Schöne Neue Welt (eBook)
368 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402773-9 (ISBN)
Aldous Huxley (1894 - 1963) war ein englischer Schriftsteller und Journalist, ein scharfzüngiger Zeitkritiker und begeisterter Reisender. Nach dem Welterfolg seines zum Sprichwort gewordenen Romans ?Schöne Neue Welt? zog er 1937 nach Kalifornien, wo er u.a. das Drehbuch für eine Hollywood-Verfilmung von Jane Austens Roman ?Stolz und Vorurteil? schrieb. Neben zahlreichen Romanen, Essays, Kurzgeschichten und Reisetagebüchern verfasste er auch ein Kinderbuch: ?Die Krähen von Pearblossom und die Geschichte, wie dieses und jenes und überhaupt etwas sehr Komisches geschah?.
Aldous Huxley (1894 – 1963) war ein englischer Schriftsteller und Journalist, ein scharfzüngiger Zeitkritiker und begeisterter Reisender. Nach dem Welterfolg seines zum Sprichwort gewordenen Romans ›Schöne Neue Welt‹ zog er 1937 nach Kalifornien, wo er u.a. das Drehbuch für eine Hollywood-Verfilmung von Jane Austens Roman ›Stolz und Vorurteil‹ schrieb. Neben zahlreichen Romanen, Essays, Kurzgeschichten und Reisetagebüchern verfasste er auch ein Kinderbuch: ›Die Krähen von Pearblossom und die Geschichte, wie dieses und jenes und überhaupt etwas sehr Komisches geschah‹. Uda Strätling lebt in Hamburg und hat u. a. Emily Dickinson, Henry David Thoreau, Sam Shepard, John Edgar Wideman, Aldous Huxley und Marilynne Robinson übersetzt.
Nun liegt eine neue Übersetzung durch Uda Strätling vor, die […] die heute noch gültige Aktualität dieser dunklen Abrechnung Huxleys mit gesellschaftlichen Fehlentwicklungen unterstreicht.
Uda Strätling hat sein Zukunftswerk neu übersetzt – und zwar genau so, wie der Visionär ihn damals im Original geschrieben hat.
mit Bravour neu ins Deutsche übertragen
Das Buch unterhält und fordert zugleich heraus. Heute mehr denn je.
Dass heute das Feld der ›kontemplativen Wissenschaften‹ begründet wurde, würde Aldous Huxley zweifellos erfreuen – und zeugt einmal mehr von der visionären Kraft seines literarischen Werks.
Man kann ihn als Spiegel unserer Zeit lesen und erlebt dabei Unglaubliches. Anmerkungen und Nachwort klären auf.
Uda Strätling […], die sich voll auf den spöttischen Witz und die visionäre Kraft der Sprache Huxleys konzentriert
Kapitel II
Mr Foster blieb auf der Dekantierstation zurück. Der DCK und seine Studenten betraten den nächstbesten Fahrstuhl und wurden in den fünften Stock befördert.
FRÜHLERNSTATION. NEOPAWLOWSCHER KONDITIONIERUNGSTRAKT11 verkündete die Anschlagtafel.
Der Direktor öffnete eine Tür. Sie betraten einen großen, leeren Raum, sehr hell und sonnig, weil die ganze Südfront aus Glas bestand. Ein halbes Dutzend uniformierte Pflegerinnen in den vorgeschriebenen Anzügen aus weißem Viskoseleinen, die Haare aseptisch mit weißen Kappen bedeckt, war damit beschäftigt, auf dem Fußboden in einer langen Reihe Rosenschalen abzustellen. Große, randvolle Schalen. Tausende weit offener, seidiger Blüten, rund wie die Backen unzähliger Putten, Putten aber, die im strahlenden Licht nicht ausschließlich rosarot arisch waren, sondern teils schimmernd chinesisch, teils mexikanisch, teils apoplektisch vom übermäßigen Blasen der Himmelsposaunen, teils totenbleich, von posthumer Marmorblässe.
Die Pflegerinnen nahmen Haltung an, als der DCK den Raum betrat.
»Legen Sie die Bücher aus«, befahl er knapp.
Still kamen die Pflegerinnen der Aufforderung nach. Zwischen die Rosenschalen wurden Bücher platziert – eine lange Reihe Bilderbücher im Quartformat, deren einladend aufgeschlagene Seiten fröhlich bunte Abbildungen von Tieren, Fischen und Vögeln zeigten.
»Und nun bringen Sie die Kinder herein.«
Die Pflegerinnen hasteten davon und kehrten nach ein, zwei Minuten schon zurück, jede eine Art Stummen Diener vor sich her schiebend, dessen vier übereinander gestapelte Maschendrahtverschläge mit acht Monate alten Kleinstkindern beladen waren, alle vollkommen identisch (unverkennbar eine einzige Bokanowski-Gruppe) und alle (da sie der Kaste der Deltas angehörten) in Khaki gekleidet.
»Setzen Sie sie auf den Boden.«
Die Kleinstkinder wurden abgeladen.
»Drehen Sie sie so, dass sie die Blumen und Bücher sehen können.«
Gedreht, verstummten die Kinder, dann krabbelten sie auch schon auf die geballten, geschmeidigen Farben zu, auf die so lustigen und blanken Bilder auf den weißen Seiten. Im selben Moment brach die Sonne hinter einer Wolke hervor. Die Rosen loderten wie von plötzlichem innerem Feuer auf; neue und tiefe Bedeutung tränkte die leuchtenden Buchillustrationen. Von der krabbelnden Phalanx stiegen kleine, aufgeregte Kiekser auf, gurgelnde, glucksende Freudentöne.
Der Direktor rieb sich die Hände. »Ausgezeichnet!«, sagte er. »Fast wie bestellt.«
Die schnellsten Krabbler hatten bereits ihr Ziel erreicht. Kleine Hände grapschten, berührten, packten, entblätterten die verklärten Rosen, zerknitterten die illuminierten Buchseiten. Der Direktor wartete, bis alle eifrig beschäftigt waren. Dann sagte er: »Und nun passen Sie auf.« Mit erhobener Hand gab er das Signal.
Die Oberpflegerin, die am anderen Ende des Raums schon an einer Schalttafel bereitstand, drückte einen kleinen Hebel herunter.
Es tat einen Donnerschlag. Schrill und schriller jaulte eine Sirene. Alarmglocken bimmelten wild.
Die Kinder schraken zusammen, sie schrien und grimassierten vor Angst.
»Und nun«, brüllte der Direktor (denn der Lärm war ohrenbetäubend), »nun verleihen wir der Lektion noch mit milden Elektroschocks Nachdruck!«
Er gab erneut ein Zeichen, und die Oberpflegerin legte einen zweiten Hebel um. Das Kreischen der Krabbelkinder nahm ganz neue Töne an. Ihnen entfuhren nun Japser und spitze Schreie von einer verzweifelten, halb wahnsinnigen Dringlichkeit. Die kleinen Körper zuckten und krampften, ihre Glieder ruckten, als würde an unsichtbaren Drähten gezupft.
»Wir können den gesamten mittleren Bodenstreifen unter Strom setzen!«, bellte der Direktor zur Erklärung12. »Aber das genügt jetzt.« Er gab der Pflegerin ein Zeichen.
Das Donnergetöse hatte schlagartig ein Ende, die Glocken hörten zu bimmeln auf, Ton um Ton erstarb das Jaulen der Sirene. Die steif ruckenden Körper entspannten sich, und was sich zum Geheul frühkindlicher Berserker ausgewachsen hatte, beruhigte sich wieder zu gewöhnlichem Angstbrüllen.
»Und nun drehen Sie sie noch einmal den Blumen und Büchern zu.«
Die Pflegerinnen gehorchten, doch schon beim Anblick der Rosen, schon bei Sichtung der kunterbunten Bilder von Hoppe-Hase und Ki-ke-ri-ki und Muh-Kuh kauerten sich die Kleinstkinder panisch zusammen, und das Gebrüll nahm prompt wieder an Lautstärke zu.
»Sehen Sie?«, freute sich der Direktor. »Sehen Sie?«
Bücher und schrille Töne, Blumen und Stromschläge – schon jetzt waren diese Pole im frühkindlichen Hirn negativ gekoppelt und würden nach zweihundert Wiederholungen dieser und ähnlicher Lektionen eine feste Verbindung eingehen. Denn was der Mensch zusammengefügt hat, soll die Natur nicht scheiden.13
»Sie werden mit einer, wie die Psychologen einst sagten, ›instinktiven‹ Abscheu vor Büchern und Blumen aufwachsen. Einem unabänderlich konditionierten Reflex. Sie werden ihr Leben lang vor Büchern und der Botanik gefeit sein.« Der Direktor wandte sich an seine Pflegerinnen. »Bringen Sie sie fort.«
Noch immer laut plärrend wurden die Khaki-Babys auf die Stummen Diener geladen und hinausgerollt, und es blieben nur der Geruch nach saurer Milch und eine sehr willkommene Stille zurück.
Einer der Studenten hob die Hand, und obwohl ihm natürlich einleuchtete, dass man Niedrigkastigen schlecht gestatten konnte, Zeit, die dem Kollektiv gehörte, mit Büchern zu vergeuden und womöglich etwas zu lesen, was dummerweise ihre Reflexe dekonditionierte, war ihm … na ja … das mit den Blumen nicht ganz klar. Wozu sich die Mühe machen, Deltas Gefallen an Blumen psychisch zu verunmöglichen?
Der DCK erklärte geduldig. Kinder dazu zu bringen, schon beim Anblick von Rosen zu schreien, geschah im übergeordneten Interesse der Ökonomie. Vor nicht allzu langer Zeit (hundert Jahren vielleicht), waren Gammas, Deltas, ja, selbst Epsilons konditioniert worden, Blumen zu mögen – Blumen im Besonderen und die unberührte Natur im Allgemeinen. Dahinter habe das Kalkül gestanden, sie in jeder freien Minute aufs Land streben und somit Transport konsumieren zu sehen.
»Haben sie das denn nicht?«, fragte der Student.
»In hohem Maße«, erwiderte der DCK. »Aber eben sonst nichts.«
Primeln und Landschaft, erläuterte er, hätten eben einen entscheidenden Nachteil: Es gebe sie umsonst. Die Liebe zur Natur laste keine Produktionsanlagen aus. Man beschloss daher, die Liebe zur Natur abzuschaffen, zumindest bei den niedrigen Kasten, nicht aber den Bedarf an Transport. Denn selbstverständlich war man darauf angewiesen, dass die Menschen, und sei es widerstrebend, aufs Land hinaus fuhren. Die Herausforderung bestand darin, einen ökonomisch schlüssigeren Grund für den Transportkonsum zu finden als die schlichte Freude an Primeln und Landschaft. Er wurde gefunden.
»Wir konditionieren die Massen«, schloss der Direktor, »auf Naturfeindlichkeit bei gleichzeitiger Begeisterung für alle Natursportarten. Und wir sorgen dafür, dass alle Natursportarten die Nutzung vielfältiger Geräte erfordern. So werden neben dem Transport auch noch Sportartikel konsumiert. Und deshalb die Elektroschocks.«
»Verstehe«, sagte der Student und schwieg schwer beeindruckt.
Das Schweigen drohte lastend zu werden, da räusperte sich der Direktor und hob erneut zu sprechen an. »Einst, als Unser Ford14 noch auf Erden weilte, lebte ein kleiner Junge namens Reuben Rabinovitch.15 Reuben war das Kind polnischer Eltern.« Der Direktor unterbrach sich. »Sie wissen, was Polnisch ist, oder?«
»Eine tote Sprache.«
»Wie Französisch und Deutsch«, ergänzte ein zweiter Student neunmalklug.
»Und ›Eltern‹?«, fragte der DCK.
Es herrschte betretenes Schweigen. Etliche Jungen wurden rot. Sie hatten noch nicht gelernt, den entscheidenden, aber oftmals sehr feinen Unterschied zwischen Schweinkram und Wissenschaft zu machen. Einer aber traute sich schließlich, die Hand zu heben.
»Menschen waren einmal …« – er zögerte, das Blut schoss ihm in die Wangen. »Nun, sie waren einmal lebendgebärend.«
»Ganz recht, vivipar.« Der Direktor nickte wohlwollend.
»Und wenn Babys dekantiert wurden …«
»Geboren«, wurde er korrigiert.
»Nun, dann waren sie Eltern – das heißt, nicht die Kinder natürlich, die anderen.« Der arme Kerl war ganz konfus vor Verlegenheit.
»Kurz gesagt«, fasste der Direktor zusammen, »Eltern waren der Vater und die Mutter.« Dieser Schweinkram, der in Wahrheit Wissenschaft war, platzte wie eine BOMBE ins betretene, jeden Blickkontakt meidende Schweigen der Jungen. »Mutter«, wiederholte der Direktor deutlich vernehmbar und die Wissenschaftlichkeit unterstreichend, um sich dann auf seinem Stuhl zurückzulehnen. »Es sind in der Tat unschöne Fakten«, räumte er nüchtern ein. »Aber im Grunde sind die meisten historischen Fakten unschön.«
Er kehrte zu Klein-Reuben zurück, Klein-Reuben, in dessen Zimmer Vater und Mutter (BOMBE! und BOMBE!) eines Abends aus Versehen das Radio angelassen hatten.
(»Denn Sie müssen bedenken, dass Kinder in dieser kruden Ära viviparer Reproduktion stets von ihren Eltern betreut wurden, nicht in...
Erscheint lt. Verlag | 26.9.2013 |
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Reihe/Serie | Fischer Klassik Plus |
Fischer Klassik Plus | |
Nachwort | Tobias Döring |
Übersetzer | Uda Strätling |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Bernard Marx • Beta • Dekantierstation • Droge • Dystopie • dystopischer Roman • Embryomagazin • Europa • Fertilisationsstation • Henry Foster • Indoktrination • Indoktrinierung • Klassiker • Lenina Crowne • Malpai • Manipulation • Reservat • Science Fiction • Shakespeare • Solidaritätsmesse • Soma • Utopie |
ISBN-10 | 3-10-402773-0 / 3104027730 |
ISBN-13 | 978-3-10-402773-9 / 9783104027739 |
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