Einen Tod musst du sterben (eBook)
352 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-96619-1 (ISBN)
Susanne Mischke wurde 1960 in Kempten geboren und lebt heute in Wertach. Sie war mehrere Jahre Präsidentin der »Sisters in Crime« und erschrieb sich mit ihren fesselnden Kriminalromanen eine große Fangemeinde. Für das Buch »Wer nicht hören will, muß fühlen« erhielt sie die »Agathe«, den Frauen-Krimi-Preis der Stadt Wiesbaden. Ihre Hannover-Krimis haben über die Grenzen Niedersachsens hinaus großen Erfolg.
Susanne Mischke wurde 1960 in Kempten geboren und lebt heute in Wertach. Sie war mehrere Jahre Präsidentin der "Sisters in Crime" und erschrieb sich mit ihren fesselnden Kriminalromanen eine große Fangemeinde. Für das Buch "Wer nicht hören will, muß fühlen" erhielt sie die "Agathe", den Frauen-Krimi-Preis der Stadt Wiesbaden. Ihre Hannover-Krimis haben über die Grenzen Niedersachsens hinaus großen Erfolg.
WERNER
FALKENBERGS EINSTÖCKIGES
EINFAMILIENHAUS stammt aus den Sechzigerjahren, und wieder einmal fragt sich Oda, ob zu dieser Zeit in diesem Land auch nur ein einziges halbwegs ansprechendes Gebäude errichtet wurde. Das Nachbarhaus zur Rechten muss man derselben Epoche zuordnen. Es ist von einem Gerüst umstellt, auf dem zwei Männer herumturnen und weiße Isolierplatten an die Wände kleben. Der Wind verteilt Styroporflocken über die Nachbargärten, es sieht aus wie Schnee. Im Garten zur Linken geht man gerade mit Maschinengewehren und Pistolen aufeinander los, während vier Mädchen in Rüschenkleidchen ungerührt auf einer Decke sitzen und ihre Puppen kämmen. In der Birke über ihnen hängen bunte Lampions und Buchstaben: Robin 7 Jahre. Vierzig Jahre Emanzipation, und nichts hat sich geändert, erkennt Oda und muss trotzdem lächeln, denn gerade fällt ihr ein, wie Veronika schon immer gern ihre Puppen seziert hat.
Der Duft nach Gegrilltem weht über die Hecke. Sie öffnen das Gartentor und folgen den bemoosten Waschbetonplatten, die über den schütteren Rasen bis zur Haustür führen, vorbei an vertrockneten Hortensien und Tomatenstauden mit verfaulten Früchten.
»Einen grünen Daumen scheint er nicht zu haben«, bemerkt Völxen. Auf der Terrasse sticht Unkraut zwischen den Platten hervor, und um einen Klapptisch herum stehen drei vergraute Plastikstühle. An fast allen Fenstern sind die Rollläden heruntergelassen, nur vor dem großen Fenster der Terrasse ist lediglich eine Markise mit ausgebleichten braunroten Streifen ausgefahren.
Oda klingelt an der Tür und ist beinahe überrascht, als hinter dem geriffelten Glas ein schlanker Schatten erscheint und ihnen aufgemacht wird.
»Werner Falkenberg?«
Er nickt, während man sich gegenseitig mustert. Oda fallen sein blasses Gesicht und seine dunklen, ausdrucksvollen Augen, unterlegt von sepiafarbenen Halbmonden, auf. Sein Haar, kastanienbraun mit ein paar grauen Einsprengseln, könnte einen Schnitt und vor allen Dingen eine Wäsche vertragen. Er ist unrasiert, und das schon seit mehreren Tagen, schätzt Oda und fasst im Geist zusammen: ein im Grunde nicht übel aussehender Mann, der sich jedoch zurzeit ziemlich gehen lässt.
»Ich weiß Bescheid.« Seine Stimme klingt etwas nasal, aber nicht unangenehm.
»Unser Beileid, Herr Falkenberg«, sagt Völxen steif, ehe er sich und Oda vorstellt. Die ist nicht sicher, ob er ihre Namen überhaupt mitbekommen hat, denn er blickt starr an ihnen vorbei in den Nachbargarten, in dem Robin 7 gefeiert wird.
»Verdammter Scheißkrach da drüben!«, entfährt es ihm. Dann scheint er sich auf seine Besucher zu besinnen und bittet die beiden Ermittler mit der Geste eines Zirkusdirektors herein.
Deren Pupillen sind noch an die Helligkeit des Spätsommertages angepasst, weshalb sie Mühe haben, sich im Innern des Hauses zurechtzufinden. Falkenberg macht keine Anstalten, das Licht einzuschalten, und so folgen sie seinem Schatten durch den dunklen Flur, bis sie ein großes Wohnzimmer betreten, in dem es nur geringfügig heller ist. Ein muffiger Geruch steigt Oda in die Nase. So riecht es für gewöhnlich in Wohnungen sehr alter Menschen, die den Haushalt nicht mehr richtig im Griff haben und aus Angst, sich beim geringsten Luftzug den Tod zu holen, viel zu wenig die Fenster öffnen. Als sich ihre Augen allmählich an das Dämmerlicht gewöhnt haben, erkennt Oda eine Schrankwand mit eingebauter Hausbar in Eiche rustikal. Gegenüber steht eine Vitrine, vollgestopft mit allerhand Nippes und gerahmten Fotos. Es gibt einen mächtigen Schreibtisch aus Mahagoni, und im hinteren Teil des Raumes steht ein langer Tisch mit sechs hochlehnigen Stühlen, die aussehen, als würden sie seit Jahren vergeblich auf Gäste warten. Hinter einem Sofa hängen Ölschinken mit breiten, verschnörkelten Goldrahmen. Stillleben und Landschaften, soweit Oda das erkennen kann. Schwere Gardinen aus einem samtartigen wirsinggrünen Stoff verhüllen das breite Fenster mit der Markise davor, nur durch einen winzigen Spalt in der Mitte fällt ein Strahl staubigen Sonnenlichts und durchschneidet die Düsternis des Zimmers.
Bonjour tristesse, denkt Oda. Wie kann ein Mensch nur so wohnen? Diese Möbel, diese Dunkelheit! Hat der Mann eine Lichtallergie, oder leidet er an Migräne?
»Was genau ist denn passiert?«, will Falkenberg nun wissen, wobei er jedes einzelne Wort betont. Scheinbar hält er das hier für einen Kondolenzbesuch. Er deutet auf das Sofa, dessen dunkelbrauner, abgewetzter Cordsamtbezug exakt zu Völxens Hosen passt. Oda setzt sich und sinkt so tief ein, dass sie sich fragt, wie sie da jemals wieder herauskommen wird.
Völxen war schlauer und hat sich einen der Stühle herangezogen. Er antwortet dem Bruder dasselbe wie schon Nora Falkenberg, nämlich dass man die Obduktion abwarten müsse. Dann räuspert er sich und fügt hinzu: »Herr Falkenberg, wir hätten ein paar Fragen an Sie.«
Der Angesprochene lässt die Worte erst einmal sacken, dann antwortet er reserviert: »Das habe ich erwartet.« Er nimmt sich nun auch einen Stuhl, den er mit übertriebener Sorgfalt postiert, und Oda ärgert sich, dass sie aus ihrer Position zu den beiden aufsehen muss.
»Leben Sie allein hier?«, erkundigt sich Völxen.
Falsche Frage. Falkenberg presst verärgert die Lippen zusammen, steht auf, geht mit großen Schritten durch den Raum, setzt sich schließlich wieder hin und antwortet in gereiztem Ton: »Meine Schwägerin hat Ihnen doch sicher schon längst erzählt, dass … dass mich meine Frau mit unserer kleinen Tochter verlassen hat.«
Völxen nickt und greift das Stichwort sogleich auf: »Ihre Frau soll eine Affäre mit Ihrem Bruder gehabt haben, stimmt das?«
Falkenberg stößt einen trockenen, unfrohen Lacher aus und schüttelt den Kopf. Als Völxen und Oda schon glauben, dies wäre alles, was er dazu zu bemerken hat, meint er: »Das ist Mist. Dummer Dorfklatsch.« Er unterstreicht die Worte mit einer wegwerfenden Handbewegung. Seine Hände, bemerkt Oda, sind groß, aber schmal, mit langen, schlanken Fingern. Hände, die geeignet sind, um damit Klavier zu spielen oder die Seiten eines russischen Romans umzuschlagen. Was für ein Unsinn! Ich sollte mich vielmehr fragen, ob dies die Hände sind, die Johannes Falkenberg ermordet haben. Stattdessen fragt sie: »Warum ging Ihre Ehe denn dann auseinander?« Wegen des unterschiedlichen Geschmacks in Einrichtungsfragen?
Werner Falkenberg starrt eine große Standuhr mit Schlagwerk und goldenen Zeigern an, als wäre das Zifferblatt ein Teleprompter. Anscheinend findet er dort tatsächlich die Antwort, denn schließlich sagt er in einer langsamen, bedächtigen Art: »Weil ich nicht mehr genug Geld verdient habe. Sicherheit. Die war ihr plötzlich ganz wichtig.« Er schaut wieder das Zifferblatt an, dessen Zeiger auf drei Uhr stehen geblieben sind, vielleicht schon vor Jahren. Dann sagt er: »Ich bin Schauspieler. Aber das wissen Sie ja sicher bereits.«
»Bühne oder Film?«, will Völxen wissen.
Wieder kommt die Antwort mit etwas Verzögerung, ähnlich wie bei einer Fernsehübertragung mit schlechter Verbindung oder als hätte er Angst, spontan etwas Falsches zu sagen.
»Beides. Ich habe zuletzt in zwei Vorabendserien gespielt, aber die eine wird nicht fortgesetzt, und bei der anderen bin ich gestorben. Ich wurde ermordet. Ist das nicht makaber?«
Oda nickt und deutet ein Lächeln an.
»Die Rolle sei ausgelutscht und gäbe nichts mehr her, meinten die Drehbuchautoren und die Redakteurin. Dann musste ich eine Bühnenrolle sausen lassen, weil ich mir bei einer Probe die Hand gebrochen habe. Da hat sich meine Frau eben aus dem Staub gemacht.« Sein Mund mit den schön geschwungenen Lippen verzieht sich zu einem verächtlichen Lächeln. »Sie wird sich bestimmt so einen Nine-to-five-Typen suchen. Vielleicht hat sie ja schon einen.«
Er blickt erneut Oda an, als erwarte er von ihr eine Bestätigung, die jedoch ausbleibt. Stattdessen käut Oda in Gedanken die Worte »aus dem Staub gemacht« wieder. Es klingt nach Heimlichkeit, nach Flucht. Sie muss plötzlich an damals denken, als sie selbst Veronikas Vater verlassen hat, mit zwei großen Koffern, ihrer Tochter im Kinderwagen und einem blauen Auge. Falkenbergs Stimme holt sie zurück in die Gegenwart.
»Mein Bruder hat Sibylle beim Umzug geholfen, vielleicht sind so diese Gerüchte entstanden. Oder es ist Nora, die sich solchen Quatsch ausdenkt. Sie ist ja so eitel, und eitle Menschen sind gerne eifersüchtig.«
Völxen findet, dass es nun an der Zeit ist, Falkenberg zu fragen, wo er gestern Abend ab halb sieben gewesen ist.
Der deutet daraufhin mit ausgestrecktem Arm auf einen Ohrensessel, so als stünde dieser irgendwo am Horizont. Dabei befindet sich das Möbel lediglich in drei Metern Entfernung vor dem Fenster, neben einem kleinen Glastisch mit Messingfüßen und einer Stehlampe mit einem Schirm aus Tierhaut, wie sie vor fünfzig Jahren modern waren. Auf dem Tischchen liegen etliche Bücher und bedruckte DIN-A4-Seiten. Ein Drehbuch?
»Ich habe gelesen. Das Skript für ein Hörbuch, das ich sprechen soll. Und nein, es gibt keine Zeugen dafür.«
Oda und Völxen nehmen dies schweigend zur Kenntnis. Dies wiederum scheint Falkenberg nervös zu machen. Er knetet seine Hände, um sie dann in einer melodramatischen Geste zu ringen und in die Höhe zu recken. »Warum sollte ich Johannes umbringen?«, ruft er so laut, dass Oda zusammenzuckt. »Ja! Ja, wir hatten unsere...
Erscheint lt. Verlag | 15.9.2014 |
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Reihe/Serie | Hannover-Krimis |
Hannover-Krimis | |
Hannover-Krimis | |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Andreas Franz • Betrug • Eifersucht • Hass • Krimiserie • Mord • Neid • Wolfgang Burger |
ISBN-10 | 3-492-96619-5 / 3492966195 |
ISBN-13 | 978-3-492-96619-1 / 9783492966191 |
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