Der Schamane (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
720 Seiten
Blessing (Verlag)
978-3-641-13278-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Schamane -  Noah Gordon
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Als Nachfahre des legendären Medicus will Rob J. Cole seine medizinische Laufbahn in der Neuen Welt beginnen. Nach ersten Erfahrungen als Armenarzt in Boston lässt er sich am Mississippi als Landarzt nieder. Eine indianische Schamanin weiht ihn dort in ihr Wissen über die heilenden Kräfte der Natur ein. Doch schon bald wird das ruhige Leben am Fluss vom beginnenden Bürgerkrieg erschüttert.

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Noah Gordon (1926 bis 2021) lebte in Boston, Massachusetts, und arbeitete lange Jahre als Journalist beim »Boston Herald«. Mit »Der Medicus« gelang ihm ein internationaler Bestseller, der auch in Deutschland viele Monate auf der Bestsellerliste stand. Noah Gordon wurde weltweit mit mehr als einem Dutzend literarischer Preise ausgezeichnet. Alle seine Romane waren sensationelle Erfolge.

Jiggety-Jig


Die Spirit of Des Moines schickte ihr Signal voraus, als sie sich in der morgendlichen Kühle dem Bahnhof von Cincinnati näherte. Shaman spürte zuerst ein schwaches, kaum wahrnehmbares Vibrieren des hölzernen Bahnsteigs, dann ein deutliches Zittern und schließlich eine kräftige Erschütterung. Plötzlich war das Ungetüm da mit seinem Geruch nach heißem, öligem Metall und Dampf. Im fahlgrauen Zwielicht brauste es auf ihn zu, Messingarmaturen glänzten auf dem schwarzen Drachenkörper, mächtige Kolbenarme bewegten sich rhythmisch, und eine helle Rauchwolke stieg himmelwärts wie die Fontäne eines Wals und löste sich schließlich in zerfasernde Fetzen auf, als die Lokomotive langsam zum Stehen kam.

Im dritten Waggon waren nur noch wenige der harten, hölzernen Sitzplätze frei, und er nahm auf einem von ihnen Platz, während der Zug erzitterte und wieder anfuhr. Züge waren noch immer etwas Neues, aber sie bedeuteten auch, daß man mit zu vielen Leuten reisen mußte. Er zog es vor, allein und gedankenverloren auf einem Pferd zu reiten. Der lange Waggon war brechend voll mit Soldaten, Handlungsreisenden, Farmern und Frauen, von denen einige kleine Kinder dabeihatten. Das Kindergeschrei störte ihn überhaupt nicht, aber der Waggon roch nach einer Mischung aus säuerlich stinkenden Socken, dreckigen Windeln, schlechter Verdauung, verschwitzten, ungewaschenen Körpern und dem Mief von Zigaretten und Pfeifen. Das Fenster schien als Kraftprobe gedacht zu sein, aber Shaman war groß und stark, und es gelang ihm, es zu öffnen, was sich allerdings schnell als Fehler herausstellen sollte. Die mächtige Lokomotive drei Waggons weiter vorne stieß nicht nur Rauch, sondern auch ein Gemisch aus Ruß, glimmenden oder erloschenen Kohlestückchen und Asche aus, das der Fahrtwind nach hinten und zum Teil auch durch das offene Fenster in das Abteil wehte. Bald hatte ein glühender Funke in Shamans neues Jackett ein Loch gebrannt. Hustend und verärgert murmelnd stieß er das Fenster wieder zu und klopfte seine Jacke ab, bis der Funke erloschen war.

Eine Frau auf der anderen Seite des Mittelgangs sah ihm zu und lächelte. Sie war etwa zehn Jahre älter als er und modisch, aber für die Reise praktisch gekleidet. Ihr graues Wollkostüm hatte einen lose fallenden Rock ohne Reifen und war von Paspeln aus blauem Leinen eingefaßt, die das Blond ihrer Haare betonten. Die Augen der beiden trafen sich einen Augenblick lang, doch dann konzentrierte sich die Frau wieder auf das Handarbeitsschiffchen in ihrem Schoß. Shaman wandte sich ohne Bedauern von ihr ab; die Trauer war nicht die rechte Zeit für das Spiel zwischen Männern und Frauen.

Er hatte sich ein wichtiges Buch zum Lesen mitgenommen, doch sosehr er auch versuchte, sich darin zu vertiefen, seine Gedanken wanderten immer wieder zu Pa.

Der Schaffner hatte sich im Mittelgang bis zur Bank hinter Shaman vorgearbeitet; doch er bemerkte ihn erst, als der Mann ihm die Hand auf die Schulter legte. Er schreckte hoch und starrte in ein gerötetes Gesicht. Der Schnauzbart des Schaffners endete in zwei gewachsten Spitzen, und sein ergrauender rötlicher Kinn- und Backenbart gefiel Shaman, weil er den Mund frei ließ. »Sind wohl taub«, sagte der Mann gutmütig. »Ich hab’ Sie schon dreimal nach Ihrer Fahrkarte gefragt, Sir.«

Shaman lächelte ihn ohne Verlegenheit an, denn so etwas passierte ihm immer und immer wieder. »Ja, ich bin taub«, sagte er und gab dem Schaffner die Fahrkarte.

 

Shaman sah, wie sich vor dem Fenster die Prärie ausbreitete, doch der Anblick fesselte ihn nicht. Die Landschaft hatte etwas Monotones, und außerdem raste der Zug so schnell an ihr vorbei, daß einem die Einzelheiten kaum ins Bewußtsein dringen konnten. Am besten reiste man zu Fuß oder zu Pferd – wenn man dann an ein hübsches Fleckchen kam und hungrig war oder pinkeln mußte, konnte man einfach stehenbleiben und sein Bedürfnis befriedigen. Kam ein Zug an ein solches Fleckchen, rauschte es nur verschwommen an einem vorbei.

Das Buch, das er dabeihatte, hieß »Lazarett Skizzen« und stammte aus der Feder einer gewissen Louisa Alcott aus Massachusetts, die seit Beginn des Krieges Verwundete pflegte und deren Schilderungen des Leids und der entsetzlichen Zustände in den Lazaretten in Medizinerkreisen für große Aufregung gesorgt hatten. Als er jetzt darin blätterte, wurde er noch trauriger, denn er mußte dabei daran denken, welche Qualen sein Bruder Bigger durchleiden mochte, der als Kundschafter der Konföderierten vermißt war, wenn er nicht sogar schon zu den namenlosen Gefallenen gehörte. Diese Gedanken führten ihn auf dem Pfad tränenloser Trauer zurück zu seinem Vater, und er sah sich verzweifelt um.

Weiter vorne im Waggon fing ein magerer kleiner Junge an, sich zu übergeben, und seine Mutter, die bleich zwischen Gepäckstapeln und drei weiteren Kleinkindern saß, hielt hastig seinen Kopf, damit er nicht ihre Habseligkeiten bekleckerte. Als Shaman bei ihr war, hatte sie bereits begonnen, den Unrat aufzuwischen.

Er sprach sie an.

»Kann ich ihm vielleicht helfen? Ich bin Arzt.«

»Wir haben kein Geld, um zu bezahlen.«

Er tat den Einwand mit einer Handbewegung ab. Der Junge schwitzte nach dem krampfartigen Erbrechen, doch seine Haut fühlte sich kühl an. Seine Drüsen waren nicht geschwollen, und die Augen wirkten einigermaßen klar.

Sie sei Mrs. Jonathan Sperber, sagte die Frau auf seine Fragen, aus Lima in Ohio und auf dem Weg zu ihrem Gatten, der zusammen mit anderen Quäkern in Springdale, fünfzig Meilen westlich von Davenport, eine Siedlung errichte. Der kleine Patient hieß Lester und war acht Jahre alt. Er sah zwar noch blaß aus, doch die Farbe kehrte bereits in sein Gesicht zurück. Er schien also nicht ernstlich krank zu sein.

»Was hat er gegessen?«

Aus einem schmierigen Mehlsack zog sie widerstrebend eine hausgemachte Wurst. Sie war grün, und Shamans Nase bestätigte, was seine Augen ihm sagten. Mein Gott!

»Iih … Haben Sie die allen gegeben?«

Sie nickte, und Shaman sah die Kleinen angesichts ihrer Verdauung mit Bewunderung an.

»Die dürfen Sie ihnen nicht mehr geben! Die ist ja total verdorben.«

Ihr Mund wurde ein schmaler Strich. »So verdorben kann sie nun auch wieder nicht sein. Sie ist gut gepökelt, wir haben schon Schlimmeres gegessen. Wenn sie wirklich so schlecht ist, wie Sie behaupten, müßten die anderen ebenfalls krank sein und ich auch.«

Er kannte genug Siedler der verschiedensten Bekenntnisse, um zu wissen, was sie damit meinte: Die Wurst ist alles, was wir haben, entweder essen wir die verdorbene Wurst oder gar nichts. Er nickte und ging zu seinem Platz zurück. Sein Proviant steckte in einer aus Seiten des »Cincinnati Commercial« gedrehten Tüte: drei dicke Doppelscheiben dunkles Brot nach deutscher Art mit magerem Rindfleisch dazwischen, ein Erdbeertörtchen und zwei Äpfel, mit denen er kurz jonglierte, um die Kinder zum Lachen zu bringen. Als er Mrs. Sperber das Essen anbot, öffnete sie den Mund, als wolle sie protestieren, schloß ihn aber schnell wieder. Die Frau eines Siedlers braucht eine vernünftige Portion Realismus.

»Wir sind Ihnen sehr verbunden, mein Freund«, sagte sie.

Die blonde Frau auf der anderen Seite des Gangs sah wieder zu ihm herüber, doch Shaman versuchte sich erneut auf das Buch zu konzentrieren, da kam der Schaffner zurück. »Sagen Sie mal, ich kenn’ Sie doch, ist mir grade erst gekommen. Doc Coles Sohn aus Holden’s Crossing, oder?«

»Ja.« Shaman wußte, daß er aufgrund seiner Taubheit erkannt worden war.

»An mich erinnern Sie sich wohl nicht mehr? Frank Fletcher? Hab’ draußen an der Hooppole Road Mais angebaut. Ihr Daddy hat sich über sechs Jahre lang um uns sieben gekümmert, bis ich dann verkauft habe und zur Eisenbahn gegangen bin. Wir sind nach East Moline gezogen. Ich weiß noch, wie Sie als Knirps manchmal mitgekommen sind. Hinten auf dem Pferd haben Sie sich festgeklammert, als wär’s ums Leben gegangen.« Hausbesuche waren für seinen Vater die einzige Möglichkeit gewesen, mit seinen Söhnen zusammenzusein, und den Jungen hatte es sehr gefallen, ihn bei diesen Ausritten zu begleiten. »Jetzt erinnere ich mich an Sie«, sagte er zu Fletcher, »und an Ihre Farm. Ein weißgestrichenes Holzhaus, daneben der rote Stall mit Blechdach und die alte Torfhütte, die Sie als Lagerraum benutzt haben.«

»Ja, genauso war’s. Manchmal sind Sie mitgekommen, manchmal Ihr Bruder – wie heißt er gleich wieder?«

»Sie meinen Bigger, meinen Bruder Alex.«

»Ja. Wo steckt der jetzt?«

»Beim Militär.« Er sagte nicht, in welcher Armee.

»Natürlich. Und Sie werden wohl Pfarrer?« fragte der Schaffner mit einem Blick auf den schwarzen Anzug, der vierundzwanzig Stunden zuvor noch auf einem Verkaufsständer bei Seoligman’s in Cincinnati gehangen hatte.

»Nein, ich bin auch Arzt.«

»Mein Gott. Sie sind doch noch gar nicht alt genug.«

Shaman spürte, daß seine Lippen sich verkrampften, denn mit seiner Jugend kam er schwerer zurecht als mit seiner Taubheit. »Ich bin alt genug. Hab’ in einem Krankenhaus in Ohio gearbeitet. Mr. Fletcher … mein Vater ist am Donnerstag gestorben.«

Fletchers Lächeln verschwand so langsam und vollständig, daß kein Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner Trauer blieb. »Ach. Wir verlieren doch immer die Besten, nicht? Im Krieg?«

»Er war schon wieder zu Hause. Im Telegramm stand Typhus.« Der Schaffner schüttelte den Kopf. »Sagen Sie doch bitte Ihrer Mutter, daß sie eine ganze Menge Leute in ihre Gebete einschließen werden.«

Shaman dankte ihm und erwiderte, das werde sie sehr freuen. »Kommen eigentlich an einer der nächsten...

Erscheint lt. Verlag 3.12.2013
Reihe/Serie Die Medicus-Trilogie
Übersetzer Klaus Berr
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Shaman
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Abenteuerroman • eBooks • Historische Romane • Mittelalter Romane
ISBN-10 3-641-13278-9 / 3641132789
ISBN-13 978-3-641-13278-1 / 9783641132781
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