Nebeltod (eBook)

Nordsee-Krimi

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
511 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-1501-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nebeltod -  Nina Ohlandt
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Die kälteste Seite der Nordsee

Ein grauer Novembertag in Nordfriesland. Hauptkommissar John Benthien von der Flensburger Kripo bearbeitet einen bizarren Fall: Bei Niebüll wurde ein Mann auf die Gleise gefesselt und vom Zug überrollt. Wenig später erhält die Polizei ein Foto des Opfers mit der Aufschrift SCHULDIG. Ein Racheakt, vermutet Benthien. Die Ermittlungen führen ihn auf die Insel Föhr, in eine exzentrische Künstlerkommune. Dort schlägt der Mörder erneut zu. Wer steckt hinter den Morden? Ist es einer der Künstler? Privat hat Benthien ebenfalls Sorgen: In seinem Haus auf Sylt scheint ein Geist umzugehen ...

Der dritte Fall für den beliebten norddeutschen Hauptkommissar John Benthien


Kapitel 1


Es ist seltsam:

Die Menschen klagen darüber, dass die Zeiten böse sind.

Hört auf mit dem Klagen. Bessert euch selbst!

Denn: Nicht die Zeiten sind böse, sondern unser Tun.

Wir sind die Zeit.

Augustinus von Hippo (354–430 n. Chr.), Philosoph, Kirchenlehrer

Er hatte sich alles reiflich überlegt.

Dort, wo er sich verstecken wollte, um auf das Auto des alten Mannes zu warten, würde es kalt und feucht sein. Deshalb zog er zwei dicke Norwegerpullover übereinander, stieg in die Anglerhose und verstaute seine Dreadlocks unter einer voluminösen Wollmütze, die er sich tief in die Stirn zog.

Er küsste seine Frau, die noch tief und fest schlief, auf die Wange, dann machte er sich auf den Weg. Er war es nicht gewohnt, so früh aufzustehen. Wann immer es ging, schlief er in den Tag hinein. Doch sein Groll und sein Plan, etwas dagegen zu tun, hatten ihn wachgehalten und ihm schlechte Träume beschert. Jetzt war er froh, dass er endlich handeln konnte.

Er stieg in den Wagen.

Ein dichtes Eichengebüsch, das auch jetzt, im November, noch Blätter trug, sollte ihm als Versteck dienen. Es lag am Rande des Langenberger Forstes, war jedoch von keiner Seite einsehbar. Dort wollte er warten, bis der Geländewagen des Alten in Sicht kam. Und dann … würde es knallen. Er lächelte befriedigt und tätschelte die Repetierbüchse, die neben ihm auf dem Beifahrersitz lag.

Retzows eigene Büchse!

Noch gestern Nacht war er zu dem einsamen Anwesen gefahren, das mitten im Wald lag; er hatte den Wagen hinter den wilden Brombeeren versteckt und die letzten fünfzig Meter zu Fuß zurückgelegt.

Natürlich war die riesige ehemalige Scheune, die jetzt vier Pkw und etliche Gartengeräte beherbergte, nicht verschlossen gewesen, natürlich hatte der Schlüssel zum Gewehrschrank genau dort gelegen, wo Micha ihn zu »verstecken« pflegte, nämlich in einem alten, dreckigen Blumentopf unter ein paar Tonscherben.

Im Licht seiner Taschenlampe hatte er leise den Schrank geöffnet, die alte Jagdflinte herausgeholt und bei dem Gedanken grinsen müssen, dass der Alte bald Bekanntschaft mit seinen eigenen Patronen machen würde. Er hatte es mehr als verdient! Und nein, eine Absicht würde man ihm nicht nachweisen können, falls man ihn jemals schnappte. Schwarzwild, Fasane, Kaninchen, Feldhasen, Füchse, Waschbären, all dieses Wild durfte zurzeit gejagt werden. Was lag da näher, als einen Unfall zu vermuten, eine verirrte Kugel, die den Wagen erwischt hatte. Tja, so ein Pech aber auch!

Zum Glück hatte er gestern gerade zu der Zeit die Tankstelle betreten, als der Alte, herablassend und gönnerhaft wie immer, dem Pächter erzählte, dass er heute Morgen ganz früh aufbrechen wolle, um im Jardelunder Moor zu jagen. Ihn hatte er selbstverständlich nicht beachtet.

So saß er nun zu dieser gottlos frühen Stunde in seiner Karre und fror sich den Hintern ab, weil die Heizung mal wieder nicht funktionierte. Mit den Unterarmen das Steuer haltend, wickelte er ein Kaugummi aus und schob es sich in den Mund. Das Papier ließ er achtlos fallen. Dann bremste er jäh. Hätte er doch beinahe die Einfahrt in sein Versteck verpasst, nämlich den alten Wirtschaftsweg, der in den Wald führte und so viele vermatschte Reifenspuren aufwies, dass seine eigenen ganz gewiss nicht auffallen würden. Er stellte den Wagen etwas abseits des Fahrweges unter zwei Fichten ab, nahm die Büchse und machte sich auf den Weg zu seinem Gebüsch. Sobald er ein Auto kommen sah, sprang er hinter einen Baum, aber von Verkehr konnte um diese Zeit keine Rede sein. Wenn der Alte käme, wäre es sicher noch dämmrig, trotzdem, hundert Pro, würde er den Wagen erkennen, da machte er sich gar keine Sorgen. Die LED Angel Eyes zusammen mit dem großen, jetzt verbotenen Frontbügel waren nicht zu übersehen. Aber das war typisch für Retzow. Der war so verliebt in seinen verchromten Kuhfänger, dass er seinen Ford Maverick noch zu einem Oldtimer machen würde, nur um die Dinger zu behalten!

Bei dem Buschwerk angelangt, kroch er hinein, zog die Zweige zurecht und ordnete sie so, dass er die Straße gut übersehen konnte. Um sich gegen die Nässe zu schützen, fummelte er die Kapuze seines Sweatshirts über die Mütze. Eine warme Decke und ein Alu-Sitzkissen ließen seinen Unterschlupf warm und beinahe gemütlich erscheinen. Zur Probe legte er die Büchse an, die er bequemerweise in einer Astgabelung direkt vor seiner Nase abstützen konnte.

Er lächelte zufrieden.

Es war perfekt. Besser ging es nicht!

Eine Stunde später war er nicht mehr so gut gelaunt. Hatte der Alte seine Jagdpläne aufgegeben? Er fing allmählich an zu frieren, er hatte Hunger und Durst und bedauerte, nicht eine Thermosflasche mit Kaffee mitgenommen zu haben. Um ihn herum tropfte es von den Zweigen, und feuchter Dunst hing zwischen den Sträuchern. Es roch nach Erde und faulendem Laub. Holz knackte, Blätter raschelten. Immer wieder blickte er nervös um sich. Wie lange sollte er denn noch hier warten? Bald, wenn der Verkehr zunahm, wäre es zu riskant zu schießen.

Langsam dämmerte es, hinter den Bäumen im Osten erschien ein flammend roter Streifen am Himmel. Auf der Straße war noch immer nicht viel los. Er hoffte, dass im entscheidenden Augenblick kein weiteres Auto hinter dem Alten herfuhr und auch keins entgegenkam. Und wenn doch, würde er sehen, was zu tun war. Zur Not konnte er sein Vorhaben an einem anderen Tag, vielleicht auch auf eine andere Weise, durchführen. Er steckte sich ein neues Kaugummi in den Mund, nahm sein Fernglas und beobachtete die Straße.

Nichts.

Er ließ sich zurücksinken. Warten war nun mal nicht seine Stärke. Eigentlich hätte der Alte schon durch sein müssen. Hatte er das Ganze verschoben, war er krank geworden? Schließlich war er nicht mehr der Jüngste. Umso schlimmer, dass der elende alte Bock immer noch …

Durch den fernen Schein eines Lichtkegels wurde er abrupt aus seinen trüben Gedanken gerissen! Das war unverkennbar der Ford Maverick mit dem mächtigen, verchromten Kuhfänger, der da mit überhöhter Geschwindigkeit die einsame Straße entlangraste. Jetzt war der Alte dran!

Ein heißer, erregender Blitz durchfuhr ihn, als er hastig die Büchse hob, visierte, zielte. Zum Glück war weit und breit kein anderes Fahrzeug in Sicht. So sollte es also sein!

Langsam krümmte er seinen Finger um den Abzug.

Der Novembernebel stieg aus den Wiesen, lag schwer auf den Marschen und bildete geisterhafte Gespinste um jedes Baumgerippe. An den Grashalmen perlte der Tau, und müde Schafe standen dick befellt auf den Deichen und starrten blicklos ins Weite.

Benthien, am Steuer seines Wagens, gähnte ausgiebig. Noch fünf Wochen bis zum kürzesten Tag des Jahres. Morgens wurde es nicht hell, und am Nachmittag brach bereits der Abend herein. Die unbelaubten Bäume, schwarze Skelette gegen einen grauen Horizont, ächzten unter dem Wind. Menschen, Fußgänger waren nicht zu sehen, nur weit hinten strampelte ein vermummter Radfahrer auf einen Hof zu, der erhöht auf einer Warft stand.

John Benthien, Erster Hauptkommissar bei der Flensburger Kripo, der mal wieder in seinem alten Friesenhaus auf Sylt übernachtet hatte, war in Klanxbüll in seinen Wagen gestiegen – er stellte ihn bei Bekannten unter, wenn er auf dem Weg nach Sylt war –, und rollte nun gemächlich in Richtung Flensburg. Heute hatte er es nicht eilig. Neue Fälle lagen nicht an, und die Arbeit hielt sich in Grenzen. Das düstere Novemberwetter schien auch die Aktivitäten ihrer ganz speziellen Klientel zu bremsen. Im Moment halfen seine Leute vom Morddezernat im Drogen- und Raubdezernat aus oder digitalisierten alte Fälle.

Daher nahm sich Benthien mal wieder die Zeit für die kleinen Nebensträßchen. Statt über die Klanxbüller Straße direkt auf die B 199 zuzuhalten, fuhr er durch die küstennahen grünen Kooglandschaften, bis er in Neugalmsbüll wohl oder übel in Richtung Niebüll abbiegen musste. Doch dann beschloss er, dass er noch Zeit für einen weiteren Umweg hatte, und steuerte in Richtung Risum-Lindholm; er wollte am Langenberger Forst entlang, um hinter der Kreisstadt Leck die Bundesstraße zu erreichen. Noch waren die Wiesen und Weiden grün, die Birken schüttelten anmutig ihre goldgelben Blätter, die hohen, flachsfarbenen Gräser erinnerten an die farblosen, von der Nordseesonne gebleichten Haare kleiner Kinder.

Benthien erlaubte es sich zu träumen. Von seinen Steinen, die er bearbeiten wollte, die aber noch immer unter der Plane in der Dünenmulde ruhten. Vom nächsten Sommer, von der glitzernden See, deren Wellen stolz sein Segelboot teilte, seine »BlueBird«. Vielleicht würde er es im kommenden Sommer endlich wahr machen und ums Skagerrak segeln, an Schwedens Südküste vorbei und durch den Schärengarten. Oder an der Ostseeküste entlang. Doch zuerst musste er den kommenden Winter überstehen.

Benthien war kein Freund von großer Hitze, aber den Winter mit seinen grauen Tagen, dem Schnee, der Kälte, den durchweichten Matschböden und einem verwaschenen Horizont ohne Anfang und Ende, das mochte er noch weniger. Da bekam er den Winterblues, besonders im Januar, wenn der Frühling noch lange nicht in Sicht war. Seine Hoffnung war, dass sie weiterhin so wenig zu tun hatten und er öfter die Gelegenheit finden würde, sich nach Sylt zurückzuziehen, in sein gemütliches altes Friesenhaus auf einer Düne im Listland. Ansonsten lebte er in Flensburg, wo er sich mit seinem Vater, einem rüstigen Endsiebziger, eine Wohnung teilte.

...

Erscheint lt. Verlag 11.3.2016
Reihe/Serie Hauptkommissar John Benthien
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 20. - 21. Jahrhundert • Dedektiv • Detektiv • Deutsche Krimis • Ermittler • Komissar • Kommisar • Kommissar • Krimi • Krimi Bestseller • Kriminalroman • Krimis • Mord • Mörder • Polizei • Polizist • regional • Serienkrimi (Serienermittler) • Spannung • Spannungsroman • Tatort • Thriller • Verbrechen
ISBN-10 3-7325-1501-X / 373251501X
ISBN-13 978-3-7325-1501-1 / 9783732515011
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