Aufzeichnungen eines Dirty Old Man (eBook)
288 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402763-0 (ISBN)
Charles Bukowski, geboren am 16. August 1920 in Andernach bei Koblenz, wuchs während der Wirtschaftskrise in Los Angeles auf. Schon als Kind ein Außenseiter, fand er früh Halt bei Alkohol und Literatur. Unzählige schlechtbezahlte Jobs und ein Leben in billigen Absteigen, erste Short Story mit 24, lebensgefährliche Magenblutung mit 35. Erst mit 50 Jahren konnte er vom Schreiben leben, wurde auch in Deutschland Kultautor. Seit seinem Tod am 9. März 1994 wurde weiter aus dem Nachlass veröffentlicht, eine literarische Gesellschaft gegründet und sein alter Hinterhof zum Kulturerbe erklärt. Heute ist Bukowski ein moderner Klassiker.
Charles Bukowski, geboren am 16. August 1920 in Andernach bei Koblenz, wuchs während der Wirtschaftskrise in Los Angeles auf. Schon als Kind ein Außenseiter, fand er früh Halt bei Alkohol und Literatur. Unzählige schlechtbezahlte Jobs und ein Leben in billigen Absteigen, erste Short Story mit 24, lebensgefährliche Magenblutung mit 35. Erst mit 50 Jahren konnte er vom Schreiben leben, wurde auch in Deutschland Kultautor. Seit seinem Tod am 9. März 1994 wurde weiter aus dem Nachlass veröffentlicht, eine literarische Gesellschaft gegründet und sein alter Hinterhof zum Kulturerbe erklärt. Heute ist Bukowski ein moderner Klassiker.
Die sprachlichen Finessen des subkulturellen Settings wurden vom Übersetzer gekonnt gemeistert […] Kurzprosaperlen der besonderen Art. Gern empfohlen.
1
Irgendein stures Arschloch wollte kein Geld mehr rausrücken, die ganze Runde behauptete Pleite zu sein, das Spiel war im Eimer, ich saß da mit meinem alten Kumpel Elf, Elf hatte als Kind ’ne Macke gehabt, lag jahrelang im Bett und machte solche verrückten Übungen, Gummibälle kneten und so, und als er eines Tages das Bett verließ, war er so breit wie hoch, ein röhrender muskelbepackter Schrank von Mensch, der Schriftsteller sein wollte, aber zu sehr wie Thomas Wolfe schrieb – und abgesehen von Dreiser war T. Wolfe der mieseste Schreiber, den Amerika je hervorgebracht hat – und plötzlich hatte ich dem Elf eine gescheuert und die Flasche fiel vom Tisch (er hatte etwas gesagt, was mir nicht passte) und als der Elf wieder hochkam, hatte ich die Flasche in der Hand (teurer Scotch) und erwischte ihn halb am Kinn und halb am Hals und er ging wieder zu Boden, ich fühlte mich ganz Herr der Situation, ich war Schüler Dostojewskis und hörte Symphonien von Mahler im Dunkeln, und ich hatte Zeit, einen Schluck aus der Flasche zu nehmen, sie wieder hinzustellen, mit der Rechten zu täuschen und ihm die Linke unter den Gürtel zu wuchten, und er fiel gegen die Kommode, der Spiegel ging in Scherben – es klang wie im Kino –, blitzte und splitterte, und dann landete der Elf eine direkt über meiner Nase und ich kippte nach hinten über einen Stuhl, das Ding klappte unter mir zusammen als sei es aus Stroh, billiges Stück Möbel, und dann hatte er mich in der Mangel – ich hatte nicht genug Pulver hinter meinen Schlägen, überhaupt keinen rechten Ehrgeiz, und ich hatte ihn noch längst nicht fertiggemacht –, und er ging auf mich los wie ein bescheuertes rachgieriges Individuum aus einem Horrorfilm, und für jeden (nicht einmal besonders guten) Schlag den ich anbrachte, steckte ich drei ein, aber das reichte ihm noch nicht, er wollte nicht aufhören, das Mobiliar ging eins nach dem anderen zu Bruch, ich hoffte irgendwie, jemand würde den Krach hören und dem verdammten Ding ein Ende machen – die Vermieterin, die Polente, der liebe Gott, IRGEND JEMAND, aber es ging weiter und weiter, und dann kann ich mich an nichts mehr erinnern.
Als ich wieder zu mir kam, schien die Sonne, und ich lag unter dem Bett. Ich kroch darunter hervor und machte die Entdeckung, dass ich sogar wieder stehen konnte. Platzwunde unterm Kinn, zerschrammte Knöchel. Ich war schon in schlimmerem Zustand aufgewacht, und in weit schlimmeren Lokalitäten dazu. Knast, zum Beispiel. Ich schaute mich um. Es war alles echt gewesen; ich hatte nicht geträumt. Alles in die Brüche gegangen, verschmiert, verschüttet, durcheinander – Lampen, Stühle, Kommoden, Bett, Aschenbecher – ramponiert, völlig sinnlos, alles kaputt, am Boden zerstört. Ich trank einen Schluck Wasser und schlurfte zum Besenschrank … Es war noch alles da: Zehner, Zwanziger, Fünfer; die Piepen, die ich jedesmal da abgeladen hatte auf dem Weg vom Spieltisch zum Klo. Und allmählich erinnerte ich mich, dass ich die Schlägerei angefangen hatte, um diese PIEPEN nicht mehr rausrücken zu müssen. Ich sammelte die Scheine ein, steckte sie in die Brieftasche, legte meinen Pappkoffer auf das schiefe Bett und begann meine paar lumpigen Sachen einzupacken: Arbeitshemden, steinharte Schuhe mit Löchern in den Sohlen, steife dreck-verkrustete Socken, ausgebeulte Hosen, das Manuskript einer Geschichte darüber wie ich mir mal im San Francisco Opera House die Krätze geholt hatte, ein zerfleddertes Thrifty Drugstore Wörterbuch – »Palingenesis: recapitulation of ancestral stages in life-history.«
Die Uhr funktionierte noch, der alte Wecker, Gott seis gescheppert, wie oft hatte ich total verkatert morgens um halb acht daraufgeschaut und gesagt, scheiß auf den Job, SCHEISS AUF DEN JOB! Naja, jetzt war es 4 Uhr morgens … Ich war gerade dabei, den Wecker zu verstauen, als es – klar, warum nicht? – an die Tür klopfte.
»Yeah?«
»Mr. Bukowski?« »Yeah. YEAH?«
»Ich möchte gern reinkommen und das Bettzeug wechseln.«
»Nee, heute nicht. Ich bin krank …«
»Oh, das tut mir leid. Aber lassen Sie mich doch nur schnell rein und das Bettzeug wechseln, ich geh ja gleich wieder.«
»Nein, ich sag doch, ich bin krank, ich bin einfach zu krank, verstehn Sie? Ich möchte nicht, dass Sie mich so sehen …«
Und so ging es weiter. Sie wollte das Bettzeug wechseln. Ich sagte nein. Sie sagte, ich will das Bettzeug wechseln. Ich sagte, verdammtnochmal NEIN. Und so weiter, in einer Tour. Diese Zimmerwirtin, übrigens. Was für ein Körper. Nichts als Körper. Alles an ihr schien zu schreien KÖRPER KÖRPER KÖRPER. Ich wohnte erst seit 2 Wochen da. Im Erdgeschoss war eine Bar. Wenn Leute hochkamen, die zu mir wollten und ich war nicht da, sagte sie einfach: »Er ist unten in der Bar. Er ist ständig unten in der Bar …«, und die Leute sagten zu mir, »Mann Gottes, wer ist deine Wirtin … Phantastisch!«
Aber dieser enorme weiße Koffer stand auf Filipinos. Diese Filipinos, Mann, die kannten Tricks, von denen würde sich ein Weißer nie träumen lassen, nicht mal ich. Und diese Flips gibts längst nicht mehr, mit ihren tief in die Stirn hereingezogenen breitrandigen George-Raft-Hüten und ihren wattierten Schultern; weiße Schuhe mit hohen Absätzen, fettige heimtückische Visagen – was ist aus denen geworden?
Na ist ja egal. Jedenfalls, es war nichts mehr zu trinken da, und ich saß stundenlang herum und wurde langsam fickrig. Abgelaufen. Abgeschlafft. Lapprig in den Eiern. Da saß ich mit meinem 450-Dollar-Gewinn und konnte mir nicht mal ein abgestandenes Helles kaufen. Ich saß und wartete darauf, dass es dunkel wurde. Ich wollte raus. Noch eine Chance. Schließlich hatte ich meine Nerven soweit, dass ich es riskieren konnte. Ich machte die Tür ein Stück auf, ließ aber die Kette dran, und da war einer, ein kleiner affengesichtiger Flip mit ’nem Hammer. Als ich die Tür aufmachte, hob er den Hammer und griente. Als ich anfing, die Tür wieder zu schließen, nahm er die Spangen aus seiner Fresse und tat so, als ob er sie in den Teppich hämmern wollte, der vom Flur hinunter ins Erdgeschoss führte – und zum einzigen Ausgang. Ich weiß nicht mehr, wie lange das so ging. Immer die gleiche Pantomime. Ich mach die Tür auf, er hebt seinen Hammer und grient. Beschissener Affenarsch! Er blieb einfach wie angewachsen auf der obersten Treppenstufe. Ich fing an durchzudrehen. Ich fing an zu schwitzen und zu stinken. Kleine Lichtwirbel blitzten auf und kreisten in meinem Schädel. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass ich dabei war, den Überblick zu verlieren. Ich ging rüber zum Bett und griff mir meinen Koffer. Er war leicht zu tragen. Nichts als ein paar Lumpen drin. Und dann fiel mein Blick auf die Schreibmaschine. Ich hatte sie mal von der Frau eines ehemaligen Freundes ausgeliehen, aber nie wieder zurückgegeben. Sie fühlte sich gut und solide an, wie sich eben Stahl so anfühlt: grau, flach, schwer, gefährlich, banal. Meine Augen wanderten an meinen Hinterkopf und sahen, dass die Kette an der Tür weg war, und mit dem Koffer in der einen Hand und der Schreibmaschine in der anderen rannte ich in die Maschinengewehrsalven, in die Strahlen der aufgehenden Sonne, das Splittern der Cornflakes, das Ende von allem.
»HEY! Wo willst du hin?«
Der kleine Affe von Flip war dabei, sich hochzustemmen, hob den Hammer, und mehr brauchte ich nicht – der elektrische Lichtblitz auf dem Eisen des Hammers – ich hatte den Koffer in der linken Hand, den stählernen Apparat in der rechten, er war in ausgezeichneter Position, gerade neben meinem Knie, und ich holte mit großer Präzision (und einiger Wut) aus und gabs ihm mit der flachen Seite auf die Schläfe, auf die ganze Schädelwand.
Ein Schock, als habe der Blitz eingeschlagen, als schreie alles auf einmal los, und dann wieder völlige Stille. Ich war draußen, ganz plötzlich, auf dem Gehsteig, ohne zu wissen, wie ich all diese Stufen heruntergekommen war. Und da war auch schon ein gelbes Taxi. CABBY!
Schon saß ich drin. »Union Station.«
Es war ein gutes Gefühl. Das ruhige Geräusch der Reifen in der Morgenluft »Nee, Moment mal«, sagte ich. »Lieber zum Bus Depot.«
»Was ’n los, Mann?«, fragte der Fahrer.
»Ich hab grad meinen Alten umgelegt.«
»Dein Alten umgelegt?«
»Schon mal was von Jesus Christus gehört?«
»Klaar.«
»Also dann: Bus Depot.«
Ich hockte eine geschlagene Stunde im Bus Depot und wartete auf den Bus nach New Orleans, Ich fragte mich, ob ich den Flip gekillt hatte oder nicht. Schließlich stieg ich ein, mit Koffer und Schreibmaschine, verstaute die Maschine tief hinten in der Ablage, damit mir das verdammte Ding nicht am Ende selbst den Schädel ramponierte. Es war eine lange Fahrt. Aber ich hatte immer eine Flasche auf dem Schoß, und irgendwann gab es dann auch ein Techtelmechtel mit einer Rothaarigen aus Fort Worth. In Fort Worth stieg ich mit ihr aus, aber sie wohnte bei ihrer Mutter und ich musste mir ein Zimmer suchen, und aus Versehen erwischte ich eins in ’nem Nuttenhaus. Die Weiber keiften die ganze Nacht, na, man kennt das ja … »HEY! Das Ding hängst du aber bei MIR nicht rein, da kannste zahlen was du willst! …« Die Klosetts rauschten in einer Tour; Türen flogen auf und knallten zu.
Die Rothaarige, war ’n nettes unschuldiges Ding, oder...
Erscheint lt. Verlag | 22.10.2013 |
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Reihe/Serie | Fischer Klassik Plus |
Fischer Klassik Plus | |
Übersetzer | Carl Weissner |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Alkohol • Biographie • Dirty Old Man • Erinnerung • Kolumne • Los Angeles • Roman |
ISBN-10 | 3-10-402763-3 / 3104027633 |
ISBN-13 | 978-3-10-402763-0 / 9783104027630 |
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