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Die Immanenz der Macht (eBook)

Politische Theorie nach Spinoza

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
459 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-78840-0 (ISBN)
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25,99 inkl. MwSt
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Jede Epoche entdeckt und deutet ihre philosophischen Klassiker neu, und so sagt das derzeitige intensive Interesse am Werk des holländischen Rationalisten Baruch de Spinoza mindestens so viel über die Gegenwart wie über die Frühe Neuzeit aus. Denn in seinen Schriften zeichnet sich eine bedeutsame ideengeschichtliche Alternative zu den bekannteren Wegen in die Moderne ab, die noch nicht ausgeschöpft ist. Martin Saar zeichnet das faszinierende politische Denken Spinozas nach, gibt einen Einblick in seine wechselhafte Rezeptionsgeschichte und wirbt für die systematische Produktivität seiner radikalen ontologischen Theorie der Politik. In ihrem Zentrum stehen die Begriffe Macht, Imagination und Affektivität, und mit ihrer Hilfe lassen sich heutige Lebensformen und Regierungsweisen besser begreifen.



Martin Saar ist Professor für Sozialphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zuletzt erschien: <em>Die Immanenz der Macht. Politische Theorie nach Spinoza</em> (stw 2054).

Cover 1
Informationen zum Buch / zum Autor 2
Impressum 4
Inhalt 5
Einleitung: Wieso Spinoza? 7
Erster Teil: 
15 
I Der Tractatus theologico-politicus 17
I.1 Kritik der theologischen Autorität 22
I.2 Kritik der politischen Autorität 32
II Der Tractatus politicus 51
II.1 Eine politische Ontologie 57
II.2 Eine vergleichende Institutionentheorie 63
III Die Ethica ordine geometrico demonstrata 78
III.1 Die eine Natur 84
III.2 Drei Formen der Erkenntnis 88
III.3 Streben und Fühlen 94
III.4 Macht und Ohnmacht des Geistes 103
III.5 Der Weg zur Freiheit 113
III.6 Metaphysik und Politik 120
Zweiter Teil: Eine allgemeine Machttheorie 131
IV Potentia: Über Macht und Vermögen 133
IV.1 Spinozas Begriff der Macht 137
IV.2 Die Ambivalenz der Macht 154
IV.3 Potentia versus potestas? (Contra Negri) 168
IV.4 Nach Spinoza: Macht und politische Philosophie 190
Exkurs: Die Macht des Lebens 204
Dritter Teil: Anwendungen einer Machttheorie 215
V Imperium: Über die Regierung und die Institutionen 217
V.1 Spinozas Vokabular des Regierens 219
V.2 Führung und Selbstführung 226
V.3 Regieren durch Institutionen 238
V.4 Nach Spinoza: Analytik und Kritik der Regierung 246
Exkurs: Gouvernementalität der Moderne 264
VI Imaginatio: Über die Bilder und Affekte 275
VI.1 Spinoza über Emotion und Imagination 278
VI.2 Gefühl und Politik: systematische Konsequenzen 284
VI.3 Nach Spinoza: Streit der Bilder und Affekte 298
Exkurs: Das politische Imaginäre 316
VII Multitudo: 
329 
VII.1 Spinozas Theorie(n) der Demokratie 333
VII.2 Was ist die multitudo? 350
VII.3 Nach Spinoza: Wirklichkeit der Macht und Praxis der Freiheit 368
Exkurs: Radikale Demokratie 396
Schluss: Politik, Ontologie, Immanenz 411
Nachweise und Danksagung 427
Zitierweise und Siglen 429
Literaturverzeichnis 431
Namenregister 455

7Einleitung: Wieso Spinoza?


Die Geschichtsschreibung der politischen Ideen gleicht einem Archiv, in dem die klassischen Positionen der abendländischen Tradition des politischen Denkens verwaltet werden.[1] Die politische Theorie der Gegenwart konsultiert dieses Archiv von Zeit zu Zeit, und sie stößt auf die dort gefallenen Verwaltungsentscheidungen. In der Abteilung für das politische Denken der frühen Moderne stehen derzeit Hobbes, Rousseau, Kant oder Hegel auf den exponierten Plätzen. Der genaue Ort für das politische Denken Baruch de Spinozas in diesem Archiv ist dagegen umstritten. Es steht derzeit eher in der zweiten oder gar dritten Reihe, weit hinter den genannten Klassikern. Einige Archivare vermuten sogar, dass sein Werk besser im Nachbararchiv, dem der allgemeinen Philosophiegeschichte, aufbewahrt würde, und sie verzeichnen wenige Nachfragen, wenn es um Rat und Material für die Fragen und Projekte der systematisch orientierten politischen Theorie oder für die politische Selbstauslegung der Gegenwart geht.

Seit einigen Jahren werden allerdings die Bezugnahmen häufiger, und es zeigt sich ein zunehmendes Interesse an Spinoza. Hierfür gibt es zahlreiche Ursachen und Motive: eine generelle Spinoza-Renaissance sowohl in der Ideengeschichtsschreibung, die ihn als Ausgangsspunkt einer Tradition »radikaler Aufklärung« versteht, als auch in einigen Subdisziplinen der Philosophie, die sich an rationalistische Argumentationsmuster erinnern und seine eigenwillige Theorie des Geistes und der Affekte produktiv nutzen; ein verstärktes Interesse an der europäischen Epoche, die wir »Frühe Neuzeit« nennen und die sich immer mehr als veritable Umbruchzeit erweist, in der fundamentale Weichenstellungen im Denken und in der politischen Wirklichkeit vorgenommen wurden; Neugier auf einen verfemten, heterodoxen Denker, der, zumal im deutschen Kontext, jahrhundertelang ein hochkontroverser Bezugspunkt zahlreicher Debatten war, dann aber allmählich in Vergessenheit geriet und nur noch Gegenstand hochspezialisierter Forschung war; einige 8Hinweise Louis Althussers in den 1960er Jahren, die Zukunft des Marxismus liege in der Aufnahme spinozistischer Denkfiguren; die eindringlichen Spinoza-Kommentare von Gilles Deleuze, der dem im Entstehen begriffenen Poststrukturalismus die Erinnerung an die Ontologie des 17. Jahrhunderts ins Programm geschrieben hat; die enthusiastische Rezeption Spinozas in Teilen der feministischen Philosophie, die hier ein alternatives Denken des Körpers und eine systematische anti-dualistische Philosophie gefunden hat und weiterführt; und schließlich eine politische Debatte, in der, maßgeblich vermittelt durch die einflussreichen Schriften von Antonio Negri, die Rede von der »Multitude«, einem Zentralbegriff von Spinozas politischer Philosophie, fest etabliert ist.[2]

Diese zahlreichen Motive, von denen einige auch auf den folgenden Seiten diskutiert werden, erklären das verstärkte Interesse an Spinoza; sie bestimmen aber noch nicht, was man genau findet, wenn man nach seiner politischen Theorie sucht, und was sie zu den Fragen der politischen Philosophie und politischen Theorie der Gegenwart beitragen könnte. Der Versuch, dies zu klären, wird hier in der Form einer internen Rekonstruktion und kontextualisierenden Diskussion von Spinozas politischem Denken unternommen. Sie muss mit einer Lektüre beginnen, die Spinozas politische Theorie im Kontext seines Werks als solche überhaupt sichtbar macht und zu verstehen gibt, in welchem Sinn und mit welchem Anspruch innerhalb seiner Philosophie Aussagen zur Politik getroffen werden. Denn erst dieses Verhältnis einer bestimmten Form von Philosophie und einer bestimmten Dimension von Politik, das in Spinozas Werk auf eine spezifische und provokante Weise zum Ausdruck kommt, unterscheidet seine Behandlung politischer Fragen von der seiner frühneuzeitlichen Zeitgenossen sowie von der in den späteren Theorien des Politischen und macht den Gang ins Archiv lohnend.

Spinozas politische Theorie ist eine besondere und besonders leistungsfähige Form politischen Denkens – das ist die Prämisse 9dieses Buchs. Die Stärke seiner Theorie liegt darin, dass und wie sie den Machtbegriff ins Zentrum stellt und das menschliche Zusammenleben, die Institutionen und die politische Ordnung als Machtphänomene begreift – das ist die Hauptthese. Es soll daher gezeigt werden, mit welchen Mitteln Spinoza auf der Grundlage einer elaborierten und ungewöhnlichen philosophischen Theorie der Macht ein besonderes Bild des Politischen und der Politik zeichnet, zu welchen Beschreibungen und Analysen politischer Phänomene sie ihn befähigt und welche Potentiale für heutige Fragestellungen in ihr liegen.

Zwei allgemeine Eigenschaften prägen Spinozas ganz grundsätzlich ansetzendes, machttheoretisches Denken der Politik, und in ihnen drückt sich die besondere Form aus, in der er politische Philosophie betreibt. Erstens verfährt dieses Denken im Modus einer allgemeinen Theorie von Konstitutionsprozessen und ist deshalb eine politische Ontologie, die allgemeine Aussagen über die Elemente des Politischen zu machen beansprucht. Es wird sich zeigen, dass eine solche Theorie trotz dieses allgemeinen Anspruchs höchst dynamisch konzipiert sein kann, da ihr Grundbaustein, nämlich der Machtbegriff, Dynamiken und Wirkungsverhältnisse benennt. Eine solche Ontologie gibt nicht dogmatisch an, wie die Dinge sind, sondern formuliert in einem tentativen Modus Strukturanalysen und Bewegungsgesetze, die politische Prozesse allgemein charakterisieren, sich aber auf vielfältige Weise realisieren. Zweitens zeigt sich im Zentrum dieser Machttheorie der Politik eine Orientierung am Prinzip der Immanenz. So wie Spinozas gesamte Philosophie ein Denken der Immanenz und ein Zurückweisen der vermeintlichen Ansprüche transzendenter Autoritäten ist, so ist seine politische Theorie ein Denken der Immanenz der Macht und des menschlichen Handelns; und das bedeutet, dass sowohl die konstitutiven Kräfte als auch die Ziele der Politik aus ihr selbst kommen. Wie andere radikale Aufklärer nach ihm ist Spinoza davon überzeugt, dass die Orientierung für das Handeln des Einzelnen aus ihm selbst kommen muss, dass staatliche Macht nur dann legitim ist, wenn sie die Macht derer bleibt, über die sie ausgeübt wird, und dass die Ziele kollektiven Handelns nur in der Gemeinschaft der Handelnden selbst gefunden werden können. Die Prozesse und Dynamiken, die entstehen, wenn Einzelne in ihrer Macht und mit ihren Fähigkeiten und Vermögen aufeinandertreffen, konstituie10ren den Raum der Politik, der immer und unauslöschlich ein sich ständig verändernder, instabiler Raum der Macht bleiben wird. Im Innern dieses Raums zu bleiben, aus der Immanenz der menschlichen Fähigkeiten und Vollzüge selbst die Maßstäbe, Geltungen und Stabilisierungen zu entwickeln und den Versuchungen der Transzendenz, nämlich der Flucht in letzte Begründungen oder übernatürliche Autoritäten, zu widerstehen, darin liegen in Spinozas Sicht die Größe und die Tragik des Politischen begründet, die für die Philosophen nicht immer leicht zu denken und für die Handelnden nicht leicht auszuhalten sind.[3]

Diese kritische Stellung gegenüber Transzendenzbehauptungen, besonders natürlich gegenüber den Autoritätsbehauptungen der Theologie, bezeichnet vielleicht den Punkt, an dem Spinozas politisches Denken absolut zeitgebunden wirken mag, denn dies könnte wie ein längst entschiedener Streit erscheinen, der nur in der Frühen Neuzeit noch virulent war. Allerdings finden sich Analogien zu dieser Konstellation noch im politischen Denken der Gegenwart, wo unterschiedliche Theoriestile und Wissensmodelle konkurrieren und wo die Berufung auf letzte Prinzipien, eindeutige Wahrheiten oder höhere Gesetze in unterschiedlichster Form und mit unterschiedlichsten Begründungen immer noch verbreitet ist. Theorien dieser Art steht ein Denken der Macht und der Immanenz entgegen, wie es in Spinozas politischer Ontologie zuerst mustergültig formuliert worden ist und wie es sich auch noch in neueren, teils davon völlig unabhängig entwickelten Positionen auffinden lässt. Solche Korrespondenzen zwischen Spinozas Denken und einigen Tendenzen in der politischen Theorie der Gegenwart, die sich auf einen quasi-ontologischen, machttheoretischen und immanenzorientierten Argumentationsmodus einlassen, liegen denn auch weniger in den Details als in der methodischen Ausrichtung, weniger in einzelnen Thesen als im Denkstil.

Dieser Denkweise will die folgende Darstellung und Interpretation von Spinozas politischer Theorie auf die Spur kommen, um abschätzen zu helfen, wie sich in dieser Bahn heute weiterdenken lässt. Spinoza und eben nicht noch einmal Hobbes, Rousseau, Kant 11oder Hegel zum Stichwortgeber für ein heutiges politisches Denken zu machen führt, so der Vorschlag, zu anderen Themen und anderen Akzentsetzungen, als sie derzeit verbreitet sind. Mit seiner Hilfe lässt sich zudem anders über politische oder soziale Macht, die Wirksamkeit von Institutionen, die politische Bedeutung der Affekte und die Möglichkeit politischer Selbstregierung nachdenken. Die Orientierung an Spinoza eröffnet für die Gegenwart die Perspektive einer politischen Theorie, welche die Politik weniger von den stabilen Ordnungen, absoluten Rechten und eindeutigen Identitäten als vielmehr von den vielen Kräften und Mächten, vom vielfachen Werden und von den pluralen Möglichkeiten zu sein her begreift.[4]

Eine rekonstruierende Bestimmung der Ebene und der Form des philosophischen Sprechens von der Politik bei Spinoza lässt sich nur auf der Grundlage einer Darstellung der...

Erscheint lt. Verlag 15.7.2013
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Baruch • Benedictus • De • Macht • Politische Philosophie • Spinoza • Spinoza Benedictus • Spinoza, Benedictus • STW 2054 • STW2054 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2054
ISBN-10 3-518-78840-X / 351878840X
ISBN-13 978-3-518-78840-0 / 9783518788400
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