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Makarionissi oder Die Insel der Seligen (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
464 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30925-6 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Ist es leichter glücklich oder unglücklich zu sein? Von Griechenland bis Niedersachsen, von den Fünfzigerjahren bis in die Gegenwart: In ihrem neuen Roman erzählt Vea Kaiser in ihrem einzigartigen Ton von der Glückssuche einer Familie und deren folgenreichen Katastrophen, von Möchtegern-Helden und Herzensbrechern. Und von der großen Liebe, die man mehrmals trifft. In einer niedersächsischen Kleinstadt wird die Erotik der deutschen Sprache entdeckt. In der österreichischen Provinz sehnt sich ein skurriler Schlagerstar nach einer Frau, die er vor 40 Jahren verlor. In einer Schweizer Metropole macht ein liebeskranker Koch dank pürierter Ameisen Karriere. Und auf einer griechischen Insel sucht ein arbeitsloser Gewerkschafter verzweifelt seinen Ehering, um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Doch alles beginnt in einem vom Krieg entzweiten Dorf an der albanisch-griechischen Grenze. Mit einer Großmutter und Kupplerin par excellence, die keine Intrige scheut, um den Fortbestand ihrer Familie zu sichern. Und mit der klugen, sturen, streitbaren Eleni und ihrem Cousin Lefti, der sich nichts sehnlicher wünscht als Frieden. Als Kinder unzertrennlich, entzweien sich die beiden umso stärker als Erwachsene. Und kommen doch nie voneinander los. Mit hinreißender Tragikomik, einem liebevollen Blick für Details und furioser Fabulierlust folgt Vea Kaiser der Geschichte einer unvergesslichen Familie, die auseinandergerissen werden musste, um zusammenzufinden. Ein Roman über das Aushalten von Sehnsucht und Einsamkeit, über Neuanfänge, Sandburgen für die Ewigkeit und die Schönheit des Lebens als Postkartenmotiv.

 Vea Kaiser  wurde 1988 geboren und lebt in Wien, wo sie Klassische Philologie studierte. 2012 veröffentlichte sie ihren ersten Roman »Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam«, der Platz 1 der ORF-Bestenliste erreichte und als bestes deutschsprachiges Debüt am internationalen Festival du Premier Roman ausgezeichnet wurde. »Makarionissi oder die Insel der Seligen« folgte 2015 und erhielt von der Stiftung Ravensburger Verlag die Auszeichnung »bester Familienroman«. 2019 erschien Vea Kaisers dritter Roman »Rückwärtswalzer oder die Manen der Familie Prischinger«, 2024 wurde sie mit dem internationalen Jonathan-Swift-Preis für satirische und komische Literatur ausgezeichnet.  

 Vea Kaiser  wurde 1988 geboren und lebt in Wien, wo sie Klassische Philologie studierte. 2012 veröffentlichte sie ihren ersten Roman »Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam«, der Platz 1 der ORF-Bestenliste erreichte und als bestes deutschsprachiges Debüt am internationalen Festival du Premier Roman ausgezeichnet wurde. »Makarionissi oder die Insel der Seligen« folgte 2015 und erhielt von der Stiftung Ravensburger Verlag die Auszeichnung »bester Familienroman«. 2019 erschien Vea Kaisers dritter Roman »Rückwärtswalzer oder die Manen der Familie Prischinger«, 2024 wurde sie mit dem internationalen Jonathan-Swift-Preis für satirische und komische Literatur ausgezeichnet.  

Immer, wenn einer zurückkommt


In den Bergen, an der Grenze zwischen Griechenland und Albanien, gab es neunzehnhundertsechsundfünfzig viele geheime Orte. Es gab Höhlen, in denen die Partisanen im Bürgerkrieg ihre Waffen so gut verborgen hatten, dass sie sie später nicht wiederfanden. Es gab geländerlose Brücken, die, einst von Menschen gebaut, so gut getarnt über die kleinen Gebirgsbäche führten, dass einzig das Wild sie noch benutzte. Und es gab Wälder, die so dicht waren, dass nur die Märchenerzähler mutmaßen konnten, wer oder was sich dort versteckte.

In Varitsi jedoch, einem Dorf inmitten jener Berge, gab es keine Geheimnisse. Varitsi lag unumgehbar auf der alten Haupthandelsroute durch das Hochgebirge. Hier war jahrhundertelang der Zoll für die Maultierkarawanen eingetrieben worden, die das Salz durchs Gebirge in den Süden brachten. Die Häuser standen entlang der Hauptstraße und schmiegten sich an die Hänge, fast bis hinauf zum Pass. Jedes Haus streckte der Hauptstraße seine massivste Mauer entgegen. Dicke Steine, die für den Vorbeigehenden uneinnehmbar schienen. Und doch hatten all diese Wände Ohren und Augen. Kleine, verborgene Fenster, Lauschschlitze, Türmchen, damit niemand unbemerkt durchs Dorf schleichen konnte. Selbst, wo die Hunde ihre Beute versteckten, war jedem bekannt.

Es dauerte also nicht lange, bis das Dorf an einem Donnerstag im Frühling neunzehnhundertsechsundfünfzig merkte, dass abermals einer zurückgekehrt war, den man nicht mehr gesehen hatte, seit er neunzehnhundertsechsundvierzig in den Bürgerkrieg gezogen war. Seit einigen Jahren schon gingen die Männer eher weg, als dass sie kamen. Bis auf wenige fahrende Händler wurde die Route durch die Berge kaum mehr für den Transport von Waren genutzt. Es gab neue Straßen, Schiffsrouten, und wenn die Männer ihre Familien erhalten wollten, gingen sie ins Tal, um bei den Tabakwerken Anstellung zu finden, oder suchten Gelegenheitsarbeiten im Straßenbau. Manche gaben auf und versuchten ihr Glück im Ausland. Postkarten gelangten öfter nach Varitsi als Menschen, und dass unerhörterweise einer zurückkam, den man bereits für tot gehalten hatte, versetzte das Dorf in helle Aufregung.

Yiayia Maria mochte Aufregung nicht, sie hielt sie für eine dem Herzen schädliche Krankheit. Sie war sich sicher, es war die ständige Aufregung ihres Mannes gewesen, die ihn so früh ins Grab gebracht hatte, und kaum, dass sie frühmorgens den Kopf auf die Straße gestreckt und erfahren hatte, dass in der Nacht einer angekommen war, der besonders viel Aufregung verursachte, holte sie ihre geliebten Enkelkinder aus dem Bett und erlaubte ihnen, heute ausnahmsweise mit den Ziegen hinauf auf die Weiden zu gehen.

Eleni und Lefti strahlten vor Freude.

Der Winter war hart und der Frühling regnerisch gewesen. Sie hatten bis vor wenigen Tagen die Dorfgrenzen nicht verlassen dürfen, da die Flüsse, die das kleine Dorf am Hang des Kipi-Berges zu allen Seiten umflossen, mehr Wasser denn je getragen hatten. Wochenlang waren die sonst so harmlosen Rinnsale, die sich durch tiefe Schluchten, über spitze Steine und Wasserfälle talwärts schlängelten, zu monströsen, unbezwingbaren Naturgewalten angewachsen, die Baumstämme mit sich reißen konnten, als wären sie zartes Schwemmgut. Yiayia Maria hatte Angst gehabt, dass ihre Enkel ausrutschen und in einen der Ströme stürzen könnten. Seit der Krieg zu Ende gegangen und die Tuberkulose Anfang der Fünfziger kontrollierbar geworden war, war das wilde Wasser die häufigste Todesursache in Varitsi – das Wasser war lebensbedrohlicher als Wölfe, Bären, Blitzschlag und Winterkälte.

Zu Hause eingesperrt war Cousin und Cousine in all den Wochen unsterblich langweilig geworden. Sie hatten so oft Murmel-, Stein-, und Brettspiele gespielt, dass sie nachts von Würfeln träumten. Den Hirtenhunden hatten sie beigebracht, beim Kommando Hände hoch! Männchen zu machen und sich bei Peng auf den Rücken fallen zu lassen, und ihre Yiayia Maria hatte ihnen so viele Märchen erzählt, dass deren Stimmbänder entzündet waren und sie nur noch krächzen konnte. Nicht einmal Elenis pubertierende Schwestern Foti und Christina zu ärgern, hatte noch Spaß gebracht, und mit den anderen Kindern im Dorf standen Eleni und Lefti auf Kriegsfuß. Wann diese Feindschaft begonnen hatte, wussten sie nicht mehr. Lefti hatte bereits Narben von Auseinandersetzungen mit ihnen auf dem Kopf gehabt, als Eleni geboren wurde. Und als Eleni noch nicht sprechen konnte, hatte sie nie geweint, wenn sie hungrig oder müde gewesen war. Sie hatte sich jedoch die Seele aus dem Leib gebrüllt, wenn Lefti eine Ohrfeige oder auch nur ein böses Wort kassierte.

 

Varitsi bestand eigentlich aus zwei Dörfern: Kern-Varitsi, auch Unterdorf genannt, bewachte die Handelsstraße. Seit dem Krieg waren nur noch vierzig der sechzig Häuser dauerhaft bewohnt. Das Oberdorf hingegen lag zwei Kilometer nordöstlich, war einst genauso groß gewesen wie das Unterdorf, doch dorthin war fast niemand aus dem Krieg zurückgekehrt, weswegen die Bewohner von Varitsi begannen, das Oberdorf nur mehr Mikro-Varitsi, Klein-Varitsi, zu nennen. Die Weiden der Familie lagen unweit von Mikro-Varitsi, Eleni und Lefti trieben die Ziegen westlich am Dorf vorbei, wo sie einen guten Blick auf beide Teile hatten sowie auf die schmale Serpentinenstraße, die Ober- und Unterdorf verband. Am Vormittag suchten sie bunte Käfer, mittags teilten sie sich das Essenspaket, das ihnen die Großmutter geschnürt hatte, und am Nachmittag hatte Lefti eine Idee für einen Zaubertrick.

»Ich bin Lefti, der Herrscher über Licht und Schatten!«, tönte er mit tief verstellter Stimme und sprang auf einen Fels, der von Quarzadern durchzogen glänzte. Eleni musste sich vor Lachen den Bauch halten.

»Du bist Lefti! Mein Cousin!«

»Der Herrscher über Licht und Schatten befiehlt dir, hinter mich zu klettern, um zu sehen, was der Herrscher sieht!«, was Eleni ohne Widerrede tat. Lefti streckte die Arme aus, und gemeinsam blickten sie talwärts. »Ich befehle nun dem Schatten, Varitsi zu fressen!«, sagte er, öffnete die Hände, und Eleni staunte: Der Schatten, den der Berggipfel warf, bewegte sich tatsächlich entlang von Leftis Handkanten und verschluckte in langsamen Häppchen das Dorf. Eleni hatte schon immer gewusst, dass ihr Cousin magische Fähigkeiten besaß. Sie staunte – doch dann hörte sie erregte Kinderstimmen. Eleni und Lefti entdeckten eine Menschentraube, die sich über die Serpentinenstraße in Richtung Oberdorf schob. Eilig zupfte Eleni ihren Cousin am Hemd:

»Schau, Lefti!«

Cousin und Cousine standen sprachlos auf dem quarzgeaderten Felsen und kniffen die Augen zusammen: Jemand war ins Dorf gekommen und wurde von den Dorfkindern hüpfend und kreischend zu seinem Ziel begleitet.

»Lefti«, schrie Eleni aufgeregt, »du hast in zwei Wochen Geburstag, das muss dein Papa sein!«

Seit vor drei Jahren das erste Mal ein Mann nach Varitsi zurückgekehrt war, der nach dem Krieg als verschollen gegolten hatte, betete Lefti inständig, dass auch sein Vater eines Tages zurückkäme. Weder Lefti noch Eleni wussten viel über die Dinge, die vor ihrer Geburt geschehen waren, außer, dass es zwei Kriege gegeben hatte. Zuerst hatten beide Dörfer gegen die Deutschen gekämpft. Doch nachdem die Deutschen besiegt worden waren, hatte sich das Land geteilt, die einen wollten einen König, die anderen den Kommunismus, und selbst in Varitsi war diese Fehde ausgetragen worden. Das Unterdorf hatte auf der Seite der Königstreuen gekämpft, das Oberdorf hingegen, aus dem Leftis Vater stammte, auf der Seite der Kommunisten. Die Königstreuen hatten gewonnen, weswegen ein Bild des Königs in jedem Haus hing, während fast alle, die für die Kommunisten gekämpft hatten, verschwunden waren – die paar wenigen, die wiedergekommen waren, wurden auf der Straße nicht gegrüßt und im Kafenion nicht bedient. Was mit den Verschollenen geschehen war, wusste niemand so genau. Auf einer Insel eingesperrt, über die Grenze geflüchtet, tot – murmelten die Erwachsenen hinter vorgehaltener Hand. Doch Lefti erinnerte sich jeden Tag daran, dass ihm sein Vater hoch und heilig versprochen hatte wiederzukommen. Leftis Herz raste.

»Komm schon, Lefti!«, rief Eleni, die bereits losgelaufen war. Elenis Eltern hatten ihr streng eingebläut, sie dürfe niemanden nach Leftis Vater und dessen Schicksal fragen – Leftis Vater sei ein schlechter Mensch, ein Vaterlandsverräter, doch Eleni war egal, für wen er gekämpft hatte. Eleni war immer auf Leftis Seite. Lefti schulterte seinen Ranzen, pfiff die Ziegen herbei und lief Eleni hinterher.

 

Ein guter Hirte gibt acht, dass kein schwaches Glied verloren geht, doch Lefti war bald so aufgeregt, dass er nicht hinter, sondern wie Eleni vor den Ziegen herlief.

»Lefti, wieso hast du’s so eilig?«, rief ihm der Lehrer nach, der ihnen im Oberdorf entgegenkam und sich an die Steinwand eines halb verfallenen Hauses drückte, damit die Kinder mit den narrischen Ziegen im Gefolge an ihm vorbeiziehen konnten. »Lefti, das war eine Frage!«, brüllte er ihm hinterher, als keine Antwort kam. Das Schuljahr war bereits zu Ende, damit die Kinder bei den zahlreichen Arbeiten helfen konnten, die die Landwirtschaft im...

Erscheint lt. Verlag 11.5.2015
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Dorf • Einsamkeit • Familie • Generationen • Glück • Intrige • Leben • Liebe • Neuanfang • Roman • Schicksal • Sehnsucht • Suche • Vea Kaiser • Verbindung • Zusammenhang
ISBN-10 3-462-30925-0 / 3462309250
ISBN-13 978-3-462-30925-6 / 9783462309256
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