Der Fluch der Sommervögel (eBook)
544 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-42508-4 (ISBN)
Nicole Steyer wurde 1978 in Bad Aibling geboren und wuchs in Rosenheim auf. Doch dann ging sie der Liebe wegen nach Idstein im Taunus. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder begann sie zu schreiben, beschäftigte sich mit der Idsteiner Stadtgeschichte und begann zu recherchieren. Das Ergebnis dieser Recherchen war ihr erster historischer Roman, DIE HEXE VON NASSAU, der sich mit den Hexenverfolgungen in Idstein und Umgebung befasst und ein großer Erfolg wurde. Auch ihre folgenden historischen Romane haben ein großes Publikum begeistert.
Nicole Steyer wurde 1978 in Bad Aibling geboren und wuchs in Rosenheim auf. Doch dann ging sie der Liebe wegen nach Idstein im Taunus. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder begann sie zu schreiben, beschäftigte sich mit der Idsteiner Stadtgeschichte und begann zu recherchieren. Das Ergebnis dieser Recherchen war ihr erster historischer Roman, DIE HEXE VON NASSAU, der sich mit den Hexenverfolgungen in Idstein und Umgebung befasst und ein großer Erfolg wurde. Auch ihre folgenden historischen Romane haben ein großes Publikum begeistert.
Kapitel 1
Frankfurt, 1664
Durch die Bleiglasfenster drang nur wenig Tageslicht in den kleinen Nebenraum der Druckereiwerkstatt, in den sich Maria zurückgezogen hatte. Es war ein kalter und trostloser Apriltag, der mit seinen tiefhängenden Wolken die eng beieinanderliegenden Dächer der Stadt grau und düster aussehen ließ. Anfangs hatten ihre Hände bei der Arbeit gezittert, doch die immer gleichen Handgriffe, die sie mit Sorgfalt und geübter Sicherheit ausübte, vertrieben die Kälte aus ihren Gliedern. Die Werkstatt ihrer Brüder war ein verwunschener Ort, der wie eine eigene Welt wirkte, in der sie das sein konnte, was sie sein wollte. Die Tür zum Nebenraum war nur angelehnt. Die Geräusche der Druckerpresse, das Knarren des Dielenbodens, das vertraute Lachen und die Gespräche der Männer beruhigten sie genauso wie der allgegenwärtige Geruch von Druckerschwärze, Wachs und Holzrauch. Sie schaute auf ihren Kupferstich hinunter. Erst gestern hatte sie die groben Linien mit der Radiernadel übertragen, und jetzt begann sie mit den Feinarbeiten. Liebevoll strich sie mit den Fingern über die Konturen einer Blume, auf der sich ein Sommervogel mit einigen Raupen tummelte. Dieser Sommervogel war einer ihrer Lieblinge gewesen. Sie hatte die winzige Raupe auf der Mauer gefunden, die den kleinen Garten einrahmte, der zum Karmeliterkloster führte. Sie war ihr unbekannt gewesen, was nur noch selten passierte, denn eigentlich kannte sie bereits alle Sommervögel Frankfurts.
Stundenlang hatte sie vor dem Glas gesessen, in dem sie ihn eingeschlossen hatte, und jede noch so unwichtige Kleinigkeit notiert und gemalt. Die Färbung und Größe der Raupe, ihre Art, sich fortzubewegen und zu fressen. Die Puppe dieses Sommervogels hing nach unten. Genau hatte sie beobachtet, wie die kleine Raupe immer mehr in der schützenden Haut verschwunden war, hatte jedes Stadium skizziert, alle Auffälligkeiten notiert. Wie sehr hatte sie sich gefreut, als bereits durch die Puppenhülle die Flügelzeichnung zu erkennen gewesen war. Die unvorstellbare Verwandlung dieser kleinen Wesen, die niemand mochte und die alle für Teufelsgeziefer hielten oder als Butter- und Schmandfliegen beschimpften, faszinierte sie. Für sie waren sie Sommervögel, einzigartige Wesen voller Anmut und Schönheit, denen sie fast jedes ihrer Gemälde widmete.
Knarrend öffnete sich die Tür, und Caspar betrat den Raum.
»Guten Morgen, Maria. Ich habe dich gar nicht kommen sehen.« Er deutete nach draußen. »Bei dem schlechten Licht kannst du doch nicht arbeiten. Du wirst dir die Augen verderben.«
Er trat näher und blickte seiner Halbschwester über die Schulter.
»Ist das der Sommervogel, von dem du mir neulich erzählt hast?«
»Ja, das ist er.« Auf Marias Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, und in ihre Augen trat das ganz eigene Strahlen, das sie nur hatte, wenn es um ihre geliebten Sommervögel ging. Caspar musste lächeln. Mit diesem Ausdruck in den Augen hatte das Gesicht seiner Halbschwester eine besondere Ausstrahlung, und sie wirkte fast ein wenig hübsch. Gott hatte Maria so viele wunderbare Talente geschenkt. Sie besaß eine schnelle Auffassungsgabe, war eine talentierte Malerin und beherrschte das Handwerk des Kupferstechens fast besser als er, doch Schönheit hatte er ihr nicht gegeben. Ihre einfachen Gesichtszüge, eine knollige Nase, zu eng beieinanderstehende Augen und runde Pausbacken wurden von glanzlosem braunem Haar eingerahmt, das sie meist zu einem Zopf geflochten trug. Wem genau sie ähnelte, war schwer zu erkennen. Weder das kantige Gesicht des Vaters noch die hohen Wangenknochen der Mutter waren bei ihr zu sehen.
Der Glanz in ihren Augen verschwand so schnell, wie er gekommen war.
»Du hast ja recht, Caspar. Seitdem Abraham in Utrecht ist, fühle ich mich wie ein halber Mensch, und das Atelier des Vaters wirkt ausgestorben und leer. Ich konnte die Stille nicht ertragen, und deshalb bin ich hierhergekommen und mache an der begonnenen Arbeit weiter.« Sie deutete auf die Kupferplatte.
Caspar ging neben ihr in die Hocke und strich sanft über ihre Hände. Er wusste, wie sehr Maria unter dem Weggang Migons litt. Vor zwei Wochen war Abraham nach Utrecht aufgebrochen, um sich dort weiterzubilden. Dies war allerdings nicht der einzige Grund für seinen Aufbruch, das wusste Caspar genau. Maria hatte ihren Lehrer längst überflügelt. Ihre Werke waren bedeutend filigraner, liebevoller gearbeitet und harmonischer. Abraham Migon konnte ihr nichts mehr beibringen und floh vor dem talentierten, oft eigenwilligen Mädchen, das er nicht verstand.
»Ich weiß, du vermisst Abraham. Aber auch er muss seine Fähigkeiten verbessern, und das kann er nicht, wenn er dich unterrichtet.«
Maria strich mit den Fingern über ihren Kupferstich.
»In der letzten Zeit war er sowieso nicht mehr nett zu mir und hat Dinge an meinen Bildern kritisiert, die ihm bisher gut gefallen haben.« Sie sah ihren Bruder nachdenklich an.
»Dinge, die ich genauso machte wie er. Seitdem er fort ist, lässt mich die Mutter kaum noch aus dem Haus. Sie sagt, mein Unterricht wäre beendet und ich sollte mich den Arbeiten zuwenden, die sittsame junge Mädchen machen.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Doch die Stick- und Näharbeiten sind mir zuwider, und die Küchenarbeit kommt mir wie eine Strafe vor. Bärbel gibt sich die allergrößte Mühe, wir lachen viel. Aber ich fühle mich eingesperrt wie ein Sommervogel im Glas.«
Wieder einmal wusste Caspar keine Antwort. Er griff nach ihrem Grabstichel und drehte ihn in der Hand hin und her. Gott hatte Maria nicht nur bei der Vergabe der Schönheit ein Schnippchen geschlagen, sondern auch beim Geschlecht. Sie würde sich irgendwann fügen müssen, ob sie es wollte oder nicht. Junge Mädchen machten keine Kupferstiche, sammelten keine Raupen und saßen nicht stundenlang in einem Atelier oder über Büchern. Sie versorgten das Haus, kümmerten sich um die Kinder und waren treue Ehefrauen, die ihrem Gatten ein wohliges Heim bereiteten.
Er legte den Grabstichel auf den Tisch, griff nach Marias Hand und versuchte, aufmunternd zu lächeln.
»Komm, ich will dir etwas zeigen.«
Maria ließ sich von ihm mitziehen, hinaus in die Werkstatt, in der schwarzer Rauch unter der dunklen Decke hing und zwei Männer damit beschäftigt waren, Papier auf die Druckerpresse zu legen. Sie durchquerten den Raum und den kleinen Innenhof, der von dem Überbau des Seitenflügels überragt wurde und deshalb düster und unfreundlich wirkte.
Dann betraten sie die Schreibstube des Verlagshauses. Die beiden ausladenden Schreibtische aus schwerem Eichenholz mit messingfarbenen Griffen an den Schubladen füllten den kleinen Raum aus, der von zwei schmalen, bleiverglasten Fenstern nur wenig erhellt wurde.
An den Wänden hingen einige Öllampen, die heute entzündet worden waren. Ihr Licht flackerte im Luftzug und malte Flecken auf den grauen Untergrund.
Caspar führte Maria zu seinem Schreibtisch, klappte zwei aufgeschlagene Bücher zu, davon eines der Wirtschaftsbücher, und legte sie zur Seite. Unter ihnen tauchte seine Zeichenmappe auf, in der er seine Entwürfe aufbewahrte. Er öffnete sie und zog Maria näher heran.
»Ich würde gern deine Meinung hören, Schwesterchen.« Er nahm eines der Bilder heraus.
Maria setzte sich und besah sich das Bild näher. Es war ein Aquarell, das er auf der anderen Seite des Mains gemalt hatte. Fischernetze der Mainfischer waren im Vordergrund zu sehen, dahinter der Fluss mit einigen Booten und Frankfurt, überragt vom Dom. Fasziniert musterte sie die vielen kleinen Details, die ihr Halbbruder festgehalten hatte. Vergissmeinnicht und Löwenzahn blühten auf dem Rasen, welcher die Fischernetze umgab. Der Baum dahinter war umhüllt von rosa Blüten.
Caspar beobachtete seine Halbschwester gespannt, und es gefiel ihm, was er sah. Ihre Augen leuchteten beinahe wie eben, als sie von ihrer Butterfliege gesprochen hatte. Dieser Blick war ihm Lob genug, mehr musste sie nicht sagen.
»Es ist wunderschön«, sagte sie und ließ das Papier sinken. »Wieso hast du mir die Bilder nicht früher gezeigt? Du hast Talent.«
Maria war wirklich überrascht. Natürlich beherrschte Caspar das Zeichnen, Kupferstechen und vieles mehr, sonst wäre er kein Merian. Aber er kümmerte sich in der Regel um das Geschäftliche. Matthäus, sein Bruder, hielt sich für den...
Erscheint lt. Verlag | 22.5.2015 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Schlagworte | 17. Jahrhundert • Biografischer Roman • Blumenmalerei • Blumenmalerin • Christian • Frankfurt • Gefährliche Liebe • historische Romane 17. Jahrhundert • Historische Romane Deutschland • Historischer Roman • Malerei • Malerin • Maria Merian • Maria Sybilla Merian • Matthäus Merian der Ältere • Roman • Roman Biographien • Roman Frankfurt • Schmetterlinge • Sommervogel • Starke Frauen der Geschichte • Todeboten • Totengräber • Wahre GEschichte |
ISBN-10 | 3-426-42508-4 / 3426425084 |
ISBN-13 | 978-3-426-42508-4 / 9783426425084 |
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