Warum die Sache schiefgeht (eBook)
192 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30861-7 (ISBN)
Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, lebt in der Märkischen Schweiz. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Ihre Romane Regenroman (1999), Dies ist kein Liebeslied (2002), Die entführte Prinzessin (2005) und Taxi (2008) waren Bestseller und sind in 14 Sprachen übersetzt. 2011 erschien ihr Selbstversuch Anständig essen, 2014 ihre Streitschrift Warum die Sache schiefgeht. Die Verfilmung ihres Romans Taxi kam 2015 in die Kinos. 2016 sorgte sie mit ihrem Roman Macht für Aufruhr und wurde mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2017) ausgezeichnet. Für ihren Roman Fräulein Nettes kurzer Sommer (2018) wurde Karen Duve mit dem Carl-Amery-Preis, dem Düsseldorfer Literaturpreis und dem Solothurner Literaturpreis ausgezeichnet.
Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, lebt in der Märkischen Schweiz. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Ihre Romane Regenroman (1999), Dies ist kein Liebeslied (2002), Die entführte Prinzessin (2005) und Taxi (2008) waren Bestseller und sind in 14 Sprachen übersetzt. 2011 erschien ihr Selbstversuch Anständig essen, 2014 ihre Streitschrift Warum die Sache schiefgeht. Die Verfilmung ihres Romans Taxi kam 2015 in die Kinos. 2016 sorgte sie mit ihrem Roman Macht für Aufruhr und wurde mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2017) ausgezeichnet. Für ihren Roman Fräulein Nettes kurzer Sommer (2018) wurde Karen Duve mit dem Carl-Amery-Preis, dem Düsseldorfer Literaturpreis und dem Solothurner Literaturpreis ausgezeichnet.
Einleitung
Einige Forscher behaupten, wir könnten nicht anders. Uns bliebe gar nichts übrig, als widerstandslos in den Untergang zu schliddern. Das menschliche Gehirn sei eben nicht dafür ausgelegt, eine langfristige, noch nie da gewesene Katastrophe zu begreifen. Zudem nähre unser weiterhin komfortabler Lebensstil die Illusion, es sei doch eigentlich gar nichts los. Tatsächlich? Sind die Überschwemmungen noch nicht hoch genug, die Stürme nicht verheerend genug gewesen? Stand nicht in allen Zeitungen, dass die 22 wärmsten Jahre seit der Klimadokumentation in der Zeit nach 1980 gemessen worden sind?[1] Hat das etwa keiner mitgekriegt, dass Dörfer im Himalaya wegen Wassermangel durch Gletscherschwund aufgegeben werden müssen, während man überlegt, Dörfer in Italien aufzugeben, weil sie regelmäßig überschwemmt werden? Ist es denn völlig unerheblich, wenn der UN-Klimarat und der Club of Rome mit einer alarmierenden Studie nach der anderen darauf hinweisen, dass das Ausbleiben von konsequenten Maßnahmen – und zwar sofort, jetzt gleich, nicht erst in 20 Jahren! – die Menschheit unweigerlich in eine Katastrophe führen wird?
Wenn wir tatsächlich zu arglos sind, um uns das kommende Szenario auszumalen, warum werden dann inzwischen Reissorten entwickelt, die mehrere Überschwemmungen überstehen und es länger als 2 Wochen unter Wasser aushalten können? Warum plant man um Manhattan Flutschutzzonen mit Fahrradwegen auf Stelzen, warum konstruiert man an den niederländischen Küsten schwimmende Häuser und ganze Siedlungen? Kriegt man es an den Börsen etwa nicht mit, wenn Länder ihren Reis nicht mehr verkaufen, weil sie Angst vor Engpässen haben? Dass China in großem Stil Land in Afrika aufgekauft hat? Oder dass Indien die Grenze zu Bangladesch mit einer 4000 km langen Hochsicherheitsanlage befestigt hat? Offiziell wegen islamistischer Terroristen. Aber wenn im Jahr 2050 10 % der Landfläche Bangladeschs verschwunden sein werden und 5,5 Millionen Direktbetroffene sich aufgemacht haben, eine neue Heimat zu finden, wird dieser Zaun gewiss noch einmal von Nutzen sein. Fällt es denn wirklich niemandem auf, wenn die Tagesschau an 365 Tagen im Jahr Naturkatastrophen meldet, manchmal auch gleich zwei oder drei an einem Tag, und dass dabei immer wieder Superlative verwendet werden: die höchste Überschwemmung seit Beginn der Aufzeichnungen, wärmster Märztag aller Zeiten, schlimmster Sturm seit 60 Jahren, obwohl schon im letzten Jahr und in den Jahren davor laufend neue Wetterrekorde verkündet wurden? Allein 2013 waren es 880 Naturkatastrophen. Versicherungen in Deutschland mussten 7 Milliarden Euro für Schäden durch Sturm, Hagel und Flut ausgeben. In Australien haben bereits mehrere Agenturen angekündigt, für bestimmte Gebiete keine Immobilien-Versicherungen mehr anzubieten. Und die, die es noch tun, verlangen horrende Beiträge. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungen (GDV) warnt seine Mitglieder vor einer Häufung von Wetterkatastrophen, die in den nächsten Jahrzehnten auf sie zukommen. Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC rät, bei langfristigen Investments – zum Beispiel in die Infrastruktur in küstennahe oder niedrig gelegene Regionen – »von pessimistischen Klimaszenarien auszugehen«. Vor allem Branchen mit hoher Abhängigkeit von Wasser und Energie seien damit gut beraten.
Alle, die es wissen wollen, wissen sehr gut, was da auf uns zukommt.
Weiteres Wirtschaftswachstum wird nur noch sehr kurzfristig zu mehr Wohlstand führen, längerfristig aber bloß noch zu mehr Klimaerwärmung, mehr Müll, mehr Hunger, mehr Dürrekatastrophen, mehr Waldbränden und mehr Überschwemmungen. Sehr viel mehr Überschwemmungen. Da sind sich die Wissenschaftler inzwischen einig.
Die Mächtigen und Einflussreichen dieser Welt sind sich ebenfalls einig, und tun – nichts. Vor die Aufgabe gestellt, zwischen dem Überleben der eigenen Spezies und dem Beibehalten des bisherigen Lebensstils zu wählen, haben sie sich für ihre kapitalistischen Kinkerlitzchen und den Untergang entschieden. Ein Wohlstand, der durch Ausbeutung von kolonialisierten Völkern entstanden ist, soll nun durch Generationenimperialismus – also das Weiterleben wie bisher auf Kosten der eigenen Kinder und Kindeskinder – so lange wie irgend möglich aufrechterhalten werden.
Deren Zukunft sieht düster aus: Die moderne Industriegesellschaft mitsamt ihrer Kultur wird untergehen wie das alte Rom, die Han-Dynastie, die indischen Maurya- und Gupta-Dynastien oder das Maya-Reich.[2] Mit der Hochkultur der Mayas ging es bergab, als für die immer zahlreicher werdende Bevölkerung nicht mehr genug Anbaufläche vorhanden war, um alle zu ernähren. Starke Rodungen hatten zu Bodenerosionen geführt, und was noch übrig geblieben war, war ausgelaugt. Zudem hatten die Rodungen vermutlich eine lokale Klimaveränderung mit verheerenden Dürren ausgelöst. Die Menschheit steht heute einer ganz ähnlichen Situation gegenüber. Nur finden die Veränderungen diesmal auf dem gesamten Planeten statt, und zu Überbevölkerung und Ausbeutung der Ressourcen kommen auch noch Umweltverschmutzung, eine perforierte atmosphärische Schutzschicht, Artensterben und eine Klimaerwärmung von nie gekannter Rasanz. 4 bis 6 Grad werden es bis zum Ende des Jahrhunderts sein, wenn wir weitermachen wie bisher. Bis zu einer Erwärmung von 2 Grad über das vorindustrielle Klima-Niveau[3] hinaus könnte man mit den daraus resultierenden Flutkatastrophen, Dürren, Hungersnöten, Tornadoschäden, Gletscherrückgängen, Ressourcenkonflikten und Flüchtlingsströmen möglicherweise und mit viel Glück noch irgendwie zurechtkommen. Das ist der Grund, warum immer wieder auf dieser 2-Grad-Begrenzung herumgeritten wird.
Was bei einer Erwärmung von 4-6 Grad und damit einem Anstieg des Meeresspiegels um über einen halben Meter auf uns zukommt?
Ein Klima wie in der Dampfsauna, falls es nicht gerade stürmt oder eine monatelange Dürre herrscht, das Versiegen von Flüssen, das Verschwinden von Seen, Überflutungen von Millionenstädten, die rasante Ausbreitung ansteckender Krankheiten, die zuvor nur im tropischen Raum existierten, die völlige Überforderung der Katastrophenschutzorganisationen und der ärztlichen Versorgungseinrichtungen, der Kollaps sozialer Strukturen und rechtsstaatlicher Verhältnisse, die Zerstörung von Infrastrukturen und Sicherungssystemen, dramatische Probleme weltweit bei der Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln, Anstieg der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen religiösen, ethnischen und politischen Gruppen, zwischen Clans, Nachbarn, regionalen Banden oder unterschiedlich gut versorgten Bevölkerungsschichten, Mord und Totschlag, Heulen und Zähneklappern. Die Erwärmung um 2 Grad Celsius mit ihren zarten Vorboten der Apokalypse wird dann bereits 2050 eingetreten sein.
In der Tierwelt ist Aussterben nichts Ungewöhnliches. Setzt man in einer Petrischale eine schmutzige Nährlösung an, gedeihen die Bakterien darauf ganz prächtig, vermehren sich und vermehren sich immer weiter, bis sie die ganze Schale füllen. Macht euch die Petrischale untertan! Und dann ist die Nährlösung aufgefressen und die Bakterien gehen allesamt ein. So läuft das. Auch bei größeren Tieren in größeren Habitaten.
Aber gilt das auch für die wunderbar komplexe, soziale und sonderbare Tierart Homo sapiens? Wir formulieren unsere Absichten in Sprache und Schrift, erreichen unsere Ziele mit Autos und befriedigen unsere Wünsche im Internet. Das unterscheidet uns von unseren grunzenden Vettern. Kann unsere Intelligenz, unsere Kultur, unser Wissen uns nicht davor bewahren, den folgenschwersten Fehler unserer Geschichte zu begehen? Anscheinend nicht. Die Erde ist ein gebildeter Stern mit sehr viel Wasserspülung geworden[4], aber davon mal abgesehen und bei Licht betrachtet, sind wir noch immer die alten Affen und unsere moderne Industriegesellschaft ist noch immer eine hierarchisch organisierte Primatengesellschaft, die sich an den jahrtausendealten Schimpansenregeln der Herrschaft und Unterdrückung orientiert. Bestrichen mit der Tünche der Zivilisation, aber letztlich Schimpansenregeln. Das erklärt auch, warum der Ton in den oberen Konzernetagen oft genug noch immer der gleiche ist wie seinerzeit auf den Bäumen.[5]
Man macht schließlich nicht deswegen Karriere, weil man intelligenter, kompetenter oder sozialer als andere ist, sondern weil man gemeiner, gieriger, aggressiver und schamloser ist. Abgesehen davon, dass sich ehrgeizige Egoisten sowieso schon häufiger als andere für Jobs bewerben, die mit Macht und Geld einhergehen, sind die Strukturen und Aufstiegsmuster der gegenwärtigen Politik- und Geschäftswelt solchen Leuten geradezu auf den Leib geschneidert. Personalmanager setzen bei der Einstellung von Trainees zwar immer noch ein Hochschulstudium voraus, aber die Abschlussnote ist längst nicht mehr so wichtig, und welches Fach man denn eigentlich studiert hat, oft sekundär. Selbst das Renommee der besuchten Universität zählt kaum. Ausschlaggebend ist die persönliche Einstellung des Bewerbers, sind Eigenschaften wie Einsatzwille bis zur Selbstaufgabe, Risikobereitschaft, unerschütterliches Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen. Was uns da seit jeher als klassische Unternehmertugend gepriesen wird, würde sich bei genauer Betrachtung aber auch für eine Verbrecherlaufbahn eignen und ist in Wirklichkeit ein Problem. Solange der technische Fortschritt und das...
Erscheint lt. Verlag | 2.10.2014 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Banken • Essay • Gesellschaft • Karen Duve • Katastrophen • Klima-Wandel • Politik-Wirtschaft • Weihnachten mit Thomas Müller • Wohlstand • Zukunft |
ISBN-10 | 3-462-30861-0 / 3462308610 |
ISBN-13 | 978-3-462-30861-7 / 9783462308617 |
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