Gebot des Hippokrates mißachtete, nämlich Leben zu bewahren, der wird – so hoffe ich – anderen Sinnes werden, wenn er diese Aufzeichnungen liest. Nicht rechtfertigen will ich mich, sondern manches zurechtrücken, aber auch um Nachsicht und Verständnis bitten.
Mein Vater Herakles – die olympischen Namen waren bei uns eine Familientradition – kam aus einer der alten makedonischen Familien, die Ptolemaios I. nach der Gründung von Alexandria dort ansiedelte und wo er als Satrap und dann als König von Ägypten über ein halbes Jahrhundert glücklich regierte.
Kleopatra hat mir einmal eine Tetradrachme mit seinem Bildnis geschenkt; sie liegt auf meinem Schreibtisch, und ich sehe sie mir immer wieder gerne an. Nur auf den ersten Blick wirken diese Züge grob, mit dem kräftigen Kinn, dem kleinen, vollippigen Mund und der weit vorspringenden Nase – ein Erbteil, das Kleopatra von ihrem Urahn übernommen hatte. Ihre Nase war jedoch schmal und wie von einem Bildhauer gemeißelt, doch manche meinten, sie rage weiter aus dem Gesicht, als es der weiblichen Schönheit zuträglich sei. Darüber kann man heute streiten, zu ihren Lebzeiten wagte niemand eine Bemerkung darüber, zumindest nicht in Ägypten. Die Römer freilich ließen nach ihrem Sturz kein gutes Haar an ihr, und besonders ihre Nase wurde zum Gegenstand geistlosen und billigen Spottes.
Mein Großvater hieß Hermes und nahm ein Mädchen zur Frau, deren Familie aus Argolis stammte – also die feinste griechische Herkunft. Um so entsetzter zeigte er sich, als sein Sohn – mein Vater – eine Ägypterin zur Frau nahm. Es mag für manchen, der die Verhältnisse in Alexandria nicht kennt, seltsam klingen, daß ein Untertan des Königs von Ägypten seinem Sohn die Ehe mit einem Landeskind verwehren wollte. Dazu ist zu sagen, daß Alexandria zwar in Ägypten liegt, aber in der griechischen Geschichtsschreibung stets als «Alexandria bei Ägypten» bezeichnet wird. Die Stadt ist griechisch geprägt, wird überwiegend von einer griechischstämmigen Bevölkerung bewohnt, und das hier amtierende Herrscherhaus stammt aus Makedonia, dessen König Philipp – des großen Alexanders Vater – nicht müde wurde zu betonen, auch sein Land sei ein Teil von Hellas. Ihn mag man deshalb in Athen noch gutmütig verlacht haben, aber als sein Sohn die Welt an sich riß, hielten sich auch die größten Spötter klug zurück. Also – in Alexandria leben Griechen, Ägypter und Juden, letztere meist im Osten der Stadt.
Mein Großvater Hermes nun – griechischer, als ein Grieche im alten Hellas je sein konnte – handelte mit feinen Töpferwaren, und mein Vater sollte als Erstgeborener das Geschäft übernehmen, das im Westen der Stadt in der Nähe des Mondtores lag. Doch bei ihm zeigten sich schon früh seine wahren Neigungen. Wenn einer aus der Bubenbande, die das Viertel unsicher machte, sich verletzte, dann spielte mein Vater mit ernster und wichtiger Miene den Iatros, verband aufgeschlagene Knie, säuberte Schnittwunden und kühlte Beulen mit Quellwasser und Kräuterkompressen. Die feinen Töpferwaren aus Griechenland und Süditalien interessierten ihn nur wenig, woran auch die Prügel meines Großvaters nichts ändern konnten. Schließlich gab er nach, zog seinen jüngeren Sohn ins Geschäft und schickte meinen Vater als Lehrling zu einem angesehenen Arzt. Das war zur Zeit von Kleopatras Vater, nämlich des Königs Ptolemaios XII. Theos Philopator Philadelphos Neos Dionysos. So dunkel seine Herkunft war – er galt als illegitimer Sohn von Ptolemaios XI. Alexander –, so lange waren seine Beinamen, die aber heute kein Mensch mehr kennt, denn das Volk nannte ihn Auletes, den Flötenspieler, und mit diesem Namen ist er – nicht sehr rühmlich allerdings – in die Geschichte eingegangen. Er war ein Liebhaber von feuchtfröhlichen Symposien und griff dann oft, vom Wein beschwingt, zur Flöte, die er recht gut spielte. Dieser «Gott, der seinen Vater und seine Geschwister liebt, der neue Dionysos» trug noch einen Beinamen, der allerdings nicht laut ausgesprochen wurde, nämlich Nothos, der Bastard. Doch weder seine angemaßte Göttlichkeit noch sein kundiges Flötenspiel oder seine dunkle Herkunft änderten etwas daran, daß Auletes ein erzschlauer, listenreicher und ränkevoller Staatsmann war, der sich durch allerlei Schwierigkeiten auf den Thron mogelte. Dieser fiel ihm nach zwei Königsmorden zu, weil kein echtstämmiger Ptolemäer mehr lebte. Ägypten, damals vom erstarkenden Rom mehr und mehr abhängig, holte Auletes aus Syria auf den vakanten Thron, ohne den mächtigen Dictator Sulla um Erlaubnis zu fragen. Doch Sulla trat in jener Zeit zurück, starb kurz darauf, und die neuen römischen Machthaber hatten damals andere Sorgen, als sich um die...
Erscheint lt. Verlag | 15.5.2015 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Ägypten • Alexandria • Ephesos • Gaius Octavius • Historischer Roman • Jerusalem • Julius Caesar • Kleopatra • Lucius Quintillus • Marcus Antonius • Olympos • Rom • Roman |
ISBN-10 | 3-10-560289-5 / 3105602895 |
ISBN-13 | 978-3-10-560289-8 / 9783105602898 |
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