Psychovertikal (eBook)

Wenn Klettern zum Leben wird
eBook Download: EPUB
2010 | 1. Auflage
400 Seiten
As Verlag
978-3-906055-32-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Psychovertikal -  Andy Kirkpatrick
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Die Biografie eines Extremkletterers - und eine grosse Liebesgeschichte: Vom Rand der Gesellschaft in die Randzonen am Berg. Andy Kirkpatricks Biografie erzählt literarisch brillant von seinem extremen Lebensweg, seinen Abenteuern auf den schwierigsten Technorouten der Welt, von seinem Ringen um die Sprache und von der Schwierigkeit, seine Passion und sein Familienleben zu vereinen. Ein unerhört hartes und zartes Buch. Den Rahmen bildet Andy Kirkpatricks Solodurchsteigung der 'Reticent Wall', einer der schwierigsten Technorouten am El Capitan im Yosemite Valley. Doch 'Psychovertikal' ist mehr als die atemberaubende Schilderung einer Kletterei auf Messers Schneide - es ist die Geschichte einer Selbstfindung auf einem extremen Lebensweg. Sympathisch, ehrlich, intim und glaubwürdig erzählt Andy von seinem Kampf um einen Platz im Leben und um den nächsten Meter Fels.

Geboren 1971. Er gehört zu den bekanntesten Extremkletterern, Buchautoren und Bergfilmern Englands. Nach einer schwierigen Jugend in einem Armenviertel der Hafenstadt Hull an Englands Ostküste fand er seine Passion als Kletterer und spezialisierte sich auf härteste Winterbesteigungen und Solobegehungen im technischen Stil in den Alpen, im Yosemite Valley und in Patagonien. Der ausgeprägte Legastheniker rang sich seine Texte Wort für Wort ab, sein Erstling «Psychovertical» ist ein großer Erfolg und mit dem «Boardman-Tasker Prize 2008» ausgezeichnet, einem der weltweit renommiertesten Preise für alpine Literatur. Populär ist auch sein Blog auf www.andy-kirkpatrick.com.

Geboren 1971. Er gehört zu den bekanntesten Extremkletterern, Buchautoren und Bergfilmern Englands. Nach einer schwierigen Jugend in einem Armenviertel der Hafenstadt Hull an Englands Ostküste fand er seine Passion als Kletterer und spezialisierte sich auf härteste Winterbesteigungen und Solobegehungen im technischen Stil in den Alpen, im Yosemite Valley und in Patagonien. Der ausgeprägte Legastheniker rang sich seine Texte Wort für Wort ab, sein Erstling «Psychovertical» ist ein großer Erfolg und mit dem «Boardman-Tasker Prize 2008» ausgezeichnet, einem der weltweit renommiertesten Preise für alpine Literatur. Populär ist auch sein Blog auf www.andy-kirkpatrick.com.

PROLOG


Andy Kirkpatrick, britischer Extremkletterer und Buchautor: «Die Kletterei ist die Frage. Ich bin die Antwort.»

Ich saß allein in dem weißen, kleinen Raum und versuchte, mich zu konzentrieren. Nur schwer gelang es, die Aufmerksamkeit vom Schnee abzulenken, der auf dem Fenstersims lag, hin zu den zwei Testbögen vor mir auf dem Tisch. Ich spielte mit meinem Stift, kaute auf dem Ende herum, bis an meinen Lippen kleine Splitter vom roten Lack klebten. In meinem Mund der Geschmack von feuchtem Holz. Der Wind rüttelte am Wellblechdach des Gebäudes. Das Geräusch der Luft, die vom Wind unter den Türen und zwischen den schlecht isolierten Fenstern nach draußen gezogen wurde, nahm auch meine Konzentration mit.

Der Abgabetermin rückte näher.

Obwohl dieser Test etwas war, für das ich gezielt gelebt hatte, fühlte er sich um nichts besser an als alle anderen Prüfungen. Ich fühlte mich klein, abstoßend und dumm. Der erste Bogen war einfach gewesen, aber der zweite hatte mein Gehirn in eine zähe Masse aus Klebstoff verwandelt, sodass alle Zahlen vor meinen Augen durcheinander gerieten und wie verloren auf dem Blatt lagen. Obschon der Raum kalt war, stand mir eine fieberhafte Hitze im Gesicht. Es war die allzu bekannte, panische Angst. Für kurze Zeit glaubte ich, wieder auf der Schulbank zu sitzen, die ich so gehasst hatte. Die vergessen geglaubte Abscheu vor mir selbst kam zurück. Mit Mühe und Not brachte ich mein Gehirn dazu, Antworten aus dem dunklen Nichts zu formulieren.

Doch es kamen keine.

Der Sturm lässt nach. Unsere Spur durch den Schnee gleicht einem tiefen Graben, und endlich gelangen wir zu einem See, dessen Oberfläche gefroren unter einer winterlichen Decke liegt. Mein Partner hält an, bestimmt mit dem Kompass die Richtung und ruft mir ins Ohr, dass es nicht mehr weit ist. Als die Wolken für einen Moment vom Gipfel weggerissen werden, bekommen wir den Grat über uns zu Gesicht.

Wir hatten das Auto in der Dunkelheit verlassen. Schon früh hatte uns der Wind aufgeweckt, der auf der einsamen Gebirgsstraße unruhig um das Auto flatterte. Noch müde vom langen Weg durch ganz England zogen wir uns um, noch im Auto sitzend. Das Anziehen von Hosen und Schuhen war nicht leicht auf dem winzigen Platz – man fühlte sich dabei fast wie der Entfesselungskünstler Houdini, wie er mit einer Zwangsjacke ringt. Keiner von uns beiden wollte sich nach draußen wagen. So zögerten wir es hinaus, bis es nicht mehr anders ging. Der frühe Aufbruch stellte sich als sinnvoll heraus, denn der Anmarsch war lang und das Gehen durch die Schneeverwehungen mühselig und langsam. Mit etwas Glück würde die Zeit reichen, um die Route zu klettern.

Wir überprüfen unseren Weg auf der Karte. Den lawinengefährdeten Hang auf der linken Seite des Sees wollen wir vermeiden. Für kurze Zeit erspähen wir durch die vorbeitreibenden Wolken die Wand. Sie ist steil und mit Anraum bedeckt, der am Fels haftet wie Eis auf der Innenseite einer Tiefkühltruhe.

Die Verhältnisse sind alles andere als gut. Aber so ist eben das Winterbergsteigen in Schottland. Hier klettert man Routen so, wie man sie vorfindet. Ich erinnere mich an die Worte eines bekannten slowenischen Bergsteigers, der uns besuchte und meinte, dass man in Schottland «auf Gras Ski fährt und auf Fels eisklettert». Zumindest sieht heute der Fels weiß aus. Wir stecken die Karte in den Rucksack, ziehen die Skibrillen an und entscheiden uns für die leichte Variante: über das ächzende Eis des Sees.

Ich drehte das Blatt um und schaute wieder zum Schnee. Er lag dort auf dem Fensterbrett wie dicke Bettwäsche. Ein paar Minuten blieben noch, bis ich die Testbögen abgeben musste, aber ich wusste aus leidvoller Erfahrung, dass es mehr brauchte als Zeit, um die richtigen Antworten zu finden.

Die Lehrer hatten immer behauptet, ich sei faul, es mangele mir an Konzentrationsfähigkeit, ich würde langsam lernen. Danach behauptete man, ich hätte so etwas wie eine Lernbehinderung. Die Schulen, die ich besuchte, waren voll von «Problemkindern», und auch ich war dort eines unter vielen. In Biologie lernten wir einmal, dass ein Gehirn zwei Hälften hat. Für mich war das damals eine Art Offenbarung. Es schien zu erklären, warum ich mich manchmal so langsam und dumm fühlte, als sei ich der Ausgestoßene schlechthin, das hoffnungsloseste aller Förderkinder. In andern Momenten hingegen fühlte ich mich hell und intelligent, konnte Zeichnungen anfertigen und Rätsel lösen, besser als jeder andere in der Klasse. Meistens versuchte ich, meine dunkle, schwache Seite im Hintergrund zu halten und mich auf das zu konzentrieren, worin ich gut war. Aber in der Schule war das nicht leicht, denn die enge und dunkle Welt des Unterrichts ließ einem so gut wie keine Möglichkeit, zu glänzen.

Die Route sieht schwierig aus. Wackelige Mixedkletterei über eine steile Wand und dann über einen Grat. Im Sommer war es ein Klassiker. Jetzt, mit einer dünnen Eisschicht überzogen und mit Schnee bedeckt, ist es eine der schwierigsten Routen an diesem Berg. Ich lasse meine Augen dem Fels entlanggleiten und stelle mir vor, wie man dort klettert, welche Bewegungen man machen muss. Ich denke an die runden, horizontalen Risse und die senkrechten Spalten, die den eisummantelten Fels durchziehen. Hier muss man die Hauen der Eisgeräte verklemmen.

Schon lange wollte ich diese Route klettern, jeder Fetzen Information, der mir unter die Augen kam, war in meinem Kopf gespeichert. Obwohl ich weder den Namen der Route noch den Namen des Berges buchstabieren kann, weiß ich alle Bergsteiger auswendig, die eine Begehung versucht haben, warum sie umgekehrt sind, und welche anderen Berge sie in ihrem Leben bestiegen haben.

Als ich die letzten Meter zum Fels gehe, erinnere ich mich an die entmutigenden Worte eines Kletterers, der zweimal an der Tour scheiterte: «Du wirst es nie schaffen. Es gibt dort einen weiten Zug, der absolut größenabhängig ist. Und sorry – du bist zu klein.»

Dumpf fahren die Eisgeräte in die harten, kalten Polster aus Gras und Moos. Ich schließe meine Augen. Die Route ist wie ein Puzzle, dessen Stücke im Schnee vor mir liegen. Vor mir liegt das erste Stück. Ich nehme es und fange an zu klettern.

Der Prüfer öffnete die Tür und sagte, ich solle nun den Stift weglegen. Es war vorbei. Ich schaute aus dem Fenster, fühlte mich krank und leer.

In der Schule war der schlimmste aller Alpträume stets das Einmal-eins gewesen. Die Lehrer fingen in einer Ecke des Klassenzimmers an und gingen dann die ganze Klasse durch. Man musste Zahlen aufzählen oder etwas ausrechnen. Jedes Kind musste, wenn es an der Reihe war, aufstehen und die richtige Zahl sagen. Je näher das Schicksal zu mir kam, desto kälter wurde mir. Das Blut wich aus dem Gesicht, mein Herz klopfte schneller und schneller. Ich fühlte mich wie ausgehöhlt, wie krank. Die dunkle Hälfte in meinem Kopf machte jedes Denken unmöglich, und alles Rechnen blieb ohne Ergebnis. Endlich stand ich auf zitternden Beinen und sprach. Stets war die Antwort falsch. Die anderen Kinder lachten, während ich mich wieder hinsetzen durfte, dankbar, dass die Pein vorüber war.

Versunken bin ich in der Kletterei, mein Gehirn arbeitet unter Hochspannung, unter Aufbietung und Ausnutzung aller Energie. Frei ist es nun, frei von den Beschränkungen und den wirren Wegen, unter denen es in der normalen Wirklichkeit leidet. Hier oben ist für mich alles begreifbar, alles echt. Keine Zahlen. Keine Worte. Alle Berechnungen sind physisch, die einzigen Fragen sind die nach dem nächsten Griff und wie ich es anstelle, dass ich nicht stürze.

Winterbergsteigen entscheidet sich lediglich zu zehn Prozent physisch, neunzig Prozent sind mental. Wenn du gut im Puzzlespielen bist, dann bist du wahrscheinlich auch gut in dieser Art Klettern. Es ist nichts anders als ein Puzzle: Die Teile sind gefroren, du fügst sie mit klemmenden Eisgeräten und schrammenden Steigeisen zusammen. Alles ist einfach, so wie die Teile eines Puzzles, das man gelöst hat. Nur sie zu finden, ist schwer.

Der Prüfer hob die Bögen auf und bat mich, ihm in sein Büro zu folgen und zu warten, während er die Ergebnisse auswertete. Während wir durch das alte, viktorianische Gebäude schritten, fiel ihm auf, dass ich nachdenklich war. Wohl deswegen fing er an, in lockerem Ton über den Schneesturm zu sprechen.

Eigentlich war nicht das Ausschlaggebende, dass ich die Schule mit schlechten Noten verließ. Weder mich noch sonst jemand schien das zu interessieren. Viel schlimmer war das Gefühl, das mir die Gesellschaft eingeflößt hatte. Sie ließen mich glauben, dass wirklich alles davon abhing. Mit sechzehn fühlte ich mich genug geprüft für den Rest des Lebens. Die einzige Fähigkeit, von der ich wusste, dass ich sie besaß, war meine Kreativität. Ursprünglich hatte sie sich in meinen Zeichnungen und Malereien gezeigt, aber wie bei allem, das einem leicht fällt, war ich nie darauf gekommen, dass es sich überhaupt um eine nutzbringende Fähigkeit handeln könnte. Ich fand heraus, dass mich die Leute nicht ernst nahmen, sobald sie entdeckt hatten, dass ich mir meinen Geburtstag oder die Reihenfolge der Monate nicht merken konnte. Immer hatte ich Angst, dass ich entdeckt und entlarvt würde und dass mich die Leute von da an für begriffsstutzig oder gar für dumm halten würden. Langsam lernte ich, mich der Misere zu entziehen, indem ich Mittel und Wege fand, jeden Kontakt mit Zahlen oder Worten zu vermeiden.

Ich zog von zu Hause aus und lebte in einem winzigen Zimmer in der Nähe der Universität. Allmählich lernte ich Leute kennen, die normal waren und mit dem normalen Leben...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2010
Übersetzer Robert Steiner
Zusatzinfo 66 Abbildungen s/w, vierfarbig
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuer • Abenteuerroman • Alpen • Alpinliteratur • Bergsteiger • Biografie • England • Extremkletterer • Klettern • Lebensweg • Patagonien
ISBN-10 3-906055-32-9 / 3906055329
ISBN-13 978-3-906055-32-9 / 9783906055329
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