Die Liebermann-Papiere (eBook)

Historischer Kriminalroman

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
512 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-16333-4 (ISBN)
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Mord, Dekadenz und Geisterbeschwörung: ein Krimi aus dem Wien der Jahrhundertwende und die Vorlage für die BBC-Serie 'Vienna Blood'
Wien, Anfang des 20. Jahrhunderts: Der Tod des jungen Mediums Charlotte Löwenstein gibt Rätsel auf. Es gibt keine Spuren von Gewalt, ein Abschiedsbrief deutet auf Selbstmord hin. Der Polizist Reinhardt glaubt weder daran noch an übersinnliche Kräfte und bittet den jungen Arzt und Psychoanalytiker Max Liebermann um Hilfe. Der ist bekannt für seinen kühlen Verstand. Und für seine unkonventionellen Methoden ...
Premiere eines ungewöhnlichen Detektivs: der Psychoanalytiker Max Liebermann auf der Suche nach dem Mörder.

Frank Tallis ist Schriftsteller und praktizierender klinischer Psychologe. Für seine Romane, vor allem für seine Erfolgsserie um den Psychoanalytiker und Detektiv Max Liebermann, erhielt er zahlreiche Preise, u. a. den »Writers' Award from the Arts Council of Great Britain« und den »New London Writers' Award«. Tallis lebt in London.

1


Es war der Tag des großen Unwetters. Ich erinnere mich noch gut, weil mein Vater – Mendel Liebermann – vorgeschlagen hatte, im Hotel Imperial einen Kaffee zu trinken. Ich hegte den Verdacht, dass er etwas auf dem Herzen hatte ...

 

 

Ein bedrohlicher schwarzer Wolkenberg türmte sich gleich einem Vulkanausbruch aus schwefligem Rauch und Asche hinter der Oper auf. Sein Umfang ließ auf den herannahenden Weltuntergang schließen, auf eine Katastrophe von pompejischem Ausmaß. In dem seltsam bernsteinfarbenen Licht wirkten die Gebäude gelbsüchtig. Die Statuen auf den Simsen des Opernhauses – Figuren der klassischen Mythologie – wirkten wie aus Schwefel gemacht. Ein Blitz ergoss sich über den Wolkenberg wie geschmolzenes Eisen. Die Erde bebte, und die Luft geriet böig in Bewegung, aber noch immer regnete es nicht. Das kommende Unwetter schien sich aufzusparen und Kräfte zu sammeln für einen apokalyptischen Wolkenbruch.

Das Bimmeln der Straßenbahnglocke riss Liebermann aus seiner Versunkenheit und verscheuchte ein paar Fiaker von den Schienen.

Als die Tram weiterrollte, sann Liebermann darüber nach, weshalb ihn sein Vater wohl sehen wollte. Nicht dass solch eine Verabredung ungewöhnlich gewesen wäre, aber die Art und Weise, mit der die Einladung ausgesprochen worden war, hatte ihn stutzig gemacht. Mendels Stimme hatte seltsam angespannt geklungen – dünn und unsicher. Seine Unbekümmertheit hatte aufgesetzt gewirkt und in Liebermann den Verdacht eines – möglicherweise unbewussten – Hintergedankens hervorgerufen. Was mochte sein Vater auf dem Herzen haben?

Die Straßenbahn drosselte im starken Verkehr des Kärntner Rings ihr Tempo, und Liebermann sprang ab, bevor sie an der Haltestelle zum Stehen kam. Er schlug den Kragen seines Astrachanmantels gegen den Wind hoch und eilte auf das Imperial zu.

Obwohl die Mittagszeit bereits vorbei war, ging es im Café des Hotels immer noch recht lebhaft zu. Kellner mit hoch erhobenen Serviertabletts schlängelten sich, einander ausweichend, zwischen den gut besetzten Tischen hindurch. Man unterhielt sich angeregt. Hinten im Café spielte ein Klavierspieler eine Mazurka von Chopin. Liebermann putzte seine beschlagenen Brillengläser mit seinem Taschentuch und hängte seinen Mantel an einen Kleiderständer.

»Ich begrüße Sie, Herr Doktor.«

Liebermann erkannte die Stimme und antwortete, ohne sich umzudrehen: »Meine Verehrung, Bruno. Wie steht’s?«

»Bestens, gnädiger Herr, bestens.«

Als sich Liebermann umdrehte, fuhr der Kellner fort: »Wenn Sie mir bitte folgen wollen. Ihr Vater ist bereits da.«

Bruno geleitete Liebermann durch den belebten Saal zu einem Tisch, an dem, verborgen hinter den dicht bedruckten Seiten der Wiener Zeitung, Mendel saß.

»Herr Liebermann?«, sagte Bruno. Mendel faltete seine Zeitung zusammen. Er war untersetzt, trug einen imposanten Vollbart und hatte buschige Brauen. Sein finsterer Gesichtsausdruck wurde von zahlreichen Lachfältchen gemildert. Der Kellner meinte: »Ihr Herr Sohn.«

»Ah, Maxim!«, sagte der Alte. »Da bist du ja endlich!« Er klang leicht verärgert – als hätte man ihn warten lassen.

Nach kurzem Zögern erwiderte Liebermann: »Ich bin zu früh, Vater.«

Mendel konsultierte seine Taschenuhr.

»Tatsächlich. Nimm Platz, nimm Platz. Für mich bitte noch einen Pharisäer – und du ... Max?«

»Einen Schwarzen bitte, Bruno.«

Der Kellner deutete eine Verbeugung an und verschwand.

»Und«, meinte Mendel, »wie geht’s dir, mein Sohn?«

»Ausgezeichnet, Vater.«

»Du schaust ein wenig magerer aus als sonst.«

»Wirklich?«

»Ja, etwas mitgenommen.«

»Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.«

»Isst du auch ordentlich?«

Liebermann lachte: »Ja, ja, ich ess sehr gut. Und wie geht’s dir, Vater?«

Mendel schnitt eine Grimasse.

»Na ja! Gute Tage und schlechte Tage, du weißt, wie das ist. Ich hab diesen Spezialisten konsultiert, den du mir empfohlen hast, Pintsch. Und vermutlich geht’s jetzt auch etwas besser. Aber mit meinem Rücken ist es fast wie vorher.«

»Das tut mir Leid.«

Mendel machte eine abwehrende Handbewegung.

»Willst du was zu essen?« Mendel schob die Speisekarte über den Tisch. »Du schaust so aus, als könntest du was vertragen. Ich glaube, ich nehme einen Topfenstrudel.«

Liebermann studierte das umfangreiche Angebot an Torten. Apfeltorte, Cremeschnitte, Trüffeltorte, Apfelstrudel. Die Liste umfasste mehrere Seiten.

»Deine Mutter lässt grüßen«, sagte Mendel. »Sie würde gerne wissen, wann sie wieder einmal mit deinem Besuch rechnen darf.« Sein Gesichtsausdruck war gleichzeitig mitfühlend und vorwurfsvoll.

»Tut mir Leid, Vater«, sagte Liebermann. »Ich war sehr beschäftigt. Zu viele Patienten ... Richte Mutter aus, dass ich versuchen will, sie nächste Woche zu besuchen. Vielleicht Freitag?«

»Dann musst du zum Abendessen kommen.«

»Ja«, erwiderte Liebermann und hatte plötzlich das Gefühl, bereits mehr Verpflichtungen eingegangen zu sein, als ihm lieb war. Er betrachtete erneut die Speisekarte: Dobostorte, Gugelhupf, Linzertorte. Die Chopin-Mazurka endete mit einem lauten Mollakkord, und im Café wurde vereinzelt applaudiert. Ermutigt spielte der Pianist in den oberen Oktaven ein paar schnelle Akkorde, die er mit der Melodie eines beliebten Walzers unterlegte. Eine Gruppe von Leuten, die in der Nähe des Fensters saßen, begann anerkennend zu klatschen.

Bruno kehrte mit den beiden Kaffees zurück und stand dann mit Block und Bleistift bereit, die Bestellung entgegenzunehmen.

»Einmal den Topfenstrudel«, sagte Mendel.

»Den Rehrücken, bitte«, meinte Liebermann.

Mendel rührte die Sahne in seinen Pharisäer, einen Kaffee mit einem Schuss Rum, und begann sofort über das Kleiderunternehmen der Familie zu sprechen. Das war inzwischen schon so etwas wie eine Tradition. Die Gewinne waren gestiegen, und Mendel erwog, das Unternehmen zu vergrößern: eine weitere Fabrik, vielleicht sogar ein Geschäft. Da die Bürokraten, die sich in alles einmischten, das Verbot von Warenhäusern aufgehoben hatten, konnte er sich eine Zukunft im Einzelhandel vorstellen – neue Möglichkeiten. Sein alter Freund Blomberg hatte bereits ein erfolgreiches Warenhaus eröffnet und ihm vorgeschlagen, bei ihm als Kompagnon einzusteigen. Mendels Gesichtsausdruck war die ganze Zeit gespannt. Aufmerksam betrachtete er die Reaktion seines Sohnes.

Liebermann war klar, warum ihn sein Vater auf dem Laufenden hielt. Obwohl er stolz auf die akademischen Errungenschaften seines Sohnes war, hoffte er immer noch, dass der junge Max eines Tages in seine Fußstapfen treten würde.

Mendel sprach langsamer, als sein Blick auf die Hand seines Sohnes fiel. Die Finger schienen der Melodie des Pianisten zu folgen und benutzten die Tischkante als Klaviatur.

»Hörst du mir zu?«, fragte Mendel.

»Ja. Natürlich hör ich dir zu«, erwiderte Liebermann. Er war diese Frage gewohnt und ließ sich nicht mehr – wie früher – ertappen. »Du hast vor, dich mit Herrn Blomberg zu soziieren.«

Liebermann nahm eine für ihn typische Pose ein, indem er seine Finger in Pistolenform spreizte und an die Wange legte, wobei sein Zeigefinger zart auf seiner Schläfe zu liegen kam. Es war dies eine Zuhörerhaltung, deren sich viele Psychiater mit Vorliebe bedienten.

»Also, was meinst du? Ist das eine gute Idee?«, fragte Mendel.

»Wenn das Warenhaus Gewinn einbringt, dann klingt es recht vernünftig.«

»Es handelt sich um eine beträchtliche Investition.«

»Daran zweifle ich nicht.«

Der Ältere strich sich über seinen Bart. »Du scheinst von der Idee nicht sonderlich begeistert zu sein.«

»Vater, spielt es denn überhaupt eine Rolle, was ich davon halte?«

»Nein, vermutlich nicht.« Seine Enttäuschung war spürbar.

Liebermann wandte seinen Blick ab. Es bereitete ihm keine Freude, seinen Vater zu enttäuschen, und er hatte ein schlechtes Gewissen. Die Motive des Alten waren überaus löblich, und Liebermann war klar, dass sein angenehmes Leben – zumindest teilweise – von Mendels exzellenter Führung der Familiengeschäfte aufrechterhalten wurde. Er konnte es sich jedoch beim besten Willen nicht vorstellen, einer Fabrik oder einem Warenhaus vorzustehen. Die Idee war lächerlich.

Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, sah er, wie ein Mann mittleren Alters das Café betrat, seinen Hut abnahm und sich umsah. Sein breiter Scheitel war sehr weit seitlich, und sein sorgsam gestutzter Bart fast ganz ergraut. Der Oberkellner begrüßte ihn herzlich und half ihm aus dem Mantel. Er war tadellos gekleidet und trug gestreifte Hosen, ein Jackett mit breitem Revers und eine auffällige Weste. Offenbar machte er eine geistreiche Bemerkung, denn der Oberkellner begann plötzlich lauthals zu lachen. Der Mann schien es nicht eilig zu haben, einen Platz zu finden, und blieb neben der Tür stehen. Aufmerksam hörte er einem Kellner zu, der ihm – wie es Liebermann schien – eine Geschichte erzählte.

Als Mendel sah, dass sein Sohn abgelenkt war, fragte er: »Kennst du ihn?«

Liebermann wandte sich ihm zu.

»Wie bitte?«

»Doktor Freud«, meinte Mendel mit ausdrucksloser Stimme.

Es erstaunte Liebermann, dass sein Vater wusste, wer der Mann war.

»Ja, ich kenne ihn. Außerdem ist er Professor Freud.«

»Na, dann eben Professor Freud«, meinte Mendel, »aber Professor ist er noch nicht sehr lange, oder?«

»Seit ein paar...

Erscheint lt. Verlag 29.1.2015
Reihe/Serie Die Max-Liebermann-Krimis
Übersetzer Holger Wolandt, Lotta Rüegger
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Mortal Mischief
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Die Einkreisung • Die letzte Seance • eBooks • Heimatkrimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Max Liebermann • Max Liebermann, Psychoanalyse, Wien • Österreich • Psychoanalyse • Wien • ZDF
ISBN-10 3-641-16333-1 / 3641163331
ISBN-13 978-3-641-16333-4 / 9783641163334
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