Ein Held unserer Zeit (eBook)

Roman
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2014 | 1. Auflage
209 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-73913-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Held unserer Zeit - Michail Lermontow
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Langeweile und Lebensüberdruss prägen das Leben des adligen Offiziers und Lebemanns Petschorin. Längst hat er die edlen Ideale Anstand, Ehre und Aufrichtigkeit aufgegeben und treibt ein leichtfertiges und intrigantes Spiel mit der Liebe der Tscherkessin Bela und mit der Zuneigung der Petersburger Prinzessin Mary. Zu wahrem Gefühl scheint er unfähig ... 1841 erschien Michail Lermontows einziges vollendetes Prosawerk »Ein Held unserer Zeit«. Petschorin ist der Inbegriff des 'überflüssigen Menschen', dem wir später in den Werken von Tolstoj, Dostojewski, Turgenjew und Gontscharow wiederbegegnen. Lermontow zählt mit diesem Roman zu den Begründern des großen russischen realistischen Romans.

<p>Michail Lermontow, geboren am 15. Oktober 1814 in Moskau, ist neben Puschkin der wichtigste Vertreter der russischen Romantik. Seine Lyrik ist stark von Byron beeinflusst. <em>Ein Held unserer Zeit</em> ist sein einziges vollendetes Prosawerk und der erste gro&szlig;e russische realistische Roman. Lermontow starb am 27. Juli 1841 im Duell in Pjatigorsk.</p>

Bela


Ich reiste von Tiflis aus mit der Post. Das ganze Gepäck auf dem kleinen Wagen bestand aus einem einzigen, nicht sehr großen Koffer, der zur Hälfte mit Reisenotizen über Georgien angefüllt war. Ein großer Teil davon ist, zu Ihrem Glück, verlorengegangen, aber der Koffer mit den übrigen Sachen blieb, zu meinem Glück, unversehrt.

Die Sonne versank schon hinter den verschneiten Gipfeln, als ich das Koischaur-Tal erreichte. Der Fuhrmann, ein Ossete, trieb unablässig die Pferde an, weil er noch vor Anbruch der Nacht auf den Gipfel des Koischaur gelangen wollte, und sang aus vollem Halse. Ein herrliches Fleckchen Erde ist dieses Tal! Ringsum unbezwingbare Berge, rötliche Felsen, die Efeu umrankt und Platanen krönen, gelbe Abhänge, von Rinnen durchfurcht, die das Wasser wusch, und hoch oben der goldene Saum des Schnees; unten aber die Aragwa, die wie eine Schlangenhaut glitzert und sich wie ein Silberfaden dahinzieht, nachdem sie ein anderes, namenloses Flüßchen umarmt hat, das tosend aus einer schwarzen, nebelwogenden Schlucht hervorbricht.

Am Fuße des Koischaur hielten wir vor einem Gasthaus. Hier drängten sich lärmend an die zwanzig Georgier und Gebirgsbewohner; in der Nähe richtete sich eine Kamelkarawane für die Nacht ein.

Ich mußte mir Ochsen mieten, um mit meinem Wagen auf den verdammten Berg hinaufzukommen, denn es war schon Herbst, die Straßen waren vereist, und dieser Berg ist rund zwei Werst hoch.

Ich mietete mir also sechs Ochsen und mehrere Osseten. Was blieb mir anderes übrig? Der eine lud sich meinen Koffer auf die Schulter, die anderen halfen beinahe nur durch Geschrei den Ochsen.

Mir folgte ein Wagen, der mühelos von vier Ochsen gezogen wurde, obwohl er bis oben hin beladen war. Das wunderte mich. Der Mann, dem der Wagen gehörte, ging hinterher und rauchte eine kleine, mit Silber beschlagene Kabardinerpfeife. Er trug einen Offiziersrock ohne Epauletten und eine tscherkessische Fellmütze. Er schien fünfzig Jahre alt zu sein; die Bräune seines Gesichts bewies, daß es schon lange mit der Sonne des Kaukasus bekannt war, und der vorzeitig ergraute Schnurrbart paßte nicht zu seinem festen Gang und seinem frischen Aussehen. Ich trat zu ihm und verbeugte mich; er dankte schweigend und stieß eine mächtige Rauchwolke aus.

»Wir sind anscheinend Weggenossen?«

Er verbeugte sich abermals schweigend.

»Sie fahren gewiß nach Stawropol?«

»Ganz recht … dienstlich.«

»Sagen Sie bitte, wie kommt es, daß Ihr schwerer Wagen spielend von vier Ochsen gezogen wird, während meinen leeren sechs Ochsen mit Hilfe dieser Osseten kaum vom Fleck bringen?«

Er lächelte verschmitzt und sah mich bedeutsam an.

»Sie sind sicherlich noch nicht lange im Kaukasus?«

»Ungefähr ein Jahr«, antwortete ich. »Wieso?«

Er lächelte wieder.

»Nur so, abscheuliche Bestien sind diese Asiaten! Denken Sie, die helfen, weil sie schreien? Weiß der Teufel, was sie da grölen. Die Ochsen verstehen es; Sie können getrost zwanzig vorspannen, sobald die losschreien, rühren sich die Ochsen nicht von der Stelle. Schreckliche Gauner sind das! Aber was kann man gegen sie ausrichten? Ziehen den Reisenden gern das Geld aus der Tasche … Die Strolche sind verwöhnt. Sie werden sehen, die lassen sich von Ihnen Trinkgeld geben. Ich kenne sie, mir machen sie nichts vor.«

»Tun Sie hier schon lange Dienst?«

»Ja, ich habe schon unter Alexej Petrowitsch[1] hier gedient«, antwortete er und richtete sich würdevoll auf. »Als er in mein Linienbataillon kam, war ich Unterleutnant«, fügte er hinzu, »unter ihm bin ich zweimal für Kämpfe mit den Gebirgsbewohnern befördert worden.«

»Und wo sind Sie jetzt?«

»Jetzt stehe ich beim dritten Linienbataillon. Und Sie, wenn ich fragen darf?«

Ich sagte es ihm.

Damit endete die Unterhaltung, und wir setzten schweigend nebeneinander den Weg fort. Auf dem Gipfel des Berges lag Schnee. Die Sonne ging unter, und die Nacht folgte jäh dem Tag, wie das im Süden ist, aber dank dem Glitzern des Schnees konnten wir die Straße leicht erkennen, die zwar immer noch bergauf ging, aber nicht mehr so steil war. Ich ließ den Koffer in meinen Wagen legen, für die Ochsen Pferde einspannen und blickte ein letztes Mal zurück ins Tal – doch der dichte Nebel, der in Wellen aus den Felsspalten quoll, verhüllte es ganz, und kein Laut erreichte von dorther unser Ohr. Die Osseten umringten mich lärmend und verlangten ein Trinkgeld; der Stabskapitän schrie sie jedoch drohend an, daß sie sogleich das Weite suchten.

»Das ist ein Volk«, sagte er, »kann nicht einmal Brot auf russisch sagen. Offizier, gib Trinkgeld! – das haben sie gelernt. Da sind mir die Tataren lieber, die trinken wenigstens nicht.«

Bis zur Station war es noch ungefähr eine Werst. Ringsum war es still, so still, daß man am Gesumm einer Mücke ihren Flug bestimmten konnte. Linker Hand gähnte eine dunkle Schlucht, dahinter und vor uns zeichneten sich, wie von Runzeln durchzogen, mit Schnee bedeckt, die dunkelblauen Gipfel der Berge am bleichen Horizont ab, an dem der letzte Widerschein der Abendröte verglomm. Am dunklen Himmel leuchteten nacheinander die Sterne auf, und seltsam, es kam mir so vor, als stünden sie bedeutend höher als bei uns im Norden. Zu beiden Seiten der Straße ragten nackte schwarze Steine auf; hier und da lugten kleine Sträucher unter dem Schnee hervor, aber kein einziges trockenes Blatt regte sich, und es tat wohl, in diesem Totenschlaf der Natur das Schnauben der müden Postpferde und das launische Geklingel des russischen Glöckchens zu hören.

»Morgen wird herrliches Wetter«, sagte ich.

Der Stabskapitän antwortete nicht, sondern wies mit dem Finger auf den hohen Berg vor uns.

»Was ist das?« fragte ich.

»Der Gud.«

»Na und?«

»Sehen Sie, wie er raucht.«

In der Tat, der Gud rauchte; duftige Wolkenzeilen erklommen zu beiden Seiten seinen Gipfel, auf dem eine schwarze Wolke lagerte; sie war so schwarz, daß sie an dem dunklen Himmel wie ein Fleck wirkte.

Schon erkannten wir die Poststation, die Dächer der sie umgebenden Sakljas, und vor uns schimmerten anheimelnde Lichter, als uns plötzlich ein feuchter und kalter Wind entgegenschlug, die Schlucht begann zu tosen, und es nieselte. Ich hatte mir kaum meine Burka umgehängt, da schneite es. Ich blickte den Stabskapitän ehrfürchtig an.

»Wir müssen hier übernachten«, sagte er mürrisch. »Bei solch einem Schneetreiben kommt man nicht über die Berge. – Sind am Krestowaja schon Lawinen niedergegangen?« fragte er einen Fuhrmann.

»Noch nicht, Herr«, antwortete der Ossete, »aber es hängen viele, viele.«

Da es auf der Station keine Zimmer für Reisende gab, wurde uns ein Nachtquartier in einer rauchigen Saklja zugewiesen. Ich lud meinen Weggenossen zu einem Glas Tee ein, denn ich hatte einen gußeisernen Teekessel bei mir – mein einziges Vergnügen auf den Kaukasusreisen.

Die Saklja klebte mit der einen Seite an einer Felswand; drei glitschige, feuchte Stufen führten zu ihrer Tür. Ich tastete mich hinein und stieß auf eine Kuh (diese Leute benutzen den Stall als Gesindestube). Ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte. Hier blökten Schafe, da knurrte ein Hund. Zum Glück schimmerte in einer Ecke ein mattes Licht und half mir eine zweite türähnliche Öffnung zu finden. Dort bot sich mir ein sonderbares Bild: Die geräumige Saklja, deren Dach auf zwei verrußten Pfählen ruhte, war voller Menschen. In der Mitte knisterte auf der nackten Erde ein kleines Feuer, und der Rauch, den der Wind durch die Öffnung im Dach zurückblies, legte über alles einen so dichten Schleier, daß es lange dauerte, bis ich etwas erkennen konnte; am Feuer saßen zwei alte Frauen, viele Kinder und ein hagerer Georgier, alle in Lumpen. Es blieb uns nichts anderes übrig, als uns ans Feuer zu setzen; wir zündeten unsere Pfeifen an, und bald begann der Teekessel anheimelnd zu summen.

»Bedauernswerte Menschen!« sagte ich zu dem Stabskapitän, und dabei wies ich auf unsere schmutzigen Gastgeber, die uns stumm und starr ansahen.

»Ein strohdummes Volk«, antwortete er. »Glauben Sie mir, die können nichts, sind keinerlei Bildung fähig! Unsere Kabardiner und Tschetschenzen sind zwar Räuber und Taugenichtse, aber tollkühne Burschen. Diese hier haben aber nicht einmal an einer Waffe Freude, kein einziger trägt einen ordentlichen Dolch. Es sind eben richtige Osseten!«

»Sind Sie lange in der Tschetschnja gewesen?«

»Ja, ich habe zehn Jahre mit einer Kompanie in der Festung gelegen. Bei Kamenny Brod. Kennen Sie die Gegend?«

»Ich habe davon gehört.«

»Wissen Sie, mein Lieber, wir haben genug von diesen Galgenvögeln; heute geht es ja, Gott sei Dank, friedlicher zu. Aber damals – man brauchte sich nur hundert Schritt vom Wall zu entfernen, schon lag irgendwo so ein zottiger Satan auf der Lauer. Wenn man nicht aufpaßte, hatte man eins, zwei, drei entweder die Fangschlinge um den Hals oder eine Kugel im Rücken. Wüste Burschen!«

»Sie haben wohl so mancherlei erlebt?« fragte ich, von Neugier gepackt.

»Und ob! Eine ganze Menge …«

Er zupfte an der linken Schnurrbartspitze, senkte den Kopf und wurde nachdenklich. Ich hätte ihm schrecklich gern eine kleine Geschichte entlockt – ein Wunsch, den alle reisenden und schreibenden Menschen hegen. Unterdessen war der Tee fertig, ich holte zwei Feldbecher aus dem Koffer, schenkte ein und stellte einen vor ihn hin. Er nahm einen Schluck und sagte, als spräche er mit sich selber: »Ja, eine ganze Menge …« Dieser Ausruf erweckte in mir...

Erscheint lt. Verlag 15.9.2014
Übersetzer Günther Stein
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Erzählung • Geschichte • insel taschenbuch 4329 • IT 4329 • IT4329 • Romane • Russland • Russland, Geschichte
ISBN-10 3-458-73913-0 / 3458739130
ISBN-13 978-3-458-73913-5 / 9783458739135
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