Modelle von Gesundheit und Krankheit (eBook)

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2012 | 3. Auflage
285 Seiten
Hogrefe AG (Verlag)
978-3-456-75120-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Modelle von Gesundheit und Krankheit -  Alexa Franke
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In Deutschland ist nach der Gesundheitsreform vor der Gesundheitsreform. Aber welche Gesundheit wird da eigentlich reformiert? Was bedeuten die Begriffe 'Gesundheit' und 'Krankheit'? Sind 300 Milliarden Euro jährliche Gesundheitsausgaben ein Gradmesser dafür, wieviel uns 'Gesundheit' wert ist? Wer versteht was unter Gesundheit und Krankheit? Welche Theorien gibt es, und wie stehen diese mit der Art der gesundheitlichen Versorgung in Verbindung? Welche Menschenbilder und gesellschaftlichen Grundüberzeugungen spiegeln sich in den theoretischen Modellen, und wie schlagen sie sich in der Verteilung der Gesundheitsausgaben nieder? Um Antworten auf diese und weitere Fragen geben zu können, werden in diesem Buch folgende Themen behandelt: · Definitionen und Dimensionen von Gesundheit, Krankheit und Behinderung · biomedizinische, psychosomatische, psychologische und soziokulturelle Modelle von Krankheit, Stress und Bewältigung und deren Konsequenzen für die Gesundheitsversorgung und den Umgang mit Patientinnen und Patienten · Theorien von Gesundheit und Salutogenese, WHO-Gesundheitsbegriff und Ansätze der Gesundheitsförderung · geschlechtsspezifische und sozialepidemiologische Modelle von Gesundheit und Krankheit · subjektive Theorien von Gesundheit und Krankheit. Die dritte Auflage berücksichtigt den aktuellen Diskussionsstand, wobei der ursprüngliche Anspruch erhalten bleibt: Es soll Professionellen in den verschiedensten Bereichen des Gesundheitswesens und vor allem Studierenden, die dort einen Beruf anstreben, dabei helfen, die eigene Position zu reflektieren und sich eine Meinung zu bilden. Und es soll zeigen, dass der immer stärker von ökonomischen Gesichtspunkten dominierte gesellschaftliche Diskurs um Gesundheit und Krankheit zu kurz greift. Der hohe Standard der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland basiert auf einer reichen wissenschaftlichen und sozialen Tradition. Gerade in Deutschland aber haben wir auch eine Historie voll abschreckender Beispiele, wie im Namen und unter dem Deckmantel der Gesundheit völlig andere Interessen verfolgt werden. Wenn das Buch anregt, sich mit den Hintergründen der Gesundheitsausgaben und Absichten der nächsten Gesundheitsreform auseinanderzusetzen und diese besser zu verstehen, hat es sein Ziel erreicht. 'Es ist durch nichts erwiesen, dass das Problem der Krankheit durch einen gesellschaftlichen Wandel gelöst werden kann. Sicher ist nur, dass es auf vernünftige Ausmaße reduziert werden kann.' Jean Carpentier

Einleitung

Wenn man einen Zustand mit einem Namen versieht, kann man fälschlicherweise den Eindruck gewinnen, etwas verstanden zu haben, so dass man aufhört, nachzudenken und Fragen zu stellen. (Robert E. Kendell 1978, S. 3)

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in der Tageszeitung etwas über Gesundheit und Krankheit steht. Neben der Aufklärung über häufige und seltene Erkrankungen – erstere, damit eine breite Leserschaft sich angesprochen fühlt, letztere, damit Bedürfnisse nach Neugier und Sensation befriedigt werden – und Gesundheitstipps für das richtige Verhalten in Frühling, Sommer, Herbst und Winter spielen auch gesundheitspolitische Fragen eine große Rolle. So ist die «Gesundheitsreform» ein dominantes Politikthema der letzten Jahre geworden. Aber welche Gesundheit soll eigentlich reformiert werden?

Die Debatte kreist nahezu ausschließlich um ökonomische Fragen. Dabei wird nur den wenigsten deutlich, dass die Argumentationen für die eine oder andere Art der Krankenversicherung und Vergütung von Krankenleistungen nicht nur eine ökonomische Seite haben, sondern dass sie auch geprägt sind von sehr unterschiedlichen Wertvorstellungen zur Verursachung von und Verantwortlichkeit für Krankheit. Die so genannte Gesundheitsdiskussion in Deutschland ist zu einer Diskussion darüber geworden, wie Gesundheitsleistungen finanziert werden können und dass die Gesundheitskosten dringend gesenkt werden müssen – aber wer versteht in dieser Diskussion was unter Gesundheit? Die öffentliche Diskussion findet statt, ohne dass dies geklärt wäre, ohne dass ein Konsens über den Stellenwert und die Bedeutung von Gesundheit und Krankheit bestünde.

Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass nahezu unhinterfragt das biomedizinische Krankheitsmodell theoretischer Ausgangspunkt der Diskussion ist. In der Fachliteratur erobert es beinahe wie selbstverständlich immer weitere Bereiche der Medizin, Psychologie, Psychiatrie, Pflege, Sozialpädagogik, Rehabilitation und Sonder- und Heilpädagogik. Die als Revolutionen gepriesenen medizinischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte wie Neuroimmunologie und Neuropsychologie, Gentechnologie und Verhaltensgenetik unterstützen das biomedizinische Modell, dem zufolge in der Person liegende Defekte und Dysfunktionen die Krankheit bedingen. Soziale und gesellschaftliche Faktoren werden konsequent ausgeblendet, obwohl sie zuverlässigen weltweiten epidemiologischen Untersuchungen zufolge in stärkerem Maße für Morbidität und Mortalität in einer Gesellschaft verantwortlich sind, und die Ergebnisse der Gesundheitsdebatten vergangener Jahrzehnte werden als soziale Spinnereien belächelt. In den 1970/80er-Jahren war die Gesundheitsbewegung in Deutschland eine breite politische Bewegung, in der die gesundheitliche Versorgung und Gesundheitspolitik als gesellschaftliche Querschnittsaufgaben verstanden wurden, die alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens tangierten. Heute wird zunehmend versucht, Gesundheit und Krankheit zu individualisieren, den Einzelnen die Verantwortung und Finanzierung aufzubürden – und ihnen auch noch ein schlechtes Gewissen zu machen, dass sie durch Langlebigkeit zu viele Kosten verursachen.

Ilona Kickbusch, langjährige Leiterin des Europabüros der Weltgesundheitsorganisation WHO, schreibt zu dieser Entwicklung:

Der gesellschaftliche Grundkonsens über die Gesundheitsversorgung geht in den europäischen Wohlfahrtsstaaten gegenwärtig zunehmend verloren. Die politische Herausforderung liegt nun darin, unter Einbeziehung der BürgerInnen in einen gesellschaftlichen Dialog zu der Frage einzutreten, auf welche Weise proaktiv eine Gesundheitsgesellschaft europäischer Prägung bewusst gestaltet werden kann. (Kickbusch, 2004, S. 36)

Diese politische Herausforderung wird nur angenommen werden können, wenn den Bürgerinnen und Bürgern Alternativen zum gegenwärtig die Diskussion beherrschenden Modell bekannt sind. Eine besondere Verantwortung kommt in dieser Diskussion denjenigen zu, die im Bereich des Gesundheitswesens arbeiten. An sie und an diejenigen, die in ihm arbeiten wollen, wendet sich dieses Buch. Es informiert über die Definitionen und Modelle von Gesundheit, Krankheit und Behinderung und zeigt auf, welche Konsequenzen die unterschiedlichen Theorieansätze für die Gesundheitsversorgung haben. Hier einige Hinweise zu seinem Aufbau:

Der erste Themenblock (Kap. 1 bis 6) beschäftigt sich mit Definitionen und Dimensionen von Gesundheit, Krankheit und Behinderung – und den Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen diesen Konstrukten. Das Kapitel über die Definitionen von Gesundheit ist dabei sehr viel länger ausgefallen als das über Krankheitsdefinitionen – was in einem merkwürdigen Gegensatz dazu steht, dass es – wie die nächsten Themenblöcke zeigen – sehr viel mehr Modelle von Krankheit als von Gesundheit gibt. Die geistige Auseinandersetzung mit dem Konstrukt «Gesundheit» war zwar schon immer für viele Disziplinen reizvoll. Von größerer wissenschaftlicher und praktischer Durchschlagskraft war (und ist) aber zweifelsohne die Beschäftigung mit der Krankheit – Panakeia hat Hygeia eindeutig das Heft aus der Hand genommen.

Äskulap, der griechische Gott der Gesundheit, hatte zwei Töchter: Hygeia und Panakeia. Für Hygeia war Gesundheit die natürliche Ordnung der Dinge. Sie lehrte die Griechen, dass sie gesund bleiben konnten, wenn sie sich in allen Dingen mäßigten und vernünftig verhielten. Die Erinnerung an sie ist im Wort «Hygiene» lebendig. Panakeia hingegen war eine heilende Gottheit, die in der Herstellung von Heilmitteln bewandert war. Die englische Sprache ehrt sie im Wort «panacea», das Allheilmittel bedeutet.

Lange habe ich darüber nachgedacht, ob ich den Krankheits- und Gesundheitsmodellen je ein eigenes Kapitel widmen oder sie in einem Kapitel zusammen darstellen sollte. Meiner eigenen Sichtweise hätte das gemeinsame Kapitel mehr entsprochen, da ich absolut davon überzeugt bin, dass Gesundheit und Krankheit nicht zwei voneinander abgrenzbare Zustände sind, sondern unauflöslich zusammengehören. Wir sind in jedem Moment unseres Lebens niemals ausschließlich gesund oder ausschließlich krank. Gesundheit ist für mich ohne Krankheit nicht denk- und definierbar und umgekehrt. Doch ich befinde mich mit dieser Ansicht nicht in Einklang mit den dominierenden Modellen, die überwiegend auf Krankheit fokussieren, und habe mich daher entschlossen, das Thema konventioneller in zwei Kapitel zu gliedern.

Da die Mehrzahl der Modelle sich mit Krankheit beschäftigt und nicht mit Gesundheit, werden im zweiten Themenblock (Kap. 7 und 8) zunächst die Krankheitsmodelle vorgestellt. Eingegangen wird auf biomedizinische, psychosomatische und soziokulturelle Krankheitsmodelle, und es werden die Konsequenzen diskutiert, die sich aus diesen Modellen für die Versorgung von und für die Interaktion mit Patientinnen und Patienten ergeben. Dem vorangestellt ist eine ausführliche Einführung in die verschiedenen Konzepte von Stress und Bewältigung, da diese in vielen Konzeptionen über die Entstehung von Krankheiten eine Rolle spielen.

Der dritte Themenbereich (Kap. 9) befasst sich mit Gesundheitstheorien, vor allem mit dem Modell der Salutogenese und den Konsequenzen eines Paradigmawechsels von Pathogenese zu Salutogenese. Auch der Gesundheitsbegriff der WHO und die Ottawa-Charta für Gesundheitsförderung werden in diesem Teil vorgestellt und diskutiert.

Der vierte Themenblock (Kap. 10 bis 12) beschäftigt sich mit geschlechtsspezifischen und sozialepidemiologischen Modellen sowie mit subjektiven Theorien von Gesundheit und Krankheit. Gerne hätte ich in diesem letzten Kapitel auch subjektive Theorien von Behinderung vorgestellt – doch abgesehen von einigen unsystematischen eigenen kleinen Interviewstudien konnte ich keine Literatur zu diesem Thema finden.

Ich wollte ein Buch schreiben, das über den Tellerrand meiner eigenen Disziplin, der klinischen und Gesundheits-Psychologie, hinausgeht. Seit ich vor mehr als 20 Jahren die Chance hatte, gemeinsam mit 20 Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Gesundheitsberufen und aus acht verschiedenen Ländern an einem zweimonatigen Lehrgang teilzunehmen, weiß ich, dass wir uns dem Thema «Gesundheit und Krankheit» nur in einer multiprofessionellen Anstrengung nähern können. Dem steht oft entgegen, dass wir in den verschiedenen Professionen unterschiedliche Sprachen sprechen, die die Kommunikation miteinander erschweren. Die Unkenntnis der jeweils anderen Sprache lässt Unterschiede manchmal größer erscheinen, als sie de facto sind. Ich habe zum Beispiel als klinische Psychologin an einer vorwiegend pädagogisch orientierten Fakultät für Rehabilitationswissenschaften Jahre gebraucht, um angesichts unterschiedlicher Sprachregelungen Gemeinsamkeiten in unseren professionellen Ansätzen zu erkennen. Aber Sprache kann auch gravierende Unterschiede verschleiern. Wenn man sich in einem sehr heterogenen Team zum Beispiel darauf verständigt, einen ganzheitlichen oder eklektischen Ansatz zu wählen, wird ohne weitere Klärung dieses Ansatzes jedes Teammitglied seine eigenen Vorstellungen von Ganzheitlichkeit oder Eklektizismus realisieren, was für die gemeinsam betreute Klientel mehr Verwirrung als Orientierung stiftet.

Ich möchte in diesem Sinne Übersetzungsarbeit leisten. Ich möchte Studierende der diversen Ausbildungsgänge – Medizin, Psychologie, Psychiatrie, Pflege, Sozialpädagogik, Rehabilitation und Sonder- und Heilpädagogik etc. – ansprechen und ihnen in verständlicher Sprache den Diskussionsstand zu den Modellen von Gesundheit und Krankheit nahe bringen. Es gibt viel Literatur zum...

Erscheint lt. Verlag 1.1.2012
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Allgemeines / Lexika
Schlagworte Behinderung • Deutschland • Gesundheit • gesundheitliche Versorgung • Gesundheitsausgaben • Gesundheitsförderung • Gesundheitsreform • Gesundheitsversorgung • Gesundheitswesen • Gesundheitswissenschaft • Gesundheitswissenschaften • Grundüberzeugungen • Medizin • Menschenbilder • Modelle • Pflege • Salutogenese • Stress • Versorgung • WHO
ISBN-10 3-456-75120-6 / 3456751206
ISBN-13 978-3-456-75120-7 / 9783456751207
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