Der verbotene Fluss (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
464 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-11311-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der verbotene Fluss -  Susanne Goga
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Ein meisterhaft erzählter Roman voller Geheimnisse
Charlotte wagt einen großen Schritt, als sie 1890 Berlin verlässt und eine Stelle als Gouvernante in einem herrschaftlichen Haus bei London antritt. Dort ist sie für die junge Emily verantwortlich, die seit dem tragischen Verlust ihrer Mutter von schlimmen Albträumen verfolgt wird und den nahe gelegenen Fluss fürchtet. Besorgt um das Wohl des Mädchens versucht Charlotte, mehr über den Tod von Lady Ellen herauszufinden, doch niemand im Haus ist bereit, das Schweigen zu brechen. Erst mithilfe des Journalisten Tom kommt Charlotte einer dunklen Wahrheit auf die Spur ...

Susanne Goga wurde 1967 in Mönchengladbach geboren und lebt dort bis heute. Die renommierte Literaturübersetzerin und Autorin reist gern - mit Vorliebe auch in die Vergangenheit. Das spiegelt sich in ihren überaus erfolgreichen historischen Romanen wider. Für die Kriminalreihe um Leo Wechsler taucht sie ein ins Berlin der 1920er-Jahre, für den Diana Verlag begibt sie sich immer wieder ins geschichtsträchtige 19. Jahrhundert. Die Künstlerinnen in Glasgow, die dort in jener Zeit ein kreatives Forum gründeten und in ganz Europa berühmt wurden, waren Inspiration für ihren neuesten Roman.

1

September 1890, Dover

Charlotte Pauly stand an der Reling und blickte über das graue Wasser, wo aus dem Dunst allmählich ein weißer Schimmer auftauchte. Beim Näherkommen schien sich wie von selbst ein Bild zu formen, nahmen die verschwommenen Konturen Gestalt an und wurden zu einer breiten Kette weißer Klippen, gekrönt von noch sommerlich grünen Wiesen. Es sah aus, als hätte eine gewaltige Axt ein Stück Land mit einem Hieb abgetrennt, sodass sich das Übriggebliebene nicht sanft zum Ufer hin absenkte, sondern abrupt an der Meeresküste endete. Charlotte stellte sich vor, wie das abgetrennte Stück ins Meer gekippt und inmitten einer gewaltigen Welle versunken war.

Die weißen Klippen wirkten nicht abweisend, sondern winkten sie herbei, luden sie ein in dieses Land, das ihr neues Zuhause werden sollte. Charlotte atmete tief durch, um die widerstreitenden Gefühle, die in ihr tobten, zu besänftigen. Vorfreude, Anspannung, Heimweh, Entschlossenheit, Zweifel – all das kämpfte in ihrem Inneren um die Oberhand. Sie spürte, wie das Land hinter ihr, der Kontinent, den sie verlassen hatte, sanft an ihr zog und sie gleichzeitig fortstieß. Natürlich war Deutschland ihre Heimat, dort hatte sie ihr bisheriges Leben verbracht, und der Gedanke, vorerst nicht dorthin zurückzukehren, nicht mehr die vertraute Sprache zu hören, lag wie ein Schatten auf ihrer Seele. Andererseits hatten die vergangenen Monate Wunden hinterlassen, die in der Heimat nicht verheilt wären. Die Suche nach einer Stelle in England, der Abschied von ihrer Familie, das Packen der Koffer und das Buchen der Überfahrt nach Dover waren dringend nötig gewesen, rasche Schnitte, die einem langsamen, schmerzhaften Zerreißen vorzuziehen waren.

Ihre Mutter hatte kein Verständnis für ihren Schritt gezeigt. »Was ist denn geschehen, Kind?«

Charlotte hatte nur den Kopf geschüttelt.

»Du kannst nicht einfach fortlaufen, weil du unglücklich oder mit deiner Stellung unzufrieden warst, das ist unvernünftig. Du hättest dir eine neue Arbeit anderswo in Deutschland suchen können. In Bayern vielleicht. München soll sehr schön sein, dann hättest du mit den Herrschaften in die Alpen oder nach Italien reisen können …«

Um weitere unerwünschte Fragen zu vermeiden, hatte Charlotte erwidert, sie müsse Erfahrungen im Ausland sammeln, um ihre Schülerinnen und Schüler später besser Englisch lehren zu können.

»Wer braucht denn Englisch? Französisch ist die Sprache der eleganten Gesellschaft«, hatte die Mutter geantwortet. »Wenn du schon einen Beruf ergreifen musst, statt zu heiraten wie deine Schwestern, kannst du ihn wenigstens in der Heimat ausüben. Es gehört sich nicht für eine junge Frau, allein ins Ausland zu reisen. Und in einer guten Stellung ergibt sich vielleicht die Gelegenheit, einen passablen jungen Mann …«

Bevor ihre Mutter den Satz zu Ende sprechen konnte, hatte Charlotte die Tür der Stube hinter sich zugeschlagen. In den folgenden Tagen hatte die Mutter wiederholt versucht, sie umzustimmen, und ihr Vorwürfe gemacht, sie sei hartherzig und lasse sie, die doch verwitwet sei, allein zurück. Da ihre beiden verheirateten Töchter allerdings in unmittelbarer Nachbarschaft wohnten, konnte Charlotte diesen Versuch, ihr ein schlechtes Gewissen zu bereiten, nicht ernst nehmen. Sie waren nicht im Streit, aber doch in einer Missstimmung auseinandergegangen, was Charlotte bedauerte. Umgestimmt hatte es sie nicht.

»Immer wieder ein schöner Anblick«, sagte eine tiefe, rau klingende Männerstimme neben ihr.

Charlotte tauchte aus ihren Gedanken auf und schaute den Herrn an, der an ihre Seite getreten war. Sein dichter Schnurrbart war vom Tabak gelb verfärbt, doch ansonsten wirkte er gepflegt und lüftete den Hut, als stünde er einer Lady gegenüber.

»Sie sind in England zu Hause?«, fragte Charlotte.

»In der Tat. Darf ich mich vorstellen? William Hershey. Ich bin Kaufmann und weit gereist«, er machte eine vage Handbewegung in die Richtung, die hinter ihnen lag und die vermutlich Frankreich, Europa und den Rest der Welt umfassen sollte, »doch nichts rührt mein Herz wie der Anblick dieser Klippen. Sie gestatten?« Er hob die rechte Hand, in der er eine Pfeife hielt, worauf Charlotte nickte.

»Es sieht wirklich sehr schön aus.«

»Woher kommen Sie, wenn ich fragen darf?« Er paffte mehrfach an der Pfeife, bis sie zog, dann warf er das Zündholz über die Reling. »Ich höre einen leichten Akzent. Niederlande? Skandinavien?«

»Charlotte Pauly. Ich komme aus Deutschland.«

»Deutschland, ausgezeichnet. Bin öfter dort unterwegs, Berlin, Hannover, Hamburg. Gute Geschäftsleute, sparsam und gewitzt. Hamburg gefällt mir, der Hafen, die Eleganz und die feine Lebensart. Berlin ist auf seine Art auch beeindruckend, wenngleich ein bisschen ungemütlich. Kalte Pracht, wenn Sie mich verstehen. Preußische Strenge.«

»Ich habe eine Weile dort gearbeitet«, erwiderte Charlotte.

»Gearbeitet?« Mr. Hershey klang verwundert, als würde ihm erst in diesem Augenblick bewusst, dass Charlotte keine Lady war.

»Als Hauslehrerin bei einer Familie.«

»Verstehe, eine Gouvernante.« Sie meinte, eine leichte Herablassung in seiner Stimme zu hören. Charlotte war Snobismus gewöhnt und antwortete ruhig: »Ich betrachte mich vor allem als Lehrerin. Im Deutschen hat der Begriff Gouvernante etwas Altmodisches und Strenges, das nicht meinem Wesen entspricht. Viele Leute wollen ihre Kinder in ein Korsett von Anstandsregeln zwängen, das ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Das ist nicht meine Art.«

Mr. Hershey überraschte sie mit seinem dröhnenden Gelächter. »Das ist gut, Miss Pauly, wirklich gut. Eine Frau, die sagt, was sie denkt.«

»Sollten das nicht alle Frauen tun?«

»Hm, mir scheint, dass die meisten dazu erzogen werden, gerade das nicht zu tun«, erwiderte er unbekümmert. »Ich für meinen Teil habe nur Söhne, bei denen nimmt man das nicht so genau. Da gilt eine gewisse Forschheit sogar als Charakterstärke und soll tunlichst gefördert werden. Wie halten Sie es denn mit Ihren Schützlingen, wenn ich fragen darf?«

Sie lächelte. Ein neugieriger Mann, aber nicht unsympathisch. »Nun, ich bemühe mich, die Mädchen zu Ehrlichkeit und Höflichkeit zu erziehen. Natürlich gibt es Situationen, in denen allzu große Ehrlichkeit verletzen kann. Dies zu erkennen und taktvolles Verhalten zu lehren betrachte ich als eine meiner wichtigsten Aufgaben neben der Vermittlung von Schulwissen.«

Er nahm erneut den Hut ab. »Chapeau, Miss Pauly, Sie sind eine verständige Frau. Ich will ehrlich sein: Eigentlich bin ich ganz froh, dass meine Frau und ich nur Söhne haben. Das macht vieles einfacher. Schule, Sport, ein bisschen Raufen, sich behaupten lernen, das ist doch das Wichtigste. Zwei meiner Jungen sind in die Firma eingetreten, der dritte fährt zur See. Bekommt demnächst sein Kapitänspatent. Da gibt es kein Getue, keine Empfindlichkeiten, jeder erledigt seine Arbeit und erntet den Lohn dafür.«

Charlotte wusste nicht recht, was sie darauf erwidern sollte. »In Deutschland habe ich auch Jungen unterrichtet und gute Erfahrungen mit ihnen gemacht. Wenn man sie richtig zu nehmen weiß, sind sie fleißig und folgsam. Bei uns existiert die Sitte nicht, Jungen mit acht Jahren in ein Internat zu schicken. In England werde ich hingegen nur ein kleines Mädchen unterrichten.«

»Darf ich fragen, in welche Gegend es Sie zieht?«

»Nach Surrey, in die Nähe von Dorking«, entgegnete Charlotte.

»Die Hügel von Surrey, eine reizende Landschaft mit hübschen Orten. Dort gibt es Wälder, die seit Cromwells Zeiten keine Axt gesehen haben. Sie können sich glücklich schätzen.« Er warf einen Blick auf den näher rückenden Hafen von Dover, über dem eine trutzige Burg aufragte. »Dann wünsche ich Ihnen alles Gute und hoffe, dass Sie sich in unserem Land wohlfühlen«, sagte er herzlich und lüftete zum Abschied noch einmal den Hut.

Als Charlotte allein war, schaute sie wieder hinüber zur Felsküste und stellte sich vor, wie viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Absichten und Hoffnungen diese Meerenge überquert hatten – fromme Mönche, die das Christentum unter den heidnischen Briten verbreiten wollten; kriegerische Normannen auf hölzernen Schiffen, bereit, das Land hinter den Kreidefelsen zu erobern; französische Soldaten, niederländische Kaufleute, Reformatoren, Flüchtlinge. Flöße, Ruderboote, stolze Segler, Lastkähne und mit Dampf betriebene Schiffe, eine nicht enden wollende Kette, die Menschen, Waren und Waffen hin und her beförderte. Sie schloss die Augen und sah den Kanal, wie er vor Jahrhunderten gewesen war, ein schmaler Streifen Wasser und doch immer eine Gefahr, denn nicht alle Schiffe erreichten sicher ihr Ziel. Hier war vor fast achthundert Jahren das Schiff des englischen Thronfolgers gesunken. Von diesen Küsten aus waren Kriegsflotten in beide Richtungen aufgebrochen, um das verlockend nah erscheinende andere Ufer zu erobern.

Und wonach suchte sie? Wer in die Fremde aufbrach, wollte für gewöhnlich etwas hinter sich lassen. Natürlich hätte sie weiter in Deutschland arbeiten können, doch der Drang, neu zu beginnen, war stärker gewesen. Sie wollte die Begegnung mit alten Bekannten aus Berlin verhindern, wollte an einem Ort leben, an dem es keine wissenden Blicke und tuschelnden Münder gab. Sie hatte sich für eine Stelle auf dem Land entschieden, während sie zuletzt in der Großstadt Berlin...

Erscheint lt. Verlag 13.1.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 19. Jahrhundert • 19. Jahrhundert, England, London, Frauenschicksal, Downton Abbey, Familiengeheimnis • 19. Jahrhundert, England, London, Frauenschicksal, Downton Abbey, Familiengeheimnis, Frauenromane • Berlin • Downton Abbey • eBooks • England • Familiengeheimnis • Frauenromane • Frauenschicksal • Historische Romane • London
ISBN-10 3-641-11311-3 / 3641113113
ISBN-13 978-3-641-11311-7 / 9783641113117
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