Asche zu Asche (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
816 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-13559-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Asche zu Asche -  Elizabeth George
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In einem idyllischen Cottage in Kent findet der Milchmann eines Morgens statt der eigentlichen Mieterin eine männliche Leiche vor. Der Vorfall wird noch rätselhafter, als die Ortspolizei den Toten identifiziert: Es ist Kenneth Fleming, Englands gefeierter Cricket-Champion. Bald stellt sich heraus, dass alle Menschen in Flemings Umfeld ein Motiv gehabt hätten, aber sie alle haben auch ein Alibi. Erst als Inspector Thomas Lynley seinen Job, ja sogar sein Leben riskiert, scheint es, als hätten selbst Mörder ein Gewissen ...



Akribische Recherche, präziser Spannungsaufbau und höchste psychologische Raffinesse zeichnen die Bücher der Amerikanerin Elizabeth George aus. Ihre Fälle sind stets detailgenaue Porträts unserer Zeit und Gesellschaft. Elizabeth George, die lange an der Universität »Creative Writing« lehrte, lebt heute in Seattle im Bundesstaat Washington, USA. Ihre Bücher sind allesamt internationale Bestseller, die sofort nach Erscheinen nicht nur die Spitzenplätze der deutschen Verkaufscharts erklimmen. Ihre Lynley-Havers-Romane wurden von der BBC verfilmt und auch im deutschen Fernsehen mit großem Erfolg ausgestrahlt.

Olivia


Chris ist weg, um am Kanal ein Stück mit den Hunden zu laufen. Ich kann sie noch sehen, denn sie sind noch nicht bei der Brücke an der Warwick Avenue angelangt. Bean springt rechts neben ihm her und riskiert dabei ständig einen Sturz ins Wasser. Toast läuft links von ihm. Ungefähr alle zehn Schritte vergißt er, daß er nur drei Beine hat, und fällt fast auf die Schulter.

Chris hat gesagt, daß er nicht lange ausbleiben wird. Er weiß, wie mir zumute ist, während ich dies hier schreibe. Aber er liebt seine Spaziergänge, und wenn er erst einmal unterwegs ist, lassen Sonne und Wind ihn sein Versprechen vergessen. Er läuft bestimmt bis zum Zoo, und ich werde mich bemühen, nicht sauer darüber zu sein. Ich brauche Chris gerade jetzt mehr denn je, darum werde ich mich damit trösten, daß er es stets gut mit mir meint, und werde versuchen, das auch zu glauben.

Als ich im Zoo gearbeitet habe, sind die drei manchmal nachmittags gekommen und haben mich abgeholt. Dann haben wir im Imbißpavillon einen Kaffee getrunken und uns, wenn das Wetter schön war, draußen auf eine Bank gesetzt, von der aus wir die Fassade von Cumberland Terrace sehen konnten. Wir schauten uns die Statuen an, die auf dem Giebelfeld im Halbrund aufgereiht sind, und dachten uns Namen und Geschichten für sie aus. »Sir Bonzo von Bärbeiß« zum Beispiel, dem es in der Schlacht bei Waterloo den Hintern weggerissen hat. »Gräfin Tussi von Taugtnix« nannte ich eine andere, die sich wie die Einfalt vom Lande gebärdete und in Wirklichkeit ein weiblicher Pimpernell war. Oder »Markus Krankus« für einen Kerl in der Toga, der an den Iden des März seinen Mut verloren und sein Frühstück von sich gegeben hat. Und dann lachten wir uns schief über unsere Albernheit und sahen den Hunden zu, die Vögeln und Touristen auflauerten.

Ich wette, sie haben Schwierigkeiten, sich das vorzustellen – mich, Unsinn schwatzend neben Chris Faraday auf der Bank, das Kinn auf die hochgezogenen Knie gestützt, in der Hand einen Becher Kaffee. Und ich war nicht in Schwarz, wie heute, sondern ich hatte Khakihosen und ein olivgrünes Hemd an, die Uniform, die wir im Zoo immer trugen.

Damals glaubte ich zu wissen, wer ich bin. Ich war mit mir im reinen. Äußerlichkeiten zählen nicht, hatte ich etwa zehn Jahre zuvor beschlossen, und wenn die Leute sich an meinem Stoppelhaar stoßen, bei Nasenringen das kalte Grausen bekommen und mit dem Anblick von Ohrsteckern, die wie mittelalterliche Waffen am Ohrläppchen aufgereiht sind, nicht umgehen können, dann zum Teufel mit ihnen. Sie sind unfähig, hinter die Fassade zu blicken, stimmt’s? Sie wollen mich gar nicht sehen, wie ich wirklich bin.

Aber wer bin ich denn nun eigentlich? Was bin ich? Vor acht Tagen hätte ich es Ihnen noch sagen können; da habe ich’s nämlich noch gewußt. Ich hatte mir aus Chris’ Überzeugungen eine eigene Philosophie zusammengeklaut, und die vermengte ich mit dem, was ich in den zwei Jahren Studium von meinen Freunden aufgeschnappt hatte, und das alles verquirlte ich wiederum mit dem, was ich in den fünf Jahren gelernt hatte, als ich Morgen für Morgen mit einem Brummschädel und einem widerlichen Geschmack im Mund aus verschwitzten Bettlaken kroch, ohne auch nur die leiseste Erinnerung an die vergangene Nacht zu haben oder den Namen des Typen zu wissen, der neben mir schnarchte. Ich kannte die Frau, die das alles durchexerziert hatte. Sie war zornig. Sie war hart. Sie war unversöhnlich.

Das alles bin ich noch heute und mit gutem Grund. Aber ich bin noch mehr. Ich kann es nicht identifizieren, aber ich fühle es jedesmal, wenn ich zu einer Zeitung greife, die Berichte lese und weiß, daß der Prozeß wartet.

Anfangs habe ich mir eingeredet, ich hätte die Nase voll davon, mir täglich die Schlagzeilen reinzuziehen. Ich sei es leid, dauernd von dem verdammten Mord zu lesen und jedesmal, wenn ich die Daily Mail oder den Evening Standard aufschlug, die Gesichter der Hauptakteure zu sehen. Ich bildete mir ein, ich könnte dem ganzen Mist entrinnen, wenn ich nur ausschließlich die Times läse. Ich meinte, mich darauf verlassen zu können, daß die Times rein sachlich berichten und es ablehnen würde, sich im Klatsch zu suhlen. Aber sogar die Times hat jetzt die Story übernommen, und es gibt kein Entkommen mehr für mich. Mir einreden zu wollen, es sei doch scheißegal, bringt nichts. Weil es mir nun mal nicht scheißegal ist. Das weiß ich, und das weiß auch Chris, und das ist der eigentliche Grund, weshalb er mit den Hunden losgezogen ist und mir Zeit für mich gelassen hat. Er sagte: »Weißt du, ich glaube, wir bleiben heute morgen ein bißchen länger aus, Livie«, als er seinen Trainingsanzug anzog. Dann nahm er mich auf seine asexuelle Art in die Arme – so halb von der Seite, praktisch ohne jeden Körperkontakt – und marschierte los.

Ich sitze mit einem gelben, linierten Schreibblock auf den Knien und einer Packung Marlboro in der Tasche auf dem Deck des Hausboots. Zu meinen Füßen steht eine Dose mit Bleistiften, die alle scharf gespitzt sind. Das hat Chris besorgt, ehe er gegangen ist.

Ich schaue über das Wasser hinweg nach Browning’s Island, wo die Weiden ihre Zweige auf den kleinen Landesteg herabhängen lassen. Die Bäume sind endlich richtig grün, was heißt, daß es fast Sommer ist. Der Sommer war schon immer Zeit des Vergessens, da schmolzen die Probleme in der Sonne dahin. Darum sage ich mir, wenn ich nur noch ein paar Wochen durchhalte und auf den Sommer warte, wird dies alles vorübergehen. Ich werde mir nicht mehr darüber den Kopf zerbrechen müssen. Ich werde nicht handeln müssen. Ich sage mir einfach, es ist nicht mein Problem. Aber das stimmt nicht ganz, und ich weiß das.

Wenn ich es nicht länger umgehen kann, in die Zeitung zu sehen, fange ich mit den Bildern an. Am längsten sehe ich mir das von ihm an. Ich betrachte, wie er seinen Kopf hält, und ich weiß, daß er glaubt, sich an einen Ort fortgestohlen zu haben, an dem niemand ihn verletzen kann.

Ich verstehe das. Einmal glaubte ich selbst, ich sei endlich an diesem Ort angekommen. Aber die Wahrheit ist: Wenn man einmal beginnt, an einen Menschen zu glauben, wenn man sich einmal vom fundamentalen Guten in einem Menschen anrühren läßt – und das gibt es wirklich, dieses grundlegende Positive, mit dem manche Menschen gesegnet sind –, dann ist alles vorbei. Dann sind nicht nur die Mauern eingerissen, sondern der Panzer selbst ist durchlöchert. Und man blutet wie eine reife Frucht, deren Haut vom Messer durchtrennt wurde und deren Fleisch bloßliegt. Er weiß es noch nicht. Aber früher oder später wird er es erfahren.

Ich schreibe also wohl seinetwegen. Und weil ich mir mitten in diesem traurigen Trümmerfeld von Liebe und Menschenleben darüber im klaren bin, daß ich es bin, die für alles die Verantwortung trägt.

Eigentlich beginnt die Geschichte mit meinem Vater und mit der Tatsache, daß ich seinen Tod verschuldet habe. Es war dies nicht mein erstes Verbrechen, wie Sie sehen werden, aber es war das Verbrechen, das meine Mutter mir nicht verzeihen konnte. Und weil sie es mir nicht verzeihen konnte, wurde unser Leben schwierig. Und andere Menschen wurden ebenfalls verletzt.

Über Mutter zu schreiben, ist so eine Sache. Wahrscheinlich wird es aussehen, als wollte ich schmutzige Wäsche waschen und Rache nehmen. Aber ich nenne Ihnen gleich mal eine Eigenschaft meiner Mutter, von der Sie von Beginn an wissen müssen, wenn Sie das hier lesen wollen. Sie ist eine Geheimniskrämerin. Zwar würde sie, bekäme sie dazu Gelegenheit, zweifellos sehr taktvoll erklären, sie und ich hätten uns vor etwa zehn Jahren wegen meiner »unglückseligen Beziehung« zu einem nicht mehr ganz jungen Musiker namens Richie Brewster entzweit, doch würde sie niemals alles erzählen. Sie würde Ihnen nicht verraten, daß ich die Geliebte eines verheirateten Mannes war, daß er mich schwängerte und dann abhaute, daß ich ihm verzieh, als er zurückkam, und mir von ihm eine Herpesinfektion anhängen ließ, daß ich am Ende in Earl’s Court auf dem Strich landete und für fünfzehn Mäuse die Nummer im Auto schob, wenn ich gerade dringend Koks brauchte. Nein, das würde Mutter Ihnen niemals verraten. Sie würde die Fakten verschweigen und sich einreden, sie wolle mich schützen. Dabei war es in Wahrheit immer so, daß Mutter die Tatsachen unterschlug, um sich selbst zu schützen.

Wovor? fragen Sie.

Vor der Wahrheit, antworte ich. Über ihr Leben. Über ihre Unerfülltheit. Und vor allem über ihre Ehe. Und genau das – jetzt mal abgesehen von meinem höchst unerfreulichen Verhalten  – setzte meiner Meinung nach bei Mutter eine Entwicklung in Gang, die sie schließlich zu der Überzeugung verführte, sie besäße eine Art göttliches Recht, sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen.

Würden aber andere das Leben meiner Mutter unter die Lupe nehmen, so würden, die meisten von ihnen sie selbstverständlich nicht als eine Person sehen, die sich stets in alles einmischen mußte, sondern vielmehr als eine Frau mit vorbildlichem sozialen Gewissen. Die entsprechenden Referenzen kann sie vorweisen: ehemals Lehrerin für englische Literatur an einer stinkenden Gesamtschule auf der Isle of Dogs; vormals ehrenamtliche Wochenendvorleserin bei Blinden; an Feiertagen stellvertretende Leiterin für Sport und Spiel bei geistig Behinderten und in den Ferien Spendensammlerin erster Güte zur Bekämpfung jedweder Seuche, die gerade Medienfavorit war. Oberflächlich betrachtet, könnte man sich Mutter als eine Frau vorstellen, die mit einem Fläschchen Vitaminpillen in der Hand dabei ist, die Leiter zur Heiligsprechung zu besteigen.

»Es gibt Dinge,...

Erscheint lt. Verlag 11.11.2013
Reihe/Serie Ein Inspector-Lynley-Roman
Übersetzer Mechtild Sandberg-Ciletti
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Playing for the Ashes
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Barbara Havers • eBooks • England / Großbritannien • England / Großbritannien, Kent, Barbara Havers, Inspector Lynley • Inspector Lynley • Kent • Krimi • Kriminalromane • Krimis
ISBN-10 3-641-13559-1 / 3641135591
ISBN-13 978-3-641-13559-1 / 9783641135591
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