Tödliche Oliven (eBook)
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30849-5 (ISBN)
Tom Hillenbrand, studierte Europapolitik, volontierte an der Holtzbrinck-Journalistenschule und war Redakteur bei SPIEGEL ONLINE. Seine Bücher erscheinen in vielen Sprachen, wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet und stehen regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
Tom Hillenbrand, studierte Europapolitik, volontierte an der Holtzbrinck-Journalistenschule und war Redakteur bei SPIEGEL ONLINE. Seine Bücher erscheinen in vielen Sprachen, wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet und stehen regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
3
Fünf Minuten später warf er seine Tasche in den Kofferraum des klapprigen Peugeot-Lieferwagens, der unweit seines Hauses an der Ulrichbrücke parkte. Kieffer stieg ein. Während er den Motor anließ, erhaschte er im Rückspiegel einen Blick auf einen müde wirkenden Mittvierziger. Die halblangen, ungekämmten Haare hingen dem Mann ins Gesicht, und eine Rasur hätte ihm gutgetan. Kieffer setzte den Wagen zurück und drückte das Gaspedal durch. Der Peugeot jaulte, als der Koch ihn die Montée de la Petrusse hinaufjagte.
Als er in der Oberstadt angekommen war, nahm er zunächst den Boulevard, der dem Flusslauf folgend am Rand der Schlucht entlangführte und fädelte sich dann auf die A4 Richtung Esch ein. Er war nicht der Einzige. Die meisten von Kieffers Landsleuten wären nie im Traum auf die Idee gekommen, für eine Fahrt von A nach B die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, wenn man die Strecke auch mit dem Auto absolvieren konnte. Luxemburger liebten Autos, im Vergleich zu ihnen waren die Deutschen in dieser Beziehung geradezu harmlos. Dummerweise besaßen sie jedoch keine sechsspurigen Autobahnen wie die Deutschen, weswegen das Großherzogtum stets am Rande des Verkehrskollapses stand. Ein schwerer Unfall genügte, schon steckte das halbe Land fest.
Heute schaffte es Kieffer immerhin bis Steebrécken, bevor Schluss war. Vor sich konnte er Blaulicht erkennen. Es ging nun nicht einmal mehr im Stop-and-Go voran. Dem Koch entfuhr ein Fluch. Nachdem er sich eine Ducal angezündet hatte, rief er Alessandro an. Es klingelte fünfmal, bevor er die Stimme seines Freundes vernahm.
»Pronto!«
»Morgen, hier ist Xavier«, sagte Kieffer. »Hör zu, ich …«
»Reingefallen! Dies ist nur die Mobilbox von Alessandro Colao. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht. Ciao!«
»Alessandro, hier ist Xavier. Hör zu, ich hab verpennt und steck noch im Stau. Ich bin gleich bei dir, ja?«
Kieffer legte auf. Ihm entfuhr ein weiterer Fluch. Er konnte nur hoffen, dass Alessandro ihn irgendwann zurückrief. Der Weinhändler war in diesen Dingen etwas eigen, neigte zu Kurzschlusshandlungen. Seine Wutanfälle waren schon auf der Schule legendär gewesen. Wenn Alessandro sich ärgerte, zum Beispiel über einen zu spät kommenden Beifahrer, konnte es durchaus sein, dass er einfach allein losfuhr, um dann vermutlich von Luxemburg bis Lucca wütend vor sich hinzuschimpfen, wie man ihm das nur antun konnte.
Etliche Ducal und über eine Stunde später verließ Kieffer die Autobahn. Alessandro hatte sich immer noch nicht gemeldet. Als er endlich vor dem weißgestrichenen Lagerhaus mit den italienischen Flaggen und dem Schriftzug »Weindepot Colao« ankam, war es bereits halb neun. Kieffer parkte, stieg aus und schaute sich um. Das Lagertor war heruntergelassen, Alessandros azurblauer Van war nirgendwo zu sehen.
»Krëtjeftnomol, tu mir das nicht an!«
Er rannte zum Eingang des kleinen Ladengeschäfts, das sich neben der Lagerhalle befand. Es war noch verschlossen. Kieffer kniete sich vor der Tür hin. Links unten fand er, was er suchte. Dort war ein Aufkleber angebracht, auf dem eine Handynummer sowie eine E-Mail-Adresse angegeben waren. Er nahm sein Telefon aus der Tasche, rief Alessandros Handynummer auf und verglich sie mit der auf dem Sticker. Wie er gehofft hatte, war es nicht dieselbe. Während sein Freund für die Auswahl und Beschaffung der Weine und Öle zuständig war, wurde das Organisatorische von seiner Frau Maria gemanagt. Er vermutete, dass es sich bei der Handynummer auf dem Aufkleber um ihre handelte. Einen Versuch war es wert. Er wählte.
»Guten Morgen, Maria Colao.«
»Morgen, hier ist Xavier. Xavier Kieffer.«
»Oh hallo, Xavier? Was gibt’s?«
»Ich stehe gerade vor eurem Laden. Alessandro und ich wollten heute zusammen runterfahren, aber er ist nicht da. Allerdings bin ich auch eine Stunde zu …«
»Oh mein Gott.«
»Maria, was ist los?«
»Ich wusste nicht, dass er mit dir … aber dann wäre er doch nie alleine … ich hab’ solche Angst.« Kieffer konnte hören, wie sie zu schluchzen begann.
»Wann ist er denn weg? Heute Morgen?«
»Nein, schon vor zwei Tagen.« Inzwischen konnte er Maria kaum noch verstehen.
»Ganz ruhig, Maria. Es gibt bestimmt eine einfache Erklärung dafür. Hör zu, ich komme vorbei, bin in zehn Minuten da.«
Sie schniefte. »Okay.« Dann legte sie auf.
Esch-sur-Alzette lag im Süden Luxemburgs, direkt an der Grenze zu Frankreich. Das Haus der Colaos befand sich auf der anderen Seite, in einem unscheinbaren Örtchen namens Audun-le-Tiche. Als Kieffer vor dem geklinkerten Reihenhaus hielt, wartete Maria bereits an der Haustür. Der Koch ging durch den kleinen Vorgarten, vorbei an einer Sandkiste voller Plastikschäufelchen und Eimer.
Ohne etwas zu sagen, bat sie ihn herein und führte ihn ins Wohnzimmer. Dort bedeutete sie Kieffer, sich zu setzen. Er nahm auf einer mauvefarbenen Sofagarnitur Platz. Maria setzte sich ihm gegenüber in einen Sessel, faltete die Hände in ihrem Schoß, stand dann wieder auf.
»Es tut mir leid, ich bin so eine schlechte Gastgeberin – willst du Kaffee?«
»Später. Erzähl mir lieber, was hier los ist.«
Erneut ließ sie sich in den Sessel fallen. »Kann ich … du rauchst, oder?«
Kieffer hielt Maria Ducal und Feuerzeug hin. Mit fahrigen Bewegungen zog sie eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an.
»Er ist Sonntagnachmittag verschwunden, aus heiterem Himmel. Hat gesagt, er müsse dringend nach Pistoia, geschäftlich. Normalerweise sagt er mir so was eine Woche vorher.«
»Aber diesmal nicht.«
»Nein. Er rief mich an, vorgestern, und sagte, er müsse sofort los. Wir haben uns dann am Telefon gestritten. Aber er ließ sich nicht davon abbringen.«
Kieffer nickte nur und musterte sie. Maria war Ende dreißig, haferbleich, mit tiefschwarzem Haar und einer großen, aber interessanten Nase.
»Und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.«
»Hast du ihn angerufen?«
»Natürlich. Aber bei seinem Handy geht keiner ran. Und in der Ölmühle auch nicht. Ich hab auch alle möglichen Bekannten angerufen, Geschäftspartner, Verwandte … nichts.«
Kieffer sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Ihn hatte Maria nicht angerufen, aber das überraschte den Koch nicht. Erstens schien sie nicht gewusst zu haben, dass Alessandro ihn bei dieser Tour mitnehmen wollte. Und zweitens hatten Maria und er nie viel miteinander zu tun gehabt. Alessandro kannte Kieffer seit seiner Kindheit. Sie sahen sich nicht allzu häufig, aber das war auch nicht notwendig – ihre Freundschaft bestand seit über dreißig Jahren und war stark genug. Maria hingegen kannte Kieffer erst seit acht oder neun Jahren. In dieser Zeit hatte er sie höchstens vier- oder fünfmal gesehen.
»Ich habe ihn vorhin auch angerufen«, sagte er.
»Was? Du hast mit ihm gesprochen?«
»Nein, es ging nur der Anrufbeantworter dran.«
Maria konnte ihre Tränen nun nicht mehr zurückhalten. Schluchzer schüttelten ihren ganzen Körper. Kieffer wusste nicht, was er tun sollte. Er war nicht sehr gut in diesen Dingen. In seinem Kopf meinte er Vatanens Stimme zu hören: »Einfach, du Tölpel. Wenn eine Frau weint, nimmst du sie in den Arm.«
Der Koch stand auf, setzte sich auf die Kante des Sessels und legte seinen Arm um Maria. Sie wich nicht zurück, aber viel zu helfen schien es auch nicht.
»Warst du schon bei der Polizei?«, fragte er.
»Ja, aber die haben mich wieder weggeschickt.«
»Wieso?«
»Weil es erst zwei Tage sind.«
Sie räusperte sich. »Kein Verdacht auf hilflose Lage oder Straftat, haben sie gesagt.«
»Wahrscheinlich ist ja auch nichts, vielleicht hat er nur Stress.«
Sie schaute ihn an. »Da ist noch was.«
»Ja?«
»Er war irgendwie anders. Schroff, geheimnistuerisch, so kenne ich ihn überhaupt nicht. Trotz all seiner Wutausbrüche und Macken ist er doch eigentlich der liebste Mensch der Welt.«
»Hat er dir denn gesagt, warum er so dringend in die Toskana muss? Die Olivenernte ist doch schon lange vorbei, oder?«
»Er hat gesagt, er hat einen neuen Kunden in Aussicht. Und wir wären bald alle unsere Sorgen los.«
»Habt ihr Sorgen?«
Sie nickte stumm.
»Geld?«, fragte er.
»Eulenberger.«
Eulenberger war ein neuer Weinhändler, drüben im Saarland. Aus Verbundenheit zu Alessandro hatte Kieffer dort noch nie bestellt. Aber befreundete Gastronomen berichteten immer wieder, das Eulenberger-Depot in Mettlach sei dabei, allen anderen Lieferanten in der Großregion den Rang abzulaufen. Angeblich war der Laden von zwei ehemaligen Unternehmensberatern gegründet worden. Eulenberger besaß nicht nur ein größeres Sortiment als Colao, Müller oder Bruckner. Er war auch billiger und verfügte über ein supermodernes computergestütztes Lagersystem mit selbstfahrenden Gabelstaplern und automatisierten Laufbändern. Dadurch lieferte Eulenberger angeblich schneller als alle anderen. Man konnte seine Weine sogar dauerhaft in Mettlach einlagern und am Abend benötigte Tropfen kurzfristig per Smartphone ordern und liefern lassen. Mit Kieffers uraltem Nokia ging das natürlich nicht, aber er verstand, warum die anderen Weinhändler in der Gegend bei der Erwähnung des Namen stöhnten.
»Nehmen die euch viele Kunden weg?«
Sie zog an ihrer Zigarette. »Fast ein Drittel. Wenn nicht ein Wunder geschieht, sind wir Ende des Jahres pleite.«
»Und Alessandro glaubte, sein neuer Kunde sei dieses Wunder? Hat er mehr darüber...
Erscheint lt. Verlag | 6.11.2014 |
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Reihe/Serie | Die Xavier-Kieffer-Krimis |
Die Xavier-Kieffer-Krimis | |
Die Xavier-Kieffer-Krimis | |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 4. Fall • bittere Schokolade • Die Erfindung des Essens • Drohnenland • Ermittler Koch • Gastroführer Guide Bleu • Gastrokritikerin • Gault Millau • Gefährliche Empfehlungen • Goldenes Gift • Ich bin ein Kunde, holt mich hier raus • Italien • Italien Krimis • Julie Dubois • Kieffer Krimis • Koch • Krimi • Kriminal-Roman • Krimireihe • Krimi-Reihe • Krimis für den Urlaub • Krimis über Essen • Kulinarik • Kulinarisch • Kulinarische Krimis • Letzte Ernte • Luxemburg • Luxemburg Krimis • Michelin • Nicole de Vert • Olivenöl • Regionalkrimi • Reihe • Reise • Rotes Gold • Schlemmerparadies • Schräge Schilder • Sterne-Koch • Sterne-Küche • Sterne-Restaurant-Koch • Teufelsfrucht • Tom Hillenbrand • Tom König • Toskana • Toskana Krimis • Urlaubs-Krimis • Urlaubs-Lektüre • Ville de Luxembourg • Xavier Kieffer • Xavier Kieffer 4 • Xavier Kieffer Band 4 • Xavier Kieffer Reihe • Xavier Kieffer vierter Fall |
ISBN-10 | 3-462-30849-1 / 3462308491 |
ISBN-13 | 978-3-462-30849-5 / 9783462308495 |
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Größe: 2,7 MB
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