Brennerova (eBook)
240 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-81329-6 (ISBN)
Wolf Haas wurde 1960 in Maria Alm am Steinernen Meer geboren. Seine Brenner-Krimis erschienen ab 1996 in neun Bänden, zuletzt Müll (2022). Bei Hoffmann und Campe erschienen auch seine Romane Das Wetter vor 15 Jahren, Verteidigung der Missionarsstellung und Junger Mann. Wolf Haas lebt in Wien.
Wolf Haas wurde 1960 in Maria Alm am Steinernen Meer geboren. Seine Brenner-Krimis erschienen ab 1996 in neun Bänden, zuletzt Müll (2022). Bei Hoffmann und Campe erschienen auch seine Romane Das Wetter vor 15 Jahren, Verteidigung der Missionarsstellung und Junger Mann. Wolf Haas lebt in Wien.
Cover
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Über Wolf Haas
Impressum
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Früher hat man gesagt, die Russinnen. Die sind groß und muskulös wie Hammerwerfer, die arbeiten beim Straßenbau, und unter den Achseln haben sie so viele Haare, dass sich noch ein Toupet für ihren Mann ausgehen würde und ein zweites für den ersten Parteisekretär. Da hat man gesagt, Russinnen sind Mannweiber, und wenn sie ihren Diskus werfen, musst du in Deckung gehen, weil Kraft wie ein Traktor aus Minsk oder einer aus Krasnodar oder sogar ein Kirovets aus Leningrad. Dann hat es auf einmal geheißen, die Russinnen, das sind die dünnsten Fotomodelle, die teuersten Nutten, da musst du als Mann schon ein Hochhaus haben, damit sich so eine überhaupt von dir scheiden lässt, am besten mit einem Privatzoo, weil Beine wie eine Giraffe, Taille wie eine Wespe, Augen wie die Biene Maja.
Darüber hat der Nikolaus nachgedacht, während er im Computer die Damen durchgeschaut hat, die einen österreichischen Mann zum Heiraten gesucht haben. Wo liegt da die Wahrheit punkto Russinnen, und gibt es überhaupt eine Wahrheit, quasi Philosophie. Aber interessant. Da war keine einzige Traktorfahrerin dabei, sondern der Nikolaus hätte fast jede genommen, so gut waren die in Schuss.
Geschrieben hat er natürlich nie einer. Er war ja nicht blöd. Obwohl sicher auch Anständige darunter waren, aber man weiß es ja nicht im Vorhinein. Und bevor du zweimal schaust, bist du irgendwo hineingeraten, Verwicklungen und alles. Liest man immer wieder, dass die zuerst recht nett sind, brieflich und alles, da verliebst du dich schon rein brieflich, und dann soll es zum ersten Treffen kommen, und im letzten Moment tauchen sie nicht auf, weil kein Geld für die Reise. Jetzt ich schick dir das Geld für die Reise. Dann freust du dich, dass sie endlich kommt, du bist schon seit Wochen verliebt in sie, womöglich länger, als du je in eine echte Frau verliebt warst, du zählst die Tage, bis deine Olga endlich ankommt, deine Natascha, deine Ivana, du fährst zum Flughafen, und wer ist nicht da? Die Olga. Die Natascha. Die Ivana, vollkommen egal, wenn eine nicht da ist, kann sie heißen, wie sie will, eine Nichtdafrau braucht überhaupt keinen Namen.
Hört man immer wieder, dass so ein armer Depp umsonst auf die Dame gewartet hat, der er das Fahrgeld geschickt hat und womöglich noch Proviantgeld für unterwegs, und drück dir am Flughafen nach der Sicherheitskontrolle noch ein Wasser aus dem Automaten. Dann enttäuscht heim, und dort eine Nachricht. Leider die Tante krank geworden. Kein Geld fürs Krankenhaus. Und siehst du, weil der Nikolaus nicht blöd war, hat er nicht geschrieben, das war komplett ausgeschlossen.
Geschaut natürlich schon. Immer wieder! Und das ist eben das Verhexte am Menschen. Da ist er nicht gescheiter als die Maus, die glaubt, dass sie gescheiter als die Falle ist. Wenn die Maus schon ihre Kolleginnen in der Falle enden gesehen hat, dann denkt sie mit ihrem Maushirn, den Käse möchte ich trotzdem, ich muss es nur geschickter anstellen. Ich muss mehr so seitlich hin, und dann schnappe ich mir den Käse, ohne dass die Falle mich erwischt. Und der Nikolaus hat sich gesagt, ein persönliches Profil ausfüllen kann ich eigentlich schon, nur zur Unterhaltung, was soll da passieren mit dem falschen Namen. Ist sogar absolut korrekt, dass man einen falschen Namen angibt, weil Nickname, und da ist er eben auf die Idee mit dem Nikolaus gekommen, wegen dem Nicknamen. Er hat sich gewundert, dass ihm das nicht früher klar gewesen ist, wie harmlos es dadurch ist. Wahrscheinlich schreibt mir sowieso keine. Und wenn, bin ich immer noch unter dem falschen Namen.
Jetzt was schreibt man da am besten? Da stellen sich ja grundlegende Fragen, soll ich mich jünger machen, soll ich mich reicher machen, soll ich mich interessanter machen, soll ich gleich falsche Versprechungen machen oder erst später, falls es ernst wird. Ernst werden im rein spielerischen Sinn natürlich. Weil ernst nehmen muss man es, auch wenn man weiß, dass man sich nie mit einer treffen wird.
Seine Überlegungen haben ihn noch misstrauischer gemacht, als er sowieso schon war. Weil er hat sich gesagt, wenn schon ich, als von Grund auf ehrlicher Charakter, solche Gedanken habe, dann womöglich die Russinnen auch solche Einfälle. Die machen sich vielleicht auch jünger, interessanter und und und. Bei den Fotos kann man sowieso nie ganz sicher sein. Und hinter den Fotomodellfotos womöglich Wahrheit: Kugelstoßerin! Hammerwerferin! Straßenwalzenfahrerin! Jetzt hat er das Profilausfüllen aufgegeben, bevor er richtig angefangen hat, weil Verstand eingeschaltet. In letzter Sekunde.
Ein paar Tage ist er mit seinem Verstand gut ausgekommen, aber dann ist ihm doch wieder langweilig geworden. Und wieder die Fotos. Wieder die Träume. Wie wäre es mit der, und wie wäre es mit der. Viel zu jung sollte sie auch nicht sein, weil es soll auch irgendwie zusammenpassen. Zu alt auch nicht, weil. Falls das Alter überhaupt stimmt. Im Grunde darfst du da keiner einzigen Angabe trauen. Er hat sich aber gesagt, man kann es schon ein bisschen am Inseratentext erkennen, ob es eine ehrlich meint oder nicht. Weil wozu bin ich neunzehn Jahre bei der Polizei gewesen? Wozu habe ich bei der Kripo Verhörtechnik studiert? Da hat der Nikolaus sich gesagt, wenn es einer einschätzen kann, ob eine lügt oder nicht, dann ich.
Jetzt ist er die Fotos noch einmal durchgegangen, aber nicht mehr mit dem privaten Blick, sondern mit dem polizeilichen, quasi Fahndungscomputer. Schuldig oder nicht schuldig, da hast du ja als Kripomann gleich so ein Gefühl bei der Liebe. Dann gibt es welche, die wirken ehrlich, aber das sind oft die Gefährlichsten, und ein Schuldiger wirkt vielleicht sympathischer als ein Unschuldiger, das ist eine Wissenschaft, da musst du jedes kleinste Zeichen in die Rechnung mit aufnehmen. Und letzten Endes kannst du es nicht lernen. Letzten Endes Gespür, das sagt dir jeder, der eine Ahnung hat.
Natürlich musst du wahnsinnig aufpassen, dass dir nicht die Sympathie in die Quere kommt. Pass auf, was ich dir sage. Lass dir von keinem Kripomann erzählen, dass ihm die Sympathie noch nie in die Quere gekommen ist. Alles gelogen! Weil mit dem einen sympathisierst du, mit dem anderen sympathisierst du nicht. Da musst du dich bei der Polizeiarbeit immer wieder zurückpfeifen. Hauptgefahr Sympathie! Das ist genau wie bei der Partnerwahl. Jetzt hat der Nikolaus sich bei der Fotosichtung zu einer extremen Objektivität gezwungen. Verbrecheralbum nichts dagegen. Am Schluss hat er zehn in der engeren Auswahl gehabt. Die ehrlich geklungen haben. Gut aussehend auch natürlich. Bis zu einem gewissen Grad. Du musst es aufnehmen in die Rechnung, aber du darfst dich nicht blenden lassen.
Für das Ausfüllen hat der Nikolaus wahnsinnig lange gebraucht, weil natürlich noch ohne Computer aufgewachsen. Eine Zeit lang hat es so ausgeschaut, als würde er es überhaupt nicht mehr lernen. Und ehrlich gesagt, alles, was über das Ein- und Ausschalten hinausgegangen ist, immer noch mit viel Überlegung verbunden. Aber am längsten nachgedacht hat er beim Passwort. Soll ich jetzt Puntigam nehmen, weil Heimat immer gutes Passwort, oder soll ich Kriminalpolizei nehmen? Über solche Sachen, die vollkommen egal waren, hat der oft lange nachdenken können, wo jeder andere sagt, Nikolaus, da nehme ich Krampus als Passwort, das vergesse ich nicht. Aber er war nicht so ein Typ, der so gedacht hat, weil mehr der unberechenbare Typ, jetzt hat er Brennerova als Passwort genommen, weil er hat sich vorgestellt, dass so eine hübsche Russin Brennerova heißen würde, wenn sie ihn heiratet.
Vielleicht hat die Sache mit dem falschen Namen bei ihm ein Heimweh nach seinem richtigen Namen ausgelöst, weil auffällig ist es schon, dass der ihn schon beim Passwort wieder eingeholt hat. Das menschliche Ich ist ja etwas Hartnäckiges, das lässt sich nicht gern ausradieren. Ich sage zwar immer, aus einer gewissen Entfernung sind alle gleich, da ist einer wie der andere und muss sich keiner so viel auf sein bisschen Ich einbilden. Aber das gilt nur aus einer gewissen Entfernung, und zu sich selber hat niemand die gewisse Entfernung. Schau dir nur einmal den Brenner beim Ausfüllen seines Profils an. Gegen die Frage nach seinem Beruf war das Passwortfinden ein Kinderspiel. Wenn die Leute bei ihrer echten Berufswahl so viel überlegen würden wie der Brenner bei der Frage, welchen Beruf er auf der Russinnenseite angeben soll, hätten wir alle miteinander ein viel besseres Leben, frage nicht. Soll ich jetzt Kriminalpolizist schreiben oder Detektiv oder Frührentner? Oder soll ich schreiben, Kriminalpolizist in Ruhe? Oder: Detektiv in Ruhe? Darüber hat er ewig nachgedacht. Oder soll ich überhaupt schreiben, Bundesbeamter in Ruhe? Das gibt der Russin am meisten Sicherheit, hat er überlegt. Aber auch ein falsches Bild von mir. Und eine, die den Beamten in Ruhe sucht, ist vielleicht nicht so vital wie eine, die einen Kriminalpolizisten sucht. Jetzt ist er so ins Überlegen hineingekommen, dass er einen wichtigen Punkt ganz übersehen hat. Der Akku ist ausgegangen, und ohne Vorwarnung alles gelöscht.
Das hat ihn so geärgert, dass er spazieren gegangen ist. Und dann natürlich Realitätsschock doppelt und dreifach. Das ist ihm schon ein bisschen wie die Strafe vorgekommen für seine Russinnen. Weil manchmal geht es wirklich verflucht blöd her. Pass auf. Ausgerechnet bei diesem Spaziergang ist ihm die Herta begegnet. Zum ersten Mal seit einem halben Jahr! Aber da möchte man schon auch fast an das Unbewusste glauben. Sonst ist der Brenner immer extra einen Umweg gegangen, nur weil er gewusst hat, hier geht die Herta einmal pro Tag zu ihrer Vollkornbäckerei, und lieber nicht das geringste Risiko eingehen. Und heute ein einziges Mal unvorsichtig, und schon kommt die Herta daher.
Sie ist aber genauso...
Erscheint lt. Verlag | 28.8.2014 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Brenner Reihe • Detektiv • Ermittlung • Hard-boiled • Krimi • Kriminalfall • Kriminalroman • Krimireihe • Krimis • Krimiserie • Menschenhandel • Österreich • Privatdetektiv • Regionalkrimi • Spannungsroman • Verbrechen |
ISBN-10 | 3-455-81329-1 / 3455813291 |
ISBN-13 | 978-3-455-81329-6 / 9783455813296 |
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