Isch hab Geisterblitz (eBook)

Neue Wortschätze vom Schulhof
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
304 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-0623-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Isch hab Geisterblitz -  Philipp Möller
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'Nie wieder unterrichten!', denkt Ex-Lehrer Philipp Möller - bis er gebeten wird, dem 16-jährigen Khalim Nachhilfe zu geben. Dessen Schulabschluss steht auf der Kippe und schnell wird klar, warum: Der Junge bringt keinen geraden deutschen Satz zustande.

Kein Wunder also, dass er auch außerhalb der Schule nie den richtigen Ton trifft. Wenn er sich etwa mit 'Sch'eiße Khalim' vorstellt oder meint, 'Na ihr Huren, s'los?' sei eine freundliche Begrüßung für seine Mitschülerinnen, kommt Philipp Möller ins Grübeln: Sprechen wir noch dieselbe Sprache oder längst aneinander vorbei?

Berufsbildungstrallala für alle!


Hallöchen Herr Müller, stand in der SMS, die mich letzten Freitag erreichte. Hab die erste Woche nach den Ferien heil überstanden. Hier geht’s immer noch drunter und drüber, schau doch mal wieder rein, ist witzig :) Dienstag, zweite große Pause auf’m Hof, dann Kaffee? Grüße aus dem Irrenhaus! Dein Geierchen

Als ich heute mein Fahrrad am selben Straßenschild vor dem Schulhof anschließe wie früher, weht mir ein süßlich herber Geruch um die Nase. Die Quelle dieses erlesenen Dufts ist ein Kreis Jugendlicher, die in ein paar Metern Entfernung vorm Hoftor stehen und einen stark qualmenden Joint rauchen, den sie im Uhrzeigersinn herumreichen. Unbemerkt beobachte ich die Jungs.

»Iiieeebergutes Zeug!«, schwärmt der Größte von ihnen und zieht ein zweites und ein drittes Mal an der Tüte. Als er erneut ansetzen will, protestieren die anderen lauthals.

»Gebe mal jetz rüber der Gerät, ja?«, pöbelt sein rechtmäßiger Nachfolger ihn an. »Oder hast du Pattex an deine Finger, yalla?«

»Verpiss disch, ihr Geizköpfe!«, verteidigt sich der sportlich gebaute Kerl, der seinen Rucksack über einer Schulter trägt und nun doch noch einmal am Joint zieht. »Sch’abe Deutsch gleisch«, erklärt er beim Ausatmen, »und meine Lehrer er’s krasser escheck, ja?«

»Du meinst diesem Schröder?«, will sein Nachbar wissen.

Der Große nickt, woraufhin ihn die Truppe lauthals auslacht.

»Dann ziehma nochma, Junge!«, ermuntert ihn ein anderer. »Bei Schröder du brauchst die Iiieeeberdosis.«

Bevor ich von ihnen bemerkt und vielleicht als Bedrohung wahrgenommen werde, wende ich mich lieber ab und betrete den Schulhof – meine frühere berufliche Wirkungsstätte. Äußerlich hat sich hier seit meinem Ausstieg nichts verändert: Der Putz bröckelt weiter von der Fassade, die einzigen Farbkleckse in dieser Betonwüste sind nach wie vor ein paar Graffiti und überquellende Mülleimer. Wie früher werden die steinernen Tischtennisplatten nicht zum Spielen genutzt, stattdessen lümmeln die Kids darauf herum und konsumieren kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke und ungekochte Nudelsnacks.

Was sich hier aber sehr wohl geändert hat, ist die Schülerschaft – und zwar so massiv, dass von Kids eigentlich kaum mehr die Rede sein kann. Die Reform, die noch zu meinen Zeiten losgetreten wurde, ist nämlich so tiefgreifend, dass – pädagogisch betrachtet – kein Stein mehr auf dem anderen geblieben ist: Aus einer Grundschule ist eine sogenannte Gemeinschaftsschule geworden, und die endet nun nicht mehr mit der sechsten, sondern mit der zehnten Klasse. Damit reagiert die Politik auf die Ergebnisse der internationalen Bildungsforschung, die in weiten Teilen Europas längst berücksichtigt werden, nur hierzulande (wie so oft) lange ignoriert wurden: Je länger Kinder gemeinsam eine Schule besuchen, je später sie also voneinander separiert werden, desto mehr profitieren sie davon – und zwar sowohl die Leistungsschwachen als auch die Leistungsstarken.

Allerdings will auch ein solch sinnvolles Konzept sorgfältig geplant werden, und nach allem, was ich von Geierchen und meinem ehemaligen Konrektor Alex Springer gehört habe, hat sich die Berliner Senatsverwaltung in Sachen Kurzsichtigkeit und Inkompetenz mal wieder sehr großzügig gezeigt: Die Räumlichkeiten des Gebäudes reichen für die neue Schulform nicht aus, sodass nun allen Jahrgängen die Fachräume fehlen. Im Zuge der sogenannten Inklusion, die einen gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne Lern- und anderen Behinderungen vorsieht, wurde außerdem die benachbarte Sonderschule aufgelöst und all ihre Schülerinnen und Schüler den Klassen der neuen Gemeinschaftsschule zugewiesen – und auch hier wurde eine gute Idee schlecht umgesetzt, denn ohne angemessene Weiterbildung des Lehrpersonals oder ausreichende Unterstützung durch Sonderpädagogen ist das Scheitern einer solchen Aktion vorprogrammiert.

Weil sich solche Dinge natürlich im Bezirk herumsprechen, laufen die Klassen eins bis sechs unter der Leitung meines ehemaligen Konrektors Alex Springer zwar recht stabil, die neuen Klassen sieben bis zehn gelten jedoch – schenkt man Springer und Geier Glauben – als bezirksweites Abstellgleis für schwer vermittelbare Oberschüler und all jene, deren Eltern sich nicht rechtzeitig um eine Alternative gekümmert haben.

Mit diesem Wissen betrete ich das Pflaster, auf dem es in der Vergangenheit für mich schon recht abenteuerlich zuging. Ich stecke die Hände in die Hosentaschen und schlendere über den Hof, wobei mein Lehrerinstinkt sofort zum Leben erwacht und ich meinen alten Arbeitsplatz unwillkürlich nach Auffälligkeiten scanne. Dabei fällt mein Blick auf ein paar Mädels, die Kopf an Kopf im Kreis stehen und kichern. Eine von ihnen bemerkt mich, flüstert den anderen etwas zu, dann starren alle zu mir herüber.

»S’los?«, will die Größte von ihnen wissen. »Kauf dir ma Prosieben, wo du kannst glotzen, ja?!«

»Was, was, was? Kummanischso, du Kartoffel!«, pöbelt eine Kleinere mich an und versteckt sich im Anschluss schnell zwischen den anderen.

Ein drittes Mädchen betrachtet mich eingehend, runzelt die Stirn und lächelt mich dann aus ihrem propperen Gesicht freundlich an, während sie auf mich zu läuft. »Herr Mülla?«, fragt sie vorsichtig. »Kennst du misch noch?«

Erst nach einem Augenblick erkenne ich meine ehemalige Schülerin Melek, die ich gemeinsam mit Geierchen in der damals legendären 6e unterrichtet habe. Nur Sekunden später haben sich die anderen aus der Gruppe wie eine Pinguinfamilie hinter ihr aufgereiht. Teils stark geschminkte und von Kopftüchern eingerahmte Gesichter lugen vorsichtig hinter Meleks etwas rundlichem Körper hervor, ihre Münder verdecken sie beim Tuscheln.

»Wer iss er?«, will ein Mädchen wissen, bei dem nicht nur der Kopf, sondern auch der restliche Körper mit eng anliegenden und aufwendig gesteckten Tüchern umwickelt ist. »Und woher du kennst ihm?«

Ein Raunen geht durch die Menge, als Melek ihre Kameradinnen über meinen ehemaligen Job an deren Schule aufklärt.

Weil ich jetzt sowieso als Lehrer wahrgenommen werde, stelle ich mich den Mädels ganz förmlich vor, verschränke meine Hände hinterm Rücken und lasse gleich mal eine typische Erwachsenenfrage vom Stapel: »Ihr seid doch in der Zehnten, oder?«

Sie nicken.

»Wisst ihr denn schon, was ihr nach der Schule machen wollt?«

»Oha, is noch überlange, ja?«, antwortet die Eingewickelte und entzückt mich dabei mit ihrem jugendlich-optimistischen Zeitgefühl, denn das Schuljahr wird am Ende verdammt schnell vergangen sein. »Ersma wir müssen ein Paraktikon machen. Isch geh Modd’l!«

Entschieden verschränkt sie die Arme vor der Brust und setzt einen Schmollmund auf, die anderen hingegen buhen sie aus.

»Was du gehst Modd’l?«, ruft Melek lachend. »Du kannst nischma Kettwohk!«

Mit leicht gerecktem Kinn stolziert das Mädchen los und setzt auf einer imaginären Linie einen Fuß vor den anderen. Dazu stützt sie eine Hand in die Hüfte, dreht sich nach ein paar Metern schwungvoll um und läuft wieder auf uns zu.

»Eine Modd’l mit Kopftuch«, sagt Melek und verdreht die Augen, »dann du bist Nasenmodd’l, oda was?! Was mit Haare, Brüste, Ahsch und so? Oder, Herr Mülla?«

Ich zucke mit einer Schulter und schiebe die Unterlippe vor.

»S’miregal«, widerspricht nun die angehende Schönheit. »Besser als wie Hartz Vier. Isch geh eh nur Hauptschulabschluss, dann isch soll imma Tschobb-Tzenta sitzen, oda was?« Sie zeigt Melek den Mittelfinger. »Fick disch!«

Stille kehrt ein, dann schiebt sich ein anderes Mädchen in den Vordergrund, das seine langen Locken offen trägt und deutlich dezenter geschminkt ist als die übrigen. Keinen Deut leiser als ihre Vorrednerinnen, dafür aber besser artikuliert, erklärt sie uns, ihr Praktikum bei einer Bank absolvieren zu wollen – einem Arbeitsplatz, von dem sie sich Sicherheit verspreche, auch weil dort immer wieder Mitarbeiter mit türkischen Sprachkenntnissen gesucht würden.

»Laaaaangweilig!« Melek schubst sie freundschaftlich an. »Du kannst doch Modd’l gehen, Samira.«

»Samira?« Ich schaue das Mädchen genauer an. »Krass, du warst doch auch …«

»… in der Züscho-6e, ja.« Sie nickt und lächelt vorsichtig. »Aber isch schreibe schon bald Bewerbung bei der Bank, ja?!«

»Herr Mülla, Herr Mülla, Herr Mülla?« Melek schiebt sich vor Samira. »Wo hast du gemacht dein Praktikum?«

»Ich?« Einen Moment lang muss ich tatsächlich überlegen. »Ach ja: im Kindergarten.«

»Süüüüüüüüß!«, antworten die Mädels im Chor.

»Abboooh, isch gehe auch Kindergarten«, platzt es aus Melek heraus. »Sch’mache ein Ausbildung da, dann iebergute Gehalt, zweitausend, dreitausend, ja?«

»Ohaaaaaaa!«, staunen die anderen im Chor und halten sich die Hände vor die geschminkten Lippen. »Karass viiieeel!«

»Aber brutto, oder?«, frage ich in die Runde.

»Brutto?« Melek zieht eine halbe Oberlippe hoch und dreht ihren Kopf zu mir. »Äääh … Nein, Herr Mülla, es gipps jetzt Euro.«

Und damit wären wir eigentlich auch schon wieder mitten im Unterricht. Weil ich aber nicht mehr der Lehrer der Mädels bin, wechsele ich lieber das Thema und frage, welche meiner ehemaligen Schüler noch diese Schule besuchen.

Gut informiert, wie Melek in Sachen Personalien schon immer war, kann sie mir sogar sagen, wann wer eine Ehrenrunde...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2015
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte Culture Clash • Humor • Humor; Sachbuch • Humor; Schule; Sprache; Jugendsprache; Lehrer; Umgangssprache; Sachbuch • Jugendsprache • Komisch • Lehrer • lustig • lustiges Sachbuch • Sachbuch • Schule • Sprache • Umgangssprache • Unterhaltung • witzig • witzige Bücher
ISBN-10 3-7325-0623-1 / 3732506231
ISBN-13 978-3-7325-0623-1 / 9783732506231
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