Der Medicus von Saragossa (eBook)

Roman

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
528 Seiten
Blessing (Verlag)
978-3-641-13277-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Medicus von Saragossa -  Noah Gordon
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Im Jahre 1492 hat die Inquisition Spanien fest im Griff. Per Edikt wird verkündet, dass alle Juden das Land zu verlassen hätten, und ein großer Exodus beginnt. Jona, der dreizehnjährige Sohn des jüdischen Silberschmiedes Helkias Toledano, steht nach der Ermordung seines Bruders Meir und dem Tod seines Vaters durch einen aufgebrachten Mob völlig allein da. Doch statt sich zum Christentum zu bekehren oder zu fliehen, beschließt er, zu seinem Glauben zu stehen und sich auf eigene Faust durchzuschlagen. Für ihn beginnt eine abenteuerliche Odyssee kreuz und quer durch Spanien. Drei Jahre und zahllose Abenteuer später, im Sommer 1495, ist Jona zu einem kräftigen jungen Mann herangewachsen, der gelernt hat zu überleben und sich dennoch nichts sehnlicher wünscht, als zur Ruhe zu kommen. In Granada begegnet er endlich wieder Glaubensgenossen: der Familie des Seidenhändlers Saadi, die immer noch heimlich ihre Religion praktiziert. Jonas Liebe zu Inés, Saadis schöner Tochter, muss dennoch unerfüllt bleiben. Ein Schiff bringt Jona nach Gibraltar, wo er als Lehrling bei dem Waffenschmied Fierro unterkommt. Fierro muss schließlich selbst vor der Inquisition fliehen und bittet den jungen Mann, ihn zu seinem Bruder Nuno, einem alten Medicus, nach Saragossa zu begleiten. Als der Waffenschmied heimtückisch ermordet wird, beschließt Jona, dennoch seinen Weg nach Norden fortzusetzen. In Saragossa angekommen, entscheidet die Begegnung mit Nuno Jonas Schicksal, denn er spürt sofort, dass in der Heilkunst seine wahre Berufung liegt ...

Noah Gordon (1926 bis 2021) lebte in Boston, Massachusetts, und arbeitete lange Jahre als Journalist beim »Boston Herald«. Mit »Der Medicus« gelang ihm ein internationaler Bestseller, der auch in Deutschland viele Monate auf der Bestsellerliste stand. Noah Gordon wurde weltweit mit mehr als einem Dutzend literarischer Preise ausgezeichnet. Alle seine Romane waren sensationelle Erfolge.

1. KAPITEL


DER SOHN DES SILBERSCHMIEDS


ür Bernardo Espina begannen die schlechten Zeiten an einem Tag, an dem die Luft schwer war wie Eisen und der hochmütige Sonnenschein ein Fluch. An diesem Morgen hatte sich die überfüllte Krankenstation schon fast geleert, als im Wartezimmer bei einer Schwangeren die Fruchtblase platzte und er die beiden noch verbliebenen Patienten aus dem Raum scheuchen mußte. Die Frau war nicht einmal eine Patientin, sondern hatte ihren betagten Vater wegen eines Hustens, der nicht vergehen wollte, zum Arzt gebracht. Das Baby war ihr fünftes und kam ohne Zögern auf die Welt. Espina empfing den glitschigen, rosigen Knaben mit beiden Händen, und als er ihm auf die winzigen Pobacken klatschte, wurde das dünne Schreien des stämmigen kleinen peón von denen, die draußen warteten, mit Hochrufen und Gelächter begrüßt.

Die Entbindung stimmte Espina heiter, doch diese Verheißung eines glücklichen Tages sollte sich als falsch erweisen. Für den Nachmittag hatte er keine Verpflichtungen mehr, und er überlegte, ob er einen Korb mit Süßigkeiten und einer Flasche tinto packen und mit seiner Familie an den Fluß gehen sollte, wo die Kinder planschen konnten, während er und Estrella im Schatten eines Baums saßen und tranken und plauderten.

Er behandelte eben seinen letzten Patienten, als ein Mann auf einem Esel, den er in der Hitze offenbar zu scharf geritten hatte, auf den Hof getrottet kam. Der Mann trug die braune Kutte eines Novizen.

Aufgeregt und ein wenig wichtigtuerisch stammelte der Mann, daß das Erscheinen des Herrn Arztes in der Abtei zur Himmelfahrt Mariä gewünscht werde, von Padre Sebastián Alvarez höchstpersönlich.

»Der Prior möchte, daß Ihr auf der Stelle kommt.«

Der Mann wußte, daß Espina ein converso, ein Konvertit, war, das merkte der Arzt sofort. Zwar erwies er ihm die Ehrerbietung, die Espina dank seines Berufes zustand, aber in seinem Ton schwang auch jene Anmaßung mit, die er einem gewöhnlichen Juden gegenüber an den Tag gelegt hätte.

Espina nickte. Er kümmerte sich darum, daß der Esel Wasser und auch der Mann eine kleine Stärkung erhielt. Er selbst pinkelte vorsichtshalber noch einmal, wusch sich Gesicht und Hände und verzehrte ein Stück Brot. Der Novize war noch beim Essen, als Espina vom Hof ritt.

 

Espinas Konversion lag elf Jahre zurück. Seit dieser Zeit war er ein inbrünstiger Anhänger seines gewählten Glaubens, ein Mann, der jeden Feiertag achtete, täglich mit seiner Frau zur Messe ging und sich darum bemühte, seiner Kirche treu zu dienen. Jetzt machte er sich unverzüglich auf, um der Forderung des Priesters nachzukommen, allerdings in einem Tempo, das sein Tier in der Hitze der kupfernen Sonne schonte.

Als er in der Hieronymiten-Abtei ankam, läuteten gerade die Glocken, deren schmelzender Klang die Gläubigen zum Angelus der Menschwerdung rief, und vier verschwitzte Laienbrüder schleppten einen Korb mit hartem Brot und einen Kessel mit sopa boba herbei, der dünnen Mönchsbrühe, die für die Bedürftigen, welche sich vor dem Tor des Klosters versammelt hatten, die einzige Mahlzeit des Tages sein würde.

Padre Sebastián befand sich zusammen mit Fray Julio Pérez, dem Mesner der Kapelle, im Kreuzgang des Klosters, wo die beiden, ins Gespräch vertieft, auf und ab schritten. Verwundert sah Espina den Ernst in ihren Gesichtern.

Er wirkt verstört, kam es dem Arzt in den Sinn, als der Prior den Mesner fortschickte und Bernardo Espina mit düsterer Stimme in Christi Namen begrüßte.

»In unserem Olivenhain wurde die Leiche eines Jungen gefunden.«

»Der Junge wurde ermordet«, sagte der Priester. Er war ein Mann mittleren Alters mit beständig besorgter Miene, als ängstige er sich, daß Gott nicht zufrieden sei mit seiner Arbeit. Konvertiten gegenüber hatte er sich immer sehr anständig verhalten.

Espina nickte langsam, aber ihm schwante Übles. Es war eine gewalttätige Zeit. Mit leidvoller Regelmäßigkeit wurde jemand tot aufgefunden, doch ist das Leben erst aus einem Menschen gewichen, gibt es keinen Grund mehr, einen Arzt zu rufen.

»Kommt.«

Der Padre Prior führte den Arzt in eine Mönchszelle, in der die Leiche aufgebahrt war. Die Hitze hatte bereits Fliegen angelockt, und der unverwechselbare süßliche Gestank menschlicher Sterblichkeit lag in der Luft. Wegen des Gestanks versuchte er, flach zu atmen, aber es half nichts. Unter der Decke, dem letzten Zugeständnis an die Schicklichkeit, trug die stämmige junge Leiche nur ein Hemd. Es gab Bernardo einen Stich, als er das Gesicht des Jungen erkannte, und er bekreuzigte sich, ohne zu wissen, ob dieser Reflex dem ermordeten jüdischen Jungen oder ihm selbst galt oder von der Anwesenheit des Priesters herrührte.

»Wir wollen die Umstände seines Todes erfahren.« Der Priester sah ihn an. »Alles. Soviel man herausfinden kann«, fügte er hinzu, und der noch immer verwirrte Bernardo nickte.

Eines wußten sie beide bereits. »Das ist Meir, der Sohn von Helkias Toledano«, sagte Bernardo, und der Priester nickte. Der Vater des ermordeten Jungen war einer der besten Silberschmiede von ganz Kastilien.

»Wenn ich mich recht erinnere, war der Junge kaum fünfzehn Jahre alt«, sagte Espina. »Kaum mehr als ein Kind jedenfalls, als der Tod ihn ereilte. Wurde er so gefunden?«

»Ja. Von Fray Angelo, der in der Morgenkühle nach der Frühmette Oliven pflückte.«

»Darf ich ihn untersuchen, Padre Prior?« fragte Espina, und der Prior wedelte ungeduldig mit der Hand.

Das unschuldige Gesicht des Jungen wies keine Verletzungen auf. Auf Brust und Armen waren Blutergüsse zu sehen, ferner eine Sprenkelung auf dem Oberschenkel, drei oberflächliche Stiche auf dem Rücken und ein Schnitt auf der linken Brustseite, über der dritten Rippe. Der Anus war aufgerissen, auf den Hinterbacken klebte Sperma. Und hellrote Blutstropfen auf der durchschnittenen Kehle.

Bernardo kannte die Familie des Jungen, alles fromme und sture Juden, die jene haßten, welche wie er den Glauben ihrer Vorväter aus freien Stücken aufgegeben hatten.

Nach der Untersuchung bat Padre Sebastián den Arzt in die Kapelle, wo sie auf dem harten Steinboden vor dem Altar auf die Knie sanken und ein Vaterunser beteten. Dann trat Padre Sebastián hinter den Altar und zog aus einer Truhe ein kleines Sandelholzkästchen. Er öffnete das Kästchen und nahm ein Rechteck aus stark parfümierter, scharlachroter Seide heraus. Als er das Tuch auffaltete, sah Bernardo Espina ein vertrocknetes und ausgebleichtes Fragment von kaum einer halben Spanne Länge.

»Wißt Ihr, was das ist?«

Der Priester schien den Gegenstand nur sehr widerwillig aus der Hand zu geben. Espina trat in den flackernden Schein der Votivkerzen und betrachtete ihn. »Das Stück eines menschlichen Knochens, Padre Prior.«

»Ja, mein Sohn.«

In diesem Moment befand sich Bernardo auf einer schmalen und schwankenden Brücke über dem Abgrund eines Wissens, das er in langen, geheimen Stunden am Seziertisch erworben hatte. Die Kirche betrachtete das Sezieren als Sünde, aber Espina war noch Jude gewesen, als er bei Samuel Provo in die Lehre ging, einem berühmten jüdischen Arzt, der seit Jahren heimlich sezierte.

Jetzt sah er dem Prior direkt in die Augen. »Ein Teilstück des Femurs, des größten Knochens im Körper. Dies hier stammt von knapp oberhalb des Knies.«

Er untersuchte den uralten Knochen und vermerkte seine Masse, die Winkelbildung, die charakteristischen Erhebungen und Gruben. »Er stammt vom rechten Bein einer Frau.«

»Und das alles erkennt Ihr nur durch bloßes Ansehen?«

»Ja.«

Das Kerzenlicht lag wie ein gelber Glanz auf den Augen des Priors. »Es ist das heiligste Bindeglied zu unserem Erlöser.«

Eine Reliquie.

Bernardo Espina betrachtete interessiert den Knochen. Er hatte nicht erwartet, einer heiligen Reliquie einmal so nahe zu kommen. »Ist es der Knochen eines Märtyrers?«

»Es ist ein Knochen der Santa Ana«, sagte der Prior leise.

Espina brauchte einen Augenblick, bis er begriffen hatte. Die heilige Anna, Mutter von La Virgen María? Das kann nicht sein, dachte er und war entsetzt, als er merkte, daß er den Gedanken laut ausgesprochen hatte.

»O doch, mein Sohn. Bestätigt von jenen, die sich in Rom mit solchen Dingen beschäftigen, und uns gesandt von Seiner Eminenz Rodrigo Kardinal Lancol.«

Espinas Hand, die den Gegenstand hielt, zitterte, wie man es bei jemandem, der seit Jahren als guter Chirurg arbeitete, nicht erwarten würde. Behutsam gab er dem Priester den Knochen zurück und sank dann wieder auf die Knie. Nachdem er sich schnell bekreuzigt hatte, stimmte er gemeinsam mit Padre Prior Sebastián ein neues Gebet an.

 

Als sie etwas später wieder draußen in der heißen Sonne standen, bemerkte Espina, daß sich mehrere bewaffnete Männer, die offensichtlich keine Mönche waren, auf dem Gelände der Abtei aufhielten.

»Habt Ihr den Jungen gestern abend noch lebendig gesehen, Padre Prior?« fragte Espina.

»Ich habe ihn nicht gesehen«, sagte Padre Sebastián und erklärte ihm nun endlich, warum er ihn hatte rufen lassen.

»Die Abtei hatte den Silberschmied Helkias beauftragt, ein Reliquiar aus getriebenem Silber und Gold anzufertigen. Es sollte ein außergewöhnliches Reliquiar in der Form eines Ziboriums sein, ein würdiges Behältnis für unsere geheiligte Reliquie. Darin sollte diese ruhen, bis wir einen angemessenen Schrein zu Santa Anas Ehren finanzieren und bauen können.

Die Entwürfe des Handwerkers waren großartig und ließen darauf hoffen, daß sich die fertige...

Erscheint lt. Verlag 25.11.2013
Übersetzer Klaus Berr
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Last Jew
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Abenteuerroman • eBooks • Historische Romane • Spanien
ISBN-10 3-641-13277-0 / 3641132770
ISBN-13 978-3-641-13277-4 / 9783641132774
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