Der Jahrhundertwinter (eBook)

Ein Weihnachtsroman
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
192 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1224-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Jahrhundertwinter -  Richard Dübell
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Heiligabend 1845: Gut Briest ist tief verschneit, ein Schneesturm hält die Region in Atem. Alvin von Briest, seine Frau Louise und sein kleiner Sohn Moritz erwarten ungeduldig die Ankunft von Paul Baermann, einem Freund des Hauses. Doch Paul kommt nicht. Sein Zug ist nie in Genthin angekommen. Alvin ist beunruhigt - bei diesem Wetter kann ein Zugunglück den Tod bedeuten. Gemeinsam mit seinem Freund Otto von Bismarck wagt er sich hinaus in den Sturm, um Paul zu suchen. Louise bleibt mit Moritz auf Gut Briest zurück. Um ihrem Sohn die Angst zu nehmen, erzählt Louise ihm die mittelalterliche Geschichte vom »Hirten«. Auch sie kann nur auf ein Weihnachtswunder hoffen. Wird Alvin Paul noch rechtzeitig finden?

Richard Dübell, geboren 1962, lebt mit der Liebe seines Lebens in Landshut. Er zählt zu den beliebtesten deutschsprachigen Autoren historischer Romane, schreibt aber auch Krimis. Seine Bücher standen mehrfach auf der Spiegels-Bestsellerliste und wurden in vierzehn Sprachen übersetzt. Er ist Kulturpreisträger seiner Heimatstadt.

Richard Dübell, geboren 1962, lebt mit der Liebe seines Lebens in Landshut. Er zählt zu den beliebtesten deutschsprachigen Autoren historischer Romane, schreibt aber auch Krimis. Seine Bücher standen mehrfach auf der Spiegels-Bestsellerliste und wurden in vierzehn Sprachen übersetzt. Er ist Kulturpreisträger seiner Heimatstadt.

Der Jahrhundertwinter

Teil 1

Gut Briest, Dezember 1845

Manchmal musterte Louise ihr Gesicht im Spiegel, nur um sicherzustellen, dass sie selbst es war, die ihr daraus entgegenblickte. In den letzten Jahren war das Leben gut zu ihr gewesen. Sie war diese Güte gar nicht mehr gewöhnt gewesen. Es fiel ihr immer noch schwer, auf ihre Fortdauer zu vertrauen. Zuweilen fragte sie ihr Spiegelbild in Gedanken: Louise von Briest, du bist weit gekommen, seit du Louise Ferrand warst und Alvin dich aus dem Elendsviertel in Paris herausgeholt hat; hast du das auch verdient?

Jetzt betrachtete sie ihr Konterfei erneut, aber nur, weil es draußen nicht viel zu sehen gab. Sie blickte zum Fenster des Salons von Gut Briest hinaus in Richtung Gutseinfahrt; die Kerze, die neben ihr auf dem Fenstersims stand, ließ ihr Gesicht in der Fensterscheibe spiegeln. Draußen war alles grau und weiß. Die Welt verschwand in diesem weiß-grauen Gewirbel, nicht einmal die Kapelle zwischen der Gutseinfahrt und dem Herrenhaus war zu sehen. Verrückt. Ein Schneesturm wie dieser am Heiligen Abend! Am späten Vormittag hatte er mit aller Wucht eingesetzt. Jetzt war es früher Nachmittag. Wenn es so weiterging, würden sie am Weihnachtstag eingeschneit sein.

Moritz, der auf dem Teppich vor dem Kamin saß und mit den Krippenfiguren spielte, murmelte vor sich hin. Louise wandte sich ab und lächelte den Zweieinhalbjährigen an. Moritz war in seine Figurenkonstellation vertieft und beachtete sie gar nicht.

Der Kleine war einer der Gründe, warum sie empfand, dass das Leben gut zu ihr war. Er und ihr Ehemann Alvin von Briest, der sie liebte und dessen Liebe sie aus tiefstem Herzen erwiderte. Der dritte Grund war Paul Baermann, Alvins bester Freund – den Louise ebenfalls liebte. Im Grunde genommen war sie eine Katastrophe, diese Liebe, die sie zu den beiden Männern in gleichem Maß empfand und von der nur Paul etwas wusste, aber nicht Alvin … Sie wollte beide Männer behalten, obwohl ihr der Gedanke an Alvin, wenn sie bei Paul gewesen war, stets das Herz gebrochen hatte, so wie es ihr jetzt das Herz brach, an Paul zu denken. Die Sehnsucht war immer groß, immer schmerzhaft und immer süß. Eigentlich hätte sie das Leben verfluchen müssen, das ihr dieses Dilemma eingebrockt hatte, doch die Dankbarkeit, dass sie eine solche Liebe zweimal erfahren durfte, war größer.

Sie seufzte. Paul war auf dem Weg hierher, mit dem Zug auf der neu erbauten Bahnlinie, die von Berlin nach Magdeburg verlief. Dieses Weihnachten würde sie ihre beiden Männer beisammenhaben. Außer einer freundschaftlichen Umarmung und langen Blicken würde sie nichts mit Paul austauschen können, aber das war egal. Hauptsache, er war hier.

Verstohlen betrachtete sie Moritz. Sein bei Geburt dunkles Haar hatte im Herbst begonnen, sich aufzuhellen und einen rötlichen Stich zu bekommen. Sie ahnte, dass er, wenn es sich vollends rot gefärbt haben sollte, seinem Vater plötzlich frappierend ähneln würde. Seinem rothaarigen Vater Paul Baermann, der von seiner Vaterschaft ebenso wenig wusste, wie es Alvin klar war, dass Moritz nicht von ihm war! Und das durften beide Männer auch niemals erfahren. Selbst wenn es bedeutete, dass sie in Zukunft Moritz unter irgendeinem Vorwand verstecken musste, wenn Paul zu Besuch war, Paul, der als Ingenieur einen viel klareren und schärferen Blick hatte als der romantische Gutsverwalter und Offizier Alvin. Doch über diese Brücke würde sie gehen, wenn es so weit war. Dieses Weihnachten, das Weihnachten des Jahres 1845, war es noch nicht so weit.

Seit ihrer Heirat mit Alvin und ihrem Einzug als Gutsverwaltersgattin auf Briest hatte Louise einiges darüber gelernt, wie gänzlich verschieden die preußischen Weihnachtsbräuche von denen in Paris waren. Im Salon von Gut Briest stand ein geschmückter Christbaum, eine Tanne, den Alvin aus eigener Tasche hatte bezahlen müssen, denn Tannen waren selten und teuer, und Levin von Briest, Alvins älterer Bruder, der das Gut geerbt hatte, war ein Geizkragen. Dutzende kleiner Wachskerzen waren mit Draht an den Zweigen befestigt. Zwischen den Ästen hing Weihnachtsgebäck in allen möglichen Formen: Engelsfiguren, Sterne, Tiere. Den Figuren in den unteren Regionen fehlten bereits ein paar Gliedmaßen, ein Beweis dafür, dass Moritz die Gunst der Stunde zu nutzen wusste, wenn Louise ihre Aufmerksamkeit von ihm abwendete.

Louise war der Brauch, einen Christbaum aufzustellen, nur von den deutschen Nachbarn in La Villette bekannt gewesen, dem ärmlichen Viertel, aus dem Alvin sie herausgeholt hatte. Auch die Deutschen in La Villette hatten sich keine Christbäume leisten können, aber sie hatten davon gesprochen. Bevor Louises Vater sich wegen seiner Spielschulden umgebracht und die Ferrands noch in dem schönen großen Haus an der Seine gewohnt hatten, waren Mistelzweige und Weihnachtssterne der traditionelle Schmuck gewesen. Ein Bund aus Misteln fand sich auch unter dem Weihnachtsschmuck auf Gut Briest – er hing neben dem Kamin von der Decke. Alvin bestand darauf, seit er gelernt hatte, dass man sich darunter am Neujahrstag küssen durfte und so dafür sorgte, dass einem die Liebe erhalten blieb.

In einer Hinsicht hatte Louise allerdings darauf bestanden, dass das Brauchtum ihrer Heimat die preußischen Gepflogenheiten ablöste. Am Heiligen Abend gab es auf Briest keinen Eintopf zu essen, sondern das Réveillon, ein Festmahl mit Pasteten, Truthahn und Champagner. Alvin dazu zu überreden, war allerdings nicht schwer gewesen. Louise vermisste die Austern, die traditionell zum Réveillon gehörten, aber man konnte nicht alles haben … und der französische Champagner, den aus dem Bestand seines väterlichen Gutes Schönhausen zu liefern Otto von Bismarck für sich in Anspruch nahm, war der beste, den Louise je getrunken hatte.

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit nach draußen, weil sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrgenommen hatte. Zwei Gestalten tauchten auf einmal aus dem Schneegestöber auf, eine davon so hochgewachsen und breitschultrig, dass es selbst der wild um sie herumflatternde, weite Kutschermantel nicht verbergen konnte. Sie liefen aufs Herrenhaus zu, polterten zur Eingangstür herein und standen gleich darauf im Salon, einen Schwall Kälte mitbringend. Das Hausmädchen huschte hinter ihnen herein und half ihnen aus den Mänteln. Beide stiegen vorsichtig über die von Moritz über den halben Raum verteilten Krippenfiguren und stellten sich mit den Rücken zum Feuer, die Jackenschöße hochgehoben, um sich zu wärmen. Ihre Gesichter waren rot vor Kälte, die Haare zerzaust, ihre Augen blitzten.

Louise lehnte sich gegen das Fenstersims und verschränkte die Arme. »Und? Wisst ihr jetzt mehr als das, was man von hier drinnen sieht, nämlich dass das Wetter katastrophal ist?«

»Haben nun zumindest die … hmmmm … Bestätigung aus erster Hand dafür«, erwiderte der hochgewachsene Mann. Er war blond, trug einen Schnauzbart und hatte eine helle, kratzige Stimme, mit der er manchmal stockend sprach.

Der andere Mann war ebenfalls groß, aber schlanker und dunkelhaarig. Er lächelte. »Louise, mein Schatz, ich hoffe, wir haben genügend passende Teller und Besteck. Wir werden einer mehr für das Réveillon. Otto kann bei diesem Wetter unmöglich nach Schönhausen zurückreiten.«

Der andere Mann straffte sich. »Bin sehr dankbar, aber unmöglich. Ist mein erstes Weihnachten auf Schönhausen seit Vaters Tod. Der Gutsherr kann das Fest nicht anderswo verbringen. Würde außerdem nur stören.«

Louise sagte: »Unsinn, Herr von Bismarck. Sie bleiben hier. Nicht mal ein Reiter wie Sie käme bei diesem Wetter bis nach Schönhausen. Mit Ihrem Besuch, um uns ein frohes Fest zu wünschen, haben Sie uns heute Vormittag schon viel Freude bereitet. Sie verlängern diese Freude, indem Sie bleiben.«

Bismarck räusperte sich verlegen.

Alvin klopfte ihm auf die Schulter. »Damit wäre alles gesagt, Otto. Außerdem – das schwöre ich dir – willst du Louises französisches Abendmahl nicht versäumen. Schon gar nicht die Biskuitrolle zum Dessert! Was gäb’s denn auf Schönhausen?«

»Eintopf«, erwiderte Bismarck düster.

»Nur schade, dass Sie Lily nicht mitgebracht haben«, erklärte Louise, die nicht widerstehen konnte, Bismarck einen kleinen Stich zu versetzen. »Paul kommt auch zu Besuch. Er hätte sich sicher gefreut, seine Schwester wiederzusehen.«

»Ja … hmmmm … sehr schade«, sagte Bismarck, dem man ansehen konnte, dass er sich innerlich wand. Louise betrachtete es mit Vergnügen. Es war eine Art Sport zwischen ihr und dem jungen Gutsbesitzer, mit dem Alvin seit Jahren befreundet war. Bismarck nutzte jede Gelegenheit, um bei Banketten und Einladungen über Frankreich herzuziehen, selbstverständlich nie, ohne zu betonen, dass er damit nur die französischen Politiker meinte und nicht das französische Volk und schon gar nicht die formidabelste Vertreterin dieses Volks, nämlich Louise von Briest. Louise wiederum rieb Bismarck bei jeder passenden Gelegenheit sein Verhältnis zu Pauls Schwester unter die Nase. Bismarck hatte Lily auf Louises und Alvins Hochzeit kennengelernt und sie unter dem äußerst fadenscheinigen Vorwand, er brauche eine Haushälterin, auf sein Gut Kniephof in Pommern mitgenommen. Als er in diesem Herbst Schönhausen nach dem Tod seines Vaters Ferdinand übernommen hatte, war Lily auf Kniephof geblieben.

Louise erlöste Bismarck aus seiner Verlegenheit; sie lachte und sagte: »Es ist schön zu wissen, dass Sie bleiben, Herr von Bismarck. Auf Schönhausen gibt es nur leere Zimmer und ein einsames Mahl vor dem Kamin. Hier gibt es Wärme und Freundschaft.«

»Du hast doch...

Erscheint lt. Verlag 9.10.2015
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bismarck • Bismarck, Otto von • Der Jahrundertsturm • Krippe • Otto von • Preußen • Weihnachten • Weihnachtsbuch • Weiße Weihnacht
ISBN-10 3-8437-1224-7 / 3843712247
ISBN-13 978-3-8437-1224-8 / 9783843712248
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