Shakespeares ruhelose Welt (eBook)

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2013 | 1. Auflage
347 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-65288-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Shakespeares ruhelose Welt -  Neil Macgregor
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Während Shakespeare unvergängliche Werke wie Romeo und Julia, Hamlet, Othello oder König Lear schrieb, ging die Welt durch ein Zeitalter tiefgreifender Veränderungen. Seit der Entdeckung Amerikas hatten sich die Horizonte Europas dramatisch erweitert. Ein ganzes Weltbild geriet ins Wanken. Neil MacGregor führt uns anhand von zwanzig Objekten mitten hinein in diese Zeit - und hinein in die Stücke Shakespeares.
Ob er uns das Schwert eines Edelmanns oder die Wollmütze eines Handwerksburschen, einen Glaskelch aus Venedig oder Münzen aus Marrakesch vorstellt - immer weiß er eines der Themen zu illuminieren, die Shakespeares Zeitalter prägten: die Globalisierung, die Glaubenskämpfe, die Pest, der Islam, die Magie - und uns zugleich vertraut zu machen mit einem der aufregendsten Dichter der Weltliteratur. Das Resultat ist ein hinreißend lebendiges, glänzend geschriebenes und in vielem überraschendes Portrait der gefährlich aufgewühlten Welt von William Shakespeare.



Neil MacGregor ist seit 2002 Direktor des Britischen Museums. Zuvor war er von 1987 bis 2002 Direktor der National Gallery in London. 2008 war er «Brite des Jahres» in England. 2010 erhielt er den erstmals verliehenen «Internationalen Folkwang-Preis». Sein Buch «Geschichte der Welt in 100 Objekten» war auch in Deutschland ein Bestseller.

Neil MacGregor ist seit 2002 Direktor des Britischen Museums. Zuvor war er von 1987 bis 2002 Direktor der National Gallery in London. 2008 war er «Brite des Jahres» in England. 2010 erhielt er den erstmals verliehenen «Internationalen Folkwang-Preis». Sein Buch «Geschichte der Welt in 100 Objekten» war auch in Deutschland ein Bestseller.

Einleitung


Im Innern des hölzernen O


«Diese Hahnengrube,

Faßt sie die Ebnen Frankreichs? Stopft man wohl

in dieses O von Holz allein die Helme nur,

Wovor bei Agincourt die Luft erbebte?

O so verzeiht, wenn in engem Raum

Ein krummer Zug für Millionen stehen soll;

Und laßt uns, [Ziffern] dieser großen Summe,

Auf eure einbildsamen Kräfte wirken!

Ergänzt mit den Gedanken unsre Mängel,

Zerlegt in tausend Teile einen Mann

Und schaffet eingebild’te Heereskraft.

Denkt, wenn wir Pferde nennen, daß ihr sie

Den stolzen Huf seht in die Erde prägen.

Denn euer Sinn muß unsre Kön’ge schmücken …»

(Heinrich V., Prolog)

Bei einigen Gelegenheiten spricht Shakespeare sein Publikum direkt an. In Prolog oder Epilog, in Gestalt des Chors lädt der Autor seine Zuschauer ein, sich ihm anzuschließen: zu einem gemeinsamen Akt poetischer Imagination. Mit ihm zusammen sollen sie sich für einige Stunden in eine andere Welt versetzen und sie bewohnen. «Ergänzt unsre Mängel», darum bittet, an einer berühmten Stelle, der Chor im Prolog zu Heinrich V. Was aber werden Shakespeares Zuschauer gedacht, empfunden haben, wenn sie das Theater betraten, das «O von Holz»? Welche Erinnerungen brachten sie mit, die sie alle prägten, welche Annahmen, welche Missverständnisse? Was genau würde ihre «einbildsamen Kräfte» wecken? Welche. Befürchtungen, welches Vertrauen, welche zum Gemeingut zählenden Bruchstücke der Geschichte kamen ins Spiel, wenn die Zuschauer «unsre Könige schmücken» sollten? Kurz, welche Szenerie hatten sie im Sinn; wie, vor welchem Hintergrund vernahmen sie, wie Heinrich V. seine Soldaten auf die bevorstehende Schlacht einstimmte; wie sahen sie einen Weber zum Esel werden und Julius Caesar sterben?

Mit Hilfe zeitgenössischer Texte, gelehrter und literarischer Schriften mag es uns gelingen, in diese inneren Welten zu reisen, so wie dies Ende der 1940er Jahre E. M. W. Tillyard in seinem The Elizabethan World Picture (Das Weltbild der elisabethanischen Zeit) getan hat, und seither ihm folgend auch andere große Gelehrte. Doch viele Menschen waren es nicht, die damals solche Werke der Literatur und Philosophie, der Wissenschaft und Religion gelesen haben, die es uns heute erlauben würden, eine vollständige Kosmologie aufzudecken. Und unter diesen Lesern wiederum waren ganz sicher nicht die jenigen, die die billigen Plätze im Theater füllten. Den alltäglichen Angelegenheiten dieser Zuschauer bringen uns Wirtschafts- und Sozialhistoriker viel näher; so, wie in jüngerer Zeit auch Literaturhistoriker mit Gewinn begonnen haben, Shakespeare in seine Stadt und Zeit zu stellen.

Die folgenden Kapitel beziehen sich nicht vor allem auf literarische Quellen; die gezeigten Dinge allerdings verbinden sich auch nicht zu einer durcherzählten Geschichte Englands um 1600. Sie wollen uns vielmehr ganz direkt zu einer bestimmten Person, an einen bestimmten Ort führen, zu einer Art zu denken und zu handeln, die wir nur schwer zum Leben erwecken könnten, würden wir ausschließlich mit Texten arbeiten oder aber von weit oben auf die großen historischen Entwicklungslinien schauen. Die gezeigten Dinge sind ein materieller Ausgangspunkt für eine dreiseitige Konversation: Miteinander sprechen die Objekte selbst, die Menschen, die sie benutzten oder sahen, sowie die Worte des Stückeschreibers, die zu einem fest eingewurzelten Bestandteil unserer Sprache und unseres Lebens wurden.

Es liegt eine merkwürdige Kraft in Dingen: Sie können, einmal von uns hergestellt, unser Leben verändern. Das ist eine Wahrheit, von der die großen Religionen der Welt wussten und die sie auch stets genutzt haben. Heilige Reliquien und geweihte Orte haben diese Kraft, uns in der Zeit zu transportieren und damit zugleich auch zu transformieren. Wir glauben dann, neben den Propheten und den Heiligen zu stehen, ihr Menschsein zu teilen, für einen kurzen Augenblick auch ihre Welt zu bewohnen. Vom Charisma der Dinge bewegt, unternimmt dieses Buch zwanzig Reisen in eine vergangene Welt – dies aber nicht in der Absicht, uns irgendeinem bestimmten Heiligen oder Helden näher zu bringen, schon gar nicht der Gestalt im Zentrum des Geschehens selbst, William Shakespeare. Wir wissen über das, was er tat, recht wenig, können nicht hoffen, mit auch nur annähernder Sicherheit aufzudecken, was er dachte, woran er glaubte. Shakespeares innere Welt bleibt, so bitter das ist, im Dunklen. Stattdessen aber erlauben uns die Objekte in diesem Buch, an den Erfahrungen seines Publikums teilzuhaben – einige Tausend Männer und Frauen werden es gewesen sein, die damals, als Shakespeares Stücke zum ersten Mal aufgeführt wurden, die Theater des elisabethanischen und des jakobäischen London besucht haben. Für sie hat er geschrieben. Was war ihre Welt?

Die wichtigsten Theater in Shakespeares London.

Schon dass einfache Männer und Frauen in den 1590er Jahren überhaupt ein Theater besucht haben, zeigt, wie sehr sich ihre Welt von der ihrer Eltern unterschied. Das kommerzielle Theater, wie wir es heute kennen, war damals etwas völlig Neues und als Neuerung in der Massenunterhaltung so umstürzend wie das Fernsehen in den 1960er Jahren. Als Shakespeare ein Junge war, fanden die meisten Theaterproduktionen im Haus eines Adligen oder in einem königlichen Palast statt; oder aber in einem großen öffentlichen Raum, etwa in der Gildhall von Stratford. Räume, die eigens für Bühnenaufführungen konzipiert waren, gab es nur wenige. Die erste als Theater gebaute Spielstätte wurde in London 1576 eröffnet; Shakespeare war damals zwölf Jahre alt. Diese Häuser dienten einem neuen, einem geschäftlichen Zweck und wenn wurden auch nach einem neuen Finanzierungsmodell betrieben. Als Shakespeares Karriere begann, in den 1590er Jahren, war das kommerzielle Theater mit Sitzen (oder Stehplätzen) zu diversen Preisen und, vor allem, ausgerichtet am Geschmack aller Klassen der Gesellschaft bereits ein voll entwickeltes, eingeführtes Geschäftsmodell. Dieses und sein Publikum prägten die gezeigten Stücke.

Wie in den 1960er Jahren das Fernsehen, so zogen um 1600 die Theater einige der damals größten literarischen Talente an. Einem jungen Mann, der das Schreiben zu seinem Geschäft machen wollte, öffneten sich ganz neue Wege; diese Autoren schrieben tatsächlich mit Blick aufs Publikum. Alle, die Eintritt bezahlt hatten, hofften, in den Stücken Menschen agieren zu sehen, die waren wie sie selbst. Darum, und ganz anders als im aristokratischen Drama des klassischen französischen Theaters, treten im englischen Drama alle möglichen Menschen auf: Träger und Totengräber, Wachsoldaten auf ihren Posten, Kerle, die einfach auf den Straßen herumlungern. Solche Gestalten waren im Publikum. Sie waren auf der Bühne.

Auf dem Kontinent gab es solche Theater nicht. Doch in ihrer äußeren Gestalt waren diese sehr englischen Gebäude ein Echo einer anderen, weit entfernten Welt: Die modernen Londoner, die diese neuen Stätten der Unterhaltung schufen, hatten die Theater des alten Rom im Sinn – darum gaben sie ihnen auch den alten Namen theatre, in bewusster Nachahmung der klassischen Welt. Es war ein Gebäudetyp, wie er seit über tausend Jahren kaum mehr gebaut worden war, gleichwohl nicht unbekannt, denn da waren ja die vielen Relikte in Italien und in Südfrankreich: Reisende hatten sie beschrieben, Stiche zeigten Bögen und Ruinen. Die Londoner playhouses allerdings wurden nicht im streng römischen Stil errichtet, nicht aus behauenen Steinen, aus Holz vielmehr und Gips. Stets besucht, wer ins Theater geht, andere Welten. Doch wer sich in eines dieser neuen Freilufttheater begab, der beanspruchte allein schon dadurch – in gewissem Maß zumindest – einen Platz in der klassischen Tradition: Für zwei Stunden lebte man in den Geschichten, manchmal auch unter den Helden der antik-mediterranen Welt. Einen Nachmittag lang konnte man beides sein, alter Römer und zugleich moderner Engländer, moderne Engländerin. Die gleiche Vorstellung steht hinter den Triumphbögen, von denen Kapitel Achtzehn handelt. Und weil es damals jedermann für erwiesen hielt, dass Julius Caesar höchstpersönlich den Tower of London gebaut hatte, war, was Shakespeares Londoner im Sinn hatten, keineswegs so abwegig, wie es uns Heutigen scheinen mag.

Es ist Grundbotschaft aller Werbung, dass wir zu denen werden können, die wir sein wollen, wenn wir nur die richtigen Dinge besitzen. Das galt um 1600 nicht weniger als heute. So wissen wir beispielsweise aus Texten und Erinnerungen, aber auch von den Schauplätzen der Stücke Shakespeares, wie sehnsüchtig viele Elisabethaner vom zeitgenössischen Italien schwärmten, wie sehr sie es nachahmen wollten. Wir können dieser Sehnsucht noch viel intensiver nachspüren, wenn wir eine damals modische, teure Gabel betrachten, stolz mit den Initialen A. N. versehen, die im Rose Theatre verloren ging und die 300 Jahre später unter dem Schutt gefunden wurde.

Über das Leben von A. N. wissen wir gar nichts. War er ein schicker junger Aristokrat, war sie eine teure Hure?...

Erscheint lt. Verlag 7.11.2013
Übersetzer Klaus Binder
Zusatzinfo mit 125 Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Neuzeit bis 1918
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Dichter • Drama • England • Entdeckung • Epik • Europa • Geschichte • Glaubenskämpfe • Globalisierung • Hamlet • König Lear • Literatur • Literaturgeschichte • Nation • Pest • Religion • Shakespeare • Theater • Weltliteratur
ISBN-10 3-406-65288-3 / 3406652883
ISBN-13 978-3-406-65288-2 / 9783406652882
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