Der achte Schöpfungstag (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
480 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403456-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der achte Schöpfungstag -  Thornton Wilder
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
National Book Award für den besten amerikanischen Roman des Jahres 1967 Vordergründig ist diese amerikanische Saga eine Kriminalgeschichte: Ein unschuldig wegen Mordes zum Tode Verurteilter wird auf der Fahrt zur Hinrichtung von Maskierten befreit. Er beginnt seine Flucht, seine Familie sieht ihn nie wieder. In Rückblenden und Perspektiven des Zukünftigen wird Stück um Stück, durch mehrere Generationen, die Geschichte zweier amerikanischer Familien aufgerollt, die des Ermordeten und die des angeblichen Mörders. Dahinter steht in diesem großen Roman die Frage nach dem Sinn von Leben und Tod.

Thornton Wilder wurde am 17. April 1897 in Madison, Wisconsin, als Sohn eines Zeitungsverlegers geboren, der als Generalkonsul nach Hongkong und Schanghai ging. Thornton Wilder erhielt für sein umfangreiches literarisches Werk zahlreiche Auszeichnungen, u. a. dreimal den Pulitzer-Preis und 1957 in Frankfurt am Main den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Er starb am 7. Dezember 1975 in Hamden, Connecticut.

Thornton Wilder wurde am 17. April 1897 in Madison, Wisconsin, als Sohn eines Zeitungsverlegers geboren, der als Generalkonsul nach Hongkong und Schanghai ging. Thornton Wilder erhielt für sein umfangreiches literarisches Werk zahlreiche Auszeichnungen, u. a. dreimal den Pulitzer-Preis und 1957 in Frankfurt am Main den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Er starb am 7. Dezember 1975 in Hamden, Connecticut.

Prolog


Im Frühsommer 1902 stand John Barrington Ashley aus Coaltown, einem Bergwerksstädtchen im südlichen Illinois, wegen Mordes an Breckenridge Lansing, auch aus Coaltown, vor Gericht. Er wurde für schuldig befunden und zum Tod verurteilt. Fünf Tage später, um ein Uhr morgens am 22. Juli, einem Dienstag, entkam er seinen Wächtern aus dem Eisenbahnzug, der ihn an den Ort der Hinrichtung bringen sollte.

Das war der ›Fall Ashley‹, der im ganzen Mittelwesten beträchtlich viel Interesse, Entrüstung und Spott erregte. Niemand bezweifelte, daß Ashley absichtlich oder zufällig Lansing erschossen hatte, aber es herrschte allgemein das Gefühl, der Prozeß sei von einem senilen Richter, einer unfähigen Verteidigung und einer voreingenommenen Geschworenenbank verpfuscht worden – der ›Kohlenpott-Prozeß‹, der ›Kohlenloch-Prozeß‹. Als obendrein der verurteilte Mörder einer Eskorte von fünf Mann entkam – in Handschellen, Sträflingskleidung und mit kahlrasiertem Kopf – und in die leere Luft verschwand, war sogar der Staat Illinois selbst lächerlich gemacht. Ungefähr fünf Jahre später verlautbarte die Justizbehörde in Springfield, bisher unbekanntes Beweismaterial habe die völlige Unschuld Ashleys erwiesen.

Es war also in einer Kleinstadt des Mittelwestens in einem an sich unbedeutenden Fall zu einem Fehlurteil gekommen.

Ashley schoß Lansing in den Hinterkopf, während die beiden Männer auf dem Rasen hinter Lansings Haus bei ihrer gewohnten Sonntagnachmittagsschießübung waren. Nicht einmal die Verteidigung behauptete, die Tragödie sei bloß ein Unfall infolge technischer Mängel gewesen. Das Gewehr wurde im Beisein der Geschworenen mehrmals abgefeuert und erwies sich als in tadellosem Zustand. Ahsley war als hervorragend guter Schütze bekannt. Der Getroffene stand etwas vor und fünf Schritte links von Ashley. Es war ein wenig erstaunlich, daß das Geschoß oberhalb des linken Ohrs in Lansings Schädel eingedrungen war, aber es wurde angenommen, daß er soeben den Kopf gewendet hatte, um auf Geräusche zu horchen, die von einem Jugendfest im Gedächtnispark jenseits der Hecke herkamen. Ashley wich nie von seiner Behauptung ab, weder der Absicht noch der Tat nach schuldig zu sein, so lächerlich diese Behauptung auch war. Die einzigen Augenzeugen waren die Ehefrauen des Angeklagten und seines Opfers. Sie saßen nahebei unter den Graunußbäumen und bereiteten Limonade. Beide sagten aus, daß nur ein einziger Schuß abgefeuert worden war. Der Prozeß zog sich übermäßig in die Länge, weil einige Mitglieder des Gerichtshofs erkrankten und sich unter den Geschworenen und ihren Ersatzmännern sogar Todesfälle ereigneten. Zeitungsberichterstatter hoben die durch Ausbrüche von Gelächter verursachten Verzögerungen hervor, denn ein Unfugsteufel schien im Gerichtssaal sein Wesen zu treiben. Sprachliche Entgleisungen waren häufig. Beim Aufrufen der Zeugen kam es zu Namensverwechslungen. Richter Crittendens Hämmerchen zerbrach. Ein Reporter aus St. Louis nannte das Ganze einen »Hyänenschmaus«.

Daß kein Motiv für das Verbrechen festgestellt werden konnte, das war es, was eine so weitverbreitete Entrüstung hervorrief. Die Staatsanwaltschaft brachte zu viele Beweggründe vor, und kein einziger von ihnen war überzeugend. Coaltown jedoch war überzeugt, es wisse, warum Ashley Lansing getötet hatte, und die meisten Mitglieder des Gerichtshofs waren aus Coaltown. Jedermann wußte es und niemand erwähnte es. In Coaltown lassen sich bessere Leute nicht in Gespräche mit Fremden ein. Ashley tötete Lansing, weil Ahsley in Lansings Frau verliebt war, und die Geschworenen sandten ihn ohne Bedenken und einstimmig in den Tod, und dies, wie eine Chikagoer Zeitung schrieb, »mit schamloser Gemütsruhe«. Die Ermahnung, die der alte Richter Crittenden den Geschworenen in dieser Hinsicht zuteil werden ließ, hatte besonderes Gewicht; er trug ihnen – fast mit einem Blinzeln des Einverständnisses – auf, ihrer ernsten Pflicht zu genügen, und das taten sie. Für die Reporter von auswärts war der Prozeß eine Posse, und er wurde bald zu einem Skandal im ganzen obern Mississippital. Die Verteidigung tobte, die Zeitungen höhnten, Telegramme regneten auf den Gouverneurspalast in Springfield herab, aber Coaltown wußte, was es wußte. Dieses Stillschweigen über die sündigen Beziehungen zwischen John Ashley und Eustacia Lansing entsprang nicht etwa einem ritterlichen Wunsch, den guten Ruf einer Dame zu wahren; es gab einen stärkern Grund dafür. Kein Zeuge wagte diese Anschuldigung auszusprechen, weil kein Zeuge auch nur den geringsten Beweis besaß. Klatsch hatte sich zu Überzeugung verfestigt, wie Vorurteil sich zu selbstverständlicher Wahrheit verfestigt.

Eben in dem Augenblick, in dem die Entrüstung der Öffentlichkeit aufs höchste gestiegen war, entkam John Ashley seinen Wächtern. Flucht wird fast immer als ein Eingeständnis von Schuld ausgelegt, und Fragen nach dem Motiv der Tat wurden belanglos.

Es ist möglich, daß das Urteil weniger hart ausgefallen wäre, wenn Ashley sich im Gerichtssaal anders benommen hätte. Er zeigte keine Spur von Furcht. Er bot nicht das faszinierende Schauspiel zunehmender Angst und beginnender Reue. Er saß während der langen Verhandlungen gelassen zuhörend da, als erwartete er, das Verfahren werde seine mäßige Neugier, wer Breckenridge Lansing getötet habe, befriedigen. Aber freilich war er für die Einwohner von Coaltown schon immer ein absonderlicher Mensch gewesen. Er war gradezu ein Ausländer – das heißt, er kam aus dem Staat New York und sprach so, wie die Leute dort reden. Seine Frau, eine Deutsche, sprach auch so, aber mit ihrem eignen leichten Akzent. Ashley schien keinen Ehrgeiz zu besitzen. Er hatte fast zwanzig Jahre lang in der Bergwerkskanzlei für ein sehr kleines Gehalt gearbeitet – ein so kleines wie das des zweitbestbezahlten Geistlichen der Stadt – und war offenbar damit zufrieden gewesen. Er fiel sozusagen durch einen Mangel an auffälligen Eigenschaften auf. Er war weder dunkelhaarig noch blond, weder hochgewachsen noch klein, weder dick noch dünn, weder rege noch träge. Er besaß ein recht angenehmes Äußeres, das aber selten einen zweiten Blick auf sich zog. Ein Reporter aus Chikago bezeichnete ihn am Beginn des Prozesses wiederholt als »unsre uninteressante Hauptfigur«. (Später besann er sich anders – ein Mann, der in einem Prozeß, bei dem es um sein Leben geht, keine Ängstlichkeit zeigt, erweckt Interesse.) Frauen hatten Ashley gern, weil er sie gern hatte und weil er ein aufmerksamer Zuhörer war; Männer – ausgenommen die Obersteiger im Bergwerk – schenkten ihm wenig Beachtung, obgleich etwas in seiner schweigsamen Zurückhaltung bewirkte, daß sie sich beständig bemühten, Eindruck auf ihn zu machen.

Breckenridge Lansing war groß und breitschultrig und blond. Mit jovialer Freundschaftlichkeit zerbrach sein Händedruck jedermann fast die Finger. Sein Lachen war hemmungslos laut, und wenn er in Zorn geriet, hielt er sich nicht zurück. Er war gesellig; er gehörte jeder Loge, jedem Brüderorden und jedem Verein an, die es in dem Städtchen gab. Er liebte Rituale: Tränen kamen ihm leicht in die Augen – männliche Tränen; er schämte sich ihrer nicht, wenn er zum hundertstenmal gelobte, »den Brüdern Freundschaft bis in den Tod zu halten« und »tugendhaft in Gott zu wandeln und bereit zu sein, sein Leben für sein Land hinzugeben«. Es sind wahrhaftig solche Gelübde, die dem Leben eines Mannes Sinn verleihen! Er hatte seine kleinen Schwächen. Er verbrachte so manchen Abend in jenen Lokalen draußen an der River Road und kam erst im Morgengrauen heim. Das war nicht das Benehmen eines exemplarischen Familienvaters, und Mrs. Lansing mochte vielleicht einigen Grund haben, es übelzunehmen. Aber bei öffentlichen Anlässen – beim Fest der Freiwilligen Feuerwehr, bei der Schulschlußfeier – überhäufte er sie mit Aufmerksamkeiten und ließ alle sehen, wie stolz er auf sie war. Es war allgemein bekannt, daß er als Betriebsleiter der Gruben nichts taugte und sich selten vor elf Uhr in der Kanzlei blicken ließ. Als Vater hatte er sicherlich bei der Erziehung zweier seiner drei Kinder versagt. George galt als ein Wildling und ein ›Schrecken‹. Anne war ein gewinnendes Kind, das meistens durch Wutanfälle und Ungezogenheit gewann. Aber diese kleinen Unzulänglichkeiten Lansings waren verständlich. Mehrere von ihnen hatte er mit den angesehensten Bürgern der Stadt gemein. Er war wohlgelitten und ein munterer Gesellschafter. Was für einen prächtigen Prozeß hätte es gegeben, wenn es Lansing gewesen wäre, der Ashley erschoß! Wie er sich da in Szene gesetzt hätte! Die Stadt hätte dafür gesorgt, daß er zuerst tüchtig eingeschüchtert und geduckt worden wäre, und hätte ihn dann freigesprochen.

Dieser unbedeutende Fall in einer Kleinstadt des südlichen Illinois wäre vielleicht sogar noch früher in Vergessenheit geraten, wenn die Flucht des Verurteilten nicht von so geheimnisvollen Umständen begleitet gewesen wäre. Er selbst rührte keinen Finger. Er wurde befreit. Sechs Männer – als Eisenbahner gekleidet, die Gesichter mit angekohltem Kork geschwärzt – drangen in den verschlossenen Waggon ein. Sie zerschmetterten die Hängelampen, und ohne einen Schuß abzufeuern oder ein Wort zu äußern, überwältigten sie die Wächter und trugen den Häftling aus dem Zug. Zwei der Wächter gaben je einen Schuß ab, wagten dann aber keinen mehr aus Furcht, im Dunkeln einen der ihren zu treffen. Wer waren diese Männer, die ihr eignes Leben aufs Spiel setzten, um John Ashleys Leben zu retten? Gedungene Helfershelfer?...

Erscheint lt. Verlag 22.12.2014
Übersetzer Herberth E. Herlitschka, Marlys Herlitschka
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Familie • Familiengeschichte • Flucht • Häftling • Mord • Roman • Rückblende
ISBN-10 3-10-403456-7 / 3104034567
ISBN-13 978-3-10-403456-0 / 9783104034560
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Iris Wolff

eBook Download (2024)
Klett-Cotta (Verlag)
18,99