Flammenwüste (eBook)
525 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-8387-5408-6 (ISBN)
GEWINNER DES SERAPH 2015: BESTES FANTASY-DEBÜT DES JAHRES!
Die Gerüchte verbreiten sich wie ein Lauffeuer durch das Wüstenreich Nabija: Ein Drache soll Karawansereien und Dörfer niederbrennen! Dabei glaubt kaum noch jemand an die Existenz dieser Wesen. Dem Märchenerzähler Anûr bescheren die Gerüchte ein großes Publikum. Aber auch er hält die alten Geschichten über feuerspeiende Ungeheuer nur für Märchen. Bis er auf Drachenjagd geschickt wird - und in der Tiefen Wüste auf ein uraltes Wesen trifft, so schwarz wie die Nacht selbst ...
1. Eine folgenschwere Entscheidung
Die Flammen loderten auf, als der Kaffeemeister das langstielige Mokkakännchen von der Feuerstelle nahm. Rasch füllte er die tiefschwarze Flüssigkeit in eine kleine Tasse und bahnte sich mit ihr seinen Weg durch die dichte Menschenmenge, die sich im hinteren Teil des Kaffeehauses versammelt hatte.
Rauch aus einem Dutzend Wasserpfeifen bildete einen dichten Vorhang. Es war beinahe Mittag, doch das Licht von außen drang schläfrig durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden in den Raum, der in ein schummriges Halbdunkel getaucht war.
Gespannte Stille herrschte unter den Gästen. Sie alle warteten darauf, dass der berühmte Erzähler Nûr ed-Din endlich mit der nächsten Geschichte begann. Seit dem ersten Angriff war das Interesse der Menschen an den alten, fast vergessenen Erzählungen über Drachen wieder erwacht und viele, die heute gekommen waren, hofften, dass die Worte des Erzählers diese Feuer speienden Wesen wieder in das Reich der Märchen und Legenden verbannen würde, wo sie ihrer Meinung nach auch hingehörten.
Vor einem halben Jahr hatten Händler von einer ausgebrannten Karawanserei berichtet, die an der alten Gewürzstraße lag. Es war bekannt, dass alle Kaufleute, die dort Rast machten, wertvolle Ware mit sich brachten. Daher suchte man die Schuld für den Überfall zunächst bei den Haschirim, jenen unbarmherzigen und grausamen Wüstenkriegern, die seit Jahr und Tag das Land unsicher machten. Der Sultan schickte Soldaten, um die Schuldigen aufzuspüren, aber seine Männer kehrten mit leeren Händen zurück. Nicht eine Spur der Angreifer war zu finden gewesen. Es schien, als wären Feuer und Zerstörung vom Wüstenwind herangetragen worden.
Der Vorfall geriet in Nabija bereits in Vergessenheit, als zwei Monate darauf andere Händler von einer zweiten niedergebrannten Karawanserei berichteten. Erneut schickte der Sultan seine Soldaten und abermals kehrten die Männer erfolglos zurück. Nur kurze Zeit später fiel ein dritter Karawanenhof den Flammen zum Opfer. Doch diesmal fanden die Händler unter den Toten einen Mann, der sich noch für ein paar Atemzüge ans Leben klammerte. Nur ein Wort brachte er vor seinem Ende hervor: Drache!
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht über das Land, begleitet von Entsetzen, Unglauben … und Neugier.
Anûr, der Enkel des Erzählers, schielte neidisch auf die Mokkatasse, die der dicke Kaffeemeister seinem Großvater reichte. Während Nûr an dem Gebräu nippte, betrachtete Anûr die Menge. Er erkannte einige der Zuhörer von gestern wieder, andere waren schon seit dem Morgen hier. Sie alle wollten hören, was sein Großvater über Drachen zu erzählen wusste.
»Drachen«, hörte er seinen Großvater schließlich die Geschichte beginnen, »sind so alt wie die Welt selbst. In ihnen brennt dasselbe Feuer, das noch heute tief im Inneren der Erde lodert und das am Anfang aller Tage das Land zum Schmelzen und die Ozeane zum Kochen gebracht hat. Es ist das Feuer, aus dem die Welt geschaffen wurde. Lange haben die Drachen friedlich Seite an Seite mit den Menschen gelebt … bis der große Krieg über die Welt kam. Ein weit entferntes Reich, heute von den Menschen längst vergessen, erhob sich damals. Von dort kamen fremde Soldaten, auf der Suche nach einem mächtigen Zauber. Ein Zauber, der seinem Beherrscher mehr Stärke verleihen würde als das tödlichste Schwert und das größte Heer. Die Armee des fremden Königs war gewaltig und brachte Tod und Zerstörung über die Völker der Wüste. Die Menschen Nabijas indes waren nicht schutzlos, denn sie kämpften gemeinsam mit den stolzen und tapferen Menschen aus Hambar, der schwimmenden Stadt auf dem Roten See, und den Seefahrern von Nubiéd, die ihnen zur Hilfe geeilt waren. Doch während der Krieg tobte, geschah etwas im Lager der Feinde, das alles verändern sollte. Der König …« An dieser Stelle brach Nûr ab und hustete gekünstelt.
Anûr musste sich zusammenreißen, um nicht die Augen zu verdrehen. Sein Großvater hatte heute schon drei Geschichten erzählt, und Anûr ahnte, was jetzt kam.
Der alte Erzähler hustete noch einmal und klopfte sich nun auch auf die Brust. Das war das verabredete Zeichen für Anûr, zu ihm zu kommen und ihm aufzuhelfen. »Es geht nicht mehr«, keuchte er so übertrieben, dass sich Anûr sicher war, die Zuhörer würden das Schauspiel durchschauen. Doch die Blicke der Leute waren ebenso bestürzt wie sorgenvoll, während sich Nûr hochrappelte und zum Beweis seiner Schwäche auf seinen Enkel stützte. »Ich muss mich etwas ausruhen.«
Aufgeregtes Gemurmel entsprang unter den Leuten. »Aber Ihr müsst weitererzählen. Was passierte mit den Drachen?«, rief ein Mann, so mager wie die streunenden Katzen der Stadt, der von seinem Sitzkissen aufgesprungen war.
»Vielleicht könnte mein Enkel weitererzählen.« Nûr klopfte seinem Enkel schwach auf die Schulter. »Er weiß fast ebenso viel über die alten Geschichten wie ich.«
Anûr seufzte leise. Es war das übliche Schauspiel, das sein Großvater aufführte, wenn er eine Pause wollte. Dann tat er so, als hätte er einen Schwächeanfall, und ließ ihn die Geschichte beenden, wenn es die Zuhörer wollten. Aus Mitleid mit dem armen Alten, der meist im Hinterzimmer schnarchte, zeigten sich die Leute später beim Bezahlen für die Erzählung häufig sogar besonders spendabel.
Anûr sah seinem Großvater nach, der wankend in einem Hinterzimmer des Kaffeehauses verschwand, dann drehte er sich zu den Gästen des Kaffeehauses um und hob fragend die Augenbrauen. Er konnte zwar viele der Geschichten besser als sein Großvater erzählen, der hier und da schon mal eine Wendung vergaß. Doch nicht immer wollten die Leute, dass der Lehrling die Geschichte fortführte, und wenn sie ihm hier nicht zuhören wollten, sollte ihm das recht sein. Er könnte genauso gut die Stadt erkunden.
»Der Junge soll erzählen«, rief jedoch ein Mann, der an der Wand lehnte, und zustimmendes Gemurmel erhob sich um ihn herum.
Also keine Gelegenheit, Nabija endlich kennenzulernen. Anûr zuckte enttäuscht mit den Achseln und ließ sich auf dem großen Holzstuhl nieder, auf dem zuvor sein Großvater gesessen hatte. Die Menge wurde schnell wieder still, und er führte die Erzählung fort. »Doch im Lager der Feinde geschah etwas, das alles verändern sollte. Der König der Feinde starb und Nyan, sein Magier, nahm seinen Platz ein. An dem Tag, an dem Nyan die Macht übernahm, wurde das fremde Heer stärker und die Menschen Nabijas verloren an Kraft, denn Nyan verfügte über eine machtvolle Waffe. Verrat.«
Anûr berichtete, wie sich die Menschen zuvor mit vielen der Drachen zu einem Bündnis zusammengeschlossen hatten. Doch er erzählte seinen Zuhörern auch, wie Nyan Zwietracht in den Reihen der Menschen und ihrer Feuer speienden Verbündeten säte, während sich seine eigenen mit treulosen Menschen und Drachen füllten. Letztere waren es schließlich, die Nabija das meiste Leid brachten. Anûrs Beschreibung davon, wie das Drachenfeuer den Menschen das Fleisch von den Knochen fraß, ließ die Zuhörer frösteln, obwohl es warm war in dem überfüllten Kaffeehaus, und sich die Wangen vieler Zuhörer nicht nur vor Aufregung röteten.
»Es dauerte nicht lange und Nyans Heer hatte weite Teile der Wüste erobert. Selbst die Dschinnen und Ifriten und all die anderen Wesen der Wüste fürchteten seine Macht und zogen sich weit zurück, hinein in Gegenden, die kein Mensch zu betreten wagte. Die letzten Soldaten des Sultans konnten die vollkommene Zerstörung ihres Landes nicht mehr viel länger aufhalten. Doch mit einem Mal endete der Krieg. Von einem Tag auf den anderen zog Nyans Armee ab und kehrte in die Tiefe Wüste zurück. Die Menschen von Nabija konnten kaum glauben, dass der Krieg vorüber war. Erleichterung breitete sich unter ihnen aus. Nur einer mahnte zur Vorsicht. Es war Schakschuka, der Magier des Sultans von Nabija. Er fürchtete, dass Nyan den Zauber gefunden hatte, den er und sein König vor ihm so unerbittlich gesucht hatten und den er in Nabija versteckt geglaubt hatte. Schakschuka warnte den Sultan, dass Nyan damit unbesiegbar werden würde. Auf sein Drängen hin schloss sich das kriegsmüde Heer von Nabija mit seinen Verbündeten zu einer letzten Schlacht zusammen und stellte sich Nyan. Drei Tage soll die Schlacht gedauert haben. Menschen kämpften gegen Menschen und Drachen gegen Drachen.« Anûr machte eine kunstvolle Pause und nippte an der Mokkatasse, die sein Großvater stehen gelassen hatte. Wenigstens noch lauwarm, dachte er und sah sich um. Alle Augen im Raum waren auf ihn gerichtet. Er spürte, wie seine Worte Fäden sponnen. Ein Netz, in dem sich seine Zuhörer verfingen. Seine Worte malten ihnen Bilder in die Köpfe. Ein guter Erzähler lässt seine Zuhörer mit den Ohren sehen, sagte sein Großvater immer. Oh ja, ein Blick in die Gesichter der Leute zeigte Anûr, dass sie längst nicht mehr die Kaffeestube vor sich sahen.
»Zum Schluss führte ein einzelner Mann die Entscheidung herbei«, fuhr Anûr mit dunkler Stimme fort. »Tausende hatten bereits ihr Leben gelassen. Doch Schakschuka gelang es in einem letzten verzweifelten Versuch, Nyan zu stellen und zu besiegen. Der geheimnisvolle Zauber, um dessen Willen dieser Krieg geführt worden war, ging verloren. Und auch die Drachen verschwanden, gleich, auf welcher Seite sie zuvor gekämpft hatten. So gingen sie in das Reich der Geschichten ein. Ihre Geschichten wurden zu Legenden. Aus den Legenden entstanden Mythen. Und aus den Mythen wurden schließlich Märchen.« Anûr blickte sich um. »Das war die Geschichte von den Drachen...
Erscheint lt. Verlag | 15.8.2014 |
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Reihe/Serie | Arnurs Drachen |
Arnurs Drachen | |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction | |
Schlagworte | All Age Fantasy • Drachen • Dunkle Magie • Eis und Feuer • Elb • Elfe • Epic Fantasy • Epos • Fantasy • Fantasy Bestseller • Fantasy Bücher • Fantasy Bücher; Drachen • Fantasy Roman • Flame&Arrow • Flammengeküsst • Fourth Wing • Game of Thrones • Herr der Ringe • High Fantasy • Hobbit • Low Fantasy • Märchenerzähler • Seraph • Tolkien • Troll • Zeitreisen |
ISBN-10 | 3-8387-5408-5 / 3838754085 |
ISBN-13 | 978-3-8387-5408-6 / 9783838754086 |
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