Mehr Charme als Etikette (eBook)
CCCLXVIII, 100 Seiten
Francke-Buch (Verlag)
978-3-86827-918-4 (ISBN)
Die Krankenschwester Cathy Marie Hake hat sich - auch auf der Krebsstation - eine gesunde Portion Humor bewahrt. Der schimmert immer wieder in den 25 Büchern durch, die sie geschrieben hat. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Anaheim/Kalifornien.
Die Krankenschwester Cathy Marie Hake hat sich – auch auf der Krebsstation – eine gesunde Portion Humor bewahrt. Der schimmert immer wieder in den 25 Büchern durch, die sie geschrieben hat. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Anaheim/Kalifornien.
Kapitel 1
Jefferson City, Missouri, 1895
Wie viel Schaden kann eine winzige Fischgräte wohl tatsächlich anrichten?, fragte sich Ruth, als sie darüber nachdachte, das kleine krumme Ding einfach zu schlucken. Wie ich mein Glück kenne, bleibt sie mir im Hals stecken und ich huste mich zu Tode.
Gerade als sie sich dazu entschlossen hatte, ihre Serviette zu nehmen und das Ärgernis diskret zu entsorgen, sah Miss Pettigrew sie an. Ruth wurde kalt und sie zwang ihre geschlossenen Lippen zu einem Lächeln.
Na, immerhin habe ich den Mund zu.
Die Direktorin der Pettigrew Academy bedachte Ruth mit einem eisigen Nicken. Nach dem Debakel am Nachmittag hatte Ruth auch nichts anderes erwartet. In einem Augenblick von Sprachverwirrung – oder geistiger Umnachtung – hatte sie es doch tatsächlich fertiggebracht, der Gartengesellschaft den neuen Pastor Reverend Clark Mumsy als Reverend Mark Clumsy vorzustellen. Clumsy … tollpatschig. Damit hatte sie sich selbst lächerlich gemacht und ein ziemlich schlechtes Licht auf die Akademie geworfen.
Oh, wie werde ich nur diese Gräte los?
Ruth hob ihre Serviette. Plötzlich geriet der silberne Kerzenleuchter in der Mitte des Tisches bedrohlich ins Schwanken … dann fiel er sogar um – auf Miss Pettigrews wertvolle irische Leinentischdecke. Erst als ihr Teller langsam vom Tisch rutschte und die ersten Mädchen zu quietschen anfingen, fiel Ruth auf, dass sie anders als gedacht nicht ihre Serviette erwischt hatte – sie zog an der Tischdecke!
Wusch! Die kunstvollen Stickereien auf dem Tischtuch in der Mitte fingen Feuer und aus dem Quietschen wurden laute Schreie. Ruth schüttete erst das Wasser aus ihrem Kristallglas in die Flammen, dann die Reste aus der Teekanne, die neben ihr stand. Da ein paar der anderen Mädchen ebenfalls ihre Getränke über dem Feuer entleerten, hatten sie es innerhalb weniger Augenblicke gelöscht.
Ruth erstickte die letzte Glut. Ihr war klar, dass, selbst wenn die Teeflecken entfernt werden könnten, die Decke nicht mehr zu retten war.
„Miss Caldwell, in mein Büro, bitte.“ Miss Pettigrew erhob sich und marschierte aus dem Esszimmer.
Ruth wusste, dass das bitte alles andere als eine Bitte war. Natürlich gefiel es ihr nicht, der Direktorin zu folgen, aber ein Befehl war ein Befehl. Sie schob die Schultern zurück und tat so, als würde sie das Mitleid auf den Gesichtern ihrer Mitschülerinnen nicht sehen.
Im Flur holte Ruth endlich die Gräte aus ihrem Mund und steckte sie in die Erde des Farns, der vor Miss Pettigrews Büro stand.
Jetzt finde ich wirklich raus, wie viel Schaden eine winzige Fisch- gräte anrichten kann.
Als sie an sich hinuntersah, seufzte sie still. Ihr Kleid war völlig beschmutzt. Schnell zupfte sie die in Scheiben geschnittenen, nach Fisch riechenden Mandeln ab und steckte sie zu der Fischgräte in den Farn. Leider hinterließen ihre erdigen Finger Streifen auf ihrem besten Kleid. Die großen, nassen Flecken taten ein Übriges, um sie alles andere als vorzeigbar aussehen zu lassen. Das einzig Gute an ihrem nassen Rock war, dass er so schwerer und länger war und ihre abgewetzten Schuhe verdeckte.
Zu allem Überfluss bemerkte Ruth nun auch noch, dass ihre Haarnadeln sich gelöst hatten. Miss Pettigrew legte viel Wert darauf, dass Frauen ihre „Krone der Pracht“ pflegten, und würde sicher kein Verständnis dafür aufbringen, wenn Ruth ihr unfrisiert gegenübertrat. Schnell sah sie sich um, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtete, dann zog sie ihren Rock hoch, wischte sich die Hände am Unterrock ab und ließ ihr Kleid dann wieder fallen. Danach schob sie die Haarnadeln zurück an Ort und Stelle und marschierte in die Höhle der Löwin.
„Miss Caldwell“, begrüßte Miss Pettigrew sie kalt, „bitte schließen Sie die Tür.“
„Ja, Ma’am.“ Während Ruth ihr gehorchte, konnte sie einen Schauder nicht unterdrücken. Das Gleiche hatte sie auch schon an anderen Schulen durchgemacht. Die Erniedrigung eines Rauswurfs lastete auf jedem anständigen Mädchen schwer, aber Ruth hatte sich immer wieder so viel Mühe gegeben und doch versagte sie ein ums andere Mal.
Ich wollte Mama stolz machen und habe schon wieder alles verdorben. Sie wird mich zu Hause willkommen heißen und so tun, als wäre nichts passiert, aber sie will, dass ich eine wohlerzogene Dame werde und gut heirate. Und ich vermassle es wieder und wieder. Wäre es so schlimm, wenn ich zu Hause bleiben und eine alte Jungfer werden würde?
„Miss Caldwell.“
Miss Pettigrews Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Ruth drehte sich um, um sich ihrem Schicksal zu stellen.
Die Direktorin ließ sich elegant auf ihrem Stuhl hinter dem Schreibtisch nieder. „Ich habe mein Bestes gegeben.“
„Ich bin mir sicher, dass Sie das haben“, stimmte Ruth ihr zu. Immerhin war sie schon seit sechs Monaten hier – doppelt so lang, wie sie irgendwo anders gewesen war.
„Jeder verdient eine Chance und die Bibel lehrt uns Langmut. Aber ich fürchte, Ruth, ich habe lang genug gelitten.“
Ruth stand respektvoll schweigend da. So würde sie die ganze Sache hoffentlich nicht noch schlimmer machen.
„Die Pettigrew Academy für junge Damen kann sich den Stürmen, die Sie auslösen, nicht stellen. Der gute Ruf ist alles“, betonte die Direktorin. „Ja, ich habe wirklich versucht Ihnen beizubringen, dass der gute Ruf alles ist. Einmal ruiniert, erholt er sich nie wieder. Ich habe Angst um Ihren guten Ruf, meine Liebe, aber noch viel mehr fürchte ich um den guten Ruf der Schule und den der anderen Schülerinnen. Ich kann nicht riskieren, dass man in der Gesellschaft über uns tuschelt.“ Sie seufzte. „Würde. Benehmen. Anmut. Eine Frau muss diese Qualitäten kultivieren. Sie hingegen neigen zu eigensinnigen, störrischen Handlungen und folgen Ihren Impulsen. Das kann nur zum völligen Ruin führen.“
Ruth kämpfte gegen den Drang an, ihr Gewicht auf ein Bein zu verlagern und sich die Wade mit dem Fuß zu kratzen. Miss Pettigrew erwärmte sich langsam für das Thema und Ruth nahm an, dass die ältere Frau ein Recht auf eine letzte Tirade hatte.
„Ich habe Ihnen verziehen, als Sie der Köchin die beste Pfanne stahlen, um diese kleinen Vögel zu retten.“
„Zwei der drei Nestlinge haben überlebt“, erinnerte Ruth sie.
„Ja, aber Sie brachten Würmer ins Haus, um sie zu füttern.“ Miss Pettigrew schüttelte sich. „Und das war nur der Beginn einer ganzen Reihe von unangebrachten Dingen, die Sie über meine Schwelle getragen haben. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wo wir gerade davon reden …“ Sie erhob sich, öffnete die Schublade eines Schrankes und holte etwas hervor. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt sie den Stoff der Schärpe hoch, die die Gleichberechtigung forderte, als könnte die Seide sie mit etwas Widerlichem anstecken. Sie reichte sie Ruth. „Hier. Nehmen Sie das. Ich möchte mich nicht Diebin nennen lassen.“
„Danke.“ Ruth nahm die Schärpe an sich. An jenem Tag aus der Schule auszureißen, um an einem Protestmarsch teilzunehmen, war schon unanständig genug gewesen, aber als sie dann auch noch mit dieser Schärpe zurückgekommen war, hatte Miss Pettigrew fast den Verstand verloren. Ihre Reaktion war so schlimm gewesen, als hätte Ruth Mr Buchanans Weißes Haus persönlich gestürmt und ihn mit dieser Schärpe erdrosselt. Wutentbrannt hatte sie den roten Seidenstoff konfisziert und sicher verschlossen, als könnte sie damit gleichzeitig den skandalösen Gedanken wegsperren, dass Frauen ein Recht auf ihre eigene Meinung hatten und zur Wahl zugelassen werden sollten.
„Eine junge Frau mit Ihrer Lebensfreude und Intelligenz sollte eine Stütze der Gesellschaft sein.“ Miss Pettigrew ging zurück hinter ihren Schreibtisch, nur dass sie dieses Mal stehen blieb. Die Entschlossenheit in ihrem verkniffenen Gesicht verriet Ruth, dass der angenehme Teil ihrer Ansprache jetzt vorbei war. „In den siebenundzwanzig Jahren, die ich diese Schule nun schon leite, ist mir nie eine Frau untergekommen, die ich nicht zu einer geschliffenen, eloquenten jungen Dame machen konnte.“ Sie hielt bedeutungsvoll inne, bevor sie fortfuhr. „Doch dann kamen Sie.“ Wieder eine Pause. „Ich habe in mich hineingehorcht und bin zu dem Schluss gekommen, dass es nicht mein Fehler ist. Nun, ich bin eine Nachfahrin König Heinrich des Achten.“
Hielt sie das etwa für eine Auszeichnung? Er war ein böser, dicker, alter Mann gewesen, der seine Frauen getötet und die Kirche für seine Zwecke missbraucht hatte!
„Jedes Pettigrew-Mädchen hat sich zu einem königlichen Schwan entwickelt, der mit aller gebührenden sozialen Anmut durch das Leben gleitet. Sie, Ruth, wühlen den Schlamm auf und zerzausen den anderen die Federn.“
Was mich zum hässlichen Entlein macht.
„Kurz gesagt, Sie sind eine gesellschaftliche Außenseiterin.“
Ruths Kinn zuckte hoch. Der plötzliche Ruck ließ ihre Haarnadeln wieder verrutschen. Außenseiterin. Das tat weh. Seit dem Tag ihrer Ankunft hier hatte Ruth versucht, sich anzupassen. Sie hatte ihre Impulsivität unterdrückt und für mehr Selbstkontrolle gebetet – nicht, weil sie Miss Pettigrew gefallen, sondern weil sie ihre Mutter stolz machen wollte.
„Die Wahrheit ist nicht schön, Miss Caldwell, aber es führt kein Weg daran vorbei.“
Wie auf Kommando löste sich Ruths Frisur und ihr Haar...
Erscheint lt. Verlag | 8.1.2014 |
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Übersetzer | Rebekka Jilg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • Abenteuer • Farm • Humor • Kalifornien • Kalifornien, 19. Jahrhundert, Humor, Lady, Farm, Abenteuer, Liebe • Lady • Liebe |
ISBN-10 | 3-86827-918-0 / 3868279180 |
ISBN-13 | 978-3-86827-918-4 / 9783868279184 |
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