Vaterland (eBook)

Roman
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2013 | 1. Auflage
448 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-10834-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vaterland -  Robert Harris
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Hitler hat den Krieg gewonnen - Nazideutschland beherrscht ganz Europa. Das ist das Horrorszenario in Robert Harris' frivolem Politthriller.
«Harris versteht, gut und spannend zu schreiben. Es kommt alles vor: Verbrechen, Verschwörungen, Vertuschung, Irreführung, Gewalt und Liebe. Harris kann den Historiker nicht verleugnen - so würzt er seine Geschichte mit historischen Dokumenten.»
DIE ZEIT

Robert Harris wurde 1957 in Nottingham geboren und studierte in Cambridge. Seine Romane »Vaterland«, »Enigma«, »Aurora«, »Pompeji«, »Imperium«, »Ghost«, »Titan«, »Angst«, »Intrige«, »Dictator«, »Konklave«, »München«, »Der zweite Schlaf«, »Vergeltung« und zuletzt »Königsmörder« wurden allesamt internationale Bestseller. Seine Zusammenarbeit mit Roman Pola?ski bei der Verfilmung von »Ghost« (»Der Ghostwriter«) brachte ihm den französischen »César« und den »Europäischen Filmpreis« für das beste Drehbuch ein. Die Verfilmung von »Intrige« - wiederum unter der Regie Pola?skis - erhielt auf den Filmfestspielen in Venedig 2019 den großen Preis der Jury, den Silbernen Löwen. Robert Harris lebt mit seiner Familie in Berkshire.

1

Dicke Wolken hatten die ganze Nacht über Berlin gedräut, und jetzt schleppten sie sich in das hinein, was als Morgen galt. An den westlichen Stadträndern trieben Regenfahnen wie Rauch über die Oberfläche der Havelseen.

Himmel und Wasser verschmolzen zu einer grauen Schicht, die nur von der dunklen Linie des gegenüberliegenden Ufers unterbrochen wurde. Da bewegte sich nichts. Kein Licht war zu sehen.

Xaver March, Mordermittler der Berliner Kriminalpolizei, stieg aus seinem Volkswagen und hielt das Gesicht in den Regen. Er mochte diesen besonderen Regen. Er kannte seinen Geschmack und seinen Geruch. Es war baltischer Regen, aus dem Norden, kalt und von der See gewürzt, scharf vom Salz. Für einen Augenblick fühlte er sich wie vor zwanzig Jahren, im Kommandoturm eines U-Bootes, das aus Wilhelmshaven hinausglitt, mit gelöschten Lichtern, hinein in die Dunkelheit.

Er sah auf die Uhr. Es war kurz nach sieben.

Am Straßenrand vor ihm standen drei andere Wagen. Die Insassen von zweien schliefen auf dem Fahrersitz. Der dritte war ein Streifenwagen der Ordnungspolizei – der Orpo, wie jeder sie nannte. Er war leer. Durch das offene Fenster drang in der feuchten Luft das Funkgerätknistern scharf herüber, unterbrochen von heruntergerasselten Redefetzen. Das Drehlicht auf dem Dach leuchtete den Wald neben der Straße an: blau/schwarz, blau/schwarz, blau/schwarz.

March suchte nach den Orpo-Leuten und sah sie sich am See unter einem tropfenden Birkenbaum schützen. Im Schlamm zu ihren Füßen schimmerte etwas fahl. Auf einem Baumstamm nahebei saß ein junger Mann in einem schwarzen Trainingsanzug mit den SS-Zeichen auf der Brusttasche. Er war vorwärtsgekrümmt, die Ellbogen auf den Knien, die Hände seitwärts gegen den Kopf gepresst – ein Bild des Elends.

March nahm einen letzten Zug aus seiner Zigarette und schnippte sie weg. Sie zischte und erstarb auf der nassen Straße.

Als er näher kam, hob einer der Polizisten den Arm.

»Heil Hitler!«

March beachtete ihn nicht und rutschte das schlammige Ufer hinab, um sich die Leiche anzusehen.

Es war der Körper eines alten Mannes – kalt, fett, haarlos und erschreckend weiß. Aus der Entfernung hätte es eine Alabasterstatue sein können, die man mit Schlamm beworfen hatte. Mit Dreck beschmiert, lag die Leiche auf dem Rücken, halb aus dem Wasser, die Arme abgespreizt, das Gesicht zurückgeworfen. Ein Auge war fest zugedrückt, das andere schielte bösartig in den schmutzigen Himmel.

Ohne den Blick von der Leiche zu wenden, redete er den Orpo-Mann an, der ihn gegrüßt hatte. »Ihr Name, Unterwachtmeister?« March sprach mit sanfter Stimme.

»Ratka, Herr Sturmbannführer.«

Sturmbannführer war der SS-Titel, der dem Wehrmachtsrang eines Majors entsprach, und Ratka schien – obwohl hundemüde und nass bis auf die Knochen – eifrig bedacht, Ehrerbietung zu zeigen. March kannte diesen Typen, ohne auch nur hinzusehen: drei Gesuche um Versetzung zur Kripo, alle abgelehnt; eine pflichtbewusste Frau, die dem Führer eine Fußballmannschaft Kinder geschenkt hatte; ein Monatseinkommen von 200 Reichsmark. Ein Leben, in Hoffnung gelebt.

»Gut, Ratka«, sagte March, wieder mit sanfter Stimme. »Wann hat man ihn entdeckt?«

»Vor einer guten Stunde. Wir waren auf Patrouille in Nikolassee und hatten gerade Schichtende. Wir haben den Anruf entgegengenommen, Dringlichkeitsstufe eins. Fünf Minuten später waren wir hier.«

»Wer hat ihn gefunden?«

Ratka wies mit dem Daumen über die Schulter.

Der junge Mann in dem Trainingsanzug stand auf. Er konnte kaum älter als achtzehn sein. Das Haar war so kurz geschoren, dass die rosa Kopfhaut durch das spärliche hellbraune Haar schimmerte. March bemerkte, wie er vermied, auf die Leiche zu blicken.

»Ihr Name?«

»SS-Schütze Hermann Jost.« Er sprach mit sächsischem Akzent – nervös, unsicher, gefallsüchtig. »Von der Sepp-Dietrich-Akademie in Schlachtensee.« March kannte sie: eine Monstrosität aus Beton und Asphalt, die in den Fünfzigerjahren am Südufer der Havel errichtet worden war. »Ich laufe hier fast jeden Morgen. Es war noch dunkel.« Hilflos fügte er hinzu: »Zuerst hab ich gedacht, dass es ein Schwan ist.«

Ratka schniefte schmählich. Ein SS-Kadett, den ein toter alter Mann einschüchterte! Kein Wunder, dass sich der Krieg im Ural ewig weiterschleppte.

»Haben Sie sonst jemand gesehen, Jost?« March sprach in einem freundlichen Ton, wie ein Onkel.

»Nein. Es gibt eine Fernsprechzelle an dem Rastplatz etwa einen halben Kilometer zurück. Ich hab angerufen und bin dann hergekommen und hab gewartet, bis die Polizei da war. Auf der Straße war keine Menschenseele.«

March blickte wieder auf die Leiche. Sie war sehr dick. Bestimmt über zwei Zentner.

»Wir sollten ihn aus dem Wasser holen.« Er wandte sich der Straße zu. »Zeit, unsere Dornröschen zu wecken.«

Ratka, der im strömenden Regen von einem Bein aufs andere trat, grinste.

Es regnete jetzt stärker, und das Kladower Ufer war praktisch verschwunden. Wasser prasselte auf die Baumkronen und trommelte auf die Wagendächer. Der schwere Regengeruch nach Verfall lag in der Luft: fette Erde und verrottende Vegetation. Marchs Haare waren an die Kopfhaut geklatscht, Wasser rann ihm den Hals hinab. Er nahm es nicht wahr. Für March enthielt jeder Fall, wie routinemäßig auch immer, wenigstens zu Anfang das Versprechen auf Abenteuer.

Er war zweiundvierzig Jahre alt – schlank, mit grauem Haar und kühlen, grauen Augen, die zum jetzigen Himmel passten. Im Krieg hatte das Propagandaministerium einen Spitznamen für die U-Boot-Männer erfunden – die »grauen Wölfe« –, und das wäre in einer Hinsicht ein guter Name für March gewesen: Er war ein akribischer Fährtensucher. Aber vom Wesen her war er kein Wolf und rannte nicht mit dem Rudel. Er verließ sich mehr aufs Hirn als auf Muskeln, weshalb ihn seine Kollegen stattdessen auch »Fuchs« nannten.

U-Boot-Wetter!

Er riss die Tür des weißen Škodas auf und wurde von einem Schwall heißer Luft der Autoheizung getroffen.

»Morgen, Speidel!« Er schüttelte die knochige Schulter des Polizeifotografen. »Zeit, nass zu werden.« Speidel fuhr zusammen und wurde wach. Er warf March einen wütenden Blick zu.

Als sich March nun dem anderen Škoda näherte, kurbelte jemand das Fahrerfenster herunter. »Schon gut, March. Schon gut.« Die Stimme von SS-Arzt Dr. August Eisler, Rechtsmediziner der Kripo, war ein Quietschen an beleidigter Würde. »Heben Sie sich Ihren Kasernenhumor für die auf, die Sinn dafür haben.«

Sie sammelten sich am Wasserrand, alle außer Eisler, der abseits stand und sich unter einem alten, schwarzen Regenschirm schützte, unter den er niemand sonst bat. Speidel schraubte ein Blitzlicht auf seine Kamera und setzte den rechten Fuß sorgsam auf einen Lehmklumpen. Als ihm eine Welle über den Schuh schwappte, fluchte er.

»Scheiße!«

Der Blitz flammte auf und fror die Szene einen Augenblick lang ein: die weißen Gesichter, die silbrigen Regenfäden, die Dunkelheit der Bäume. Ein Schwan schoss irgendwo aus dem nahen Schilf, um sich anzusehen, was da vor sich ging, und zog einige Meter entfernt seine Kreise.

»Er bewacht sein Nest«, sagte der junge SS-Mann.

»Ich brauch hier noch eine.« March zeigte. »Und eine hier.«

Speidel fluchte wieder und zerrte seinen triefenden Fuß aus dem Schlamm. Die Kamera blitzte noch zweimal.

March beugte sich nieder und ergriff die Leiche unter den Achseln. Das Fleisch war hart, wie kaltes Gummi, und glitschig.

»Helft mir.«

Die Orpo-Leute nahmen jeder einen Arm. Vor Anstrengung grunzend, hievten sie die Leiche gemeinsam aus dem Wasser und zerrten sie über das schlammige Ufer auf die durchtränkte Wiese. Als March sich aufrichtete, fing er den Ausdruck auf Josts Gesicht ein.

Der alte Mann trug eine blaue Badehose, die ihm bis auf die Knie hinabgerutscht war. In dem eisigen Wasser waren die Genitalien zu einem winzigen Klümpchen weißer Eier in einem Nest schwarzer Schamhaare zusammengeschrumpelt.

Der linke Fuß fehlte.

Das musste wohl so sein, dachte March. Das war einer der Tage, an denen nichts einfach war. Ein Abenteuer allerdings.

»Herr Doktor. Ihre Meinung bitte.«

Mit einem gereizten Seufzer trat Eisler geziert vor und zog sich den Handschuh von der einen Hand. Das Bein der Leiche endete unterhalb der Wade. Während Eisler immer noch den Schirm hielt, beugte er sich steif vor und ließ die Finger um den Stumpf gleiten.

»Eine Schiffsschraube?«, fragte March. Er hatte Leichen gesehen, die man aus belebten Wasserwegen gezogen hatte – dem Tegeler See und der Spree in Berlin, der Alster in Hamburg – und die alle ausgesehen hatten, als wären Metzger über sie hergefallen.

»Nein.« Eisler zog die Hand zurück. »Eine alte Amputation. Übrigens ausgezeichnet gemacht.« Er presste mit der Faust hart auf die Brust. Schlammiges Wasser schoss aus dem Mund und blubberte aus den Nasenlöchern. »Rigor mortis ziemlich fortgeschritten. Zwölf Stunden tot. Vielleicht weniger.« Er zog den Handschuh wieder an.

Irgendwo hinter ihnen ratterte ein Dieselmotor durch die Bäume.

»Der Rettungswagen«, sagte Ratka. »Die lassen sich Zeit.«

March winkte Speidel zu sich. »Machen Sie noch eine Aufnahme.«

Er blickte auf die Leiche hinab und zündete sich...

Erscheint lt. Verlag 26.8.2013
Übersetzer Hanswilhelm Haefs
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Fatherland
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Agententhriller • Alternativwelt • DrittesReich • eBooks • Heimatkrimi • Hitler • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Nationalsozialismus • Politik • Politthriller • Roman • Spannung • Thriller
ISBN-10 3-641-10834-9 / 3641108349
ISBN-13 978-3-641-10834-2 / 9783641108342
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