Die Lügen jener Nacht (eBook)

Roman
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2014 | 1. Auflage
448 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-42544-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Lügen jener Nacht -  Judith Merchant
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Als sie zur Hochzeit ihrer Studienfreundin geladen wird, ist Mimi skeptisch - hat sie doch den Kontakt lange sträflich vernachlässigt. Doch unerwartet herzlich wird sie im alten Bonner Freundinnenkreis aufgenommen, und spätestens nach der Junggesellinnenparty im nächtlichen Römerbad ist es, als sei sie nie fortgewesen. Am Hochzeitsmorgen aber bringt ein entsetzlicher Todesfall alles ins Wanken. Misstrauen kriecht in die eingeschworene Gruppe, und langsam beschleicht Mimi ein furchtbarer Verdacht: Hat man sie nur zur Hochzeit eingeladen, um ihr einen Mord in die Schuhe zu schieben?

Judith Merchant studierte Literaturwissenschaft und unterrichtet heute Creative Writing an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Für ihre Kurzgeschichten wurde sie zweimal mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Nach der Veröffentlichung ihrer Rheinkrimi-Serie (»Nibelungenmord«, »Loreley singt nicht mehr«, »Rapunzelgrab«) zog Judith Merchant von der Idylle in die Großstadt. 2019 erschien ihr Thriller »ATME!« und wurde zum Bestseller, 2021 folgte »SCHWEIG!«.

Judith Merchant studierte Literaturwissenschaft und unterrichtet heute Creative Writing an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Für ihre Kurzgeschichten wurde sie zweimal mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Nach der Veröffentlichung ihrer Rheinkrimi-Serie (darunter »Nibelungenmord« und »Loreley singt nicht mehr«) zog Judith Merchant von der Idylle in die Großstadt. 2019 erschien ihr Thriller »ATME!«.

Zwei Wochen davor


Der Anruf kam an einem Dienstag.

Noch vor dem Anruf war der Brief gekommen, und lange Zeit sollte ich denken, dass es der Brief war, der mein Leben auf den Kopf stellte, und dass der Anruf nur eine unbedeutende, zufällige Begebenheit war.

Dabei war es genau umgekehrt.

Seit Tagen hatte ich gewusst, dass der Brief kommen würde. »Ich habe dir einen Brief geschrieben«, hatte Douglas gesagt. »Da steht alles drin. Ruf nicht mehr an. Ruf bitte, bitte nicht mehr an.« Hatte er wirklich so oft »bitte« gesagt? Ich glaube schon.

Aber das macht jetzt keinen Unterschied mehr.

Seit der Ankündigung seines Briefes hatte ich das Haus nicht mehr verlassen. Der Postbote kam gegen zwei. Durchs Fenster sah ich ihn kommen, ich hörte das Klappern im Kasten, und ich wusste, ich musste ihn holen und dann öffnen und lesen. Das tat ich auch.

Danach setzte ich mich mit fliegendem Herzen und zittrigen Fingern aufs Sofa und versuchte, ruhig zu bleiben. Ich starrte aus dem Fenster, auf die grauen Sandsteinfassaden Edinburghs, zwischen denen ich den Rest meines Lebens hatte verbringen wollen, zusammen mit dem Schotten, der mich hierhergelockt und dann verlassen hatte.

Für immer, wie ich seit zehn Minuten wusste. Und zwar für eine andere.

Ich hatte gespürt, dass da irgendetwas war. Etwas, wohlgemerkt. Es hätte eine Erkältung sein können, ein körperliches Unwohlsein, das uns für einige Wochen voneinander entfernte und dazu führte, dass Douglas sich abends nicht mehr zu mir aufs Sofa setzte, sondern an seinen Computer verschwand. Stress auf der Arbeit wäre auch denkbar gewesen. Wenn man Stress hat, ist man nicht so freigiebig mit körperlichen Zuwendungen, man hört schon einmal weg, wenn der andere etwas sagt, oder man verlässt das Zimmer, wenn er sich umzieht.

Ich wünschte, es wäre Stress gewesen oder die Erkältung. Ich wünschte, ich müsste nicht in dieser Stadt sitzen und überlegen, was ich tun sollte mit dem Rest meines Lebens. Vor allem wünschte ich, ich hätte etwas geahnt, etwas unternommen, aber ich war ahnungslos gewesen, arglos, und deswegen hatte ich nichts unternehmen können, um abzuwenden, was jetzt auf mich zukam.

Natürlich kannst du bleiben, bis du eine neue Wohnung gefunden hast. Ich ziehe solange in ein Bed and Breakfast.

Höchstwahrscheinlich war das mit dem Bed and Breakfast eine diplomatische Lüge. Höchstwahrscheinlich zog er zu ihr.

Ich hatte sie sogar gesehen. Am Dienstag vor vier Wochen hatte ich ihn vom Institut abgeholt. Da war sie uns entgegengekommen, eigentlich sah sie ganz nett aus, und mir waren ihre roten Backen aufgefallen. »Wer war denn das?«, hatte ich gefragt, die beiden hatten einander gegrüßt und waren dann hastig weitergegangen, ich hatte aber gespürt, wie ihr Blick förmlich an mir klebte, es war kein unfreundlicher Blick, eher ein neugieriger. Vielleicht war damals schon alles zu meinen Ungunsten entschieden gewesen, vielleicht aber hätte ich den Lauf der Dinge ändern können, wenn ich ein wenig aufmerksamer gewesen wäre, wenn mir etwas aufgefallen wäre. Immerhin war Douglas mit mir zusammen nach Hause gegangen an diesem Abend, in unser gemeinsames Zuhause.

Damals.

Ich goss mir eine Tasse Tee ein, gab Milch und Zucker dazu und öffnete die Terrassentür.

Der Garten, der zu unserem Haus gehörte, war ein grünes Paradies. Die Lichtverhältnisse waren optimal, zwar ließen die Mauern links nur wenig Sonne in den Garten fallen, doch ich hatte den rechten Teil erhöht. Was auch immer die schottische Sonne hergab, es landete hier. Es war mir gelungen, aus dem kleinen Fleckchen etwas ganz Besonderes zu machen. Viele verschiedene Pflanzen und Kräuter, die ich im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte, fühlten sich wohl hier. Für Mittelmeerkräuter reichte das Licht zwar nicht, aber ich zog ohnehin nichts, was für die Küche gedacht war. Mein Garten war ein Heilkräutergarten. Manche würden sagen: ein Giftkräutergarten. Herzgespann, Stechapfel und Hopfen, ja sogar Fingerhut gedieh auf der sonnigeren Seite, und für viele Tee- und Heilpflanzen war das feuchte Halbdunkel linkerhand ideal. Waldehrenpreis, Zitronenmyrte, Anis-Ysop und Helmkraut wuchsen hier, gebändigt von akkuraten Gittern aus Buchsbaum. Oft hatte ich mir gewünscht, dass meine Tante den Garten sehen könnte. Es hätte sie sicher stolz gemacht zu sehen, dass ihre einzige Nichte ihre Begeisterung für Pflanzen teilte. Aber sie war seit langem tot. Gegen den Krebs hatten selbst all ihre Heilkräuter nicht helfen können.

Vorsichtig streichelte ich die Blätter der Alraune. Sie war mein Liebling. Douglas scherzte gern, sie sei meine beste Freundin.

Mandragora autumnalis. Galgenmännchen. Sie war nicht leicht zu kultivieren, aber hier wuchs sie still und zufrieden, obwohl ich ihr in meiner überschäumenden Liebe mehr zumutete, als einer Pflanze normalerweise guttat. Manchmal konnte ich mich nicht zügeln und grub sie vorsichtig aus, um ihre knorrigen kleinen Wurzelglieder zu betasten und ihren Wuchs zu bewundern, der dem einer verwachsenen Puppe glich.

»Du gehörst in ein anderes Jahrhundert, Mimi, jemand wie du sollte einen Klostergarten leiten und nicht hinter der Theke stehen.«

»Ich glaube nicht, dass ich eine gute Äbtissin geworden wäre.«

»Ich glaube schon«, sagte Douglas mit zuckendem Mundwinkel, er öffnete seinen Gürtel, und es gab ein sirrendes Geräusch, als der Gürtel durch die Schlaufen rutschte, »und jetzt komm her, ehrenwerte Äbtissin, und ich zeige dir, was Bruder Adson unter seiner Kutte versteckt.«

Meine Fingerspitzen wühlten die Erde auf, ließen aber die Alraune unbehelligt. Sie würde bald blühen, da brauchte sie Schonung. Stattdessen wandte ich mich einer krautigen Pflanze mit niedrigem Wuchs und gelben Blüten zu.

Johanniskraut, du tapferer Kämpfer gegen Trübsinn und schwarze Gedanken! Ich ritzte vorsichtig in eines der gelben Blütenblätter und sah zu, wie mein Finger mit dem roten Herzblut der Pflanze benetzt wurde. Ein Tee aus den Blättern, dreimal am Tag getrunken, würde meine Stimmung nach etwa sechs Wochen heben. Warum trank ich ihn nicht?

Ich kannte die Antwort. Es war nicht meine Stimmung, an der ich etwas ändern wollte, sondern es waren die Umstände. Und an denen konnte kein Kraut der Welt etwas ändern.

Und plötzlich war er da, der Gedanke an Mord. Nein, es war mehr als ein Gedanke – Gedanken wehen dich an, streifen dich, ziehen dann vorbei. Ich aber erwog tatsächlich das Für und Wider.

Vielleicht kam es daher, dass mein Blick am trockenen Hüllblatt des Aronstabs hängenblieb, das den phallischen, mit Früchten besetzten Kolben verbarg.

Aronstab. Arum maculatum. Alle Teile der Pflanze waren giftig. Tödlich giftig, wenn ich entsprechend dosierte. Am ehesten würde Douglas’ Freundin vermutlich die leicht süßlichen roten Beeren schlucken …

Den meisten Menschen erscheint Mord zu kompliziert und zu brutal, etwas, das in einer Parallelwelt geschieht, in der andere Menschen mit anderen Sorgen leben, Menschen mit Pistolen, die bei Nacht durch Tiefgaragen hetzen und Schüsse abfeuern. Dabei muss Mord weder kompliziert noch brutal sein, dachte ich und zupfte am ausladenden Blatt des Aronstabs.

Den meisten Menschen fehlen schlicht und einfach meine Kenntnisse und mein Garten. Sie wissen nicht, wie leicht es ist, jemanden umzubringen. Sie wissen nicht, wie trügerisch viele Vergiftungssymptome normalen Erkrankungen ähneln. Man muss sein Opfer natürlich genau kennen. Wie leicht ist es, ein ohnehin instabiles Herz mit einer Dosis Digitalis – einige Fetzen Fingerhut, gemischt unter den Salat oder eine beliebige Mahlzeit – aus dem Tritt zu bringen. Es gibt keine Mordwaffe, die einen verraten kann, keine Fingerabdrücke, keinen Apotheker, der sich an verdächtige Einkäufe erinnert. Eigentlich war es sehr einfach. Viel zu einfach …

Mir schwindelte ein wenig.

Konnte es so einfach sein? Nein, dachte ich. Ich hatte Kräuter für jede erdenkliche Gelegenheit, aber das Zauberkraut, das mir Douglas zurückbrachte, das gab es nicht.

Als das Telefon schrillte, zuckte ich zusammen. Douglas! Mit wenigen Schritten war ich am Apparat.

»Ja?«

Als ich den Hörer gegen das Ohr presste, registrierte mein Hirn mit einiger Verzögerung, dass die Nummer auf dem Display aus Deutschland kam.

»Hier ist Simone Wahl. Bist du das, Mimi?«

Im ersten Moment wusste ich gar nichts anzufangen mit dem Namen. Simone wer?

»Hallo«, sagte ich. »Ja, ich bin es.«

Ein Seufzen. »Mensch, Mimi! Dass ich dich tatsächlich erreiche! Die Nummer hat mir deine Mutter gegeben, ich hatte nur deine Adresse. Ich rufe wegen der Hochzeit an, wir haben immer noch nichts von dir gehört. Und da dachte ich, suche ich mal die Nummer und … Du kommst doch?«

In meinem Kopf war leerer Schwindel.

»Hochzeit«, wiederholte ich. Simone. Natürlich, Simone. Damals im Studium hatte es eine Simone gegeben, und dann war vor einigen Monaten ein Brief gekommen …

»Ja, die Hochzeit. Ninas Hochzeit. Wir sind alle schon ganz aufgeregt. Und deswegen wollte ich nachfragen, ob du kommst, auf der Liste stehst du nicht. Aber weil Nina es sich so sehr wünscht … Mensch, das sind jetzt zehn Jahre, die wir uns nicht gesehen haben! Unglaublich, oder? Wir werden alt!«

Langsam sortierte sich alles in meinem Kopf. Hochzeit. Da war eine Einladung gewesen, goldene Lettern auf weißem Büttenpapier. Ich hatte sie auf irgendeinen Stapel gelegt und dann in der Versenkung verschwinden lassen.

Ich hatte mich nie gemeldet. Ich hatte die Weihnachtskarten und die Kontaktangebote über das...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte alte Freundschaft • Bonn • Clique • Freibad • Freundinnen • Gift • Giftmord • Hochzeit • Jungesellinenabschied • Junggesellinnenparty • Mord am Bräutigam • Pool • Psychothriller Deutschland • Psychothriller Romane • Roman Freundinnen • Römerbad • spannende Romane für Frauen • spannungsromane • Studenten • Thriller Autorinnen • Thriller deutsche Autoren • Thriller Deutschland • Thriller für Frauen • Unschuldig • verdächtig • Vergangenheit • Wahrheit oder Pflicht
ISBN-10 3-426-42544-0 / 3426425440
ISBN-13 978-3-426-42544-2 / 9783426425442
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