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Die vierte Hand (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
448 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60130-5 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
11,99 inkl. MwSt
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Während einer Indienreportage wird einem New Yorker Journalisten vor laufender Kamera die linke Hand von einem hungrigen Zirkuslöwen abgebissen; Millionen Fernsehzuschauer sind Zeugen des Unfalls. In Boston wartet ein verschrobener Handchirurg auf eine Gelegenheit, die erste amerikanische Handtransplantation vorzunehmen. Und eine junge Ehefrau in Wisconsin hat es sich in den Kopf gesetzt, dem einhändigen Reporter die linke Hand ihres Mannes zu geben - wenn dieser stirbt. Doch der Mann ist jung und kerngesund.

John Irving, geboren 1942 in Exeter, New Hampshire, lebt in Toronto und ist einer der begnadetsten Autoren Nordamerikas. Seine bisher 15 Romane wurden alle Weltbestseller, vier davon verfilmt. 2000 erhielt er einen Oscar für die beste Drehbuchadaption für die Verfilmung seines Romans ?Gottes Werk und Teufels Beitrag?.

[42] 2

Der frühere Mittelfeldspieler

Das Team in Boston wurde geleitet von Dr. Nicholas M. Zajac, einem Handchirurgen bei Schatzman, Gingeleskie, Mengerink & Partner – dem führenden handmedizinischen Zentrum in Massachusetts. Zudem war Dr. Zajac außerordentlicher Professor für Chirurgie in Harvard. Es war seine Idee, über das Internet nach potentiellen Handspendern und -empfängern zu suchen (www.needahand.com).

Dr. Zajac war eine halbe Generation älter als Patrick Wallingford. Daß sowohl Deerfield als auch Amherst zu seiner Zeit reine Jungenschulen gewesen waren, reicht kaum aus, die von Geschlechtertrennung geprägte Haltung zu erklären, die sich in seinem Auftreten ebenso stark bemerkbar machte wie sein schlechter Geschmack in puncto Aftershave.

Aus seiner Zeit in Deerfield oder seinen vier Jahren in Amherst erinnerte sich kein Mensch an ihn. Er hatte sowohl in der Prep School als auch am College Lacrosse gespielt – er war sogar Anspieler –, aber nicht einmal seine Trainer erinnerten sich an ihn. Daß man in Sportmannschaften derart anonym bleibt, kommt außerordentlich selten vor; doch Nick Zajac hatte seine Jugend und sein frühes Mannesalter in einem auf geradezu unheimliche Weise undenkwürdigen, wenn auch erfolgreichen Streben nach Spitzenleistungen [43] verbracht, ohne Freunde und ohne eine einzige sexuelle Erfahrung.

Einem Kommilitonen, mit dem er sich eine weibliche Leiche teilte, blieb der künftige Dr. Zajac wegen der Bestürzung und Empörung bei deren Anblick für immer im Gedächtnis. »Daß sie schon lange tot war, machte ihm nichts aus«, entsann er sich. »Nick machte zu schaffen, daß die Leiche eine Frau war, und zwar eindeutig seine erste.«

Ebenfalls seine erste war Zajacs Ehefrau. Er gehörte zu den übertrieben dankbaren Männern, die die erste Frau heiraten, die mit ihnen schläft. Sowohl er als auch seine Frau sollten das bereuen.

Die weibliche Leiche hatte etwas mit Zajacs Entscheidung zu tun, sich auf Hände zu spezialisieren. Seinem früheren Laborpartner zufolge waren die Hände die einzigen Körperteile der Leiche, die zu untersuchen Zajac ertragen konnte.

Über Dr. Zajac müssen wir eindeutig noch mehr erfahren. Seine Magerkeit war zwanghaft; er konnte gar nicht dünn genug sein. Als Marathonläufer, Vogelbeobachter und Körneresser – eine Gewohnheit, die sich der Beobachtung von Finken verdankte – fühlte sich der Doktor auf außergewöhnliche Weise zu Vögeln und zu berühmten Menschen hingezogen. Er wurde Handchirurg für Stars.

Meistens handelte es sich um Sportstars, verletzte Sportler, wie etwa den Werfer der Boston Red Sox mit dem gerissenen vorderen radio-ulnaren Band an der Wurfhand. Der Werfer wurde später im Tausch für zwei Infielder, die sich nicht durchsetzten, und für einen als Schlagmann vorgesehenen Spieler, dessen Haupttalent darin bestand, seine [44] Frau zu schlagen, an die Toronto Blue Jays abgegeben. Zajac operierte auch den vorgesehenen Schlagmann. Bei dem Versuch, sich im Auto einzuschließen, hatte dessen Frau ihm mit der Wagentür die Hand eingeklemmt – wobei die zweite Grundphalange und der dritte Mittelhandknochen am stärksten in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Erstaunlich viele Verletzungen von Sportstars ergaben sich außerhalb des Spielfeldes, des Platzes oder der Eisfläche – wie zum Beispiel bei dem inzwischen nicht mehr aktiven Torwart der Boston Bruins, der sich das Querband der linken Hand einriß, indem er ein Weinglas zu kräftig gegen seinen Ehering drückte. Und da war der häufig mit Strafen belegte Linebacker der New England Patriots, der sich bei dem Versuch, mit einem Schweizer Armeemesser eine Auster zu öffnen, eine Fingerarterie und mehrere Fingernerven durchtrennte. Sie waren risikobereit – sie neigten stark zu Unfällen –, aber sie waren berühmt. Eine Zeitlang bewunderte Dr. Zajac sie; ihre signierten Fotos, die körperliche Überlegenheit ausstrahlten, schauten von den Wänden seines Behandlungsraums herab.

Doch selbst die Sportunfälle der Sportstars waren häufig unnötig, wie etwa bei dem Center der Boston Celtics, der einen Rückwärts-Slam-Dunk versuchte, nachdem die Uhr schon abgelaufen war. Er verlor einfach die Kontrolle über den Ball und machte sich am Korbrand die palmare Faszie kaputt.

Egal – Dr. Zajac liebte sie alle. Und nicht nur die Sportler.

Rocksänger neigten offenbar zu zweierlei Arten von Hotelzimmerverletzungen. An vorderster Stelle stand dabei [45] das, was Zajac als »Zimmerservice-Koller« kategorisierte; er führte zu Stichwunden, Verbrühungen durch Tee und Kaffee und einer Unmenge ungeplanter Konfrontationen mit toten Gegenständen. Diesen dichtauf folgten die unzähligen Mißgeschicke auf feuchten Badezimmerböden, zu denen nicht nur Rock-, sondern auch Filmstars tendierten.

Filmstars hatten außerdem Unfälle in Restaurants und zwar hauptsächlich beim Verlassen derselben. Vom Standpunkt eines Handchirurgen aus war es besser, einen Fotografen als dessen Kamera zu schlagen. Im Interesse der Hand war jeder Ausdruck von Feindseligkeit gegenüber einem Metall-, Glas-, Holz-, Stein- oder Plastikgegenstand ein Fehler. Doch bei Prominenten war Gewalttätigkeit gegen Dinge die Hauptursache der Verletzungen, die der Doktor zu Gesicht bekam.

Wenn Dr. Zajac die sanftmütigen Gesichter seiner renommierten Patienten Revue passieren ließ, dann in der Erkenntnis, daß ihr Erfolg und ihre zur Schau gestellte Zufriedenheit nur Masken waren.

All dies mag Zajac beschäftigt haben, doch seine Kollegen bei Schatzman, Gingeleskie, Mengerink & Partner beschäftigen sich mit ihm. Zwar nannten sie Dr. Zajac nie ins Gesicht hinein prominentengeil, doch sie wußten um seine Schwäche und fühlten sich ihm überlegen – allerdings nur in dieser Hinsicht. Als Chirurg stach er sie alle aus, und auch das wußten sie und ärgerten sich darüber.

Wenn man sich bei Schatzman, Gingeleskie, Mengerink & Partner jeden Kommentars zu Zajacs Prominentengeilheit enthielt, so erlaubte man sich immerhin, den Superstar-Kollegen wegen seiner Magerkeit zu ermahnen. Man [46] glaubte allgemein, Zajacs Ehe sei gescheitert, weil er dünner als seine Frau geworden war, doch bei Schatzman, Gingeleskie, Mengerink & Partner hatte niemand Dr. Zajac zu einer vernünftigen Ernährungsweise bewegen und so seine Ehe retten können; um so unwahrscheinlicher, daß sie ihn nun, nach seiner Scheidung, zu einer Mastkur würden überreden können.

Es war hauptsächlich seine Liebe zu Vögeln, die Zajacs Nachbarn wahnsinnig machte. Aus Gründen, die auch den Ornithologen der Gegend verborgen blieben, war Dr. Zajac der Überzeugung, daß die Fülle von Hundekot in Greater Boston sich schädlich auf die Vogelwelt der Stadt auswirkte.

Es gab ein Bild von Zajac, an dem sich alle seine Kollegen weideten, obwohl nur einer von ihnen es tatsächlich gesehen hatte. An einem Sonntagmorgen suchte der berühmte Handchirurg – in kniehohen Stiefeln, seinem roten Flanellbademantel und einer grotesken New-England-Patriots-Skimütze, in der einen Hand eine braune Papiertüte, in der anderen einen Lacrosseschläger in Kindergröße – seinen verschneiten Garten in der Brattle Street nach Hundehaufen ab. Dr. Zajac hatte selbst zwar keinen Hund, aber er hatte mehrere rücksichtslose Nachbarn, und die Brattle Street war eine der beliebtesten Gassiführrouten von Cambridge.

Der Lacrosseschläger war für Zajacs einziges Kind bestimmt gewesen, einen unsportlichen Sohn, der ihn jedes dritte Wochenende besuchte. Der von der Scheidung seiner Eltern verstörte, problembeladene Junge war ein untergewichtiger Sechsjähriger, ein hartnäckiger Nichtesser – durchaus möglich, daß dies auf den Einfluß seiner Mutter [47] zurückging, die ihre Lebensaufgabe schlicht und einfach darin sah, Zajac verrückt zu machen.

Die Exfrau, die Hildred hieß, äußerte sich in wegwerfendem Ton zu dem Thema. »Wieso soll der Junge essen? Sein Vater tut es doch auch nicht. Er sieht, wie sein Vater hungert, also hungert er selbst auch!« Deshalb durfte Zajac seinen Sohn laut Scheidungsregelung nur alle drei Wochen, und nie länger als ein Wochenende, sehen. Dabei hat Massachusetts die sogenannte Scheidung ohne Verschulden! (Ein Begriff, den Wallingford als sein Lieblingsoxymoron bezeichnete.)

In Wirklichkeit zermarterte sich Dr. Zajac den Kopf über die Eßstörung seines geliebten Kindes und suchte sowohl medizinische als auch praktische Lösungen für das Leiden seines Sohnes. (Hildred nahm kaum zur Kenntnis, daß ihr verhungert aussehender Sohn überhaupt ein Problem hatte.) Der Junge hieß Rudy; und an den Wochenenden, an denen er seinen Vater besuchte, bekam er häufig das Schauspiel vorgeführt, wie Dr. Zajac sich mit üppigen Portionen zwangsernährte, die er später, in zurückgezogener, disziplinierter Stille, wieder erbrach. Doch ob mit oder ohne das Beispiel seines Vaters, Rudy aß kaum etwas.

Ein Kindergastroenterologe riet zu einem diagnostischen Eingriff, um eine mögliche Erkrankung des Colons auszuschließen. Ein anderer verschrieb einen Saft, einen unverdaulichen Zucker, der diuretisch wirkte. Ein dritter meinte, das Problem werde sich von selbst geben; das war der einzige gastroenterologische Rat, den sowohl Dr. Zajac als auch seine Exfrau akzeptieren konnten.

Unterdessen hatte Zajacs ehemalige im Haus wohnende [48] Haushälterin gekündigt – sie konnte nicht mit ansehen, welche Unmengen von Lebensmitteln jeden dritten Montag weggeworfen wurden. Weil Irma,...

Erscheint lt. Verlag 26.3.2013
Übersetzer Nikolaus Stingl
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Original-Titel The Fourth Hand
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Chirurg • Frauenheld • Hand • Indien • Journalist • Liebe • Löwe • Reportage • Reporter • Transplantation • Unfall • USA • Zirkuslöwe
ISBN-10 3-257-60130-1 / 3257601301
ISBN-13 978-3-257-60130-5 / 9783257601305
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