Märchen aus Deutschland (eBook)
380 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403102-6 (ISBN)
Sigrid Früh ist eine der bekanntesten Märchen- und Sagenforscherinnen Deutschlands. Sie wurde 1935 bei Ludwigsburg geboren und studierte Germanistik und Volkskunde in Tübingen und Zürich.
Sigrid Früh ist eine der bekanntesten Märchen- und Sagenforscherinnen Deutschlands. Sie wurde 1935 bei Ludwigsburg geboren und studierte Germanistik und Volkskunde in Tübingen und Zürich.
Die drei Königstöchter
Da war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Einmal kamen drei Drachen zu den drei Königstöchtern und stahlen sie und flogen mit ihnen weg. Der König aber ward unglücklich und bekümmert, daß seine drei Töchter fort waren, und ließ ausrufen, daß derjenige, welcher seine Töchter wiederbringe und sie von den Drachen erlöse, die schönste von ihnen zur Frau bekommen solle.
Als das nun bekanntgegeben war, da gingen auch drei von seinen Soldaten und meldeten sich freiwillig, die drei Königstöchter zu erlösen.
Der König ließ sie ziehen, und dann gingen sie zusammen auf die Suche nach den Prinzessinnen. Jeder hatte ein Gewehr bei sich, und sie wanderten und wanderten, aber sie trafen immer noch nichts.
Zuletzt kamen sie in einen großen Wald und gingen immer hin und her in dem Wald, ohne etwas zu finden. Endlich trafen sie ein kleines Haus, und da blieben sie die Nacht. Zu leben ist da aber weiter nichts gewesen als Erbsen und Schweinefleisch.
Als sie nun am Morgen ausgeschlafen hatten, da sprachen sie, daß immer einer zu Hause bleiben und Mittag kochen sollte, und wenn er das Mittag gar hätte, dann sollte er schießen, daß die beiden anderen nach Haus kommen und essen sollten.
Nun mußte der Älteste zu Hause bleiben, und er kochte ja nun Mittag. Aber beim Kochen, da bebte der Herd immer hin und her, und zuletzt kam da so ein kleiner Kerl hinten heraus, der hatte einen großen langen Bart und ging ganz krumm.
Da sagte er zu dem Koch: »Junge, was kochst du?«
»Erbsen und Schweinefleisch«, anwortete der Älteste, »weiter ist ja doch hier nichts.«
»Füll mir auch ein bißchen auf, ich will auch ein bißchen essen!« sagte der kleine Krumme.
»Das Essen ist noch nicht gar.«
Aber der ließ nicht nach, und der Soldat mußte ihm etwas auffüllen. Und als er nun hinter dem Tisch saß und was zu essen hatte, da warf er den Löffel auf die Erde und sagte: »Junge, heb mir den Löffel auf!«
Der ging auch hin, und als er nun den Löffel gerade gegriffen hatte, da ging der kleine Krumme auf ihn sitzen, holte eine eiserne Rute aus der Brust und verprügelte ihn so damit, daß er nicht schießen konnte und still daliegen mußte.
Nachher kamen die beiden anderen nach Hause und fragten ihn, warum er nicht geschossen hätte, als das Essen gar gewesen sei, aber er sagte ihnen nichts. Dann aßen sie Mittag.
Am anderen Tag mußte der Zweitälteste dableiben, und dem ging es geradeso, der kriegte auch tüchtig Prügel. Der zweite hat auch nichts gesagt.
Als nun am dritten Tag der Jüngste zu Hause bleiben mußte, da erzählten sich ja die beiden anderen, wie ihnen das gegangen war, aber der Jüngste sollte auch ruhig seine Tracht bekommen.
Der kochte inzwischen Mittag, und da kam der kleine Kerl ja wieder hinter dem Feuerherd hervor. ›Ach‹, denkt der Jüngste, ›was will der hier?‹
Der sagte aber zu dem Koch: »Junge, was kochst du?«
»Erbsen und Schweinefleisch«, antwortete dieser, »weiter ist hier ja doch nichts.«
»Füll mir auch ein bißchen auf, ich will auch ein bißchen essen!« sagte der Kleine.
»Das Essen ist noch nicht gar.«
Aber als er gar nicht aufhörte, füllte er ihm doch einen Teller auf. Da ließ der Krumme, genau wie die beiden ersten Male, den Löffel auf die Erde fallen und sagte: »Junge, heb mir den Löffel auf!«
Der sagte aber: »Hol ihn dir man selber auf, ich bin dein Diener nicht.«
Doch er ließ nicht nach, und er mußte es man doch machen. Aber er schaute ihn immer dabei an, und als er die eiserne Rute hervorholte, da packte er ihn beim Bart und nahm ihn mit hinaus. Und hinter dem Haus, da steht ein Haublock und eine Axt darauf. Er nimmt die Axt und schlägt da eine Kerbe hinein, steckt den Bart des Alten in die Kerbe und einen Keil dazu und keilt ihn fest. Und dann holte er sich das Gewehr und schoß.
Da kamen die anderen beiden und sagten zueinander, als sie ihn schießen hörten: »Dem ist es nicht so gegangen wie uns, der hat keine Tracht bekommen.«
Als sie nun ankamen, da fragten sie ihn ja, wo der kleine Kerl sei, und er wollte ihnen den Krummen nach dem Essen zeigen.
Als sie nun ausgegessen hatten, da war der Kerl weg, und der Bart saß in dem Haublock, und das Blut lief daran herunter.
Jetzt gingen sie der Blutspur nach, und als sie wieder Tag und Nacht gegangen waren, da trafen sie ihn wieder, aber er wollte sich nicht von ihnen ankommen lassen. Da riefen sie: »Bleib stehen, oder wir schießen dich tot!«
Da stand er still, und der Jüngste fragte ihn, wo die Drachen mit den drei Königstöchtern seien, und da erzählte er ihnen das: »Die sind in einem großen Berg, und in dem Berg, da ist ein tiefes Loch.« In das müßten sie hinein.
Die drei Soldaten wanderten nun weiter, und endlich kamen sie auch an den Berg und fanden das Loch. Als sie nun da hineinblickten, konnten sie gar keinen Grund sehen, so tief war es.
»Wie kommen wir jetzt zu den Prinzessinnen?« fragte der eine.
Da meinte der Älteste: »Ich bin Stellmacher.«
Der zweite sagte: »Ich bin Seiler von Beruf.«
»Und ich bin Korbmacher«, sprach der dritte und sagte zu dem Ältesten: »Du machst ein Gestell, eine Winde, du ein Seil, und ich werde einen Korb machen.«
Nun geht es an die Arbeit, und als die Winde aufgerichtet und das Seil hinübergelegt ist, muß der Jüngste in den Korb, und sie lassen ihn hinunter.
Als er nun unten ist, geht er weiter und kommt zuletzt in eine Stube. In der Stube sitzt die jüngste Königstochter, und der Drache hat seinen Kopf auf ihren Schoß gelegt, schläft und läßt sich von der Königstochter lausen.
Als sie den Soldaten sah, fing sie an zu weinen und sagte, er solle machen, daß er aus dem Berg hinauskomme, denn wenn ihr Mann aufwache, zerreiße der ihn.
Da antwortete er: »Ich werde nicht aus dem Berg ohne dich gehen, ich will dich erlösen.«
Darauf sprach die Prinzessin: »Wenn du mich erlösen willst, dann mußt du das Schwert nehmen, das an der Wand hängt, und mußt dem Drachen damit den Kopf abschlagen.«
Er ging zu dem Schwert hin und wollte es herunterholen, aber es war so schwer, daß er es gar nicht anheben konnte. Da sagte die Königstochter zu ihm: »Da steht eine Flasche Wein. Trinke von dem Wein!«
Das tat er auch und nahm einen ordentlichen Schluck. Als er nun das Schwert herunternehmen wollte, da konnte er es schon heben, aber noch nicht schwingen. Und er mußte nun soviel von dem Wein trinken, bis er das Schwert wie einen Handstock regieren konnte.
Dann ließ er die Königstochter zur Seite gehen, faßte das Schwert fest und schlug dem Drachen mit einem Schlag zwei Köpfe ab. Aus dem dritten sprühte der Drache aber jetzt Feuer und Fett. Doch er schlug ihm den dritten Kopf auch noch weg, und da war er tot und die Königstochter erlöst. Die Zunge des Drachen löste er heraus und nahm sie in sein Taschentuch.
Jetzt zog er weiter und kam wieder an eine Stube. Da war die zweite Königstochter gefangengehalten von einem Drachen, der sechs Köpfe hatte. Der Drache hatte sein Haupt der Prinzessin in den Schoß gelegt und schlief, und die Königstochter mußte ihn lausen.
Als sie den Soldaten kommen sah, begann sie zu weinen und sagte: »Mach, daß du aus dem Berg hinauskommst, denn wenn mein Mann aufwacht und dich hier findet, dann zerreißt er dich!«
Er tröstete die Königstochter und sagte, sie solle nicht weinen, ihre jüngste Schwester hätte er schon erlöst, und mit dem Drachen wolle er schon fertig werden.
Da sprach die Prinzessin zu ihm: »Dort an der Wand hängt ein Schwert. Mit diesem Schwert mußt du den Drachen töten!«
Das Schwert war aber noch einmal so groß wie das in der Stube der jüngsten Schwester, und er konnte es nicht anheben.
»Trinke von diesem Wein!« sprach die Königstochter und zeigte ihm die Flasche.
Nachdem er genügend Wein getrunken hatte und das Schwert wie einen Handstock regieren konnte, trat er zu dem Drachen und schlug ihm mit einem Schlag vier Köpfe ab. Mit den beiden übrigen Köpfen spie der aber Feuer und Fett auf den Soldaten, bis er ihm auch diese beiden abgeschlagen hatte. Nun war auch die zweite Königstochter erlöst. Die Zunge legte er zu der ersten in sein Taschentuch.
Jetzt war bloß noch eine Königstochter zu erlösen. Er machte sich auf den Weg und kam zu der dritten Prinzessin. Der Drache, der sie bewachte, hatte aber neun Köpfe.
Als er von dem Wein getrunken hatte, konnte er das Schwert, das wieder doppelt so groß wie das bei der zweiten Königstochter war, wie einen Handstock regieren und schlug ihm auch bei dem ersten Hieb vier Köpfe ab. Der Drache aber war zornig und spie ihm Feuer und Fett entgegen und schlug um sich, daß die Funken stoben. Endlich hatte er ihm aber doch die fünf übrigen Köpfe dazu abgeschlagen, und nun waren alle drei Prinzessinnen befreit. Die Zungen des dritten Drachen legte er zu den beiden anderen.
Jetzt ging er mit den drei Prinzessinnen zurück zu der Öffnung in dem Berg, und als er da anklopfte, riefen ihm seine Kameraden zu, er solle zuerst die Prinzessinnen heraufholen lassen.
Als die Prinzessinnen nun oben waren, sagte er zu sich: »Die Prinzessinnen haben sie nun. Wenn sie wollen, lassen sie den Korb, wenn er zur Hälfte oben ist, herunterfallen, und ich breche das Genick.« So blieb er denn unten in dem Berg, und das war richtig, denn wie er es glaubte, so hätten es die beiden, die auf ihn neidisch waren, auch getan.
Sie zogen nun mit den Prinzessinnen in die Hauptstadt zurück. Unterwegs bedrohten sie sie mit dem Tode und sprachen zu ihnen: »Wenn ihr auch nur ein Wort davon sagt, wer der eigentliche Befreier ist, so sollt ihr einen elendiglichen Tod...
Erscheint lt. Verlag | 6.6.2014 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Märchen / Sagen |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Anthologie • Brüder Grimm • Deutschland • Märchen • Märchen der Welt |
ISBN-10 | 3-10-403102-9 / 3104031029 |
ISBN-13 | 978-3-10-403102-6 / 9783104031026 |
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