Schwestern der Freiheit (eBook)
CDLXIV, 100 Seiten
Francke-Buch (Verlag)
978-3-86827-959-7 (ISBN)
Lynn Austin ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Illinois. Ihre große Familie, die vier Generationen umfasst, ist ebenso Aufgabe wie Inspiration für sie. Wenn ihr nach dem Tagesgeschäft noch Zeit bleibt, ist sie als Vortragsreisende unterwegs und widmet sich der Schriftstellerei.
Lynn Austin ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Illinois. Ihre große Familie, die vier Generationen umfasst, ist ebenso Aufgabe wie Inspiration für sie. Wenn ihr nach dem Tagesgeschäft noch Zeit bleibt, ist sie als Vortragsreisende unterwegs und widmet sich der Schriftstellerei.
Kapitel 1
Bull Run, Virginia
21. Juli 1861
Ein gellender Schrei zerriss die Luft wie ein hauchdünnes Stück Tuch. Er jagte Julia Hoffman einen Schauer über den Rücken und ließ ihre Nackenhaare zu Berge stehen. „Was war das?“, murmelte sie.
„Die Rebellen“, sagte Onkel Joseph. „Gott helfe uns … sie greifen an!“ Er reichte sein Fernglas an Pastor Nathanael Greene weiter, der Julia in der Kutsche gegenübersaß. „Hier, Herr Pastor. Sehen Sie sich das an!“
Julia lehnte sich vor und beobachtete das Gesicht des jungen Pastors, während dieser sich das Fernglas an die Augen presste und den Blick über das Schlachtfeld in der Ferne schweifen ließ. Als Nathanael sprach, klang seine Stimme gedämpft vor Ehrfurcht oder vielleicht auch vor Angst. „Wo kommen die alle her?“
„Was ist los?“, fragte Julia. „Sagt mir doch, was los ist.“
„Die Verstärkung der Konföderierten ist eingetroffen“, sagte Onkel Joseph. „Es sieht so aus, als wären es Tausende von Soldaten. Wird unsere Verteidigungslinie halten, Herr Pastor?“
„Ich weiß es nicht.“ Nathanael wollte das Fernglas an den Kongressabgeordneten Rhodes weiterreichen, der neben ihm saß, doch der korpulente Politiker schüttelte den Kopf und rieb sich mit dem Handballen über die Augen.
„Mir ist der Schweiß in die Augen gelaufen. Das brennt höllisch. Diese vermaledeite Hitze ist einfach zu viel.“ Er hing mehr neben Nathanael auf dem Sitz, als dass er saß, und erinnerte an einen Fettkloß, der in einer Bratpfanne langsam schmilzt. Leere Champagnerflaschen klirrten zu seinen Füßen.
Julia wandte sich an ihren Onkel, der auf der staubigen Straße neben der Kutsche stand und die Hände rang. „Ich dachte, du hättest gesagt, wir gewinnen diese Schlacht“, sagte sie.
„Nun ja … so wirkte es ja zuerst auch. Aber jetzt … ich weiß nicht, wo die ganzen Rebellen herkommen.“
Die Kutschpferde wurden plötzlich unruhig. Sie hoben gleichzeitig die Köpfe und starrten in die Richtung, in der die Kämpfe stattfanden. Sie hatten den ganzen Nachmittag über gelassen am Straßenrand gegrast, während Julia und die anderen die Schlacht verfolgt hatten, aber jetzt hatten die beiden Tiere schlagartig aufgehört zu fressen. Das Fell am Widerrist des großen Wallachs richtete sich auf und er wieherte leise. Es klang wie ein Schaudern.
Julia erhob sich und nahm Nathanael das Fernglas aus der Hand. Mit seiner Hilfe hatte sie eine ausgezeichnete Sicht auf die beiden Armeen, die in der Ferne kämpften, und auf das zerfallene Bauernhaus, das zwischen ihnen stand. Aber das, was sie für Steine gehalten hatte, die auf dem Feld verstreut lagen, erwies sich jetzt ganz klar als Soldaten, die gefallen waren. Tote Soldaten. Schnell wandte sie den Blick ab und richtete das Fernglas auf den Horizont. Eine massive graue Wand marschierte auf die Lichtung, mit funkelnden Bajonetten und blutroten Flaggen, die selbst durch den Dunst zu erkennen waren. Dann rutschte ihr das Fernglas aus der Hand, weil die Kutsche einen Satz machte, und Julia fiel rücklings auf ihren Sitz.
„Alles in Ordnung?“, fragte Onkel Joseph sie.
„Ich glaube schon. Hier, du kannst das Fernglas zurückhaben. Was ist denn mit den Pferden los? Warum benehmen sie sich so merkwürdig?“ Die Tiere waren immer unruhiger geworden und tänzelten nervös auf der Stelle, sodass die Kutsche wackelte. Der schwarze Kutscher zog die Zügel fest an, um sie im Zaum zu halten.
„Tut mir leid, Miss“, sagte er. „Wahrscheinlich sind da draußen ein paar Pferde verletzt worden. Das macht die hier nervös.“
Julia war in den neunzehn Jahren ihres bisherigen Lebens nur wenigen Schwarzen begegnet, und die meisten davon hatte sie nur aus der Entfernung gesehen – es waren ehemalige Sklaven gewesen, die bei den Versammlungen der Sklavereigegner gesprochen hatten, zu denen sie mit Pastor Greene gegangen war. Zu Hause, in ihrer reichen Wohngegend in Philadelphia, gab es keine Schwarzen, und so dicht wie diesem Kutscher war sie bisher noch keinem gekommen. Seine Haut war tiefschwarz. Schweißglänzend, wie sie war, erinnerte sie Julia an schwarzen Satin.
„Ja … ich kann einige gefallene Pferde sehen“, sagte Onkel Joseph, der jetzt wieder durch das Fernglas spähte. „In der Nähe der Sudley Road kämpft eine Kavallerieeinheit.“
Die Kutsche wackelte, als Nathanael heraussprang. Er war groß und schlank und hatte ein rötliches, mit Sommersprossen gesprenkeltes Gesicht, wie ein Schuljunge, der sich als Pfarrer verkleidet hatte. Julia kletterte ebenfalls aus der Kutsche und stellte sich neben ihn. Sie hoffte, er würde ihre Hand nehmen und ihr tröstende Worte zusprechen, aber er beachtete sie gar nicht. Also beobachtete sie die sich allmählich zuspitzenden Geschehnisse auf dem Schlachtfeld und fühlte sich ebenso beunruhigt wie die Pferde.
Sie waren nun bereits seit Mittag hier – vier Stunden – und Julia war schnell unruhig geworden. Wie der Kongressabgeordnete hasste sie die stickige Hitze von Virginia. Unter ihrer Haube war Julias goldblondes Haar den Haarnadeln entwischt und kräuselte sich feucht um ihr Gesicht. Aber nachdem sie gebettelt hatte, in dem eleganten Landauer des Abgeordneten mitfahren zu dürfen, um die Schlacht zu beobachten, hatte sie es nicht gewagt, sich zu beklagen, als es ihr beim Beobachten der Gefechte zu warm und langweilig geworden war. Sie hatte stattdessen versucht, Nathanael Greene in ein Gespräch zu verwickeln – der Geistliche war der eigentliche Grund, warum sie mit von der Partie hatte sein wollen –, aber er schien mehr daran interessiert über Politik zu diskutieren, als mit ihr zu reden.
In den vergangenen Stunden hatten sie die Krabbenküchlein und reifen Pfirsiche aus ihrem Picknickkorb gegessen. Die beiden älteren Männer hatten Champagner getrunken und zusammen mit Hunderten anderer Schaulustiger gejubelt, als die Armee der Union die Rebellen auf dem Schlachtfeld langsam zurückgedrängt hatte. „Das sollte ihnen eine Lehre sein“, hatte der Abgeordnete gesagt. „Jetzt werden wir ja sehen, wie wild sie auf diesen Krieg sind.“
„Ich glaube, mit dem heutigen Tag ist alles vorbei“, hatte Onkel Joseph vorhergesagt.
Aber jetzt hatte sich die Lage ganz eindeutig gewandelt. Die Männer wirkten besorgt und gar nicht mehr zuversichtlich. Schweigend standen sie neben Julia und beobachteten das Kriegsgetümmel. Das vereinzelte Knallen oder Rattern von Gewehrfeuer schwoll zu einem ständigen Lärm an, wie ein Hagelsturm. Der Geruch von Schwefel und Schießpulver zog in einer Dunstwolke über das Feld. Julias Cousin Robert kämpfte da draußen. Onkel Joseph dachte bestimmt an seinen Sohn.
„Meinst du, wir sollten gehen, Joseph?“, fragte der Politiker von seinem Platz in der Kutsche aus. „Deine Nichte …“
„Ich habe keine Angst“, sagte Julia, obwohl sich ihre Beine merkwürdig schlaff anfühlten und sie sich an der Kutsche abstützen musste. Niemand sagte etwas, während sie eine weitere halbe Stunde zusahen, wie im Dunst immer wieder die Blitze der Gewehrsalven aufflackerten. Rufe, Schreie und das Donnern der Kanonen füllten die schwüle Luft mit Kriegslärm.
Das kribbelnde Gefühl der Angst, die Julia verspürte, war zugleich schrecklich und berauschend. Sie war eifersüchtig gewesen auf ihren Cousin Robert – inzwischen Leutnant Robert Hoffman und frisch ernannter Offizier der Militärschule in West Point –, als er sich darauf vorbereitet hatte, mit den Truppen der Union in Virginia einzumarschieren. Sie hatte um Erlaubnis gebettelt, mit ihrer Tante und ihrem Onkel nach Washington reisen zu dürfen, um ihn zu sehen, vor allem nachdem sie erfahren hatte, dass Nathanael Greene mit von der Partie sein würde. Ihr Cousin und seine Kompanie von Neunzig-Tage-Freiwilligen waren davon überzeugt gewesen, dass die Rebellion ein schnelles Ende finden würde. Keiner von ihnen hatte sich das Abenteuer entgehen lassen wollen – und Julia auch nicht.
Aber die Begeisterung verwandelte sich jetzt in Sorge, als sie mit ansehen musste, wie die Rebellen die Unionstruppen langsam zum Rückzug zwangen und sie den ganzen Weg, den sie gerade vorgestoßen waren, wieder zurückdrängten. Die Erde erbebte unter dem Donnergrollen der Kanonen.
„Das läuft nicht gut“, murmelte ihr Onkel.
„Haltet die Stellung!“, brüllte der Abgeordnete den Soldaten in der Ferne zu. „Lasst euch nicht von ihnen zurückdrängen!“ Aber die blau berockte Front zersplitterte allmählich und brach angesichts des Ansturms der Grauen auseinander. Die Soldaten der Union zerstreuten sich, während das Schlachtfeld sich im Chaos auflöste.
„Gütiger Gott, unsere Männer treten den Rückzug an“, stöhnte Onkel Joseph.
„Das ist kein geordneter Rückzug“, sagte Nathanael. „Das ist eine Niederlage.“
Julia klammerte sich an den Ärmel ihres Onkels. „Sie kommen hierher!“
„Bleibt stehen, zum Kuckuck! Stopp!“, brüllte der Kongressabgeordnete. „Bleibt stehen und kämpft!“
Dann übertönte ein heimliches, pfeifendes Geräusch das Getöse der Gewehrsalven. Ein Brüllen wie Donner erklang ganz in der Nähe, dann noch ein zweites und ein drittes Mal.
„Sie bombardieren uns!“, schrie der Abgeordnete Rhodes.
Nathanael packte Julias Arm. „Alle in die Kutsche. Schnell!“ Er scheuchte sie auf ihrem Sitz und half dann ihrem Onkel.
Das Gesicht des Abgeordneten war unter dem Schweiß ganz bleich geworden....
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2009 |
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Reihe/Serie | Südstaaten-Saga |
Übersetzer | Dorothee Dziewas |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Schlagworte | Amerika • •Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg • •Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg, Liebesgeschichte, Sklavenbefreiung • Liebe • Liebesgeschichte • Sezessionskrieg • Sklaven • Sklavenbefreiung • Sklaverei • Südstaaten |
ISBN-10 | 3-86827-959-8 / 3868279598 |
ISBN-13 | 978-3-86827-959-7 / 9783868279597 |
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