Selma Lagerlöf, Nils Holgerssons wunderbare Reise mit den Wildgänsen (eBook)

Vollständige, ungekürzte Ausgabe
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2014 | 1. Auflage
688 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-7306-9085-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Selma Lagerlöf, Nils Holgerssons wunderbare Reise mit den Wildgänsen -  Selma Lagerlöf
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So herrlich verspielt, so wunderbar einfallsreich kann ein Schulbuch sein! Als die spätere Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf 1901 den Auftrag erhielt, ein Lesebuch für den Unterricht an schwedischen Schulen zu schreiben, erfand sie kurzerhand die weltberühmte Geschichte des aufmüpfigfrechen Nils Holgersson: Zur Strafe für einen bösen Streich in ein Wichtelmännchen verwandelt, schließt er sich auf dem Rücken des zahmen Gänserichs Martin einer Gruppe von Wildgänsen an, und nach zahlreichen Abenteuern winkt ihm das Glück wahrer Freundschaft. Lagerlöfs Kinderbuchklassiker ist bis heute ein bezauberndes Lesevergnügen für Jung und Alt.

Selma Ottilia Lovisa Lagerlöf (1858-1940) wurde in der schwedischen Provinz Värmland geboren. Nach ihrem Studium in Stockholm trat sie ihre erste Stelle als Lehrerin in der Hafenstadt Landskrona im Süden des Landes an. Zu dieser Zeit verfasste sie ihren ersten Roman, »Gösta Berling«. Als 1895 die zweite Auflage des Buchs erschien, konnte sie die Lehrtätigkeit aufgeben und sich ganz dem Schreiben widmen. Dank eines Reisestipendiums des Königs und der Schwedischen Akademie lernte sie Europa kennen und reiste bis nach Ägypten und Israel. Wieder in Schweden erlangte sie weiteren literarischen Ruhm mit ihrem Auswandererepos »Jerusalem« (1902/1903) und dem von der Schulbehörde in Auftrag gegeben Lesebuch »Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen« (1906). Zu den wichtigsten Auszeichnungen ihres Lebens gehören die Aufnahme als erstes weibliches Mitglied in die Schwedische Akademie im Jahr 1914 und der Literatur-Nobelpreis, den sie 1909 als erste Frau erhielt. Das Preisgeld ermöglichte es Lagerlöf, den Gutshof Mårbacka zurückzukaufen - ihre Eltern hatten das Anwesen wegen hoher Verschuldung aufgeben müssen. Nach dem Umzug auf das Landgut widmete sie sich neben dem Schreiben vor allem der Landwirtschaft und ihrer kleinen Fabrik, in der sie Hafermehl produzierte.

1. DER JUNGE


Der Kobold

Sonntag, den 20. März

Es war einmal ein Junge. Er mochte wohl vierzehn Jahre alt sein, war lang aufgeschossen und hatte flachsgelbes Haar. Er war zu nichts recht zu gebrauchen. Am liebsten mochte er schlafen und essen, sein größtes Vergnügen aber war, dumme Streiche zu machen.

Es war an einem Sonntagmorgen. Die Eltern des Jungen waren im Begriff, sich zum Kirchgang anzukleiden. Der Junge selbst saß in Hemdärmeln auf dem Tisch und dachte, wie schön es sei, dass Vater und Mutter beide fortgingen, sodass er ein paar Stunden lang sein eigener Herr sein konnte. »Jetzt kann ich doch Vaters Flinte herunternehmen und ein wenig damit schießen, ohne dass sich gleich jemand dahineinmischt«, sagte er zu sich selbst.

Aber es war fast, als habe der Vater die Gedanken des Knaben erraten, denn gerade als er in der Tür stand und gehen wollte, blieb er stehen und wandte sich nach ihm um.

»Wenn du nicht mit Mutter und mir in die Kirche willst«, sagte er, »so finde ich, du solltest auf alle Fälle eine Predigt hier zu Hause lesen. Willst du mir das versprechen?«

»Ja«, sagte der Junge, »das kann ich gerne tun.« Und er dachte natürlich, dass er nicht mehr lesen würde, als er Lust hatte.

Der Junge meinte, er habe seine Mutter sich noch nie so schnell bewegen sehen. In einem Nu war sie bei dem Wandgesims, nahm Luthers Postille herunter und legte sie auf den Tisch am Fenster, die Predigt des Tages aufgeschlagen. Sie schlug auch das Evangelienbuch auf und legte es neben die Postille. Schließlich zog sie den großen Lehnstuhl an den Tisch heran, der im vorigen Jahr auf der Auktion im Vämmenhöger Pfarrhaus gekauft war, und in dem sonst niemand als der Vater sitzen durfte.

Der Junge saß da und dachte bei sich, die Mutter mache sich doch gar zu viele Mühe mit den Vorbereitungen, denn er hatte gar nicht die Absicht, mehr als eine Seite hier und da zu lesen. Aber nun war es zum zweiten Mal gerade so, als wenn der Vater ganz durch ihn hindurchsehen könne, denn er sagte streng: »Sieh nur zu, dass du ordentlich liest! Denn wenn wir nach Hause kommen, überhöre ich dir jede Seite, und hast du eine Seite übersprungen, so kannst du mir glauben, ich werd dich lehren.«

»Die Predigt ist vierzehn und eine halbe Seite lang«, sagte die Mutter, wie um das Maß voll zu machen. »Du musst dich wohl gleich hinsetzen und lesen, wenn du hindurchkommen willst.«

Und dann gingen sie endlich, und als der Junge in der Tür stand und ihnen nachsah, fand er, dass sie ihn in einer Falle gefangen hatten. »Die gehen nun dahin und sind stolz darauf, dass sie es so gut gemacht haben und ich hier nun, während der ganzen Zeit, dass sie fort sind, über der Predigt brüten muss«, dachte er bei sich.

Aber sein Vater und seine Mutter waren weit davon entfernt, stolz über irgendetwas zu sein; sie waren im Gegenteil ziemlich betrübt. Sie waren arme Häuslerleute und hatten nicht viel mehr Boden als einen Gartenfleck. In der ersten Zeit, als sie das Haus hatten, konnten sie nur ein Schwein und ein paar Hühner halten, aber sie waren selten strebsame und tüchtige Leute, und jetzt hatten sie sowohl Kühe als auch Gänse. Es war vorzüglich vorwärts gegangen mit ihnen, und hätten sie nicht an den Sohn denken müssen, so wären sie an diesem schönen Sonntagmorgen froh und vergnügt zur Kirche gegangen. Der Vater klagte darüber, dass er faul und nachlässig sei, in der Schule hatte er nichts getan, und er war so untüchtig, dass er ihn nur mit Not und Mühe die Gänse hüten lassen konnte. Und die Mutter bestritt keineswegs, dass das wahr sei, aber sie war am meisten betrübt darüber, dass er ein so wilder und arger Bube war, hart gegen Tiere und boshaft gegen Menschen. »Wenn doch Gott ihn beugen und ihm einen andern Sinn geben wollte«, sagte die Mutter. »Sonst wird er ein Unglück für sich selbst und für uns.«

Der Junge stand lange da und überlegte, ob er die Predigt lesen solle oder nicht. Aber dann wurde er mit sich selbst einig, dass es diesmal am Besten sein würde, wenn er gehorchte. Er setzte sich in den Pfarrhauslehnstuhl und fing an zu lesen. Als er aber eine Weile die Wörter halblaut hergeplappert hatte, war er nahe daran, über seinem eigenen Gemurmel einzuschlafen und er merkte, dass er anfing einzunicken.

Draußen war das schönste Frühlingswetter. Man war zwar nicht weiter im Jahr als am zwanzigsten März, aber der Junge wohnte im West-Vämmenhöger Kirchspiel, weit unten im südlichen Schonen, und da war der Frühling schon im vollen Gange. Es war noch nicht grün, aber es war frisch und im Begriff, Knospen zu treiben. Da war Wasser in allen Gräben, und der Huflattich stand an den Grabenrändern in Blüte. All das kleine Krautwerk, das auf den Steinwällen wuchs, war braun und blank. Die Buchenwälder in der Ferne standen gleichsam da und schwollen und wurden mit jedem Augenblick dichter. Der Himmel war hoch und hellblau. Die Haustür stand angelehnt, sodass man in der Stube hören konnte, wie die Lerche sang. Die Hühner und Gänse gingen draußen im Hof, und die Kühe, die die Frühlingsluft bis ganz in ihre Stände hinein spürten, gaben von Zeit zu Zeit ein Brüllen von sich.

Der Junge las und nickte und kämpfte mit dem Schlaf. »Nein, ich will nicht einschlafen«, dachte er, »denn dann komme ich heute Vormittag nicht durch dies hier hindurch.«

Aber wie es nun kommen mochte, er schlief dennoch ein.

Er wusste nicht, ob er eine kurze oder eine lange Zeit geschlafen hatte, aber er erwachte davon, dass er ein schwaches Geräusch hinter sich hörte.

Auf der Fensterbank, gerade vor dem Jungen, stand ein kleiner Spiegel, und darin konnte man beinahe die ganze Stube sehen. In demselben Augenblick, als nun der Junge den Kopf erhob, fiel sein Blick in den Spiegel, und da sah er, dass der Deckel von der Mutter Truhe geöffnet war.

Die Mutter hatte nämlich eine große, schwere, eisenbeschlagene eichene Truhe, die niemand außer ihr selber öffnen durfte. Dort bewahrte sie all das auf, was sie von ihrer Mutter geerbt hatte, und womit sie am allereigensten war. Da lagen ein paar alte Bauerntrachten aus rotem Tuch mit kurzem Leibchen und Faltenrock und perlengesticktem Brusttuch. Da waren gesteifte weiße Kopftücher und schwere silberne Spangen und silberne Ketten. Heutzutage wollten die Leute nicht mit dergleichen Sachen gehen, und die Mutter hatte oft daran gedacht, sich von dem alten Kram zu trennen, aber dann hatte sie es doch nicht übers Herz bringen können.

Nun sah der Junge ganz deutlich im Spiegel, dass der Deckel der Truhe offenstand. Er konnte nicht begreifen, wie das zugegangen war, denn die Mutter hatte die Truhe geschlossen, ehe sie fortging. Es sah der Mutter wahrlich nicht ähnlich, sie offenstehen zu lassen, wenn er allein zu Hause war.

Ihm wurde ganz unheimlich zumute. Er war bange, dass sich ein Dieb ins Haus geschlichen hatte. Er wagte nicht, sich zu rühren, sondern saß ganz still da und starrte in den Spiegel hinein.

Während er so dasaß und wartete, dass sich der Dieb zeigen würde, grübelte er darüber nach, was für ein schwarzer Schatten das wohl sein könne, der über den Rand der Truhe fiel. Er sah und sah und wollte seinen eigenen Augen nicht trauen. Aber das, was zu Anfang wie ein Schatten aussah, wurde immer deutlicher und er entdeckte bald, dass es etwas Wirkliches war. Es war weder mehr noch weniger als ein Kobold, der rittlings auf dem Rand der Truhe saß.

Der Junge hatte freilich von Kobolden reden hören, aber er hatte sich nie gedacht, dass sie so klein seien. Der, der da auf der Truhe saß, war nicht höher als eine Handbreit. Sein Gesicht war alt und runzelig und bartlos, und er hatte einen langen schwarzen Rock und Kniehosen an und einen breitkrempigen schwarzen Hut auf dem Kopf. Er war sehr fein und zierlich, mit weißen Spitzen am Hals und am Handgelenk, Spangen an den Schuhen und Strumpfbändern mit Rosetten. Er hatte ein gesticktes Brusttuch aus der Truhe genommen und saß nun da und betrachtete die altmodische Arbeit mit so großer Andacht, dass er das Erwachen des Jungen nicht bemerkt hatte.

Der Junge war sehr erstaunt, den Kobold zu sehen, aber bange wurde er eigentlich nicht. Man konnte nicht bange vor einem werden, der so klein war. Und da nun der Kobold so von dem in Anspruch genommen war, was er vorhatte, dass er weder sah noch hörte, so dachte der Junge, es würde ein Spaß sein, ihm einen Streich zu spielen, ihn in die Kiste hinunterzustoßen und den Deckel zuzuschlagen oder etwas Ähnliches.

Aber der Junge war doch nicht so mutig, dass er den Kobold mit den Händen zu berühren wagte, und er sah sich deswegen in der Stube nach etwas um, womit er ihn hinunterstoßen könne.

Seine Augen wanderten von der Bettbank nach dem Klapptisch und von dem Klapptisch nach dem Feuerherd. Er sah nach den Kochtöpfen und dem...

Erscheint lt. Verlag 13.12.2014
Reihe/Serie Anaconda Kinderbuchklassiker
Übersetzer Mathilde Mann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte ab 8 • Alte Jugendbücher • alte kinderbücher • Bauernhof • dark academia • Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen • eBooks • Gänserich • Jugendbuchklassiker • Kinder • Kinderbuch • Kinderbuchklassiker • Kinderklassiker • Klassiker • Kultur Schwedens • Lappland • Lesebuch • Nobelpreis für Literatur • Schule • Schweden • schwedische Autorin • Schwedische Schriftstellerin • schwedisches Schulbuch • Selma Lagerlöf • Städte Schwedens • Weltliteratur • Wichtelmann • Wichtelmännchen • Wildgänse
ISBN-10 3-7306-9085-X / 373069085X
ISBN-13 978-3-7306-9085-7 / 9783730690857
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