Safa (eBook)
304 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-42079-9 (ISBN)
Als somalisches Nomadenkind geboren, durchlitt Waris Dirie im Alter von fünf Jahren die unmenschliche Prozedur einer genitalen Verstümmelung. Mit 13 Jahren flüchtete sie alleine durch die Wüste nach London. Im Alter von 18 Jahren wurde sie vom englischen Star-Fotografen Terence Donovan als Model entdeckt. Ihr gelang der Durchbruch zu internationaler Berühmtheit. In einem Interview für das Magazin 'Marie Claire' in New York erzählte Waris Dirie über ihr Schicksal und das grausame Ritual der Genitalverstümmelung an Frauen und löste damit weltweit eine Welle von Mitgefühl und Protesten aus. UN-Generalsekretär Kofi Annan ernannte sie zur UN-Sonderbotschafterin im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung. Als Menschenrechtsaktivistin, Bestsellerautorin und Künstlerin inspiriert Waris Dirie heute weltweit Millionen von Frauen und schenkt ihnen Hoffnung. Mit der von ihr gegründeten Desert Flower Foundation kämpft sie weltweit gegen weibliche Genitalverstümmelung und setzt sich für die Rechte afrikanischer Frauen ein. Gemeinsam mit ihren zwei Söhnen lebt Waris Dirie heute in Polen und Österreich.
Als somalisches Nomadenkind geboren, durchlitt Waris Dirie im Alter von fünf Jahren die unmenschliche Prozedur einer genitalen Verstümmelung. Mit 13 Jahren flüchtete sie alleine durch die Wüste nach London. Im Alter von 18 Jahren wurde sie vom englischen Star-Fotografen Terence Donovan als Model entdeckt. Ihr gelang der Durchbruch zu internationaler Berühmtheit. In einem Interview für das Magazin "Marie Claire" in New York erzählte Waris Dirie über ihr Schicksal und das grausame Ritual der Genitalverstümmelung an Frauen und löste damit weltweit eine Welle von Mitgefühl und Protesten aus. UN-Generalsekretär Kofi Annan ernannte sie zur UN-Sonderbotschafterin im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung. Als Menschenrechtsaktivistin, Bestsellerautorin und Künstlerin inspiriert Waris Dirie heute weltweit Millionen von Frauen und schenkt ihnen Hoffnung. Mit der von ihr gegründeten Desert Flower Foundation kämpft sie weltweit gegen weibliche Genitalverstümmelung und setzt sich für die Rechte afrikanischer Frauen ein. Gemeinsam mit ihren zwei Söhnen lebt Waris Dirie heute in Polen und Österreich.
1.
Die Botschaft
Meine Kehle ist wie zugeschnürt, ich ringe nach Luft. Meine Hände beginnen zu zittern, werden nass, suchen in den Armlehnen des grauen Ledersessels Halt. Ich will raus hier, will nicht sehen, was gleich zu sehen sein wird, will bloß noch verschwinden. Zu oft schon hatte ich diese Bilder vor Augen, und ebenso oft habe ich sie wieder verdrängt. Aber wieder einmal werde ich nicht wegsehen können. Meine Augen beginnen zu brennen. Ich spüre, wie das Blut in meinen Schläfen pulsiert, als würde mein Kopf jeden Augenblick platzen. Ich habe Todesangst. Der abgedunkelte Saal scheint immer kleiner und enger zu werden. Ich bin gefangen, gefangen im Gestern, im Heute und in dem, was unaufhaltsam auf mich zukommt.
Dann ein gellender Schrei. Er hallt durch den Konferenzraum, geht durch Mark und Bein. Vor meinen Augen erscheint das schmerzverzerrte Gesicht eines kleinen Mädchens. Ein Mädchen, wie ich es selbst einmal war. Blut, überall Blut. Der abgebrochene Ast eines Dornbusches. Knöcherne, zerfurchte, grobe Hände, die messerscharfe Dornen aus dem knorrigen Ast brechen. Das Gesicht einer alten Hexe. Zerstörerisch, verbissen, hässlich, mit einem Blick, dessen Kälte mir Schauer über den Rücken treibt. Zwei Hände packen die Beine des kleinen Geschöpfes, reißen sie brutal auseinander.
Es sind die Hände der Mutter, die tut, was sie glaubt, tun zu müssen. Unnachgiebig und entschlossen. Sie wird das Leben ihrer kleinen Tochter für immer zerstören. Was geht in ihrem Kopf wohl vor, während sie das Mädchen festhält? Es auf die Schlachtbank führt. Wie kann sie ihrem eigenen Kind nur etwas so Grausames antun? Ihrem eigenen Fleisch und Blut. Warum nimmt sie ihre Tochter nicht und läuft mit ihr davon? Sie hat doch bereits eine Tochter verloren, die an den Schnitten und Stichen der Mörderin verblutet ist. Und jetzt? Wird dieses Mädchen überleben?
Was wird sie später einmal sagen, wenn ihre erwachsene Tochter sie fragen wird, warum man ihr dies angetan hat? Dass es Allahs Wille sei? Dass die Tradition ihres Volkes es verlange? Dass sie nur so eine gute, treue und reine Ehefrau sein könne? Dass man ansonsten nie einen Ehemann für sie gefunden hätte, der einen angemessenen Brautpreis für sie bezahlt? Dass dies zu ihrer eigenen Sicherheit geschehen sei? Dass man es in ihrem Stamm bisher immer so gemacht habe und auch künftig so machen werde? Oder dass Frau zu sein nun mal bedeute, zu leiden und sich zu unterwerfen.
Eine unendliche Wut steigt in mir auf. Tränen des Zornes und der Verzweiflung schießen mir in die Augen, strömen mir unaufhaltsam übers Gesicht. Ich habe nur noch einen Gedanken: Das muss aufhören! Das muss für alle Zeit aufhören!
Die Lichter im Sitzungssaal des Berlaymont-Gebäudes in Brüssel gingen an. Schnell wischte ich mir die Tränen von den Wangen und sah mich um. Ich war auf einer internationalen Konferenz gegen weibliche Genitalverstümmelung, zu der mich Viviane Reding, die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, eingeladen hatte.
Die grausame Beschneidungsszene aus meinem Film Wüstenblume leitete die Tagung ein. EU-Kommissare, Minister, Abgeordnete, Vertreter diverser Non-Profit-Organisationen und Journalisten blickten betroffen auf die Leinwand über mir. Sie alle kannten mein gleichnamiges Buch, in dem ich 1998 über mein eigenes Martyrium als fünfjähriges Mädchen und meine Flucht von zu Hause erzählt hatte. Viele der Anwesenden hatten es gelesen, einige von ihnen hatten auch den Film gesehen, der im Jahr 2009 in die Kinos gekommen war. Dennoch standen jedem einzelnen Entsetzen und Betroffenheit deutlich ins Gesicht geschrieben. Ich fühlte, dass die heftigsten Bilder des Films die Menschen im Saal tief bewegt hatten.
Schweigend verfolgten alle, wie ich zurück ans Rednerpult trat. Ich brauchte einige Momente, um mich zu fangen und die grausamen Szenen, die mich und mein Leben für immer geprägt haben, einmal mehr zu verdrängen.
»Hier, Waris.« Joanna reichte mir von ihrem Platz aus der ersten Reihe ein Taschentuch.
Sie war inzwischen weitaus mehr als meine Assistentin, Managerin und rechte Hand. Joanna war im Laufe der gemeinsamen Jahre und unseres gemeinsamen Kampfes gegen Female Genital Mutilation oder kurz FGM, wie es im internationalen Sprachgebrauch heißt, zu meiner engsten Vertrauten und treuesten Freundin geworden.
Niemand wusste besser als sie, was die Bilder der Beschneidungsszene mit mir machten. Mit welcher Kraft das Trauma des Erlebten immer noch in mir wütete. Dutzende Male hatte ich Wüstenblume inzwischen bei Premieren und Präsentationen in der ganzen Welt gesehen, ich hatte sogar bei der Entstehung des Films mitgewirkt und mich explizit dafür ausgesprochen, den Akt der Genitalverstümmelung möglichst drastisch zu gestalten. Dabei sind die wahre Grausamkeit und Brutalität, die jährlich rund drei Millionen Mädchen weltweit widerfahren, wenn ihnen die Klitoris sowie die inneren und äußeren Schamlippen mit einer schmutzigen Rasierklinge bei vollem Bewusstsein förmlich abgemetzelt und dann die blutigen Stümpfe der Schamlippen zusammengenäht werden, gar nicht darstellbar.
Allein der Schrei des kleinen Mädchens, das mich auf der Kinoleinwand verkörperte, löste jedes Mal aufs Neue einen Flashback in mir aus. Er ließ mich Grauen, Schmerz und Ängste erneut durchleben. Es war, als würde jemand die tiefen Wunden, die ich seit meiner Kindheit mit mir herumtrage, wieder aufreißen. Unzählige Male hatte mich Joanna nach der Szene schon in den Arm genommen und versucht, mich zu beruhigen. Auch diesmal blickte sie mir von der ersten Reihe aus tief in die Augen und nickte mir zu, um mir wie schon so oft Mut zuzusprechen.
Wenige Stunden vor meinem Vortrag hatte ich die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, die zudem Kommissarin für das Ressort Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft war, in ihrem Büro getroffen.
»Waris, ich bin ja so froh, dass Sie wieder nach Brüssel gekommen sind!«, begrüßte Viviane Reding mich mit einem wohlwollenden Lächeln.
»Auch ich freue mich, hier zu sein«, erwiderte ich höflich.
»Ich verspreche Ihnen, ich werde Sie bei Ihrem Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung zu hundert Prozent unterstützen!« Ihre hellblauen Augen funkelten erwartungsvoll durch ihre elegante, randlose Brille. »Gemeinsam werden wir dieses Thema an die Öffentlichkeit bringen, die Menschen müssen alles darüber erfahren«, fuhr Reding bestimmt fort und verschränkte die Arme vor ihrem apfelgrünen Kostüm.
Für einen Augenblick war ich sprachlos. »An die Öffentlichkeit bringen?«, schnaubte ich regelrecht. Es fiel mir schon immer schwer, in der derlei Situationen diplomatische Contenance zu bewahren.
Als die Vizepräsidentin nicht reagierte, redete ich einfach weiter.
»Wie bitte?«, blaffte ich und starrte sie erbost an. »Ich tue seit 1996 nichts anderes, als die Menschen über FGM zu informieren und aufzuklären. Ich habe in New York vor der UN gesprochen, hier in Brüssel vor der Europäischen Union, außerdem vor der Afrikanischen Union in Addis Abeba und vor vielen Regierungen auf der ganzen Welt. Ich bin in Dutzenden Talkshows aufgetreten, habe unzählige Interviews gegeben und dabei mein Innerstes offenbart, sozusagen meine Intimität geopfert, um die Menschen wachzurütteln.« Meine Stimme wurde lauter und begann zu vibrieren. »Ich habe für die UNO und die Afrikanische Union sogar als Sonderbotschafterin gearbeitet und die Desert Flower Foundation gegründet. Jahrelang habe ich jeden Funken meiner Energie in den Kampf gegen Genitalverstümmelung in der ganzen Welt gesteckt. Und Sie wollen mit mir immer noch darüber reden, wie man die Öffentlichkeit am besten über das Thema informiert?«
Peinlich berührt blickte Viviane Reding zu Boden, während ich sie mit meinem Blick förmlich durchbohrte. Mit einer solchen Reaktion hatte die resolute Frau, der vermutlich nur selten jemand widersprach, bestimmt nicht gerechnet.
Als sie mir endlich wieder in die Augen sah, fuhr ich leise, aber umso bestimmter fort: »Mama, ich bin nicht hier, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ich bin hier, um mit Ihrer Hilfe weibliche Genitalverstümmelung, dieses Verbrechen an kleinen Mädchen, endlich und für alle Zeit auszurotten. Geredet wurde schon mehr als genug. Ich will jetzt Taten sehen. Von der...
Erscheint lt. Verlag | 28.1.2014 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Afrika • afrikanische Frauen • Beschneidung • Frauenschicksal • frauenschicksale bücher • Genitalverstümmelung • Kindheit in Somalia • Leben in Afrika • Mädchen Beschneidung • Mädchenschicksal • Mädchen Unterdrückung • Safa Idriss Noura • Somalia • Verfilmung von Wüstenblume • wahre frauengeschichte • wahre Frauenschicksale • Waris Dirie • Weibliche Genitalverstümmelung • Wüstenblume |
ISBN-10 | 3-426-42079-1 / 3426420791 |
ISBN-13 | 978-3-426-42079-9 / 9783426420799 |
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