Tatjana (eBook)

Thriller
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
320 Seiten
C. Bertelsmann (Verlag)
978-3-641-12769-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tatjana -  Martin Cruz Smith
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Ermittler-Ikone Arkadi Renko im Kampf gegen die russische Mafia
Martin Cruz Smith hat mit Arkadi Renko einen der legendärsten Ermittler der zeitgenössischen Literatur erschaffen: Er hat den Wandel der Sowjetunion ins Neue Russland miterlebt, das weiterhin geprägt ist von Brutalität und Geheimniskrämerei.

Die furchtlose Moskauer Journalistin Tatjana Petrowna stürzt aus dem sechsten Stock in den Tod, in der gleichen Woche, in der ein milliardenschwerer Mafiosi erschossen wird. Die beiden Fälle scheinen nichts miteinander zu tun zu haben, doch Arkadi entdeckt Tonbänder, auf denen Tatjana schreckliche Verbrechen dokumentiert hat. Die Spur führt nach Kaliningrad, dem Heimathafen der Baltischen Flotte, Hunderte von Kilometern vom restlichen Russland entfernt.

Mit seinem neuesten Thriller zeichnet Martin Cruz Smith ein überzeugend realistisches, überaus düsteres Porträt des heutigen Russlands.

Martin Cruz Smith, 1942 in Philadelphia geboren, gelang mit dem Thriller 'Gorki Park' ein Welterfolg, der auch in der Verfilmung mit William Hurt und Lee Marvin ein Millionenpublikum begeisterte. Seither hat der russische Ermittler Arkadi Renko eine große Fan-Gemeinde. Martin Cruz Smiths Romane wurden bereits in 14 Sprachen übersetzt.

1

Auf dem Wagankowoer Friedhof stand die Zeit nicht still, doch sie verlangsamte sich. Blätter, die von Pappeln und Eschen herabwehten, vermittelten ein Gefühl von Erleichterung, Ungezwungenheit und Verfall. Viele Grabstätten waren bescheiden, ein Stein und eine Bank, umzäunt von allmählich rostendem Schmiedeeisen. Ein Einmachglas mit Blumen oder ein Päckchen Zigaretten waren Beweise der Zuwendung für Geister, denen endlich erlaubt war zu genießen.

Von Grischa Grigorenko ließe sich behaupten, dass er stets dem Genuss zugeneigt war. Er hatte auf großem Fuß gelebt und verließ diese Welt auf die gleiche Weise. Tagelang hatten der Leitende Ermittler Arkadi Renko und Kriminalleutnant Viktor Orlow den Toten durch Moskau verfolgt. Begonnen hatten sie mit dem ausgeweideten Grischa im Leichenschauhaus, gefolgt von einer Kräuterwaschung und Schminksitzung in einer Wellnessoase. Schließlich, bekleidet und aromatisiert, war die Leiche in einem goldbeschlagenen Sarg, auf Rosen gebettet, in der Basilika der Christ-Erlöser-Kathedrale aufgebahrt worden. Alle waren sich einig, dass Grischa, abgesehen von dem Loch in seinem Hinterkopf, wirklich gut aussah.

Für einen Leitenden Ermittler wie Renko und einen Kriminalleutnant wie Orlow war eine Überwachung dieser Art ziemlich erniedrigend, eine Aufgabe, die ein Kartenabreißer im Kino hätte übernehmen können. Der Staatsanwalt hatte angeordnet, sie sollten »Notizen und Fotos machen. Halten Sie sich von der Trauergemeinde fern und beobachten Sie bloß. Verhalten Sie sich diskret und nehmen Sie keinen Kontakt auf«.

Die beiden waren schon ein sonderbares Paar. Arkadi war ein dünner Mann mit strähnigem, dunklem Haar und wirkte ohne Zigarette unvollkommen. Viktor war ein Wrack mit blutunterlaufenen Augen. Wegen seiner Trinkerei wagte außer Arkadi niemand, mit ihm zu arbeiten. Solange er einen Fall verfolgte, blieb er nüchtern und war ein guter Kriminalbeamter. Er war wie ein Reifen, der aufrecht blieb, solange er rollte, und umfiel, wenn er anhielt.

»Keinen Kontakt aufnehmen«, murrte Viktor. »Das hier ist ein Begräbnis. Was erwartet er denn, Armdrücken? He, da ist die Wetterfee.« Eine Blondine in Schwarz schälte sich aus einem Maserati.

»Wenn du winkst, erschieße ich dich.«

»Siehst du, auch bei dir ist es schon angekommen. ›Verhalten Sie sich diskret.‹ Wegen Grischa? Er mag zwar ein Milliardär gewesen sein, aber er war trotzdem nur ein besserer Knochenbrecher.«

Es gab zwei Grischas. Der eine war ein öffentlicher Wohltäter, Schirmherr von Wohltätigkeitsorganisationen und Mäzen der Künste, ein führendes Mitglied der Moskauer Handelskammer. Der andere war der Grischa, der seine Finger in Drogen, Waffenhandel und Prostitution hatte.

Die Trauergemeinde war ähnlich gemischt. Arkadi entdeckte Milliardäre, deren Arme das Nutzholz und die Erdgasvorkommen der Nation umschlangen, Abgeordnete, die sich ohne Hemmungen aus der Staatskasse bedienten, Boxer, die zu Gangstern geworden waren, Popen so rund wie Mistkäfer, Models auf wackeligen Stilettos und Schauspieler, die nur Attentäter spielten, Schulter an Schulter mit den echten. Ein grüner Teppich war vor der ersten Reihe ausgerollt, in der die Köpfe der Moskauer Unterwelt in ganzer Bandbreite auftauchten, von den alten Knaben wie Ape Beledon, genannt der Affe, ein Zwerg mit Affengesicht in einem Mantel und einer Persianermütze, und seinen beiden vierschrötigen Söhnen, über Boris und Valentina Schagelmann, Experten für insolvente Banken, bis hin zu Abdul, der sich von einem tschetschenischen Rebellen zu einem Autoschmuggler und, in einem weiteren Karrieresprung, zu einem Hip-Hop-Künstler entwickelt hatte. Als Viktor die Kamera hob, versperrte ihm einer von Beledons Söhnen die Sicht.

»Oh, Scheiße.« Das war Viktors Lieblingsausdruck. Egal, ob es um ein Fußballturnier ging, ein Kartenspiel oder einen Salat – alles war Scheiße. »Weißt du, was mich ankotzt?«

»Was kotzt dich an?«

»Wir kommen mit zweihundert Digitalbildern von diesem Scheißloch in der Erde zurück, und der Revierkommandant wird nur sagen, ›Vielen Dank‹, und sie dann vor meinen Augen löschen.«

»Überspiel sie vorher auf den Laptop.«

»Darum geht es nicht. Es geht darum, dass wir nicht gewinnen können. Wir laufen uns nur tot. Ich hätte einen netten Tag im Bett verbringen können, vollkommen hinüber und sturzbesoffen.«

»Und ich habe dich davon abgehalten?«

»Hast du. Ich weiß, dass du es gut meinst.«

Ein Pope dröhnte: »Wohl denen, die ohne Tadel leben, die im Gesetz des Herrn wandeln.« Ein goldenes Kruzifix baumelte auf Bauchhöhe, an seinem Handgelenk schimmerte eine goldene Rolex.

Arkadi brauchte eine Pause. Er drehte eine Runde über den Friedhof und betrachtete die Grabsteine. Seine Lieblingsstatuen, könnte man sagen. In schwarzem Marmor brütete ein Großmeister über einem Schachbrett. In weißem Marmor schwebte eine Ballerina durch die Luft. Auch Kurioses gab es. Vom Grab eines Schriftstellers erhob sich eine Waldelfe. Ein in Bronze gegossener Komödiant bot eine frische Nelke dar. Bescheidene Grasflecken luden die Lebenden ein, sich auf eine Bank zu setzen und mit einem längst Verstorbenen zu plaudern.

Alexi Grigorenko trat Arkadi in den Weg. »Kann mein Vater nicht in Frieden beerdigt werden? Müssen Sie ihn bis ins Grab verfolgen?«

»Mein Beileid«, sagte Arkadi.

»Sie stören eine Beerdigung.«

Die Aussegnung war unterbrochen, während Alexi zeigen musste, wie taff er war, Verteidiger der Familienehre und all das.

»Wir sind hier auf einem Friedhof, Alexi«, sagte Arkadi. »Jeder ist willkommen.«

»Das ist reine Schikane, und es ist eine fucking Entweihung.«

»Ist das der Umgangston in der amerikanischen Business School?«

»Sie waren nicht eingeladen«, fauchte Alexi.

Alexi war eine geschniegeltere Version seines Vaters, modisch unrasiert, das Haar am Kragen mit Gel gelockt. Er gehörte zu einer neuen Generation, die Wirtschaftsforen in Aspen besuchten und in Chamonix Ski liefen, und er ließ keinen Zweifel daran, dass er davon ausging, die Familie auf die nächste Stufe der Legitimität zu führen. Arkadi fragte sich, ob Alexi die nächste Woche überleben würde.

Am Friedhofstor gab es eine echte Störung. Totengräber verscheuchten eine Gruppe mit Transparenten. Arkadi konnte nicht erkennen, worum es ging, erhaschte jedoch einen Blick auf eine Fotojournalistin, die er kannte. Anja Walidowa wohnte auf der anderen Seite seines Flurs und teilte manchmal das Bett mit ihm. Sie war jung und voller Leben, und was sie in Arkadi sah, war ihm ein Rätsel. Er hatte keine Ahnung, was sie auf dem Friedhof wollte, und sie warf ihm einen warnenden Blick zu, nicht näher zu kommen. Kein Bezug zur Mafia. Anjas Freunde waren Schriftsteller und Intellektuelle, durchaus zu Torheiten fähig, aber nicht zu Verbrechen, und nach ein bisschen Hin und Her verschwanden sie die Straße hinunter. Anja blieb bei ihnen.

Der Pope räusperte sich und meinte zu Alexi: »Vielleicht sollten wir jetzt zur Grabrede kommen, bevor, na ja, noch irgendwas passiert.«

Eine Grabrede würde nicht reichen, dachte Arkadi. Hier ging es um Alexis Inthronisierung durch viele der Trauergäste, ein knallhartes Publikum. Sie würden ihn eher köpfen als krönen.

»Wenn er gescheit ist, nutzt er die Gelegenheit, ihnen zum Abschied zuzuwinken und um sein Leben zu laufen«, sagte Viktor.

Alexi fing bedächtig an. »Mein Vater Grischa Iwanowitsch Grigorenko war aufrichtig und gerecht, ein Visionär in Geschäftsdingen, ein Mäzen der Künste. Frauen wussten, was für ein Gentleman er war. Trotzdem war er ein Mann unter Männern. Nie ließ er einen Freund im Stich oder wich einem Kampf aus, trotz aller Angriffe auf seinen Charakter und der Verunglimpfung seines Rufes. Mein Vater begrüßte Veränderung. Er begriff, dass eine neue Zeit begonnen hatte. Er beriet eine neue Unternehmergeneration und war wie eine Vater für alle, die seiner Hilfe bedurften. Er war ein gläubiger Mensch mit einem tiefen Gemeinschaftsgefühl, entschlossen, die Lebensqualität sowohl in seiner zweiten Heimat Kaliningrad als auch in seiner Geburtsstadt Moskau zu verbessern. Ich habe meinem Vater versprochen, seinen Traum zu erfüllen. Ich weiß, dass seine echten Freunde mir folgen werden, um diesen Traum wahr werden zu lassen.«

»Und vielleicht schlitzen sie ihn von oben bis unten auf«, flüsterte Viktor.

Alexi fügte hinzu: »Um zu etwas Erfreulicherem zu kommen, möchte ich Sie alle einladen, die Gastfreundschaft der Familie Grigorenko auf Grischas Jacht zu genießen, die am Kreml-Pier vor Anker liegt.«

Trauergäste defilierten am offenen Grab vorbei und ließen rote Rosen auf den Sarg fallen. Niemand verharrte. Die Aussicht auf ein Bankett an Bord einer Weltklasse-jacht war unwiderstehlich, und nach wenigen Minuten standen nur noch Arkadi, Viktor und die Totengräber am Grab. Erde prasselte hinab. Grischa Grigorenko und seine Rosen verschwanden.

»Hast du das gesehen?« Viktor deutete auf den Grabstein.

Arkadi richtete seinen Blick auf den Stein. Offenbar war nur auf ein Datum gewartet worden, denn in den glänzenden Granit war bereits ein lebensgroßes, fotorealistisches Porträt von Grischa eingemeißelt. Er trug eine Kapitänsmütze, und unter dem offenen Hemdkragen waren ein Kruzifix und Ketten zu sehen. Der eine Fuß ruhte auf der Stoßstange eines Jeep Cherokee. In der Hand hielt er einen echten Autoschlüssel.

»Dieser Stein kostet mehr, als ich in einem Jahr...

Erscheint lt. Verlag 11.11.2013
Übersetzer Susanne Aeckerle
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Tatiana
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Arkadi Renko • eBooks • Gorki Park • Kaliningrad • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Mafia • Russland, 21. Jahrhundert • Russland 21. Jahrhundert, Mafia, Kaliningrad, Arkadi Renko, Gorki Park • Thriller
ISBN-10 3-641-12769-6 / 3641127696
ISBN-13 978-3-641-12769-5 / 9783641127695
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