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Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat (eBook)

und andere Essays
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
96 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60409-2 (ISBN)
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Eines jener Bücher, die die Welt verändern: Thoreaus Essay ?Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat?, den er 1849 aus Protest gegen die amerikanische Eroberungs- und Sklavenpolitik veröffentlichte und der nun erstmals in einer zweisprachigen Leinenausgabe erscheint. Nicht so sehr ein Pamphlet als schlicht große Poesie.

Henry David Thoreau, geboren 1817 in Concord, Massachusetts, verließ die Heimatstadt nur für seinen Studienaufenthalt an der Harvard University von 1833 bis 1837. Nach einigen Jahren Tätigkeit als Lehrer und als Privatsekretär Ralph Waldo Emersons bezog er 1845 eine selbstgebaute Blockhütte am Waldensee, in der er ?Walden oder Leben in den Wäldern? schrieb. Er engagierte sich bis zu seinem Tod gegen die Sklaverei. Thoreau starb 1862 an Tuberkulose.

[7] Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat

Ich habe mir den Wahlspruch zu eigen gemacht: »Die beste Regierung ist die, welche am wenigsten regiert«; und ich sähe gerne, wenn schneller und gründlicher nach ihm gehandelt würde. Wenn er verwirklicht wird, dann läuft es auf dies hinaus – und daran glaube ich auch: »Die beste Regierung ist die, welche gar nicht regiert«; und wenn die Menschen einmal reif dafür sein werden, wird dies die Form ihrer Regierung sein. Eine Regierung ist bestenfalls ein nützliches Instrument; aber die meisten Regierungen sind immer – und alle sind manchmal – unnütz. Die Einwände, die man gegen ein stehendes Heer vorgebracht hat – und davon gibt es viele und gewichtige, die sich durchsetzen sollten –, können letztlich auch gegen eine ständige Regierung erhoben werden. Das stehende Heer ist doch nur ein Arm der ständigen Regierung. Diese Regierung aber, die nichts weiter als die Form ist, welche das Volk zur Ausführung seines Willens gewählt hat, kann leicht mißbraucht und verdorben werden, bevor das Volk Einfluß darauf nehmen kann. Der Krieg in Mexiko1 beweist es, das Werk einer vergleichsweise geringen Zahl von einzelnen, welche die ständige Regierung als ihr Werkzeug benutzt: das Volk hätte dieser Maßnahme von vornherein nicht zugestimmt.

Was ist die amerikanische Regierung anderes als eine Tradition – und noch dazu eine recht junge –, die danach strebt, sich selbst ohne Machteinbuße für die Nachwelt zu erhalten, die dabei aber in jedem Augenblick mehr von ihrer Glaubwürdigkeit verliert? Sie hat ja nicht einmal die Lebenskraft und Energie eines einzigen lebensvollen Mannes; denn ein einzelner kann sie nach seinem Willen zurechtbiegen. Sie ist eine Art Holzkanone für das Volk; wenn man sie je im Ernst gebrauchen würde – sie würde ganz sicher platzen. Deshalb ist sie aber nicht weniger notwendig; die Leute brauchen einfach irgendeine umständliche Maschine, [8] sie wollen ihr Geräusch hören, um die Vorstellung zu befriedigen, die sie von einer Regierung haben. Regierungen führen uns also vor, wie leicht man die Menschen betrügen kann, ja, wie sie sich sogar selbst betrügen – und zwar zu ihrem eigenen Vorteil. Wir müssen zugeben: es ist eindrucksvoll; nur, von sich aus hat diese Regierung noch nie irgendeine Unternehmung gefördert, höchstens durch die Behendigkeit, mit der sie ihr aus dem Weg gegangen ist. Sie bewahrt nicht die Freiheit des Landes. Sie besiedelt den Westen nicht. Sie erzieht nicht. Alles, was erreicht wurde, verdanken wir dem eingewurzelten Charakter des amerikanischen Volkes; und der würde mehr ausgerichtet haben, wenn die Regierung nicht so oft im Wege gelegen hätte. Denn die Regierung ist ein Instrument, mit dessen Hilfe sich die Menschen endlich gegenseitig in Ruhe lassen könnten; und sie ist, wie gesagt, um so nützlicher, je mehr die Regierten von ihr in Ruhe gelassen werden. Wie aber ist es in Wirklichkeit? Wenn sie nicht aus Gummi wären, könnten Handel und Wirtschaft niemals die Hindernisse überspringen, welche die Gesetzgeber ihnen unaufhörlich in den Weg legen; wenn man diese Leute nur nach ihrer Wirkung und nicht teilweise auch nach ihren Absichten beurteilte, dann verdienten sie, zusammen mit jenem Gesindel eingestuft und bestraft zu werden, das Hindernisse auf Eisenbahnschienen legt.

Ich will sachlich reden, und nicht wie die Leute, die sich überhaupt gegen jede Regierung erklären. Ich sage nicht: von jetzt an keine Regierung mehr, sondern: von jetzt an eine bessere Regierung. Jedermann soll erklären, vor welcher Art von Regierung er Achtung haben könnte, und das wird ein Schritt auf dem Weg zu ihr sein.

Der praktische Grund, warum die Mehrheit regieren und für längere Zeit an der Regierung bleiben darf, wenn das Volk die Macht hat, ist schließlich nicht, daß die Mehrheit das Recht auf ihrer Seite hat, auch nicht, daß es der Minderheit gegenüber fair ist, sondern ganz einfach, daß sie physisch am stärksten ist. Aber eine Regierung, in der die Mehrheit in jedem Fall den Ausschlag gibt, kann nicht auf [9] Gerechtigkeit gegründet sein, nicht einmal soweit Menschen die Gerechtigkeit verstehen. Könnte es nicht eine Regierung geben, in der nicht die Mehrheit über Falsch und Richtig befindet, sondern das Gewissen? – in der die Mehrheit nur solche Fragen entscheidet, für die das Gebot der Nützlichkeit gilt? Muß der Bürger auch nur einen Augenblick, auch nur ein wenig, sein Gewissen dem Gesetzgeber überlassen? Wozu hat denn dann jeder Mensch ein Gewissen? Ich finde, wir sollten erst Menschen sein, und danach Untertanen. Man sollte nicht den Respekt vor dem Gesetz pflegen, sondern vor der Gerechtigkeit. Nur eine einzige Verpflichtung bin ich berechtigt einzugehen, und das ist, jederzeit zu tun, was mir recht erscheint. Man sagt, daß vereinte Masse kein Gewissen hat – und das ist wahr genug; gewissenhafte Menschen aber verbinden sich zu einer Vereinigung mit Gewissen. Das Gesetz hat die Menschen nicht um ein Jota gerechter gemacht; gerade durch ihren Respekt vor ihm werden auch die Wohlgesinnten jeden Tag zu Handlangern des Unrechts.

Ein allgemeines und natürliches Ergebnis dieses ungebührlichen Respektes vor dem Gesetz sieht man zum Beispiel in einer Kolonne von Soldaten: Oberst, Hauptmann, Korporal, Gemeine, Pulverjungen und alles, wie sie in bewundernswerter Ordnung über Tal und Hügel in den Krieg marschieren, wider ihren Willen, ja wider ihre gesunde Vernunft und ihr Gewissen – weshalb es ein recht anstrengender Marsch wird und beträchtliches Herzklopfen verursacht. Sie zweifeln nicht daran, daß es ein verdammenswertes Geschäft ist, mit dem sie sich da befassen; sie möchten alle friedlich sein. Aber was sind sie denn eigentlich? Sind sie überhaupt Männer, oder kleine bewegliche Verschanzungen und Waffenlager, und irgendeinem skrupellosen Menschen, der gerade an der Macht ist, zu Diensten? Geht doch einmal zu einem Kriegshafen und seht euch einen Matrosen an, eine Art Mensch, wie nur die amerikanische Regierung sie zustande bringt, ein Ding, das sie mit ihren bösen Künsten aus einem Menschen macht – es ist nur noch ein Schatten und eine schwache Erinnerung [10] von Menschentum, ein Mann, lebendig aufgebahrt und aufrecht, doch sozusagen schon unter Waffen begraben und von einem Leichenzug begleitet, obgleich es auch noch anders sein kann:

Kein Begräbnis, kein Trommelgruß,

Als wir seinen Leichnam zu den Wällen trugen.

Kein Soldat gab einen Abschiedsschuß

Über dem Grab, in das wir unsern Helden legten.2

Die Mehrzahl der Menschen dient also dem Staat mit ihren Körpern nicht als Menschen, sondern als Maschinen. Sie bilden das stehende Heer und die Miliz, die Gefängniswärter, die Konstabler, Gendarmen etc. In den meisten Fällen bleibt da kein Raum mehr für Urteil oder moralisches Gefühl; sie stehen auf derselben Stufe wie Holz und Steine; vielleicht könnte man Holzmänner herstellen, die ebenso zweckdienlich wären. Solche Wesen flößen nicht mehr Achtung ein als Strohmänner oder ein Dreckklumpen. Sie sind nicht mehr wert als Pferde oder Hunde. Und doch hält man sogar solche Menschen gewöhnlich für gute Bürger. Andere, wie die meisten Gesetzgeber, Politiker, Advokaten, Pfarrer und Würdenträger dienen dem Staat vor allem mit ihren Köpfen; doch weil sie selten moralische Unterschiede machen, könnten sie – ohne es zu wollen – ebensowohl dem Teufel dienen wie Gott. Nur wenige Helden, Patrioten, Märtyrer, wirkliche Reformer und Männer, dienen dem Staat auch mit dem Gewissen; sie werden gewöhnlich von ihm als Feinde behandelt. Ein Weiser wird immer nur als Mensch dienlich sein wollen, er wird sich nicht dazu hergeben, ›Lehm‹ zu sein, um ›ein Loch zu stopfen, um den Wind abzuhalten‹, sondern er wird diese Aufgabe dem Staub überlassen:

Zu hoch geboren bin ich, um jemands Eigentum,

Der Zweite nur zu sein am Steuer,

Nützlicher Dienstmann und Werkzeug

Für irgendeine Macht auf dieser Erde.

[11] Wer sich ganz seinen Mitmenschen hingibt, erscheint ihnen nutzlos und eigensüchtig; wer sich aber nur zum Teil gibt, wird zum Wohltäter und Menschenfreund erklärt.

Wie also soll man sich heutzutage zu dieser amerikanischen Regierung verhalten? Ich antworte, daß man sich nicht ohne Schande mit ihr einlassen kann. Nicht für einen Augenblick kann ich eine politische Organisation als meine Regierung anerkennen, die zugleich auch die Regierung von Sklaven ist.

Alle Menschen bekennen sich zum Recht auf Revolution; das heißt zu dem Recht, der Regierung die Gefolgschaft zu verweigern und ihr zu widerstehen, wenn ihre Tyrannei oder ihre Untüchtigkeit zu groß und unerträglich wird. Aber fast alle sagen, das sei jetzt nicht der Fall. Wohl aber glauben sie, während der Revolution von ’75 sei es der Fall gewesen. Nun, wenn mir jetzt jemand damit käme, unsere Regierung sei schlecht, weil sie gewisse ausländische Waren besteuerte, die in ihre Häfen gebracht worden sind, dann würde ich wahrscheinlich kein großes Lamento darüber anstimmen, denn ich kann ohne diese Waren auskommen. Alle Maschinen haben eine gewisse Trägheit, und das würde wahrscheinlich genügen, um das Übel aufzuheben. Auf jeden Fall ist es ein großer Fehler, deshalb solchen Lärm zu schlagen. Wenn aber die Trägheit einen eigenen Apparat erhält, wenn Unterdrückung und Raub organisiert werden, dann sage ich: wir wollen solch einen Apparat nun nicht länger dulden. Mit anderen Worten, wenn ein Sechstel der...

Erscheint lt. Verlag 29.1.2014
Übersetzer Walter E. Richartz
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Original-Titel The Resistance to Civil Government
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Aufsatzsammlung • Befehlsverweigerung • Bürgerrechtsbewegung • Geschichte • Kulturkritik • Philosophie • Poesie • Politik • Staat • USA • Widersetzlichkeit • Widerstand
ISBN-10 3-257-60409-2 / 3257604092
ISBN-13 978-3-257-60409-2 / 9783257604092
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