Israel (eBook)

Einführung in ein schwieriges Land
eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
173 Seiten
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
978-3-633-76450-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Israel -  Carlo Strenger
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Staat der Juden, Land der Rätsel: Einerseits eine hochmoderne Gesellschaft mit einer lebensfreudigen, liberalen Kultur, geht Israel derzeit durch eine der schwersten Krisen seit seiner Gründung. Der Friedensprozeß liegt auf Eis, das Land ist isoliert, im Alltag leben Juden und Araber mit wechselseitiger Verachtung nebeneinander her, und der eskalierende Kampf zwischen religiösen und säkularen Juden bedroht die Grundfesten der israelischen Gesellschaft. Ausgehend von Beobachtungen und Szenen des Alltags, eröffnet uns Carlo Strenger Einsichten in den Alltag und die Mentalität Israels - engagiert und mit wacher Beobachtungsgabe, doch ohne Idealisierung und Dämonisierung. Strenger zeigt Israel als zerrissene Gesellschaft, die grundlegende Probleme der Identität noch nicht gelöst hat. Er versucht neue, zeitgemäße Antworten auf drängende Fragen des jungen Staates zu geben: Wie soll das Verhältnis von Staat und Religion, zwischen westlicher Weltoffenheit und nahöstlicher Tradition gestaltet werden? Wie können die Spannungen zwischen Einwanderungsgruppen aus grundverschiedenen Kulturen gelöst werden? Seine Betrachtung, die zugleich ein essayistischer Reisebegleiter ist, eröffnet einen umfassenden Blick auf die Widersprüchlichkeit Israels - aber auch auf die Möglichkeit einer Wahrnehmung des Landes jenseits von Schuld, Gegenschuld und dem Kampf der Monotheismen.

<p>Carlo Strenger, in der Schweiz geboren und aufgewachsen, war Professor der Psychologie an der Universität Tel Aviv. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und schrieb regelmäßig für den britischen <em>Guardian</em> und Israels führende liberale Zeitung <em>Haaretz</em>. Carlo Strenger ist am 25. Oktober 2019 im Alter von 61 Jahren in Tel Aviv verstorben.</p>

Cover 1
Informationen zum Buch/Inhalt 3
Impressum 5
Inhalt 6
Einleitung 8
Wunden des Krieges, Narben der Friedenssuche 13
Ist Israel ein unmögliches Land? 19
Teil I: Ein zerrissenes Land 24
Gruppenbild mit Radio 26
Die Juden und die Moderne 52
Der jüdische Universalismus und sein Schicksal in Israel 54
Die zionistische Rechte 59
Die nationalreligiöse Rechte – gnostische Politik 64
Die ultraorthodoxe Verwerfung der Moderne 69
Israels zerrissene Identität 74
Teil II: Israel und das »jüdische Problem« 76
Die jüdische Existenz in der Diaspora 78
Die Entstehung des »jüdischen Problems« 79
Die Psychodynamik der Todesverleugnung 84
Die Verwerfung des Anderen 88
Israel, die verspätete Nation 91
Sonderfall Israel 97
Israel und das europäische Schuldgefühl 99
Israel als Haßobjekt der Linken 102
Israel und der europäische Mainstream 107
Die enttäuschte Hoffnung auf den ewigen Frieden 109
Die Rückkehr der Geschichte 111
Israel und die Menschenrechte 114
Operation Shylock: War Israel ein Fehler? 121
Enttäuschte Universalisten 126
Die unerwartete Normalisierung der Juden 131
Jenseits des Jerusalemsyndroms 136
Apokalypse now! 141
Für einen neuen Realismus der Politik 145
Nachwort 149
Für ein Israel jenseits des neuen und des alten Juden 149
Anhang 158
Anmerkungen 158
Übersicht 166
1. Das Judentum in der Moderne 166
2. Politische Gruppierungen in Israel 168
3. Ergebnisse der 18. Wahl zur Knesset 2009 174

Einleitung


Zu Beginn des neuen Jahrzehnts geht Israel durch eine der schwersten Krisen seit der Staatsgründung. Der Friedensprozeß liegt auf Eis, das Land ist außenpolitisch isoliert. Der überwiegende Teil der Staatengemeinschaft ist zu der Überzeugung gelangt, daß Israel zum Friedenschluß mit den Palästinensern schlicht nicht willens oder nicht fähig ist. Bereits der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon war für die internationale Öffentlichkeit ein willkommenes Haßobjekt, doch erst sein Nachfolger Benjamin »Bibi« Netanjahu hat in den letzten Jahren auf internationaler Ebene alles Porzellan zerschlagen, das es zu zerschlagen gab. Flankiert wird er dabei von Außenminister Avigdor Lieberman, der durch seinen glühenden Haß auf die Araber selbst bei guten Freunden Israels nur noch Kopfschütteln hervorruft und der außerhalb des Landes längst mit Slobodan Miloševi? verglichen wird. Selbst langjährige Bündnispartner wenden sich mit Grausen ab: Sechsundzwanzig führende EU-Politiker, darunter auch Richard von Weizsäcker und Helmut Schmidt, riefen Ende 2010 in einem offenen Brief dazu auf, Israel durch Sanktionen unter Druck zu setzen. Nicht zu reden von den jüngsten Boykottaufrufen aus Großbritannien gegen israelische Wissenschaftler, die allerdings eher vom altbekannten antisemitischen Ressentiment getrieben zu sein scheinen.

Nicht nur in islamischen Ländern, sondern auch in Europa weckt Israel hochintensive Gefühle. Viele Menschen, die dem Land gegenüber prinzipiell positiv eingestellt waren, sind in den letzten Jahren von der israelischen Siedlungspolitik und von Israels aggressiver Rhetorik zutiefst enttäuscht worden. Es vergeht kaum ein Tag, an dem dieses kleine Land am Mittelmeer mit seinen kaum acht Millionen Einwohnern nicht in den Schlagzeilen der Weltpresse auftaucht. Jüdisch-liberale Intellektuelle wie Bernard-Henri Lévy und Alain Finkielkraut versuchen, zwischen dem Staat Israel und seiner Politik zu unterscheiden, sie geben ihrer Loyalität für Israel immer wieder Ausdruck, kritisieren aber seine Regierung. Andere sind pessimistischer. Der vor kurzem verstorbene britisch-amerikanisch-jüdische Historiker Tony Judt kam zu dem Schluß, daß das zionistische Experiment ein Fehler gewesen sei.

Aber nicht nur außerhalb Israels tun sich viele mit der Entwicklung schwer, die das Land durchläuft. Liberal orientierte Juden wie ich, die jahrzehntelang für ein weltoffeneres Israel gekämpft haben, sind seit Beginn der zweiten palästinensischen Intifada im Jahr 2000 politisch marginalisiert. Noch 1992, als Jitzchak Rabin zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, waren knapp die Hälfte der 120 Knessetmitglieder liberal eingestellt. In den Wahlen von 2009 waren es nur noch sechzehn – eine wahrhaft katastrophale Entwicklung. Wenn man von diesen sechzehn noch die dreizehn der Arbeitspartei abzieht, die für zwei Jahre Teil von Netanjahus Regierungskoalition war, verbleiben nur noch die drei Mandate der sozialdemokratischen Partei Meretz, die für eine dezidiert gemäßigte Position in der Knesset steht.

Aufgrund der Schlagzeilen in der Presse halten viele Menschen Israel für einen düsteren Polizeistaat, wenn nicht für etwas Schlimmeres. Wenn Europäer erstmals Israel besuchen, sind sie meist überrascht. Sie treffen auf kommunikationsfreudige, weltoffene junge Menschen, eine Vielfalt kultureller Angebote, eine schwulenfreundliche Einstellung, ein lebendiges Nachtleben. Die Musikszene könnte kosmopolitischer kaum sein, man denke etwa an Idan Raichel, den so erfolgreichen und innovativen »Weltmusiker« mit seinen internationalen Kooperationen. Ebenso heben sich die Intellektuellen des Landes deutlich vom etablierten Bild des Landes ab. Schriftsteller wie Amos Oz, David Grossman und Etgar Keret werden in Dutzende Sprachen übersetzt und in hohen Auflagen gelesen. Sie vermitteln dem Leser ein ganz anderes Bild des Staates am Mittelmeer, moralisch und emotional differenziert, bedrückt von der Verrohung der israelischen Politik. Womöglich ist es, so könnte man fortfahren, nicht nur die Kunst- und Kulturelite des Landes, die dem negativen Bild Israels nicht entspricht. Die meisten Israelis sprechen sehr gut Englisch, viele haben die Welt bereist und kennen andere Kulturen. Auch in der israelischen Wirtschaft geht es liberal und fortschrittlich zu. Die das Land prägenden jungen Unternehmer im Hochtechnologiebereich (übrigens die neue Version des bisherigen Traums der jüdischen Mutter, vom Sohn als Anwalt oder Arzt[1]) sorgen nicht nur für gut ausgebuchte Flugzeuge zwischen Tel Aviv und Silicon Valley und dem großen Interesse an israelischen Startup-Unternehmen, sondern auch für viele neue kulturelle Impulse sowie intellektuellen und politischen Austausch.

Wie aber, so möchte man fragen, ist die Offenheit der Kultur und des intellektuellen Lebens und die damit verbundene Sehnsucht nach dem guten Leben mit der brutalen, machthungrigen Politik Israels und mit seiner apokalyptischen Rhetorik zu vereinbaren? Wie ist es möglich, daß ein Land, das in vielerlei Hinsicht den westlichen Staaten sehr stark ähnelt, in seinem politischen Verhalten so borniert und unbelehrbar ist?

Ich stelle diese Frage dem europäischen Leser nicht nur rhetorisch. Obgleich ich fast mein ganzes erwachsenes Leben in Israel verbracht habe, ist meine europäische Identität für mich zentral geblieben. Dem Europäer in mir fällt es oft schwer, Israel zu verstehen, doch muß man für dieses schmerzhafte Erstaunen nicht europäischer Herkunft sein. Die meisten meiner israelischen Freunde, ob in Israel, Casablanca oder New York geboren, teilen eine universalistischkosmopolitische Ethik, und auch sie stellen sich die Frage, warum Israel nicht der westliche Staat ist, der es zu sein behauptet und gemäß der Vision seiner Gründer von jeher hat sein wollen?[2] In gewisser Hinsicht, so könnte man einwenden, ist Theodor Herzls Idee, man könne im Nahen Osten ein wärmeres Wien entwickeln, grundsätzlich unrealistisch gewesen. Israel ist von Staaten umringt, die allesamt problematische Regimestrukturen aufweisen, auch wenn diese in den unerwarteten Revolutionen und Unruhen seit dem Frühjahr 2011 ins Wanken geraten sind. Noch lassen sich keine schlüssigen Prognosen abgeben, ob dies zur Demokratisierung des arabischen Raumes oder zu einer Islamisierung und damit grundlegenden Destabilisierung führen wird.

Auf den folgenden Seiten wird das europäische Unverständnis gegenüber Israel immer wieder zur Sprache kommen, ebenso das Staunen und manchmal die Verzweiflung des Autors, der seit vielen Jahren Teil des israelischen Friedenslagers ist und sich aufgrund der Entwicklung des letzten Jahrzehnts oft deprimiert fühlt. Dieses Unverständnis kommt nicht von ungefähr. Es repräsentiert vielmehr die jüngste Phase der langen und oftmals leidvollen Geschichte Europas und seiner Juden, die auf beiden Seiten nachwirkt, in der kollektiven israelischen Psyche wie in der europäischen. Das Verhältnis zwischen Europa und Israel kann nicht außerhalb des historischen Rahmens des jüdischen Schicksals in Europa verstanden werden, und das heißt nicht ohne die Betrachtung des Judenhasses, der eine Konstante der europäischen Geschichte des zweiten Jahrtausends unserer Zeitrechnung war. Angefangen bei den Pogromen zur Zeit der Kreuzzüge über die spanische Inquisition bis zu den Pogromen im 17. und 19. Jahrhundert zeugt die europäische Geschichte von der Schwierigkeit und oftmals der Unfähigkeit, mit dem anderen menschlich umzugehen. Zu dieser Geschichte gehört ebenso, daß sich der traditionelle Antijudaismus seit dem 19. Jahrhundert zum rassistischen Antisemitismus wandelte und unter der Führung der Deutschen mit der Ermordung der europäischen Juden im Nationalsozialismus seinen Höhepunkt fand. Diese komplexe und tragische Verflechtung der jüdischen und der europäischen Geschichte kann und soll nicht verschwiegen werden. Aber sie darf auch nicht zum politischen Druckmittel gemacht werden. Israel hat sich oft viel zu lautstark als Vertreter des jüdischen Schicksals nach der Shoah geäußert, und die Wahrnehmung der europäischen Öffentlichkeit, daß die israelischen Regierungen das europäische Schuldgefühl für ihre Sache instrumentalisierten, hatte ihre Berechtigung. Auf der anderen Seite gibt es jenen Teil der europäischen Öffentlichkeit, der Israel mit Blick auf die Palästinenser nur allzugern vorhält, es hätte im Gegensatz zu den einstigen Tätern die Lehren aus der Geschichte nicht gezogen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Israels katastrophale Siedlungspolitik und politische Inkompetenz für viele Europäer fast eine Erleichterung darstellt, weil sie sich dadurch endlich nicht mehr mit Europas komplexer und oft schrecklicher (jüdischer) Geschichte auseinandersetzen müssen. Aus diesem Grund wird dieser Essay Israel auch im Kontext der jüdischen Geschichte in Europa zu verstehen versuchen. Auch mit einer psychologischen Perspektive hoffe ich die gesellschaftlich-politischen Prozesse erhellen zu können, auch weil ich denke, daß Israels Politik nicht nur von der Geschichte des Judenhasses her begriffen werden kann.

Wunden des Krieges, Narben der Friedenssuche


Um Israel zu verstehen, muß man seine spezifische historische und politische Lage vor dem Sechstagekrieg 1967 bedenken, als die Kategorie »Palästinenser« im israelischen Diskurs nicht unabhängig von der generellen Kategorie der »Araber« verwendet wurde. Es ist beeindruckend, heute mit linksgerichteten Israelis zu sprechen, die damals noch junge Soldaten waren. Auch Menschen, die später das israelische Friedenslager anführten – wie zum Beispiel Jitzchak Rabin –, haben erzählt,...

Erscheint lt. Verlag 14.12.2011
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Israel • Nahostkonflikt • Politik • Zeitgesch.
ISBN-10 3-633-76450-X / 363376450X
ISBN-13 978-3-633-76450-1 / 9783633764501
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