Das Erbe des Kuriers (eBook)

Novelle
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2015 | 1. Auflage
208 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-16817-9 (ISBN)

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Das Erbe des Kuriers -  Peter V. Brett
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»Das Erbe des Kuriers« knüpft an die Ereignisse aus »Das Lied der Dunkelheit« an
Angst beherrscht die Welt, denn immer nachts machen Dämonen Jagd auf alles, was lebt. Nur die Kuriere wagen sich noch auf die lebensgefährlichen mehrtägigen Reisen von Dorf zu Dorf und Stadt zu Stadt. Als der alte Ragen, der seine Kurierrouten an den jungen Arlen Bales abgetreten hat, jedoch erfährt, dass der Sohn seines Jugendfreundes verschwunden ist, macht er sich auf seine letzte, beschwerliche Reise. Hinaus in die Wildnis, wo die Dämonen warten ...

Peter V. Brett, 1973 geboren, studierte Englische Literatur und Kunstgeschichte in Buffalo und entdeckte Rollenspiele, Comics und das Schreiben für sich. Danach arbeitete er zehn Jahre als Lektor für medizinische Fachliteratur, bevor er sich ganz dem Schreiben von fantastischer Literatur widmete. Mit seinen Romanen und Erzählungen aus der Welt von »Das Lied der Dunkelheit« hat er die internationalen Bestsellerlisten gestürmt. Peter V. Brett lebt in Brooklyn, New York.

1

Ein Feuer das brennt lichterloh

Sommer 324 NR

Das laute Geschepper riss Dorn aus dem Schlaf.

Mit der Metallkelle hämmerte seine Mutter gegen den Topf mit Hafergrütze, und der Lärm hallte durchs ganze Haus. »Raus aus den Betten, ihr Faulpelze!«, rief sie. »Das erste Horn wurde schon vor einer Viertelstunde geblasen, und das Frühstück ist heiß! Jeder, der nicht bis Sonnenaufgang am Tisch sitzt, hat bis zum Mittagsmahl einen leeren Magen!«

Jemand schlug Dorn ein Kissen gegen den Kopf. »Öffne die Fensterläden, Dornbusch«, murmelte Hardey.

»Warum muss ich das immer machen?«, meuterte Dorn.

Ein zweites Kissen knallte gegen Dorns andere Kopfseite. »Ganz einfach, wenn draußen ein Dämon ist, können Hardey und ich weglaufen, während er dich frisst!«, schnappte Hale. »Und jetzt mach schon!«

Die Zwillinge piesackten ihn immer gemeinsam … Nicht dass das etwas ausgemacht hätte. Sie zählten zwölf Sommer, und jeder von ihnen überragte ihn wie ein Baumdämon.

Dorn wälzte sich aus dem Bett und rieb sich die Augen, während er sich zum Fenster vortastete und die Läden öffnete. Der Himmel hatte eine rötlich-violette Färbung, und es war gerade hell genug, dass Dorn die schemenhaften Umrisse der im Hof lauernden Dämonen erkennen konnte. Seine Mutter nannte sie Horcies, aber Vater bezeichnete sie als alagai.

Während die Zwillinge sich noch im Bett räkelten und darauf warteten, dass ihre Augen sich an das Licht gewöhnten, hetzte Dorn aus dem Zimmer, weil er als Erster auf dem Abtritt hinter dem Vorhang sein wollte. Um ein Haar hätte er es sogar geschafft, aber wie immer drängten seine Schwestern ihn in letzter Sekunde zur Seite.

»Die Mädchen zuerst, Dornbusch!«, sagte Sky. Mit ihren dreizehn Sommern war sie noch bedrohlicher als die Zwillinge, aber selbst Sunny, die erst zehn war, konnte den armen Dorn leicht herumschubsen.

Er entschied, er könne sich das Pinkeln bis nach dem Frühstück verkneifen, und erreichte als Erster den Tisch. Heute war Sechsttag. Dann aß Relan immer Schinkenspeck, und jedes Kind bekam eine Scheibe ab. Dorn sog tief den Duft ein, während er zuhörte, wie der Speck in der Pfanne brutzelte. Seine Mutter schlug Eier auf und sang dabei vor sich hin. Dawn war eine mollige Frau mit drallen, kraftstrotzenden Armen, die fünf Kinder gleichzeitig bändigen oder sie allesamt kräftig an ihre Brust drücken konnte. Ihr Haar war mit einem grünen Tuch zusammengebunden.

Dawn warf Dorn einen Blick zu und lächelte. »In der Wohnstube ist es ein bisschen frisch heute Morgen, Dorn. Sei ein guter Junge und mach bitte im Kamin ein Feuer.«

Dorn nickte, lief in die Wohnstube ihres kleinen Häuschens und kniete vor dem Kamin nieder. Er schob den Arm in den Abzugsschacht und suchte nach der gezahnten Metallstange des Schiebers, mit dem man den Rauchfang verschließen und öffnen konnte. Nachdem er sie gefunden hatte, zog er daran, um den Abzug zu öffnen, und begann mit dem Feuermachen. Aus der Küche hörte er seine Mutter singen.

»Was kommt zuerst, wenn ein Feuer du machst?

Öffne den Rauchfang, sonst Qualm du entfachst!

Streu Laub und Stroh und Anzündholz aus,

Schichte kreuzweise Soden aus Torf darauf.

Blas Luft in die Funken, bis die Flamme schlägt hoch,

Und wärm dich am Feuer, das brennt lichterloh.«

Im Nu prasselte im Kamin ein Feuer, aber als Dorn an den Tisch zurückkam, saßen seine Brüder und Schwestern schon dort und machten ihm keinen Platz, während sie Eier und geschmorte Tomaten mit Zwiebeln auf ihre Teller häuften. Auf dem Tisch stand ein Korb mit dampfenden Keksen, und Dawn schnitt die gerösteten Speckscheiben ab. Bei diesen Gerüchen fing Dorns Magen an zu knurren. Schon streckte er die Hand aus, um sich einen Keks zu ergattern, aber Sunny schlug seine Hand beiseite.

»Warte, bis du an der Reihe bist, Dornbusch!«

»Du musst dreist sein«, sagte eine Stimme hinter ihm. Dorn drehte sich um und sah seinen Vater. »Als ich im Sharaj war, kriegten die ängstlichen Jungen nichts zu essen.«

Sein Vater Relan asu Relan am’Damaj am’Kaji war früher einmal ein Sharum-Krieger gewesen, aber er hatte sich in einem Kurierwagen aus dem Wüstenspeer, wie die Krasianer ihre Stadt nannten, herausgeschmuggelt. Nun arbeitete er als Müllsammler, doch sein Speer und sein Schild hingen immer noch an der Wand. Seine Kinder kamen allesamt nach ihm, dunkelhäutig und schlank.

»Sie sind alle größer als ich«, wandte Dorn ein.

Relan nickte. »Stimmt, aber Körpergröße und Kraft sind nicht das Einzige, was zählt, mein Sohn.« Sein Blick wanderte zur Vordertür. »Bald geht die Sonne auf. Komm mit mir und lass uns den Sonnenaufgang anschauen.«

Dorn zögerte. Die Aufmerksamkeit seines Vaters schien sich immer auf die älteren Brüder zu richten, und es war herrlich, dass er nun von ihm Notiz nahm, aber er dachte an die Dämonen, die er auf dem Hof gesehen hatte. Auf einen Ausruf seiner Mutter hin drehten sich beide zu ihr um.

»Wage es nicht, ihn mit nach draußen zu nehmen, Relan! Er ist erst sechs. Dorn, komm wieder an den Tisch zurück!«

Dorn wollte gehorchen, aber sein Vater legte ihm eine Hand auf die Schulter und hielt ihn fest. »Sechs ist alt genug, um von den alagai geschnappt zu werden, wenn man falsche Entscheidungen trifft, meine Liebe. Wenn man wegrennt, anstatt stillzuhalten«, sagte Relan. »Oder wenn man stillhält, anstatt wegzulaufen. Wir tun unseren Kindern keinen Gefallen, wenn wir sie verhätscheln.« Er führte Dorn auf die Veranda und schloss die Tür, ehe Dawn etwas erwidern konnte.

Mittlerweile überzog ein helles Indigoblau den Himmel. Bis zur Morgendämmerung waren es nur noch wenige Minuten. Relan zündete seine Pfeife an, und das süße, vertraute Aroma erfüllte die Veranda. Dorn atmete tief ein. Der Rauch, der aus der Pfeife seines Vaters stieg, vermittelte ihm ein stärkeres Gefühl der Sicherheit als die Schutzsiegel.

Staunend blickte Dorn sich um. Die Veranda war ein altgewohnter, alltäglicher Ort. Wie der gesamte Hausrat bestand auch ihre Einrichtung aus zusammengewürfelten Möbelstücken, die Relan von der Müllkippe des Dorfes geborgen und sorgfältig repariert hatte.

Aber in dem trügerischen Licht vor der Morgendämmerung sah alles anders aus – trostlos und unheimlich. Unterdessen waren die meisten Dämonen vor der aufgehenden Sonne geflüchtet, einer hingegen hatte sich umgewandt, als die Verandatür knarrte und ein Lichtschein und Geräusche aus dem Haus drangen. Sowie er Dorn und seinen Vater entdeckte, rannte er auf sie zu.

»Bleib hinter den Siegeln«, warnte Relan und deutete mit dem Pfeifenstiel auf die Linie aus Abwehrsymbolen, die mit Farbe auf die Bretter gemalt waren. »Selbst der mutigste Krieger verlässt nicht leichtfertig die Deckung.«

Der Baumdämon fauchte sie an. Dorn kannte ihn – er kroch jede Nacht bei dem alten Goldholzbaum, auf den Dorn gern hinaufkletterte, aus dem Boden an die Oberfläche. Die Augen des Dämons fixierten Relan, der seelenruhig zurückstarrte. Plötzlich griff der Dämon an und schlug mit seinen gewaltigen, astähnlichen Armen gegen die Siegel. Wie ein silbern gleißendes Spinnennetz breitete sich Magie in der Luft aus. Dorn stieß einen schrillen Schrei aus und wollte ins Haus stürzen.

Sein Vater packte ihn beim Handgelenk und riss ihn mit einem schmerzhaften Ruck zurück. »Wenn man wegrennt, macht man sie auf sich aufmerksam.« Er zog Dorn herum, und der Junge sah, dass der Blick des Dämons sich tatsächlich auf ihn richtete. Als er ein tiefes Knurren von sich gab, tröpfelte ein dünner Speichelfaden wie gelber Pflanzensaft aus einem Winkel seines Mauls.

Relan ging in die Hocke, fasste Dorn bei den Schultern und sah ihm in die Augen. »Du musst die alagai immer respektieren, mein Sohn, aber du darfst dich niemals von deiner Furcht vor ihnen überwältigen lassen.«

Sachte schob er den Jungen wieder auf die Siegel zu. Keine zehn Fuß von ihnen entfernt strolchte der Dämon immer noch über den Hof. Er kreischte Dorn an, riss das Maul weit auf und entblößte Reihen von gelben Zähnen und eine raue, braune Zunge.

Dorns Bein begann zu zucken, und er stemmte den Fuß fest auf den Boden, um das Zappeln zu unterdrücken. Er hatte das Gefühl, seine Blase würde jeden Moment platzen. Er biss sich auf die Lippe. Seine Brüder und Schwestern würden nie aufhören ihn zu hänseln, wenn er mit einem nassen Hosenbein ins Haus zurückkam.

»Tief durchatmen, mein Sohn«, sagte Relan. »Umarme deine Angst und setze Vertrauen in die Siegel. Lerne die Dämonen kennen, und inevera, du wirst nicht durch alagai-Krallen sterben.«

Dorn wusste, dass er seinem Vater vertrauen konnte, der lediglich mit seinem Schild und Speer bewaffnet draußen in der ungeschützten Nacht gestanden hatte. Aber durch seine Worte verging...

Erscheint lt. Verlag 14.4.2015
Reihe/Serie Erzählungen aus Arlens Welt
Übersetzer Ingrid Herrmann-Nytko
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Messenger's Legacy
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Dämonen • Das Flüstern der Nacht • Das Lied der Dunkelheit • Der große Basar • Der Thron der Finsternis • Die Flammen der Dämmerung • eBooks • Fantasy • George R. R. Martin • Heroische Fantasy • High Fantasy • Patrick Rothfuss • Peter V. Brett • Peter V. Brett, Der große Basar, Das Lied der Dunkelheit, Das Flüstern der Nacht, Die Flammen der Dämmerung, Der Thron der Finsternis, Heroische Fantasy, George R. R. Martin, Patrick Rothfuss, Dämonen
ISBN-10 3-641-16817-1 / 3641168171
ISBN-13 978-3-641-16817-9 / 9783641168179
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