Goethe zum Vergnügen (eBook)

Reclams Universal-Bibliothek

Volker Ladenthin (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
191 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-960537-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Goethe zum Vergnügen -
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Willst du Beßre besitzen, So laß dir sie schnitzen. Ich bin nun, wie ich bin; So nimm mich nur hin! GOETHE In der Reihe 'Zum Vergnügen' zeigen Gedichte, Aphorismen, Briefe und Werkausschnitte berühmte Dichter und Denker von einer neuen Seite: das charakteristisch Andere, das nicht Erwartete, aber doch Erahnte, gedankliche Ab-, Um- und Seitenwege, verlockende Heimlichkeiten, kleine Gemeinheiten, hübsche Bonmots.

Vorwort


»Hoffen wir, dass Goethe nicht wirklich so ausgesehen hat! Diese Eitelkeit und edle Pose, diese mit den verehrten Anwesenden liebäugelnde Würde und unter der männlichen Oberfläche diese Welt von holdester Sentimentalität! Man kann ja gewiß viel gegen ihn haben, auch ich habe oft viel gegen den alten Wichtigtuer, aber ihn so darzustellen, nein, das geht doch zu weit.«1 Die Verärgerung von Hermann Hesses »Steppenwolf« über devoten Umgang mit dem Klassiker, geäußert auf seiner Odyssee durch die Lebensformen des 20. Jahrhunderts, ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen spürt der Steppenwolf hier die Gefangenheit Goethes in eben jenem kulturellen Gehege auf, gegen das sich Goethe (wie der Steppenwolf) zeit seines Lebens gewandt hatte: die Philisterei – wie bilderstürmerische Studenten damals eine klein- oder bildungsbürgerliche Lebensweise nannten. Zum anderen aber wittert der Steppenwolf, dass Goethe an dieser Domestizierung selbst nicht ganz unschuldig war, jener Mann »mit amtlich gefaltetem Mund«, der auf dem Porträt von Gerhard von Kügelgen2 und in Harry Hallers – des Steppenwolfs – Traum »einen dicken Ordensstern auf seiner Klassikerbrust« trägt. Obwohl auch Goethe das ›steppenwölfische‹ gekannt, »sich auch je und je dazu bekannt« habe, habe er mit seinem »ganzen Leben das Gegenteil gepredigt, […] Glauben und Optimismus geäußert«, »Dauer und Sinn« vorgespielt und sich somit »mumifiziert« und »zur Maske« stilisiert. Der Steppenwolf nimmt hier einen Vorwurf der Jungdeutschen auf.3 Christian Dietrich Grabbe zum Beispiel beschrieb Goethe als einen sich zum Weisen stilisierenden eitlen Greis, der »aus seiner Patrizier-Visage […] einen Jupiter zu machen«4 versucht habe.

Das Ziel dieser Auswahl aus dem ausufernden und immer nur in Auswahl zu erfahrenden Gesamtwerk Goethes ist es, dem Goethe unter der Maske ins Gesicht zu schauen, das edle, aber ins Göttergleiche entrückte Bildporträt durch Momentaufnahmen des lustigen und leichten, des umherirrenden und strandenden, des flüchtigen und angriffslustigen, kurz: des wildernden Goethes, eines Klassikers des Unklassischen, zu beleben. (Was natürlich auch wieder nur eine neue Einseitigkeit ist, denn die Selbststilisierung Goethes als des Weltweisen aus Weimar ist eben auch ein Charakterzug – oder ein Schachzug innerhalb der Regeln der Gesellschaft?) Goethe war keinesfalls nur der Repräsentant des sich ja gerade erst auf dem Vormarsch befindenden bürgerlichen Bewusstseins, sondern zugleich Außenseiter in seiner Zeit, Provokateur, Ausgestoßener und Gescheiterter. Der Steppenwolf Harry Haller in seiner Einsamkeit wäre mit diesem Goethe nicht mehr so ganz allein. Goethe war ein Wolf in Bürgerkostüm oder Adelsmaskerade. Fast in dem Sinne, wie es Achim von Arnim anlässlich des Todes Christiane Goethes, geborene Vulpius, schrieb: »So natürlich und doch seltsam ist’s, dass Goethe die Vulpius beweint, dass ich es mir nur aus seinem Vornamen Wolfgang ableiten kann, wie er zu ihr gelangt ist.«5

Oft riss Goethe sich die Klassikermaske, die ihm als Schutz vor der Umwelt diente, ab und zeigte sein wahres Gesicht, so im Gespräch mit Eckermann am 27. Januar 1824: »Man hat mich immer als einen vom Glück besonders Begünstigten gepriesen; auch will ich mich nicht beklagen und den Gang meines Lebens nicht schelten. Allein im Grunde ist es nichts als Mühe und Arbeit gewesen, und ich kann wohl sagen, dass ich in meinen 75 Jahren keine vier Wochen eigentliches Behagen gehabt. Es war das ewige Wälzen eines Steines, der immer von neuem gehoben sein wollte. Meine Annalen werden es deutlich machen, was hiermit gesagt ist.«6 Hier spricht nicht Jupiter, sondern Sisyphus: Gemessen an den bürgerlichen Ansprüchen, wie sie später der Steppenwolf an jenem Ort, an dem er das Goethe-Porträt aufstöbert, repräsentiert findet, muss man in der Tat den Lebenslauf Goethes nicht nur als oft vergebliches Steinewälzen, sondern auch als Stolpern von einem Stein des Anstoßes zum nächsten verstehen.

Allein seine »Halbverhältnisse« – um aus den Annalen nur einen Aspekt herauszunehmen – lassen ihn recht unkonventionell erscheinen: Da »ward« – wie er schreibt – »mein früheres Verhältnis zur jungen Frau [Maximiliane Brentano] nach der Heirat fortgesetzt« – »peinigend genug«7; da liegt ein »undurchdringlicher Schleier«8 über der Beziehung Goethes zu Frau von Stein; da zieht im Juli 1788 eine 23-jährige Frau als Hausmädchen ins Haus des 39-Jährigen ein; ein halbes Jahr später wird sie von Goethe schwanger. Genau 16 Jahre später, am 19. Oktober 1806, heiratet Goethe seine Hausgefährtin – übrigens zum Gespött seiner nächsten Umgebung: »Unser Meister ist wieder aus dem Bade[-Urlaub], aber in Jena. Ich sehne mich, ihn zu sehen, um einen Begriff seiner Existenz zu haben, seiner poetischen nämlich, denn die reelle ist gar zu realistisch, und die Kugelform der Frau Geheimrat erinnert zu sehr an das runde Nichts, wie Oken die Kugel nennt, und ist doch ein Nichts von Leerheit und Plattheit. Wenn wir ihn in einer besseren Welt ohne dieses Bündelchen sehen könnten, wollen wir uns auch freuen, nicht wahr?« – meinte jedenfalls Charlotte Schiller.9

Da sind seine zahlreichen und langwierigen Bade- und Kurreisen, auf die Frau Schiller anspricht, zumeist mit den Hoffnungen auf ein kleines Liebesabenteuer angereichert, wobei allerdings stets gilt, dass die erotische Dimension bedeutsamer war als die sexuelle. Bei der Affäre mit der Frau des Frankfurter Bankiers von Willemer wurden Briefe in Geheimschrift ausgetauscht – Goethe war 65 Jahre alt. Die ganze Angelegenheit endete mit der »Schwermut« Mariannes. Als alles Werben um Goethe, der sich ihr gegenüber entzieht, nicht hilft, versucht Marianne ihn schließlich mit dem verzweifeltsten aller Argumente zu locken: »Und wie viele schöne Mädchen gibt es nicht hier.«10 Und 1822 – Goethe war nun 73 Jahre alt – hielt er um die Hand der 18-jährigen Ulrike von Levetzow an. Bekanntlich vergeblich – aber nicht umsonst: denn aus der Enttäuschung entstand die Marienbader Elegie.

Dies sei erinnert, um zu zeigen, dass Goethe sich wenig zum Hausfreund bürgerlicher Lebenskreise eignete. Folgerichtig hat seine bürgerliche Umwelt sich auch das Maul über ihn zerrissen: Nicht erst die Jungdeutschen, sondern gerade jene Zeitgenossen, die sich eher im Geist verwandt mit Goethe dünkten.

Er war noch keine 23 Jahre alt, da fand Johann Christian Kestner, Goethe sei »bizarre und hat in seinem Betragen, seinem Äußerlichen verschiedenes, das ihn unangenehm machen könnte«. Und dann heißt es: »Er tut, was ihm einfällt, ohne sich darum zu bekümmern, ob es anderen gefällt, ob es Mode ist, ob es die Lebensart erlaubt. Aller Zwang ist ihm verhasst.«11

Ein solches Urteil über Goethe lässt sich an jeder Station seines Lebensweges nachweisen, so z. B. 1775: »Kurz, er ist ein großes Genie, aber ein furchtbarer Mensch.«12 Am Weimarer Hof habe Goethe – so ein hämischer Beobachter – »eine neue Moral« eingeführt, »nach der die geltenden Regeln nur aus menschlichen Grillen [stammen], und der erste Mann im Staate […] in der Lage [ist,] sie abzuschaffen«13. Als Folge eines solchen Scandalons sieht man in aufgeklärten Kreisen, »wie alle Projekte« Goethes »ärschlings gehen«14. »In Weimar«, schreibt der Homerübersetzer Johann Heinrich Voss, gehe es »erschrecklich zu. Der Herzog läuft mit Goethen wie ein wilder Pursche auf den Dörfern herum; er besäuft sich und genießet brüderlich einerlei Mädchen mit ihm. […] Klopstock hat desfalls an Goethe geschrieben und ihm seinen Wandel vorgerückt […]. Goethe verbat sich in seinem und des Herzogs Namen solche Anmahnungen, die ihnen das süße Leben verbitterten, und Klopstock schrieb ihm darauf, dass er seiner Freundschaft unwürdig sei.«15 Goethe wirkte auf seine Zeitgenossen als »Unmensch«, befremdend und abstoßend selbst bei seinen engen Freund(inn)en: »Es ist nicht möglich, mit seinen Betragen kömmt er nicht durch die Welt! Wenn unser sanfter Sittenlehrer gekreuz’get wurde, so wird dieser bittere zerhackt!«16

Goethe wusste, dass er – wie der Steppenwolf – außerhalb des sozialen Verstehenshorizontes seiner Zeit stand: »Erst war ich den Menschen unbequem durch meinen Irrtum, dann durch meinen Ernst. Ich mochte mich stellen, wie ich wollte, so war ich allein.«17 Er stimmte zu, wenn man »nicht bloß das düstere, unbefriedigte Streben [des Faust], sondern auch den Hohn und die herbe Ironie des Mephistopheles als Teile meines eigenen Wesens bezeichnet.«18 Dieses Mephistophelische rettete sich bis in die museale Lebensform des Alters, ein Goethe »voll Übermut, Ironie und mephistophelischer Laune«, der zuweilen die »Miene und den Ton seines Mephisto«19 annahm. Und schon die ersten Begegnungen hatten den Teufel in ihm geschildert: »Der Herr Goethe hat eine Rolle hier gespielt, die ihn als einen überwitzigen Halbgelehrten und als einen wahnsinnigen...

Erscheint lt. Verlag 28.5.2014
Reihe/Serie Reclams Universal-Bibliothek
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Anthologien
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anthologie • Johann Wolfgang Goethe
ISBN-10 3-15-960537-X / 315960537X
ISBN-13 978-3-15-960537-1 / 9783159605371
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