Die Engelmacherin (eBook)
464 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-0522-6 (ISBN)
Camilla Läckberg, Jahrgang 1974, stammt aus Fjällbacka. Sie hat weltweit über 40 Millionen Krimis und Thriller verkauft und ist Schwedens erfolgreichste Autorin. Mit ihrem Unternehmen »Invest In Her« fördert sie Projekte junger Frauen. Camilla Läckberg lebt mit ihrer Familie in Stockholm.
Camilla Läckberg, Jahrgang 1974, stammt aus Fjällbacka – der kleine Ort und seine Umgebung sind Schauplatz ihrer Kriminalromane. Weltweit hat Läckberg inzwischen zwölf Millionen Bücher verkauft, sie ist Schwedens erfolgreichste Autorin. Heute lebt Camilla Läckberg mit ihren Kindern in einer großen Patchworkfamilie in Stockholm. camillalackberg.com
Sie hatten versucht, die Trauer wegzurenovieren. Beide waren sie nicht überzeugt, dass dies ein guter Plan war, aber sie hatten keinen anderen. Die Alternative wäre gewesen, sich hinzulegen und nie wieder aufzustehen.
Ebba schabte die Hauswand mit einem Spachtel ab. Die Farbe löste sich fast von allein. Sie war bereits kräftig abgeblättert, und Ebba brauchte nur noch ein wenig nachzuhelfen. Die Julisonne brannte so heiß, dass ihr die Haare an der schweißnassen Stirn klebten, und ihr Arm tat weh, weil er nun schon den dritten Tag die gleiche monotone Auf- und Abwärtsbewegung machte. Der körperliche Schmerz kam ihr jedoch gelegen. Wenn er heftiger wurde, überlagerte er für eine Weile den Schmerz in ihrem Herzen.
Sie drehte sich um und betrachtete Mårten, der auf dem Rasen vor dem Haus Bretter zusägte. Er schien ihren Blick zu spüren, denn er sah auf und winkte ihr zu, als wäre sie eine Bekannte, die auf der Straße an ihm vorüberging. Ebba bemerkte, wie ihre Hand die gleiche hilflose Geste ausführte.
Obwohl schon mehr als ein halbes Jahr vergangen war, seit sich ihr Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte, wussten sie noch immer nicht, wie sie miteinander umgehen sollten. Jeden Abend drehten sie sich im Doppelbett den Rücken zu und hatten panische Angst, dass eine unabsichtliche Berührung etwas auslösen könnte, was sie überforderte. Die Trauer ließ offenbar keinen Platz für andere Gefühle. Weder für Liebe noch für Wärme oder Mitgefühl.
Drückend und unausgesprochen stand die Schuld zwischen ihnen. Es wäre einfacher gewesen, hätte man sie genau definieren und verorten können, aber sie wanderte hin und her, Intensität und Form wechselnd, griff sie ständig aus einer anderen Richtung an.
Ebba wandte sich wieder dem Haus zu und kratzte weiter. Die weiße Farbe fiel in großen weißen Fladen zu Boden, das nackte Holz kam zum Vorschein. Sie strich mit der freien Hand über die Bretter. Das Haus war in einer Weise beseelt, die sie so noch nie erlebt hatte. Das kleine Reihenhaus in Göteborg, das sie und Mårten zusammen gekauft hatten, war fast neu gewesen. Damals hatte sie die vollkommen unberührten, blanken Oberflächen geliebt. Nun erinnerte sie das Neue nur noch an das, was früher gewesen war, und dieses alte Haus mit seinen Schrammen passte viel besser zu ihrem seelischen Zustand. Sie erkannte sich in dem Dach wieder, durch das es hereinregnete, im Heizkessel, der in regelmäßigen Abständen einen Tritt brauchte, und in den undichten Fenstern, durch die es derart zog, dass jede Kerze auf dem Fensterbrett sofort ausging. So war es auch in ihrer Seele, zugig und kalt. Und jedes Licht, das sie anzuzünden versuchte, wurde unbarmherzig ausgepustet.
Vielleicht würde ihre Seele hier auf Valö heilen. Obwohl sie keine Erinnerungen an die Insel hatte, war sie ihr sofort vertraut gewesen. Wenn Ebba zum Steg hinunter ging, sah sie den kleinen Küstenort auf der gegenüberliegenden Seite. Wie Perlen auf einer Schnur reihten sich die weißen Häuschen und die roten Bootsschuppen aneinander. Der malerische Anblick tat beinahe weh.
Schweißtropfen brannten ihr in den Augen. Sie wischte sich das Gesicht mit dem T-Shirt ab und blinzelte in die Sonne. Über ihr kreisten die Möwen. Kreischend riefen sie sich etwas zu, und ihre Schreie vermengten sich mit den Geräuschen der Boote im Sund. Ebba schloss die Augen und ließ sich von den Lauten davontragen. Fort von sich selbst, fort von …
»Sollen wir eine Pause machen und baden gehen?«
Als Mårtens Stimme die Geräuschkulisse durchdrang, zuckte sie zusammen. Verwirrt schüttelte sie zunächst den Kopf, nickte dann aber.
»Okay.« Sie stieg vom Gerüst herunter.
Die Badesachen hingen zum Trocknen hinter dem Haus. Sie streifte die verschwitzten Arbeitsklamotten ab und zog sich einen Bikini an.
Mårten, der schneller war als sie, wurde ungeduldig.
»Können wir jetzt gehen?« Er lief auf dem schmalen Pfad zum Strand voraus. Die Insel war ziemlich groß und nicht so karg wie die kleineren Inseln im Bohusläner Schärengarten. Dichtbelaubte Bäume und hohes Gras säumten den Pfad. Sie trat fest mit dem Fuß auf. Die Angst vor Schlangen war tief verankert und hatte sich noch verstärkt, seit sie vor einigen Tagen eine Kreuzotter gesehen hatten, die wohlig in der Sonne lag.
Der Pfad führte steil zum Wasser hinunter, und sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Frage durch den Kopf ging, wie viele Kinderfüße hier in all den Jahren schon entlanggelaufen waren. Das Gebäude wurde immer noch als Ferienheim bezeichnet, obwohl es schon seit den dreißiger Jahren nicht mehr als solches diente.
»Pass auf!« Mårten zeigte auf ein paar Baumwurzeln auf dem Weg.
Seine Fürsorglichkeit, die sie eigentlich hätte rühren müssen, kam ihr vor allem einengend vor. Demonstrativ trat sie auf die Wurzeln. Nach wenigen Metern fühlte sie groben Sand unter den Füßen. Die Wellen schlugen gegen den langgezogenen Strand. Sie ließ das Handtuch fallen und marschierte geradewegs in das salzige Wasser. Algenbüschel streiften ihre Beine, und die plötzliche Kälte ließ sie nach Luft schnappen, doch bald genoss sie die Abkühlung. Hinter sich hörte sie Mårten rufen. Sie tat, als würde sie ihn nicht hören, und ging weiter hinaus ins Tiefe. Als der Boden unter ihren Füßen verschwand, schwamm sie los und erreichte nach wenigen Zügen das kleine Badefloß, das ein Stück weiter draußen verankert war.
»Ebba!« Mårten rief vom Strand nach ihr, aber sie ignorierte ihn noch immer und griff nach der Leiter. Sie brauchte einen Moment für sich allein. Wenn sie sich hinlegte und die Augen schloss, konnte sie sich vorstellen, sie wäre eine Schiffbrüchige irgendwo auf dem Ozean. Ganz allein. Eine Frau, die auf niemanden Rücksicht nehmen musste.
Sie hörte das gleichmäßige Platschen eines Schwimmers neben sich. Das Floß schaukelte, als Mårten die Leiter hinaufstieg. Sie kniff die Augen noch fester zu, um sich noch eine Weile von ihm abzuschotten. Sie wollte allein einsam sein, doch mittlerweile waren sie und Mårten zusammen einsam. Unwillig schlug sie die Augen auf.
Erica saß am Wohnzimmertisch. Um sie herum schien eine Spielzeugbombe explodiert zu sein. Autos, Puppen, Kuscheltiere und Zeug zum Verkleiden in bunter Mischung. Mit drei Kindern im Haus, die noch keine vier Jahre alt waren, sah es meistens so aus. Wie üblich hatte sie sich lieber dem Schreiben gewidmet, anstatt in einem der kostbaren kinderfreien Momente aufzuräumen.
Als sie hörte, dass die Haustür geöffnet wurde, wandte sie sich vom Computer ab. Es war ihr Mann.
»Was machst du denn hier? Wolltest du nicht zu Kristina?«
»Mama war nicht zu Hause. Typisch, ich hätte vorher anrufen sollen.« Patrik kickte seine Gummipantoffeln in die Ecke.
»Musst du die immer anziehen? Und auch noch Auto damit fahren?« Sie zeigte angewidert auf sein Schuhwerk, das zu allem Überfluss neongrün war. Ihre Schwester Anna hatte Patrik die Dinger aus Spaß geschenkt, aber nun wollte er keine anderen Schuhe mehr tragen.
Patrik kam zu ihr und gab ihr einen Kuss. »Die sind doch so bequem.« Er ging in die Küche. »Hat der Verlag dich erreicht? Es muss ja ziemlich dringend gewesen sein, wenn sie sogar bei mir anrufen.«
»Sie wollten wissen, ob ich dieses Jahr wie versprochen zur Buchmesse komme, aber ich weiß es noch nicht genau.«
»Natürlich fährst du hin. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass ich an dem Wochenende nicht arbeiten muss, und kümmere mich um die Kinder.«
»Danke.« Insgeheim jedoch ärgerte sich Erica, dass sie ihrem Mann dankbar war. Was übernahm sie nicht alles, wenn sein Job ihn aus heiterem Himmel forderte oder wenn Wochenenden, Feiertage und freie Abende auf der Strecke blieben, weil die Polizeiarbeit nicht warten konnte? Sie liebte Patrik über alles, aber manchmal hatte sie das Gefühl, dass er gar nicht darüber nachdachte, wie viel Verantwortung für Haus und Kinder auf ihr allein lastete. Sie hatte schließlich auch einen Beruf und war außerdem recht erfolgreich.
Oft musste sie sich anhören, wie großartig es sein müsse, wenn man vom Schreiben leben konnte. Sich die Zeit frei einteilen durfte und sein eigener Chef war. Erica ärgerte sich immer wieder darüber, denn obwohl sie ihre Arbeit unheimlich mochte und wusste, wie gut sie es getroffen hatte, sah die Wirklichkeit anders aus. Freiheit verband sie mit dem Schriftstellerdasein jedenfalls nicht, im Gegenteil. Ein Buchprojekt konnte einen sieben Tage in der Woche rund um die Uhr in Atem halten. Manchmal beneidete sie diejenigen, die einfach zur Arbeit gingen und nach acht Stunden Feierabend hatten. Sie dagegen konnte nie abschalten, und der Erfolg hatte Verpflichtungen und Erwartungen mit sich gebracht, die sich mit dem Leben einer Mutter von kleinen Kindern nur schwer in Einklang bringen ließen.
Zudem war es schwierig zu behaupten, ihre Arbeit sei wichtiger als die von Patrik. Er beschützte Menschen, klärte Verbrechen auf und trug dazu bei, dass die Gesellschaft besser funktionierte. Sie selbst schrieb Bücher, die zur Unterhaltung gelesen wurden. Auch wenn sie manchmal am liebsten vor Wut gebrüllt hätte, war klar und akzeptierte sie auch, dass sie meistens den Kürzeren zog.
Seufzend stand sie auf und folgte ihrem Mann in die Küche.
»Sind die drei im Bett?« Patrik nahm die Zutaten für seinen Lieblingssnack aus dem Schrank: Knäckebrot, Butter, Kaviarpaste und Käse. Erica schüttelte sich bei dem Gedanken, dass er das Ganze auch noch in heißen Kakao stippen würde.
»Ja, sie sind ausnahmsweise alle gleichzeitig eingeschlafen. Sie haben am Vormittag...
Erscheint lt. Verlag | 4.1.2014 |
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Reihe/Serie | Ein Falck-Hedström-Krimi |
Ein Falck-Hedström-Krimi | |
Übersetzer | Katrin Frey |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bestseller • Bücher • Crime • Dänemark • Detektiv • Deutsch • Deutsche • Deutschland • Dexter • eBook • Eltern • Engelmacherin • Erica Falck • Ermittler • Europa • Fall • Familie • Familien • Familienchaos • Familienleben • Family • Finnland • Fjällbacka • Frau • Frauen • Frauenroman • Frauenromane • Frauenromane Bestseller • Gegenwart • Geschichte • Gesellschaft • Göteborg • Hand • Handlung • Haus • Hause • Historische Kriminalromane • Insel • Island • Jahr • Jahre • Jahren • Jahrhundert • Kajsa Ingemarsson • Kind • Kinder • Kindergarten • Kindern • kleinen • Kommissar • Krimi • Kriminalroman • Kriminalromane • kriminalromane bestseller • kriminalromane neuerscheinungen • Krimis • Krimis und Thriller • Küche • Land • Leben • Leuchtturmwärter • Liebe • Mann • Mord • Mutter • Mystery • Neuerscheinungen • Norwegen • Österreich • Patchworkfamilie • Patrik Hedström • Politthriller • Polizei • Polizist • Psycho • Psychothriller • Rolle • Roman • Schweden • Skandinavien • Spannung • Spionage • Stimme • Stockholm • Suspense • Tana French • Tatort • Thriller • Tochter • Unterhaltung • USA • Valö • Vater • Verbrechen • Verwandtschaft • Wasser • Weihnachten • Zeit |
ISBN-10 | 3-8437-0522-4 / 3843705224 |
ISBN-13 | 978-3-8437-0522-6 / 9783843705226 |
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