Ein guter Tag zum Leben (eBook)
409 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-1278-2 (ISBN)
Als Joe erfährt, dass er an der seltenen Krankheit Chorea-Huntington leidet, ist er 44 Jahre alt. Wenn es gut läuft, bleiben ihm noch zehn Jahre. Jahre, in denen er die Kontrolle über seinen Körper mehr und mehr verlieren wird.
Wie jedes seiner vier Kinder muss auch Katie befürchten, die Krankheit ihres Vaters geerbt zu haben. Gewissheit könnte ein Gentest bringen. Doch kann sie tatsächlich mit dem Wissen leben, das der Test ans Licht bringt?
ZWEI
Es ist ein kühler Sonntagmorgen, und Joe führt den Hund aus, während Rosie in der Kirche ist. Früher ist er immer zusammen mit ihr und den Kindern in die Messe gegangen, wenn er freihatte, aber nach Katies Firmung war damit Schluss. Jetzt geht Rosie allein, und sie ist angewidert von diesem ganzen erbärmlichen, sündigen Haufen. Als großer Anhänger von Tradition – eine unglückliche Eigenschaft für jemanden, der nur alle siebeneinhalb Wochen ein ganzes Wochenende freibekommt und seit sechs Jahren keinen Weihnachtsmorgen mit seiner Familie mehr verbracht hat – geht Joe noch immer an Heiligabend und Ostern zur Messe, wenn er kann, doch mit dem allwöchentlichen Sakrament ist er fertig.
Es ist nicht so, dass er nicht an Gott glaubt. Himmel und Hölle. Gut und Böse. Richtig und Falsch. Schuldgefühle bestimmen noch immer viele seiner tagtäglichen Entscheidungen. Gott kann dich sehen. Gott kann hören, was du denkst. Gott liebt dich, aber wenn du Mist baust, wirst du in der Hölle schmoren. Die Nonnen haben ihm diese paranoiden Überzeugungen seine ganze Jugend hindurch in seinen dicken Schädel gehämmert, genau zwischen die Augen. Es rasselt alles noch immer da drin herum, ohne einen Ausweg zu finden.
Aber Gott muss wissen, dass Joe ein guter Mensch ist. Und wenn Er es nicht weiß, dann wird eine Stunde in der Woche, die er kniend, sitzend und stehend in der St. Francis Church verbringt, Joes unsterbliche Seele jetzt auch nicht mehr retten.
Auf Gott lässt er noch immer nichts kommen, es ist die katholische Kirche als Institution, an die er den Glauben verloren hat. Zu viele Priester, die es mit zu vielen kleinen Jungen getrieben haben; zu viele Bischöfe und Kardinäle und selbst der Papst, die diesen ganzen schmutzigen Skandal vertuscht haben. Und Joe ist nun wirklich kein Feminist, doch sie behandeln Frauen nicht fair, wenn man ihn fragt. Erstens einmal: keine Empfängnisverhütung. Entschuldigung, ist das wirklich ein Gebot Jesu? Wenn Rosie nicht die Pille nehmen würde, dann hätten sie inzwischen vermutlich ein Dutzend Kinder, und sie würde mit mindestens einem Fuß im Grab stehen. Gott segne die Errungenschaften der modernen Medizin!
Das ist der Grund, weshalb sie einen Hund haben. Nach Katie sagte er zu Rosie, das reicht. Vier sind genug. Rosie wurde in dem Sommer, in dem sie beide die Highschool abschlossen, mit JJ schwanger (sie konnten von Glück reden, dass es mit dem »Aufpassen« überhaupt so lange gut ging), daher gab es für sie eine Mussheirat und ein Baby, bevor sie neunzehn wurden. JJ und Patrick waren irische Zwillinge, mit elf Monaten Abstand geboren. Meghan folgte fünfzehn Monate nach Patrick, und Katie kam achtzehn Monate nach Meghan schreiend auf die Welt.
Als die Kinder älter wurden und zur Schule gingen, wurde das Leben leichter, aber diese frühen Jahre waren hässlich. Er erinnert sich, dass er Rosie viele unerwiderte Abschiedsküsse gab, dass er sie mit vier Kindern unter fünf Jahren, drei davon noch in Windeln, allein zu Hause ließ, froh, einen berechtigten Grund zu haben, von dort zu verschwinden. Aber er war jeden Tag besorgt, sie würde bis zum Ende seiner Schicht vielleicht nicht durchhalten. Er stellte sich sogar vor, dass sie irgendetwas Entsetzliches tat – seine Erfahrungen in seinem Job oder Geschichten darüber, was seine Kollegen gesehen hatten, schürten seine schlimmsten Befürchtungen. Ganz gewöhnliche Leute rasten irgendwann aus, wenn sie an ihre Grenzen getrieben werden. Rosie schlief vermutlich zehn Jahre lang keine Nacht durch, und mit ihren Kindern hatte sie alle Hände voll zu tun. Es ist ein Wunder, dass sie alle noch am Leben sind.
Rosie war bei dem »Infield-Plan«, wie Joe es nannte, anfangs nicht mit an Bord. Irrsinnigerweise wollte sie noch mehr Babys haben. Sie wollte noch mindestens einen Pitcher und einen Catcher auf die Spielerliste der O’Briens setzen. Sie ist das jüngste von sieben Kindern, das einzige Mädchen, und auch wenn sie ihre Brüder heutzutage nur selten sieht, ist sie froh, aus einer großen Familie zu stammen.
Aber Joe traf seine Entscheidung, und damit war das Thema erledigt. Er ließ nicht mit sich reden, und zum ersten Mal in seinem Leben weigerte er sich sogar, Sex zu haben, bis sich Rosie seiner Meinung anschloss. Es waren angespannte drei Monate. Er hatte sich schon darauf eingestellt, seine Bedürfnisse bis in alle Ewigkeit unter der Dusche zu befriedigen, als er eines Tages einen flachen, runden Behälter auf seinem Kopfkissen vorfand. Darin entdeckte er einen Ring mit Pillen, die sieben für die erste Woche bereits herausgedrückt. Gegen Gottes Willen beendete Rosie ihren kalten Krieg. Joe konnte ihr die Kleider nicht schnell genug vom Leib reißen.
Aber wenn sie schon keine Babys mehr bekommen durfte, dann wollte sie wenigstens einen Hund. Na schön. Sie kam irgendwann mit einem Shih Tzu aus dem Tierheim nach Hause. Er denkt noch immer, dass sie das nur getan hat, um ihn zu ärgern, ihre Art, das letzte Wort zu behalten. Joe ist ein Bostoner Cop, Herrgott noch mal. Er sollte stolzer Besitzer eines Labradors oder eines Berner Sennenhundes oder eines Akitas sein. Er hatte zugestimmt, dass sie sich einen Hund zulegen, einen richtigen Hund, keine zimperliche kleine Ratte. Er war nicht erfreut.
Rosie nannte ihn Yaz, was den Köter zumindest erträglich machte. Früher hasste Joe es, Yaz allein auszuführen, mit ihm zusammen in der Öffentlichkeit unterwegs zu sein. Dabei kam er sich wie ein Weichei vor. Aber irgendwann stand er darüber. Yaz ist ein guter Hund, und Joe ist Manns genug, um in Charlestown gesehen zu werden, wie er einen Shih Tzu ausführt. Solange Rosie den Kläffer nicht in einen dieser verdammten Pullover steckt.
Er geht gern durch Town, wenn er keinen Dienst hat. Auch wenn alle hier wissen, dass er ein Cop ist, und er seine Pistole unter dem Hemd, das er über der Hose trägt, verborgen bei sich führt, fühlt er sich innerlich befreit, wenn er sein knallhartes Polizistenimage nicht mit der Uniform und der Dienstmarke herumträgt, die ihn zu einer sichtbaren Zielscheibe machen. Er ist immer ein Cop, aber außerhalb des Dienstes ist er auch ein ganz normaler Typ, der in seiner Nachbarschaft seinen Hund ausführt. Und das fühlt sich gut an.
Alle hier nennen den Ort Town, aber Charlestown ist eigentlich gar keine Stadt. Es ist eine Gegend von Boston, und eine kleine noch dazu, nicht mal zwei Quadratkilometer Land zwischen dem Charles und dem Mystic River. Aber, wie jeder Ire über seine Männlichkeit sagen würde, was ihr an Größe fehlt, das macht sie durch Persönlichkeit wett.
Das Charlestown, in dem Joe aufgewachsen ist, war inoffiziell in zwei Gegenden unterteilt. Unten am Hügel war der Teil, wo die armen Iren lebten, und oben am Hügel, nahe der St. Francis Church, war das Zuhause der wohlhabenden Spitzengardinen-Iren. Die Leute oben am Hügel konnten genauso arm sein wie die Lumpen unten, und in den meisten Fällen waren sie das vermutlich auch, aber in der allgemeinen Wahrnehmung waren sie besser gestellt. Die Leute hier denken das noch immer.
Es gab auch ein paar schwarze Familien in den Sozialbauten, und eine Handvoll Italiener, die vom North End herüberschwappten, ansonsten jedoch war Charlestown ein homogener Hügel irischer Arbeiter und ihrer Familien, die in dichten Reihen von Kolonial- und dreistöckigen Häusern lebten. Die Townies. Und jeder Townie kannte jeden in Town. Wenn Joe als Junge irgendetwas Verbotenes tat, was oft der Fall war, hörte er im Allgemeinen irgendjemanden von einer Türschwelle oder aus einem offenen Fenster brüllen: Joseph O’Brien! Ich habe dich gesehen, und ich kenne deine Mutter! Damals mussten die Leute nicht die Polizei rufen. Kinder fürchteten ihre Eltern mehr als die Behörden. Joe fürchtete seine Mutter mehr als irgendjemanden sonst.
Noch vor zwanzig Jahren lebten in Charlestown ausschließlich Townies. Aber in den letzten Jahren hat sich der Ort stark verändert. Wenn Joe und Yaz jetzt die Cordis Street entlang den Hügel hochstapfen, ist es, als beträten sie eine andere Welt. Die Stadthäuser in dieser Straße wurden alle saniert. Sie sind entweder aus Backstein oder in einer glänzenden Palette genehmigter historischer Farben gestrichen. Die Türen sind neu, die Fenster wurden ausgetauscht, ordentliche Reihen mit Blumen blühen in kupfernen Blumenkästen, und die Gehsteige sind von charmanten Gaslaternen gesäumt. Er besieht sich die Marke jedes parkenden Wagens, während er den steilen Hügel hinaufsteigt – Mercedes, BMW, Volvo. Hier oben ist es wie auf dem verdammten Beacon Hill.
Willkommen zur Invasion der Neureichen! Er kann es den Leuten nicht verdenken, dass sie kommen. Charlestown ist ideal gelegen – am Wasser, einen Katzensprung über die Zakim Bridge ins Zentrum von Boston, über die Tobin Bridge in den Norden der Stadt, durch den Tunnel zur Südküste, eine beschauliche Überfahrt mit der Fähre nach Faneuil Hall. Daher begannen sie zu kommen, mit ihren schicken Firmenjobs und dicken Brieftaschen, kauften die Immobilien und werteten die Gegend auf.
Aber die Neureichen bleiben im Allgemeinen nicht. Wenn sie herkommen, sind die meisten von ihnen »Dinks« – Doppelverdiener ohne Kinder. Dann, in ein paar Jahren, bekommen sie vielleicht ein Kind und dann möglicherweise noch eines, um für ein bisschen Ausgewogenheit zu sorgen. Wenn das Älteste in den Kindergarten kommt, ziehen sie meist in die Vororte.
Daher ist alles von vornherein nur als Übergang gedacht, und sie kümmern sich nicht so sehr darum, wo sie leben, wie es Leute tun, die wissen, dass sie bleiben, bis sie in eine Kiste gelegt werden. Die Neureichen engagieren sich nicht ehrenamtlich beim...
Erscheint lt. Verlag | 14.1.2016 |
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Übersetzer | Veronika Dünninger |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Inside the O'Briens |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 20. - 21. Jahrhundert • Beziehung • Drama • Frauen Bücher • Frauen Bücher Bestseller • Frauenroman • Frauenroman Bestseller • Frauenromane • Gefühl • Gefühle • Historische Liebesromane • Kinder / Eltern • Krankheit • Liebe • Liebe / Beziehung • Liebesleben • Liebesroman • Liebesromane für Frauen • Liebhaber • Romantik • Schicksale und Wendepunkte • Tragik • Trennung • Unterhaltung • USA |
ISBN-10 | 3-7325-1278-9 / 3732512789 |
ISBN-13 | 978-3-7325-1278-2 / 9783732512782 |
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