Der Teufel steckt im ICE (eBook)
238 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-8387-5865-7 (ISBN)
Juliane Zimmermann mag ihren Job als Zugbegleiterin. Gut, sie versteht, dass die meisten Reisenden Verspätungen, Zugausfälle oder falsche Reservierungen nicht lustig finden. Aber dass man sich immer gleich so aufregen muss... Und überhaupt: Die Passagiere sind auch nicht ohne. Da gibt es welche, die nackt auf dem Tisch sitzen, ihr Glasauge in der Toilette verlieren oder sich für den Teufel höchst persönlich halten. Über die sollte man auch mal schreiben, findet Juliane Zimmermann, und legt nun ein höchst amüsantes Buch voller skurriler Bahngeschichten vor.
1Abfahrt Leben, Gleis 1
Sehr geehrte Fahrgäste, wir begrüßen Sie recht herzlich im Zug der Deutschen Bahn. Sie wissen wahrscheinlich am besten, warum Sie nicht das Auto genommen haben. Denken Sie während der Fahrt ab und zu daran – sich selbst und uns zuliebe.
»Hey«, ruft mir Lutz hinterher. »Ist was?«
Natürlich ist was, du Blitzmerker. Ich bin Zugbegleiterin. Mein Leben verläuft in mehr oder weniger geregelten Bahnen. Wenn ich die Beine in die Hand nehme und die Flucht ergreife, muss etwas sein.
Wir fahren von Dortmund nach München. Vor der Abfahrt hat mich Stefan, der Zugchef, zum Dienst in der ersten Klasse eingeteilt. Zum Glück ist heute auch Lutz an Bord, der mich als Steward unterstützen wird. Ich arbeite nämlich lieber in der zweiten Klasse, da muss man meist nur die Fahrkarten kontrollieren und Auskunft über Anschlusszüge geben. In der ersten Klasse steht der Service im Vordergrund, Zeitungen verteilen, Bestellungen aufnehmen und servieren – natürlich alles in extrafreundlich. Wenn aber ein Erster-Klasse-Steward an Bord ist, übernimmt er den Großteil des Services, und ich kann in Ruhe Karten knipsen.
Wir sind bis gerade eben gemeinsam durch die beiden Wagen gelaufen, ich mit den Zeitungen in der Hand, während Lutz die Bestellungen der Gäste notierte. In einem Abteil saßen vier Geschäftsleute, alle sehr wichtig und mit den neusten elektronischen Spielereien ausgestattet, auf die sie wie hypnotisierte Kaninchen starrten.
»Die Fahrkarten, bitte«, sagte ich – dann entgleisten mir plötzlich die Gesichtszüge. Der Typ rechts am Fenster. Das war doch … Nein, das konnte er nicht sein! Das war nicht möglich. Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet er in diesem Zug saß, in dem ich arbeitete …
Ich handelte spontan und ohne zu zögern, machte auf dem Absatz kehrt, drückte Lutz die Zeitungen in die Hand und schob mich an ihm vorbei in Richtung Dienstabteil, wo ich seitdem sitze und mich frage, in welchem Mauseloch ich mich verstecken kann.
Alexander Sulzmann. Ausgerechnet der! Was soll ich nur tun? Ich kann ihm nicht entkommen. Aber ich kann auch schlecht die Fahrt bis zu unserem Zielbahnhof im Dienstabteil verbringen …
Ich greife zum Mobiltelefon und rufe meine Kollegin Silke an. Sie hat Dienst in der zweiten Klasse in den Wagen hinter dem Bistro. »Silke, können wir tauschen?«, frage ich, als sie abnimmt. Auf die Begrüßung verzichte ich. Ich habe keine Zeit für Nettigkeiten. »Bitte! Es ist ein Notfall.«
»Erste Klasse mit Steward?« Sie lacht. »Na klar, mache ich sofort. Hier hinten sitzt ein Junggesellenabschied. Das Thema der Veranstaltung ist Oktoberfest. Sie singen schweinische Lieder in bayerischer Mundart und lassen die anwesenden Damen Weißwürste zuzeln.«
»Das klingt verlockend«, seufze ich erleichtert. Mir ist alles recht. Hauptsache, ich muss Alexander nicht begegnen.
»Aber du erzählst mir nachher, was so Schlimmes passiert ist, dass du freiwillig mit dem Löwenbräu-Bierzelt tauschen willst, ja?«
Ich verspreche es ihr und beende die Verbindung. Dann öffne ich die Tür des Dienstabteils, schaue erst links, dann rechts den Gang entlang, um sicherzugehen, dass die Luft rein ist, und mache mich auf in Richtung Zweite-Klasse-Waggons.
Wir verlassen gerade den Kölner Hauptbahnhof, fahren langsam über die Deutzer Brücke. Ich schaue kurz nach draußen – überall hängen Vorhängeschlösser am Brückenzaun, die verliebte Paare dort befestigt haben. Die Schlüssel haben sie als Zeichen ihrer ewigen Liebe in den Rhein geworfen. Ich mag diesen Anblick sonst sehr gern, aber heute kann ich ihn kaum ertragen.
Ich schlucke schwer. Sulzmann. Ausgerechnet.
Nach dem Abitur war ich wild entschlossen, Hotelfachfrau zu werden. Damals lebte ich mit meinem Vater in einem Siedlungshaus am Niederrhein. Er oben, ich unten, zwei Wohnungstüren, zwei Küchen und jeweils zwei weitere Zimmer. Wir verbrachten die Abende zusammen, wenn wir einsam waren, und schlossen die Türen, wenn wir uns auf die Nerven gingen.
Er fand meine Idee, im Hotel zu arbeiten, gut. »Das Gewerbe läuft schon immer und wird immer laufen«, meinte er. Dass ich für die Ausbildung vielleicht wegziehen musste, machte ihm jedoch zu schaffen. Schließlich waren wir seit zehn Jahren ein Team. Um genau zu sein, seit meine Mutter gestorben war. Ein Verkehrsunfall hatte sie das Leben gekostet, bloß weil so ein dämlicher Mercedesfahrer dachte, er hätte eine eingebaute Vorfahrt, vor allem einem Fiat Punto gegenüber.
Das Haus, in dem Papa und ich leben, gehört schon immer der Familie. Früher haben meine Oma und mein Opa unten gewohnt, meine Eltern und ich in der oberen Etage. Mein Großvater schlief mit neunzig friedlich ein – da war ich zwei, deshalb kann ich mich daran nicht mehr erinnern. Vor fünf Jahren folgte ihm dann Oma. Im Garten an einem sonnigen Tag im Juli. Herzinfarkt. Sie war sofort tot, und die Tomaten unter ihr auch.
Papa und ich entrümpelten die untere Wohnung, renovierten, sanierten und richteten sie so ein, dass sich eine Achtzehnjährige dort wohlfühlen konnte. Ich zog im Erdgeschoss ein, sehr zum Entzücken all meiner Mitschüler, die regelmäßig bei mir Party machen durften. Paps ließ mich. »Tob dich ruhig aus, der Ernst des Lebens kommt früh genug.«
Wie recht er damit doch hatte. Es hat sich so vieles verändert seitdem. Mein Leben, mein Beruf. Auch ich bin eine andere geworden. Und jetzt stehe ich mit einem dicken Kloß im Hals im ICE nach München. Mein Herz pocht, und meine Knie fühlen sich an wie Wackelpudding.
»Sagen Sie«, spricht mich da eine Frau im schicken Kostüm an und reißt mich aus den Gedanken, »werden wir pünktlich in München ankommen?«
Wir sind gerade erst in Köln losgefahren und haben noch knapp fünf Stunden Fahrt vor uns, in denen theoretisch alles passieren kann – vom spontanen Platzregen in der Eifel bis zu Demonstranten auf den Gleisen am Stuttgarter Hauptbahnhof. Woher soll ich denn wissen, ob wir pünktlich ankommen werden? Ich kann doch nicht hellsehen.
»Es spricht nichts dagegen«, antworte ich und zwinge mich zu einem Lächeln.
»Also werden wir pünktlich in München ankommen«, sagt die Dame und macht ein Gesicht, als ob sie sich mit einem Idioten unterhalten würde.
»Ich denke schon, ja.«
»Denken Sie es oder wissen Sie es?«
Ich seufze. »Ich wüsste nicht, warum wir München nicht pünktlich erreichen sollten, aber dieses Leben hat einige Überraschungen parat, sodass es durchaus möglich sein könnte«, ich betone das Wort überdeutlich, »dass es dennoch zu Verzögerungen kommt. Ich verspreche Ihnen aber, wir werden keine Kosten und Mühen scheuen, damit Sie ohne Verspätung im Zielbahnhof eintreffen.«
»Na also«, sagt die Frau. »Geht doch.« Dann dreht sie sich um und verschwindet.
Der Zug nimmt Geschwindigkeit auf, und die Landschaft rauscht an mir vorbei. Ich habe schon lange aufgehört, mich über komische Menschen zu wundern. Ich mag meinen Job, den Kontakt zu unseren Kunden, und ich liebe es, Bahn zu fahren. Man trifft meistens interessante Leute, nur selten unfreundliche, manchmal erlebt man aufregende Geschichten, manchmal lustige und traurige. Der Ruf der Bahn ist schlecht, aber das liegt zum Teil auch daran, dass der Mensch negative Erlebnisse viel länger im Gedächtnis behält als positive. Wie viele Bücher wurden schon über berührende, ergreifende und wunderbare Begegnungen im Zug geschrieben, wie viele über nervige, ärgerliche und störende? Dabei gibt es häufiger schöne Szenen in der Bahn als schlechte. Ich muss wissen, wovon ich rede, ich verbringe einen Großteil meines Lebens auf den Gleisen.
Silke kommt mir entgegengehastet. »Dann darf ich ja gleich die Goodies verteilen! Das mache ich so gern.«
Goodies, das ist unser Ausdruck für die Süßigkeiten, die wir in der ersten Klasse ausgeben.
»Gib den Affen Zucker«, sage ich grinsend.
»Aber nachher will ich wissen, was es damit auf sich hat, dass du unbedingt in die Holzklasse wechseln willst«, sagt Silke und nimmt mir die Tüte mit den kleinen Gummibärchen-Packungen ab.
Ich nicke ergeben und mache mich auf in die zweite Klasse. Dieses Mal bin ich einer Begegnung mit ihm entkommen. Alexander Sulzmann. Er hat mein Leben verändert.
Die Ausbildung zur Hotelfachfrau konnte ich glücklicherweise in einem Hotel in der Nähe machen und so zu Hause wohnen bleiben, was sowohl meinen Vater als auch mich sehr freute.
Aufgeregt fuhr ich an meinem ersten Tag zum Hotel. Meine Dienstkleidung hatte ich schon vorher bekommen. Es fühlte sich großartig an, dieses schicke Kostüm, und machte mich stolz – gleichzeitig war ich aber sehr unsicher und aufgeregt.
In den ersten Wochen war ich vor allem an der Rezeption, aber im Laufe der zweijährigen Ausbildung durchlief ich alle Bereiche im Hotel. Ich musste als Zimmermädchen Kissen aufschütteln, in der Küche unter Tränen Zwiebeln schälen, in der Warenannahme Paletten zählen und im Büro Rechnungen von Lieferanten überprüfen und abheften. Ich musste Zimmer vergeben, Stornierungen annehmen und Kundengespräche führen. Ich begrüßte Gäste, manchmal auch ihre Kinder, die Hunde oder die Katze, Ehefrauen und Geliebte, übte, wie man eindeckt, serviert und abräumt. Vor allem aber lernte ich, wie man in fast jeder Situation freundlich bleibt. Gerade das war nicht ganz so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte. Gäste können sehr anstrengend sein.
Auch die Fahrt zur Berufsschule mit der Regionalbahn war manchmal etwas lästig...
Erscheint lt. Verlag | 15.1.2015 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga ► Humor / Satire |
Schlagworte | Culture Clash • Humor • Komisch • lustig • lustiges Sachbuch • Unterhaltung • witzig • witzige Bücher |
ISBN-10 | 3-8387-5865-X / 383875865X |
ISBN-13 | 978-3-8387-5865-7 / 9783838758657 |
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