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Horrorgeschichten (eBook)

Albtraumhafte Erzählungen vom Godfather der Gruselgeschichte

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014 | 1., Originalausgabe
155 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-73384-3 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
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Ambrose Bierce gilt mit seinen gruseligen und albtraumhaften Erzählungen neben Edgar Allan Poe als Begründer der Horror- und Schauergeschichte. Mit schwarzem Humor, einem genauen und entlarvendem Blick für die menschlichen Eigenheiten, teilweise grotesken und überraschenden Pointen faszinieren seine Kurzgeschichten bis heute - und dienten als Vorbild für zahlreiche Autoren und Künstler, von Ernest Hemingway bis Steven Spielberg.

<p>Ambrose Bierce wurde 1842 in Ohio geboren und arbeitete nach seiner Zeit als Soldat im Amerikanischen B&uuml;rgerkrieg als Journalist. Ber&uuml;hmt wurde er durch seine meisterhaften Kurzgeschichten und Erz&auml;hlungen. Er ging 1913 nach Mexiko, wo er unter r&auml;tselhaften Umst&auml;nden spurlos verschwand.</p>

Eine Straße im Mondschein


1. Bericht des Joel Hetman junior


Ich bin der unglücklichste aller Menschen. Wohlhabend, angesehen, von guter Bildung, gesund, und mit noch manchen anderen Vorzügen versehen, die von denen, die sie besitzen, gering geachtet, von denen aber, die sie nicht besitzen, heiß begehrt werden, denke ich manchmal, daß ich weniger unglücklich wäre, wenn ich all diese Vorzüge nicht besäße. Dann könnte sich jedenfalls der Kontrast zwischen meinen äußeren Umständen und meinem Innenleben nicht ständig so qualvoll bemerkbar machen. Unter der Belastung von Entbehrungen und notwendigen Mühen würde ich vielleicht manchmal das dunkle Geheimnis vergessen, das allen Versuchen, es aufzuklären, nur spottet.

Ich bin das einzige Kind von Joel und Julia Hetman. Der erstere war ein wohlhabender Farmer, die zweite eine schöne und vollkommene Frau, der er mit leidenschaftlicher, aber, wie ich jetzt weiß, auch eifersüchtiger und anspruchsvoller Liebe zugetan war. Das Heim meiner Familie lag ein paar Meilen vor Nashville in Tennessee und war ein großes, unregelmäßiges Gebäude, das keiner bestimmten Stilrichtung der Architektur angehörte. Ein wenig abseits der Straße lag es in einem Park voller Bäume und Büsche.

Zu der Zeit, von der ich hier berichte, war ich neunzehn Jahre alt und Student an der Yale-Universität. Eines Tages erhielt ich von meinem Vater ein so dringliches Telegramm, daß ich, um seinen nicht näher begründeten Wunsch zu erfüllen, sofort heimreiste. Am Bahnhof von Nashville erwartete mich ein entfernter Verwandter und nannte mir den Grund für meine Abberufung: Meine Mutter war barbarisch ermordet worden. Weshalb und von wem, wußte niemand; die Umstände jedoch waren wie folgt:

Mein Vater war eines Tages nach Nashville gegangen mit der Absicht, am nächsten Nachmittag zurückzukehren. Irgend etwas ließ ihn sein damaliges Geschäft nicht zu Ende führen, und so wanderte er noch in der gleichen Nacht zurück und kam kurz vor der Morgendämmerung an. Bei seiner Aussage vor dem Leichenbeschauer gab er an, er habe keinen Hausschlüssel gehabt, und da er die schlafende Dienerschaft nicht habe wecken wollen, sei er ohne klar zu bestimmende Absicht um das Haus herum zu dessen Rückseite gegangen. Als er um eine Ecke des Gebäudes bog, hörte er ein Geräusch, als ob eine Tür leise geschlossen würde, und sah undeutlich in der Dunkelheit die Gestalt eines Mannes, der sofort zwischen den Bäumen des Parks verschwand. Eine rasche Verfolgung und kurze Suche – in der Annahme, daß der Eindringling eine Dienerin heimlich besucht habe – blieben erfolglos. So trat mein Vater zu der unverschlossenen Tür ein und stieg die Treppe zu meiner Mutter Zimmer empor. Dessen Tür stand offen, und als mein Vater in die schwarze Dunkelheit trat, stürzte er der Länge lang über einen schweren Gegenstand auf den Fußboden. Ich darf mir die Einzelheiten hier ersparen; es handelte sich um meine arme Mutter, die durch menschliche Hände erwürgt worden war!

Im Hause fehlte nichts; die Diener hatten kein Geräusch gehört, und mit Ausnahme jener schrecklichen Fingerspuren an der Kehle seiner toten Frau – mein Gott! daß ich sie doch vergessen könnte! – wurde niemals mehr eine Spur von dem Mörder gefunden.

Ich gab mein Studium auf und blieb bei meinem Vater, der sich natürlich sehr veränderte. Schon immer von gesetztem und schweigsamem Charakter, verfiel er jetzt einer so tiefen Niedergeschlagenheit, daß nichts mehr seine Aufmerksamkeit auf längere Zeit fesseln konnte, dagegen alles – ein Schritt, das plötzliche Schließen der Tür – in ihm ein jähes krampfartiges Interesse erweckte. Man hätte diesen Zug fast Angst nennen können. Bei jeder kleinen Überraschung der Sinne fuhr er sichtlich zusammen und wurde oft bleich; und danach verfiel er wieder in seine melancholische Gleichgültigkeit, die tiefer war als vorher. Ich meine, er war einfach ein Nervenwrack. Was mich angeht, so war ich damals jünger als jetzt – und damit ist alles gesagt. Jugend bedeutet Gilead, wo Balsam für jede Wunde fließt. Oh, daß ich doch noch einmal in jenem gelobten Land wandeln könnte! Mit dem Leid noch unbekannt, wußte ich nicht, wie ich meinen Verlust bewerten mußte; die Stärke des Schlages konnte ich nicht richtig einschätzen.

Eines Nachts, einige Monate nach jenem schrecklichen Ereignis, gingen mein Vater und ich von der Stadt her nach Hause. Der volle Mond stand seit drei Stunden über dem östlichen Horizont; und über der ganzen Landschaft lag die feierliche Stille einer Sommernacht. Unsere Schritte und das nicht endenwollende Lied der Grillen waren die einzigen Laute. Die schwarzen Schatten der Bäume am Straßenrand lagen quer über der Straße, die in den kurzen Strecken dazwischen geisterhaft weiß schimmerte. Als wir das Tor zu unserem Anwesen erreichten, das ganz im Schatten lag und in dem kein Licht leuchtete, blieb mein Vater plötzlich stehen, packte mich am Arm und sagte kaum vernehmbar:

»Gott! Gott! Was ist das?«

»Ich höre nichts«, erwiderte ich.

»Aber sieh! Sieh doch!« sagte er und wies auf die Straße vor uns.

Ich sagte: »Da ist nichts. Komm, Vater, laß uns hineingehen – du bist krank.«

Er hatte meinen Arm wieder losgelassen und stand starr und bewegungslos in der Mitte der vom Mond beschienenen Straße. Er starrte vor sich hin wie einer, der seiner Sinne beraubt ist. Sein Gesicht zeigte in dem Mondlicht eine unsagbar qualvolle Blässe und Starre. Ich zog sanft an seinem Ärmel, aber er hatte meine Anwesenheit vergessen. Langsam begann er rückwärts zu gehen, Schritt um Schritt, und wandte seine Blicke nicht für eine Sekunde von dem ab, was er sah – oder zu sehen glaubte. Ich drehte mich halb um und wollte ihm folgen, blieb aber unentschlossen stehen. Ich kann mich dabei nicht an ein Gefühl der Furcht erinnern, falls nicht ein plötzlicher Schauder dessen physische Bekundung war. Mir schien, als ob ein eisiger Wind mein Gesicht gestreift und meinen Körper von Kopf bis Fuß eingehüllt hätte; ich konnte seine Bewegung sogar in meinem Haar spüren.

In diesem Augenblick wurde meine Aufmerksamkeit von einem Licht, das plötzlich aus einem oberen Fenster unseres Hauses fiel, abgelenkt. Eine Dienerin war durch was auch immer für eine mysteriöse Vorahnung des Bösen geweckt worden, und einem Drang gehorchend, den sie niemals mehr erklären konnte, hatte sie eine Lampe angezündet. Als ich mich umdrehte, um nach meinem Vater zu sehen, war er verschwunden, und in all den Jahren, die seitdem vergingen, drang über die Grenze der Mutmaßung aus dem Reich des Unbekannten kein Geflüster über sein Schicksal.

2. Bericht des Caspar Grattan


Heute hält man mich noch für lebendig: morgen wird hier in diesem Zimmer ein fühlloser Lehmklumpen liegen, der nur zu lange ich war. Falls irgend jemand das Tuch vom Gesicht dieses unschönen Gegenstandes heben wird, so nur um einer krankhaften Neugier willen. Einige werden zweifellos noch weitergehen und fragen: »Wer war er?« In diesem Bericht gebe ich die Antwort, die zu geben ich fähig bin – Caspar Grattan. Sicher sollte das genügen. Dieser Name hat meinen geringen Bedürfnissen während mehr als zwanzig Jahren eines Lebens von unbekannter Länge gedient. Es ist wahr, ich gab ihn mir selbst, aber da ich keinen anderen besaß, hatte ich das Recht dazu. In dieser Welt muß man einen Namen haben; er verhindert Unklarheiten, selbst wenn er keine Identität begründet. Manche Menschen sind nur durch Zahlen bezeichnet, was ebenfalls eine unzureichende Unterscheidung zu sein scheint.

Eines Tages ging ich zum Beispiel eine Straße in einer weit von hier entfernten Stadt entlang, als ich zwei Männern in Uniform begegnete, von denen einer kurz stehenblieb, mir neugierig ins Gesicht blickte und zu seinem Begleiter sagte: »Dieser Mann sieht aus wie 767.« Etwas an dieser Zahl kam mir vertraut und entsetzlich vor. Durch einen unbeherrschbaren Impuls gedrängt, sprang ich in eine Seitenstraße und rannte davon, bis ich auf einem Feldweg erschöpft niederfiel.

Niemals wieder habe ich diese Zahl vergessen, und immer, wenn sie mir ins Gedächtnis kommt, wird sie begleitet von der Erinnerung an durcheinandergeredete Zoten, dröhnendes, freudloses Gelächter und das Schmettern von Eisentüren. So sage ich denn, daß ein Name, auch ein selbstgewählter, besser ist als eine Zahl. Im Register des Urnenfeldes werde ich bald beides haben. Was für ein Reichtum!

Denjenigen, der diese Aufzeichnung findet, muß ich um Nachsicht bitten. Es handelt sich nicht um die Geschichte meines Lebens; das Wissen, um diese niederzuschreiben, ist mir versagt. Dies ist nur ein Bericht von einzelnen und anscheinend unzusammenhängenden Erinnerungen, von denen einige so klar einander folgen wie Brillantperlen auf einem Faden; andere aber sind weit zurückliegend und merkwürdig und erscheinen wie rote Träume mit leeren und schwarzen Zwischenräumen – wie Hexenfeuer, die still und rot in einer weiten Einöde glühen.

Während ich am Ufer der Ewigkeit stehe, wende ich mich um zu meinem letzten Blick landeinwärts auf den Weg, den ich bis hierher ging. Hinter mir liegen zwanzig Jahre mit deutlich erkennbaren Fußabdrücken – den Abdrücken blutender Füße. Die Spuren führen durch Armut und Qual, sind taumelig und unsicher wie von einem, der unter einer schweren Last dahinwankt – vereinsamt, freudlos, melancholisch, langsam.

Oh, diese dichterische Prophezeiung meines Daseins – wie bewundernswert, wie gräßlich bewundernswert!

Weiter zurück, vor dem...

Erscheint lt. Verlag 20.1.2014
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 50plus • Best Ager • Gänsehaut • Generation Gold • Golden Ager • Gruseln • Halloween • Horror • insel taschenbuch 4285 • IT 4285 • IT4285 • Kürbis • Rentner • Rentnerdasein • Ruhestand • Schauergeschichten • Schwarzer Humor • Senioren
ISBN-10 3-458-73384-1 / 3458733841
ISBN-13 978-3-458-73384-3 / 9783458733843
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