Stark wie der Tod (eBook)
295 Seiten
e-artnow (Verlag)
978-80-268-2987-4 (ISBN)
II
Als Bertin am Freitag abend bei seiner Freundin eintrat, wo er um Annchens Heimkehr zu feiern, zu Tisch gebeten war, befand sich in dem kleinen Salon im Stile Ludwig XV. erst ein einziger Gast: Herr von Musadieu.
Das war ein geistreicher, alter Herr, der vielleicht etwas Bedeutendes hätte werden können und der untröstlich war, daß er nichts geworden.
Früher war er Konservator der kaiserlichen Museen gewesen, und es war ihm gelungen, sich zum Inspektor der schönen Künste unter der Republik ernennen zu lassen, was ihn jedoch nicht hinderte, vor allen Dingen Freund aller Prinzen und Prinzessinnen, Herzöge und Herzoginnen der europäischen Fürstenhäuser und vereidigter Beschützer aller Arten Künstler zu werden. Er hatte einen lebhaften Geist, der die Dinge leicht faßte, und eine große Redegewandtheit, die es ihm ermöglichte, das Alltäglichste auf angenehme Weise zu sagen; dazu eine Schmiegsamkeit des Geistes, wodurch er in allen Kreisen sich zu Hause fühlen konnte. Dabei besaß er eine Art Diplomatennase, die ihn auf den ersten Blick Menschen richtig taxieren ließ. Mit seiner klugen, unnützen, lebhaften Geschwätzigkeit wanderte er Tag für Tag, Abend für Abend, von einem Salon zum andern.
Er schien zu allem geeignet, sprach über alles, als wäre er durchaus kompetent, mit allgemein verständlicher Klarheit, die die Damen der Gesellschaft sehr schätzten, da er auf diese Weise eine Art Konversationslexikon zu ihrer Belehrung für sie war. In der That wußte er sehr viel, obgleich er nicht viel mehr als das Notwendigste gelernt hatte. Aber er stand sich mit den fünf Akademien, mit allen Gelehrten, allen Schriftstellern, mit allen Specialkennern, denen er immer aufmerksam lauschte, auf das allerbeste. Zu sehr in technische Einzelheiten gehende Erklärungen oder solche, die für ihn wertlos waren, wußte er zu vergessen, während er sich die andern gut merkte sodaß seine zusammengewürfelten Kenntnisse nicht schwer verdaulich waren. Seine Bemerkungen hatten etwas Einfaches und Kindliches, sodaß man sie leicht begriff, wie populär-wissenschaftliche Märchen.
So war er wie eine Art Ideenmagazin, er glich einem jener großen Läden, wo man zwar besonders auserlesene Gegenstände nicht bekommt, aber alles andere, was man nur will, sehr billig, alle möglichen Dinge, von allem möglichen Ursprünge, von den Hausgeräten bis zu den gewöhnlichen physikalischen Instrumenten zum Experimentieren oder zum häuslichen medizinischen Gebrauch.
Die Maler, mit denen ihn seine Obliegenheiten immer in Berührung brachten, schimpften über ihn und fürchteten ihn; übrigens leistete er ihnen auch Dienste, war ihnen behilflich, Bilder zu verkaufen und machte sie mit der Gesellschaft bekannt. Er liebte es, sie vorzustellen, sie zu begönnern, sie einzuführen, und schien so die Brücke zwischen den Herren der Gesellschaft und den Künstlern herzustellen. Es war sein Stolz, diese genau zu kennen, in jener intim zu verkehren, mit dem Prinzen von Wales, wenn er auf der Durchreise in Paris weilte, zu frühstücken und an demselben Abend mit Paul Adelmans, Olivier Bertin und Amaury Maldant zu dinieren.
Bertin, der ihn sehr gern mochte und ihn sehr komisch fand, sagte von ihm: »Er ist so eine Art komprimierter Jules Verne in Eselshaut gebunden.«
Die beiden Männer drückten einander die Hände und begannen sich über die politische Lage zu unterhalten, über Kriegsgerüchte, die Musadieu sehr bedenklich fand, aus ganz augenfälligen Gründen, die er genau auseinandersetzte: Deutschland nämlich mußte daran liegen, Frankreich zu vernichten und diesen Augenblick, auf den Bismarck seit achtzehn Jahren warte, möglichst zu beschleunigen, während Olivier Bertin mit unumstößlichen Gründen nachwies, daß diese Befürchtungen aus der Luft gegriffen wären. Deutschland könne nicht so verrückt sein, seinen Sieg durch einen immerhin zweifelhaften neuen Krieg aufs Spiel zu setzen, und der Reichskanzler nicht so unvorsichtig, noch in seinen letzten Lebenstagen den Bestand seines Werkes und seinen Ruhm auf eine Karte zu setzen.
Aber Herr von Musadieu schien Dinge zu wissen, die er nicht sagen wollte: er hatte im Laufe des Tages einen Minister gesprochen und war dem Großfürsten Wladimir, der erst am Abend vorher aus Cannes zurückgekehrt, begegnet.
Der Maler sprach dagegen und bestritt mit ruhiger Ironie die Kompetenz der bestunterrichtetsten Leute. Hinter all dem Lärm stünden nur Börsenmanöver; nur Bismarck wisse vielleicht etwas Bestimmtes.
Graf Guilleroy trat ein, drückte den Herren warm die Hand, indem er sich in wohlgesetzter Rede entschuldigte, sie unterbrochen zu haben.
– Und Sie, »lieber Herr Abgeordneter«, fragte der Maler, was denken Sie über den Kriegslärm?
Graf Guilleroy hielt eine große Rede. Als Mitglied der Kammer wußte er mehr als alle andern, und dennoch war er nicht derselben Ansicht, wie der größte Teil seiner Kollegen. Nein, er glaubte nicht an die Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden Kriegsgefahr, wenn sie nicht durch das leicht erregbare französische Blut hervorgerufen würde, oder durch die prahlerischen Schreiereien der sogenannten Patriotenliga. In großen Strichen entwarf er ein Bild von Bismarck, ein Bild à la Saint-Simon. Man wollte diesen Mann nicht verstehen, weil man andern immer die eigene Denkungsweise unterlegte und meinte, sie müßten das thun, was man selbst an ihrer Stelle gethan hätte. Bismarck war kein falscher und lügnerischer Diplomat, sondern offen, brutal, ein Mann, der immer die Wahrheit sagte und vorher ankündigte, was er thun wollte. Er sagte, er wolle den Frieden, und das sei auch wahr, er wolle wirklich den Frieden, nur den Frieden, und seit achtzehn Jahren beweise alles auf handgreifliche Weise, alles, sogar seine Rüstungen, seine Bündnisse, dieser Dreibund zum Beispiel den er gegen Frankreich geschlossen, daß er den Frieden wollte. Graf Guilleroy schloß in überzeugtem Tone: »Er ist ein großer Mann, ein sehr großer Mann, der Ruhe haben will, aber der glaubt, daß er das nur durch Drohungen und Gewaltmittel erreichen kann; im ganzen, meine Herren, ein großer Barbar.«
– Wer das Ende will, will auch die Mittel, antwortete Herr von Musadieu. Ich gebe Ihnen gern zu, daß er den Frieden liebt, wenn Sie mir einräumen wollen, daß er immer zum Kriege bereit ist, um den Frieden zu erhalten. Übrigens ist es eine unbestreitbare Wahrheit, daß auf dieser Welt Krieg nur geführt wird, um Frieden zu haben.
Ein Diener meldete: – Ihre Durchlaucht die Herzogin von Mortemain!
Zwischen den beiden offenen Thürflügeln erschien eine große, starke Dame, die würdevoll eintrat. Guilleroy ging ihr entgegen, küßte ihr die Hand und fragte:
– Wie geht es Ihnen, Herzogin?
Die beiden andern Herren begrüßten sie mit einer Art vornehmer Familiarität, denn die Herzogin hatte eine brüske cordiale Art und Weise sich zu geben. Als Witwe des Generals, Herzogs von Mortemain, Mutter einer einzigen Tochter, die mit dem Prinzen von Salia verheiratet war, als Tochter des Marquis von Farandal aus einem großen Hause und von fürstlichem Reichtume, empfing sie in ihrem Palais in der Rue de Varenne Leute von Stellung und Bedeutung aus allen Weltteilen.
Keine Fürstlichkeit kam durch Paris, ohne bei ihr zu essen. Sobald jemand von sich reden machte, empfand sie das Bedürfnis, ihn kennen zu lernen. Sie mußte ihn sehen, mit ihm sprechen, ihr Urteil über ihn abgeben, das unterhielt sie sehr, brachte Abwechslung in ihr Leben und nährte jenes Wohlwollen, jene Liebenswürdigkeit, die in ihrer Natur lagen. Kaum hatte sie Platz genommen, als derselbe Diener meldete:
– Baron und Baronin Corbelle!
Sie waren beide jung, der Baron kahlköpfig und dick, die Baronin schlank, elegant, von dunklem Teint. Das Paar hatte eine ganz besondere Stellung in der französischen Aristokratie, die es nur der sorgfältigen Auswahl seiner Bekannten verdankte. Sie waren von kleinem, unbedeutendem Adel, ohne Geist, aber in allem, was sie thaten, zeigten sie eine unendliche Vorliebe für das Vornehme, das Distinguierte, und so hatten sie es erreicht, indem sie beharrlich nur die großen Häuser besuchten, sehr royalistische Anschauungen zeigten, aufs äußerste korrekt waren, allem Achtung erwiesen, dem man Achtung erweisen muß, alles verachteten, was man verachten muß, nie gegen irgend eine gesellschaftliche Sitte verstießen, bei keiner noch so kleinen Etiquettenfrage schwankten, in den Augen vieler für die Vornehmsten der Vornehmen zu gelten. Ihre Ansicht war sozusagen maßgebend in gesellschaftlichen Dingen, und ihre Anwesenheit in einem Hause drückte ihm gewissermaßen einen aparten Stempel auf.
Die Corbelles waren mit Graf Guilleroy verwandt.
– Nun, fragte die Herzogin erstaunt, wo ist denn Ihre Gattin?
– Einen Augenblick, nur einen Augenblick, antwortete der Graf. Eine Überraschung; sie wird gleich erscheinen.
Als Gräfin Guilleroy, nachdem sie vier Wochen verheiratet, zum ersten Male in die Gesellschaft gekommen war, war sie der Herzogin von Mortemain vorgestellt worden, die sie sofort in ihr Herz schloß und unter ihre Fittiche nahm. Seit zwanzig Jahren hatte sich nichts in dieser Freundschaft geändert, und wenn die Herzogin von ›meiner Kleinen‹ sprach, nahm ihre Stimme noch immer denselben rührenden Ton an. Bei ihr hatten sich der Maler und die Gräfin zum ersten Male gesehen.
Musadieu war näher getreten und fragte:
– Durchlaucht haben doch die Ausstellung der Zügellosen gesehen?
– Nein, was ist das?
– Eine neue Künstlervereinigung der Impressionisten, die ganz verrückt...
Erscheint lt. Verlag | 2.2.2015 |
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Übersetzer | Georg Freiherrn von Ompteda |
Verlagsort | Prague |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Essays / Feuilleton |
Literatur ► Historische Romane | |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • Balzac • Bel Ami • Belle Époque • Das Bildnis des Dorian Gray • Emile Zola • Energie und Stolz • Erloschenes Licht • Erzählkunst • existentielle Themen • französischer Schriftsteller • Gesellschaftsroman • Literarischer Klassiker • Oscar Wilde • Porträt eines Mannes • Rudyard Kipling • Schöne Sprache |
ISBN-10 | 80-268-2987-5 / 8026829875 |
ISBN-13 | 978-80-268-2987-4 / 9788026829874 |
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