Geist und Kosmos (eBook)

Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
187 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73437-7 (ISBN)

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Geist und Kosmos -  Thomas Nagel
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In seinem viel diskutierten Buch bläst Thomas Nagel zum Generalangriff auf die etablierte naturwissenschaftliche Weltsicht. Diese hat sich die Reduktion des menschlichen Geistes auf physikalische Gesetze auf die Fahnen geschrieben, ohne allerdings mit einer Theorie, die Bewusstsein, Denken und Werte erklärt, aufwarten zu können. Dass eine solche Weltsicht zwangsläufig unvollständig, ja mit ziemlicher Sicherheit falsch ist, ist die zentrale These des Buches, die Nagel mit subtilen philosophischen Argumenten zu begründen sucht. Dabei entwickelt er auch erste Ansätze für eine völlig neue Perspektive auf Geist und Kosmos.

<p>Thomas Nagel lehrte unter anderem in Berkeley und Princeton und ist seit 1980 Professor f&uuml;r Philosophie und Recht an der New York University. F&uuml;r sein Werk wurde er u. a. mit dem Balzan-Preis ausgezeichnet.</p>

[Cover] 1
[Informationen zum Buch / Autor] 2
[Impressum] 4
[Inhalt] 5
[Widmung] 7
Vorwort 9
Kapitel 1: Einleitung 11
Kapitel 2: Der Antireduktionismus und die Ordnung der Natur 26
Kapitel 3: Bewusstsein 55
Kapitel 4: Kognition 105
Kapitel 5: Wert 140
Kapitel 6: Schluss 181
Register 185

11Kapitel 1
Einleitung


Es ist die Absicht dieses Buchs, einsichtig zu machen, dass das Körper-Geist-Problem nicht bloß ein lokal begrenztes Problem ist, das mit dem Verhältnis zwischen Geist, Gehirn und Verhalten bei lebendigen tierischen Organismen zu tun hat, sondern dass dieses Problem unser Verständnis des gesamten Kosmos und dessen Geschichte vollkommen durchdringt. Die physikalischen Wissenschaften und die Evolutionsbiologie lassen sich nicht davon isolieren, und ich glaube, eine echte Würdigung der Schwierigkeit des Problems muss schließlich auch unsere Vorstellung vom Stellenwert der physikalischen Wissenschaften für die Beschreibung der Naturordnung verändern.

Eine legitime Aufgabe der Philosophie ist unter anderem die Untersuchung der Grenzen, die selbst noch den am weitesten entwickelten und erfolgreichsten Formen wissenschaftlichen Wissens unserer Zeit gesetzt sind. Es mag zwar eine frustrierende Einsicht sein, doch wir befinden uns schlicht an einem Punkt in der Geschichte des menschlichen Denkens, an dem wir auf uns selbst stoßen, und unsere Nachfahren werden Entdeckungen machen und Formen des Verstehens entwickeln, von denen wir nicht einmal geträumt haben. Die Hoffnung der Menschen richtet sich geradezu süchtig auf eine abschließende Einschätzung, aber die intellektuelle Demut verlangt, dass wir der Versuchung widerstehen anzunehmen, dass Werkzeuge, wie wir sie jetzt besitzen, grundsätzlich ausreichen, 12um das Universum als Ganzes zu verstehen. Die Beschränkungen der Werkzeuge aufzuzeigen, ist, wer immer sich damit befassen mag, weniger eine wissenschaftsinterne Beschäftigung als eine philosophische Aufgabe – obwohl wir darauf hoffen können, dass es schließlich auch zur Entdeckung von neuen Formen des wissenschaftlichen Verstehens führen wird, wenn die Grenzen erkannt sind. Wissenschaftler sind sich durchaus im Klaren darüber, wie viel sie nicht wissen, doch hier geht es um ein andersartiges Problem – es geht nicht bloß um die Anerkennung der Grenzen dessen, was tatsächlich verstanden wird, sondern um den Versuch zu erkennen, was sich prinzipiell mit bestimmten vorhandenen Methoden verstehen lässt und was nicht.

Zielscheibe meiner Argumentation ist ein umfassendes, spekulatives Weltbild, das durch Extrapolation aus einigen Entdeckungen der Biologie, Chemie und Physik erschlossen werden kann – eine bestimmte naturalistische Weltanschauung*, die eine hierarchische Beziehung unter den Gegenständen dieser Wissenschaften postuliert und durch ihre Vereinigung die grundsätzliche Vollständigkeit einer Erklärung für alles im Universum geltend macht. Eine solche Weltanschauung ist keine notwendige Bedingung für die Ausübung irgendeiner dieser Wissenschaften, und ihre Akzeptanz oder Nichtakzeptanz hätte im Großen und Ganzen keine Auswirkung auf die wissenschaftliche Forschung. Nach allem, was ich weiß, haben die in der Forschung tätigen Wissenschaftler meist keine dezidierte Meinung zu den umfassenden kosmologischen Fragen, auf die dieser materialistische Reduktionismus eine 13Antwort gibt. Ihre detaillierte Forschung und substanziellen Ergebnisse hängen im Allgemeinen nicht von dieser oder irgendeiner anderen Antwort auf solche Fragen ab oder implizieren eine derartige Antwort. Aber unter den Naturwissenschaftlern und Philosophen, die überhaupt Auffassungen zur Ordnung der Natur als Ganzes äußern, wird gemeinhin angenommen, dass der reduktive Materialismus die einzige ernsthafte Möglichkeit ist.[1]

Ausgangspunkt für meine Argumentation ist das Scheitern des psychophysischen Reduktionismus, eine Position in der Philosophie des Geistes, die weitgehend von der Erwartung motiviert ist, zeigen zu können, dass die physikalischen Wissenschaften im Prinzip eine Theorie von allem liefern könnten. Wenn diese Erwartung nicht realisierbar ist, kommt die Frage auf, ob nicht irgendein anderes, mehr oder weniger vereinheitlichtes Verständnis den gesamten Kosmos, so wie wir ihn kennen, erfassen könnte. Bei den traditionellen Kandidaten, die für ein umfassendes Verständnis der Beziehung zwischen Geist und physikalischer Welt stehen, spricht das Gewicht der Belege, denke ich, für irgendeine Form des neutralen Monismus im Vergleich zu den herkömmlichen Alternativen des Materialismus, Idealismus und Dualismus. Ich möchte gern die Möglichkeiten untersuchen, die mit dem, was wir wissen, vereinbar sind – insbesondere mit dem vereinbar sind, was wir darüber wissen, wie der Geist und alles, was mit ihm zusammenhängt, abhängt von dem Auftreten und der Entwicklung lebendiger Organismen als einem 14Ergebnis der physikalischen, chemischen und schließlich biologischen Evolution des Universums. Ich werde den Standpunkt vertreten, dass diese Prozesse im Licht dessen, was sie hervorgebracht haben, neu überdacht werden müssen, wenn der psychophysische Reduktionismus falsch ist.

Die Argumentation, die vom Scheitern des psychophysischen Reduktionismus ausgeht, ist eine philosophische Argumentation, doch ich meine, es gibt unabhängig davon empirische Gründe dafür, die Wahrheit des Reduktionismus in der Biologie skeptisch zu betrachten. Der physikalisch-chemische Reduktionismus in der Biologie ist die orthodoxe Sicht, und jeder Widerstand dagegen wird nicht nur als wissenschaftlich, sondern auch als politisch inkorrekt angesehen. Mir fällt es allerdings schon seit langem schwer, die materialistische Erklärung dafür, wie wir und andere Organismen entstanden sind, zu glauben, die maßgebliche Version, wie der Evolutionsprozess funktioniert, eingeschlossen. Je mehr Einzelheiten wir über die chemische Basis des Lebens und die Vertracktheit des genetischen Codes erfahren, desto unglaubwürdiger wird die gängige historische Erklärung.[2] Das ist lediglich die Meinung eines Laien, der sich ausgiebig mit der Literatur befasst, die den Nichtspezialisten die zeitgenössische Naturwissenschaft erklärt. Vielleicht stellt diese Literatur die Situation mit einer Schlichtheit und Zuversicht dar, die 15dem Denken auf höchstem Niveau in diesen Bereichen nicht entspricht. Ich habe aber den Eindruck, dass die gängige Orthodoxie zur kosmischen Ordnung, so wie sie normalerweise dargestellt wird, ein Produkt herrschender Annahmen ist, die nicht erhärtet sind, und dass diese Orthodoxie dem Alltagsverstand widerspricht.

Ich möchte die unqualifizierte Reaktion der Ungläubigkeit gegenüber der reduktionistischen, neodarwinistischen Erklärung für den Ursprung und die Evolution des Lebens verteidigen.[3] Es ist auf den ersten Blick höchst unplausibel, dass das Leben, wie wir es kennen, das Ergebnis einer Reihe physikalischer Zufälle im Zusammenspiel mit dem Mechanismus natürlicher Auslese sein soll. Man erwartet von uns, diese naive Reaktion aufzugeben, aber nicht zugunsten einer vollständig ausgearbeiteten physikalisch/chemischen Erklärung, sondern zugunsten einer Alternative, die in Wirklichkeit nur ein Denkschema für eine Erklärung ist und durch einige Beispiele gestützt wird. Was meines Wissens fehlt, ist ein glaubwürdiges Argument, wonach die ganze Geschichte mit nicht unwesentlicher Wahrscheinlichkeit wahr ist. Damit stellen sich zwei Fragen. Erstens, wie groß ist in Anbetracht dessen, was über die chemischen Grundlagen der Biologie und Genetik bekannt ist, die Wahrscheinlichkeit, dass sich selbst reproduzierende Lebensformen allein aufgrund der Wirkung der Gesetze der Physik und Chemie in der Frühzeit der Erde spontan entstanden sind? Die zweite 16Frage betrifft die Quellen der Variation im evolutionären Prozess, der in Gang gesetzt wurde, als das Leben begann: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge physikalischer Zufälle zu einer Reihe lebensfähiger genetischer Mutationen gekommen ist, die ausreichte, um der natürlichen Auslese in dem geologischen Zeitraum, der seit dem Auftreten von ersten Lebensformen auf der Erde verfügbar war, die Produktion der Organismen zu ermöglichen, die tatsächlich existieren?

In der Wissenschaftlergemeinde herrscht sehr viel mehr Unsicherheit hinsichtlich der ersten Frage als in Bezug auf die zweite. Viele Menschen glauben, dass es sehr schwierig sein wird, eine reduktionistische Erklärung für den Ursprung des Lebens zu finden, doch die meisten haben keinen Zweifel daran, dass die zufällige genetische Variation ausreicht, um die wirkliche Geschichte der Evolution durch natürliche Auslese zu stützen, sobald sich selbst vermehrende Organismen einmal entstanden sind. Da sich diese Fragen auf ganz spezielle Ereignisse innerhalb eines langen historischen Zeitraums in der fernen Vergangenheit beziehen, stehen Belege nur sehr indirekt zur Verfügung, und allgemeine Annahmen spielen somit eine wichtige Rolle. Meine Skepsis gründet sich nicht auf eine religiöse Überzeugung oder auf die Befürwortung irgendeiner festgelegten Alternative. Es handelt sich schlichtweg um die Überzeugung, dass uns die verfügbaren wissenschaftlichen Belege – trotz des bestehenden Konsenses der wissenschaftlichen Meinung – in dieser Angelegenheit vernünftigerweise nicht abverlangen, die Ungläubigkeit des Alltagsverstandes abzuwerten. Das gilt ganz besonders im Hinblick auf den Ursprung des Lebens.

Die Welt ist ein erstaunlicher Ort, und der Gedanke, 17dass wir über die wichtigsten Werkzeuge verfügen, die nötig sind, um sie zu verstehen, ist heute nicht glaubwürdiger als zu Aristoteles’ Zeiten. Dass die Welt Sie und mich und alle anderen hervorgebracht hat, ist das Erstaunlichste an ihr. Wenn die zeitgenössische Forschung in der Molekularbiologie die Möglichkeit offenlässt, legitime Zweifel zu hegen angesichts einer...

Erscheint lt. Verlag 6.10.2013
Übersetzer Karin Wördemann
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Mind and Cosmos. Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is Almost Certainly False
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Bewusstsein • Denken • Kosmogonie • Leib-Seele-Problem • Physikalismus • Reduktionismus • STW 2151 • STW2151 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2151 • Werte
ISBN-10 3-518-73437-7 / 3518734377
ISBN-13 978-3-518-73437-7 / 9783518734377
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